Über 1000 Jahre alte Kirchen gefunden
Bei der St. Nikolauskirche (12. Jahrhundert) mit ihrer für den Alpenraum einzigartigen Doppelchoranlage und der reichen romanischen Freskenausstattung handelt es sich um den ältesten erhaltenen Kirchenbau in Osttirol. Die Kirche liegt vom heutigen Siedlungskern isoliert auf einer Terrasse auf 1035 m Seehöhe über dem Weiler Ganz an der südwestlichen Seite des Matreier Talkessels.
Am Vorplatz westlich der Kirche konnten Archäologen des Instituts für Archäologien der Universität Innsbruck bereits Mitte der 90er Jahre die Reste einer Vorgängerkirche aus dem 9./10. Jahrhundert sowie ein zugehöriges Körpergräberfeld mit einem Dutzend Bestattungen freilegen. Nachdem nach fast zehnjähriger Unterbrechung im letzten Jahr die Arbeiten wieder aufgenommen worden waren, ging es den Forschern unter der Leitung von Harald Stadler und Florian Müller in diesem Jahr darum, die fehlenden Mauerstücke des Langhauses der Kirche auszugraben. Die Arbeiten fanden dabei im Zuge einer Lehrgrabung der Universität statt, bei der sechs junge Studierende erstmals archäologische Grabungspraxis sammeln konnten. Die vermuteten Mauern wurden auch bereits wenige Zentimeter unterhalb der schmalen an der St. Nikolauskirche vorbeiführenden Schotterstraße entdeckt.
Zur großen Überraschung der Archäologen kamen aber plötzlich weitere Mauerzüge zum Vorschein, die von einem zweiten Vorgängerbau stammten. Der gesamte westliche Abschluss, zum Teil noch mit den original erhaltenen Estrichfußböden, konnte von den Archäologen vollständig freigelegt werden, der Großteil des neu entdeckten Gebäudes dürfte sich aber unmittelbar unterhalb der heute noch stehenden St. Nikolauskirche befinden. „Die Neuentdeckung kann somit zeitlich zwischen dem bereits bekannten ca. 1200 Jahre alten ersten Vorgängerbau und der heute sichtbaren St. Nikolauskirche aus dem 12. Jahrhundert datiert werden“, berichtet Florian Müller.
Der Osttiroler Raum war im 6. Jahrhundert n. Chr. bereits christianisiert. Ausgehend vom spätantiken Bischofssitz Aguntum erfolgte die christliche Organisation, die durch archäologisch erschlossene Kirchenbauten in Lavant-Kirchbichl, St. Andrä, Patriasdorf und Oberlienz bezeugt ist, während für die nördlichen Seitentäler in dieser Hinsicht bislang noch kein Nachweis gelang. „Somit konnte durch die neuesten Grabungsergebnisse ein weiterer wichtiger Beitrag für die Erhellung der ‚dunklen Jahrhunderte’ - der Zeit von 600-1000 n.Chr. - für die es kaum schriftliche Quellen gibt, geleistet werden“, freut sich Harald Stadler.
Neben zahlreichen Keramikscherben, Eisennägeln, einer Perle und einem Messergriff aus Bein, wurden auch ein halbes Dutzend Münzen aus dem Mittelalter, geprägt im süddeutschen und oberitalischen Raum, geborgen. Besonders gut erhalten war ein Denar von Ludovico della Torre, der Mitte des 14. Jahrhunderts Patriarch von Aquileia war.
Der Platz der St. Nikolauskirche ist aber nicht nur für die Erforschung des Frühmittelalters von großer Bedeutung. Nachdem schon in den 90er Jahren die Reste eines spätantiken Kalkbrennofens sowie ein Urnengrab aus römischer Zeit, das in einem vermutlich viereckig gemauerten Grabbau eingelassen war, entdeckt wurde, fanden sich auch heuer wieder in tieferen Schichten Fundstücke, wie eine Gewandnadel, eine kleine Bronzenadel und große Mengen an Keramik, die eine ältere Nutzung des Platzes bereits in der römischen Epoche belegen.