Virus an der Nadelspitze
Das Rasterkraftmikroskop und das nahe verwandte Rastertunnelmikroskop gehören zu den faszinierendsten Erfindungen des ausgehenden letzten Jahrhunderts: Sie machten zum ersten Mal die Atome, also die Grundbausteine der Materie, sichtbar. Das „Sehen“ ist in diesem Zusammenhang allerdings nicht allzu wörtlich zu nehmen, denn das Bild entsteht auf indirekte Weise, die eher mit dem „Fühlen“ vergleichbar ist: Wie bei einem Nano-Plattenspieler fährt eine winzige Nadel über die Probenoberfläche. Vergleichbar dem Plattenspielerarm ist sie an einer äußerst empfindlichen Blattfeder aufgehängt. In einem definierten Raster tastet die Nadel Punkt für Punkt die Probe ab. Stößt das äußerste Atom der Nadelspitze dabei auf eine - ebenfalls atomare- Erhebung, wird es abgestoßen und die Spitze weicht minimal nach oben aus. In einem Tal sinkt sie nach unten. Die feine Ablenkung der Nadelspitze wird mit Lasern optisch registriert. So entsteht ein atomares Relief der Probenoberfläche.
„Der große Vorteil der Rasterkraftmikroskopie ist“, so betonte Hinterdorfer, „dass sie auch in flüssigem Medium funktioniert.“ Daher ermöglicht sie es, Biomoleküle in ihrer natürlichen Umgebung zu untersuchen. Sogar die Oberfläche lebender Zellen lässt sich abtasten. Allerdings ist die Bildauflösung bei biologischen Proben nicht atomar, sondern „nur“ im Bereich von etwa einem Nanometer. Das liegt daran, dass biologische Strukturen weich und nicht so glatt sind, so dass immer mehrere Atome der Spitze in Kontakt zur Probe kommen.
Seit kurzem kann das Mikroskop auch umfunktioniert werden, um Bindungskräfte zwischen einzelnen Molekülen zu messen. Die Auslenkung der Blattfeder lässt sich direkt in eine Kraft zwischen Spitze und Probe übersetzen: Je stärker sich die Feder biegt, desto größer die Kraft. Hinterdorfer und sein Team befestigen einzelne Moleküle, beispielsweise einen Antikörper, an der Nadelspitze. Trifft dieser auf sein passendes Antigen an der Probenoberfläche, koppelt er an. Die Linzer Wissenschaftler fahren daraufhin den Nadelarm sachte hoch und ziehen das molekulare Paar wieder auseinander. Dabei messen sie die Kraft, die sie brauchen, um diese Molekülbindung zu lösen. Hinterdorfer ist es auch gelungen, ganze Viren an der Nadelspitze zu befestigen und damit nach Andockstellen auf der Zelloberfläche zu suchen. So konnte er zeigen, dass der Virus an mehrere Bindungsstellen gleichzeitig andockt. Die Linzer Wissenschaftler haben zudem ein Verfahren entwickelt, das Bildgebung und Kraftmessung verbindet, so dass sie gleichzeitig Struktur und Funktion von Biomolekülen untersuchen können.
Damit sind die Forscher auf der Spur eines der wichtigsten Prinzipien des Lebens: wie sich molekulare Partner erkennen und miteinander wechselwirken. Ihre Erkenntnisse sind auch für pharmazeutische Fragestellungen interessant, denn das Ziel vieler Medikamente ist, molekulare Bindungsstellen gezielt zu blockieren.