24. Böhm-Bawerk-Vorlesung: Sozialkapital und Demokratie
Normen ersetzen Verträge
„Sozialkapital und Demokratie- ein dritter Weg zwischen Markt und Staat?“- so titulierte Gabriel seinen Diskurs, der nicht weniger von seinen Zuhörern forderte, als sich diese Frage am Ende des Vortrags selbst zu beantworten. Fragend führte der Redner sein Publikum dann auch weiter zum Thema hin: „Wieso sich denn beispielsweise jeder fünfte Däne, aber nur jeder zehnte Franzose und gerade mal jeder fünfzehnte Slowake als sehr zufrieden bezeichnen?“, wollte er von den Anwesenden wissen. Was macht die Zufriedenheit einer Gesellschaft aus, wie wird sie erreicht und wie wirkt sie sich auf die Effizienz von Demokratien aus?
Am Beispiel der Diamantenbörse und einer gut funktionierenden Nachbarschaft (beide gehen ohne Verträge über die Bühne) illustrierte Gabriel, dass bei gewissen sozialen Interaktionen Verträge und Kontrollinstanzen durch Normen ersetzt werden und die Geschäftsabwicklung oder das gesellschaftliche Zusammenleben trotzdem - oder gerade deswegen - zur Zufriedenheit aller Beteiligten geschehen. Soziale Netzwerke, in denen Menschen Verpflichtungen zur Hilfeleistung gegenüber anderen anerkennen, schaffen offensichtlich Zufriedenheit und Sicherheit.
Soziale Netzwerke: Wichtigster Produktionsfaktor?
Soziale Netzwerke also als wichtigster Produktionsfaktor in der modernen Gesellschaft? Der Begriff und das Konzept des Sozialkapitals blicken auf eine lange Geschichte in den Sozialwissenschaften zurück. Der Soziologe und Politologe nahm in seinem Vortrag nicht nur die verschiedenen Definitionen des Sozialkapitals unter die Lupe, sondern wagte sich auch an eine Analyse der verschiedenen Dimensionen des Sozialkapitals: des Netzwerkkapital und des kulturelles Kapitals.
Die Überlegungen, mit denen der Stuttgarter Professor sein Publikum konfrontierte, kreisten um zentrale Fragen in der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit dem Sozialkapital: In welcher Beziehung stehen die beiden Komponenten des Sozialkapitals und welche Auswirkungen haben sie auf die politischen Einstellungen und Verhaltensweisen von Menschen unterschiedlicher Kultur? Wie sieht die Verteilung des Sozialkapitals in Europa aus? Und kann Sozialkapital als Passepartout für die Lösung der Probleme des gesellschaftlichen Zusammenlebens hergenommen werden?
Bezug nahm Gabriel dabei immer wieder auf die Theorien der amerikanischen Wissenschaftler R. Putnam und J. Coleman , für die Sozialkapital als Schlüssel zu Stabilität und Demokratie fungiert und hierbei besonders auf das 1993 erschienen Werk Putnams "Making Democracy Work: Civic Traditions in Modern Italy.“, in dem es um die Nord- Süd –Verteilung des Sozialkapitals in Italien und die daraus resultierende soziale und politische Situation geht.
Geschätzter Gastvortragender und Vortragsort
Prof. Dr. Fritz Plasser, Dekan der Fakultät für Politikwissenschaft und Soziologie, stellte Oscar Gabriel der Menge als „mehrfach geschätzten Gastvortragenden am Institut für Politikwissenschaft“ vor und freute sich sichtlich, ihn auch diesesmal in Innsbruck begrüßen zu dürfen. Gabriel selbst bedankte sich für die Einladung und meinte, er habe sie, „wie immer wenn es sich um eine Einladudng nach Österreich handle, sehr gerne angenommen.“