Tiefer Blick in die Quantenwelt
Die quantenphysikalische Analyse von Vielteilchensystemen ist von besonderem Interesse, weil an ihnen die Innenwelt von Festkörpern modellhaft erforscht werden kann. Dieser tiefe, quantenphysikalische Blick in die feste Materie war bisher durch die extrem hohe Komplexität verwehrt. Theoretiker um Sebastian Diehl, Andrea Micheli, Barbara Kraus und Peter Zoller vom Institut für Theoretische Physik der Universität Innsbruck und dem Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) haben nun einen neuen theoretischen Vorschlag für die Präparation von Quantenzuständen in Vielteilchensystemen entwickelt. Sie bedienen sich dazu eines Tricks: Dissipation beschreibt in der klassischen Physik beispielsweise den Übergang von Bewegungsenergie in Wärmeenergie durch Reibung. „Während Dissipation den Grad der Unordnung in einem System normalerweise dramatisch erhöht, drehen wir den Spieß um“, erzählt Sebastian Diehl. „Wir nutzen die Dissipation, um einen perfekt reinen Vielteilchenzustand mit langreichweitiger Ordnung herzustellen.“
Ordnung durch Dissipation
Das System, an dem die Wissenschaftler ihr Verfahren theoretisch erproben, besteht aus einer großen Zahl von Atomen, die in einem optischen Gitter aus Laserstrahlen gefangen sind. Ordnung schaffen die Forscher, indem sie das Teilchenensemble mit einem weiteren Laser anregen und gleichzeitig die spontane Emission in ein ultrakaltes Gas in der Umgebung (Dissipation) ermöglichen. „Dabei wird die Kohärenz des anregenden Laserstrahls auf das atomare Materiesystem übertragen“, erläutert Diehl die Idee hinter dem neuen Verfahren. „Überraschend und den Gesetzen der Quantenphysik geschuldet ist, dass die Atome zwar nur lokal manipuliert werden, die Ordnung aber dennoch im gesamten System hergestellt wird.“
Auch angeregte Quantenzustände sind möglich
„Wir kombinieren in diesem Modellsystem Methoden aus der Quantenoptik und der Atomphysik mit Techniken der Festkörperphysik“, erläutert der Leiter der Forschungsgruppe, Prof. Peter Zoller. Der interdisziplinäre Ansatz könnte auch für Anwendungen in der Quanteninformationsverarbeitung interessant sein. Die Theoretiker wollen ihre Idee nun auf noch komplexere Systeme anwenden und zum Beispiel auch experimentelle Verfahren für die Untersuchung eines sehr prominenten Problems der Festkörperphysik, der Hochtemperatursupraleitung, vorschlagen. Hier kommt ein Vorteil ihres neuen Verfahrens zum Tragen, den bisherige Ansätze nicht boten: „Mit der Methode wird es möglich, Zustände zu präparieren, die angeregten Vielteilchenzuständen entsprechen. Durch das konventionell angewendete Kühlen eines Teilchensystems wäre dies niemals in reiner Form möglich“, betonen Sebastian Diehl und seine Forschungskollegen.
Unterstützt werden die Wissenschaftler bei ihren Forschungen vom österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF), der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Europäischen Union.