Die Rückkehr der Gemeinschaft?
Der Postmoderne wird häufig eine starke Tendenz zur Individualisierung zugeschrieben. Traditionelle Gemeinschaftsformen wie Familie verlieren an Bedeutung, Menschen lösen sich aus vormals bedeutsamen Strukturen und befreien sich von deren Zwängen. In den letzten Jahren sind allerdings viele Stimmen in verschiedenen Forschungsrichtungen laut geworden, die eine Rückkehr der Gemeinschaften verkünden. Diese neuen Gemeinschaftsformen unterscheiden sich von den traditionellen dadurch, dass die Menschen ihnen freiwillig und bewusst angehören wollen. Häufig zitierte Beispiele aus der Konsumentenforschung sind Brand Communities, also Gemeinschaften in deren Mittelpunkt eine bestimmte Marke steht. Mitglieder dieser Markengemeinschaften fühlen sich durch ihr Interesse und ihre Begeisterung für dieselbe Marke einander verbunden. Auch von Communities of Practice, Media Communities oder Virtual Communities ist immer häufiger die Rede.
„Das soziologisch Bemerkenswerte an dieser Entwicklung ist u.a. darin zu sehen, dass der „Community”-Begriff, wozu inzwischen auch im Deutschen des öfteren „Gemeinschaft“ gesagt wird, eine paradoxe Verbindung mit dem Ökonomischen eingeht, zieht man hierzu das Gemeinschaftsverständnis von Ferdinand Tönnies heran. Denn Tönnies hat Gemeinschaft und Gesellschaft ja in eine strikte Opposition gestellt und diese Opposition idealtypisch an zwei Sozialformen veranschaulicht: an der Familie für Gemeinschaft und dem Markt für Gesellschaft“, so Dr. Kai-Uwe Hellmann.
In seiner Forschung betrachtet der deutsche Soziologe unter dem Sammelbegriff Commercial Communities diese sogenannten Gemeinschaftsformen. Geleitet wird er dabei von zwei zentralen Fragestellungen: „Was ist der Fall?“ und „Was steckt dahinter?“ Er untersucht, ob es sich bei diesen oft selbst-ernannten Gemeinschaften tatsächlich um solche handelt, ob also die Semantik und die Sozialstruktur zueinander passen, und wie diese neuen kommerziellen Gemeinschaftsformen theoretisch einzuordnen sind.
Vergangenen Freitag stellte Dr. Hellmann seine aktuelle Forschung am Institut für Strategisches Management, Marketing und Tourismus vor. Institutsleiter Prof. Hans Mühlbacher zeigte sich über den Besuch erfreut: „ Besonders freut mich, dass es in der Forschung von Herrn Hellmann und der Forschung an unserem Institut, insbesondere in unserem Forschungsschwerpunkt, viele Überschneidungen und Schnittstellen gibt.“
Zur Person:
Dr. Kai-Uwe Hellmann ist Privatdozent mit Forschungsschwerpunkt Wirtschafts- und Konsumsoziologie am Institut für Soziologie der TU Berlin. Er studierte Philosophie und Politologie, promovierte 1995 in Soziologie an der FU Berlin und habilitierte sich 2003 in Soziologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Zu seinen Publikationen zählen zahlreiche Werke zu Marken- und Konsumsoziologie, darunter das Buch „Soziologie der Marke“, welches 2003 erschien.