Genauer Blick auf die Oberfläche
Oft ist Korrosion und die damit verbundene Beeinträchtigung von Werkstoffen unerwünscht. In der industriellen Produktion aber kann die Reaktion eines Materials mit seiner Umgebung auch fruchtbar genutzt werden. So verwenden etwa Halbleiterhersteller Halogen-Plasmen, um Kontakte für Siliziumbauteile aus Platin herzustellen. Mit einem Chlorplasma werden dabei die Kontaktelektroden aus dem Platin geätzt. Für die Zusammensetzung dieser Plasmen sind unterschiedliche Rezepturen im Umlauf, die optimalen Bedingungen für den Prozess sind umstritten. „Es mutete ein wenig wie dunkle Magie an“, sagt Prof. Erminald Bertel vom Institut für Physikalische Chemie, „denn genaue Kenntnisse über die atomaren Vorgänge an der Werkstoffoberfläche haben bisher gefehlt.“
Reaktionsprozess beobachtet
Diese Lücken schließen nun die Materialwissenschaftler um Prof. Bertel. In detaillierten Untersuchungen haben sie erkundet, was an der Platinoberfläche passiert, wenn Chlor darauf trifft. Dabei konnten sie mit Hilfe eines Rastertunnelmikroskops sowie durch Beugungsbilder niederenergetischer Elektronen beobachten, wie sich die Chloratome auf den Platinschichten anlagern, wie sie reagieren und welche chemischen Reaktionsprodukte sich dabei bilden. Die Chloratome ordnen sich zunächst in Reihen auf der Oberfläche an. Diese werden zusammengeschoben, wenn die Chlorkonzentration weiter erhöht wird. Dabei werden einzelne Platinatome aus der Oberfläche herausgelöst. Mit diesen bilden jeweils vier Chloratome einen neuen Komplex. „Dies ist der Beginn der Korrosion“, erläutert Bertel. „Wir verstehen diese Mechanismen nun sehr viel besser.“
Rolle von Kohlenmonoxid geklärt
Weil in der Industrie die Beimischung von Kohlenmonoxid zum Chlorplasma als Verbesserung der Rezeptur gilt, haben die Innsbrucker Forscher auch dessen Wirkung untersucht. Dabei zeigte sich, dass das Kohlenmonoxid einen ähnlichen Effekt hat, wie die erhöhte Chlorkonzentration. Die Kohlenmonoxidatome schieben die Chloratome an der Oberfläche zusammen, sodass wiederum eine kritische Konzentration überschritten und damit Platinatome aus der Struktur gelöst werden. „Es könnte sein, dass dadurch der Ätzprozess in der Produktion sanfter verläuft und zum Beispiel unerwünschte Effekte wie das Unterätzen von Strukturen vermieden werden“, so Prof. Bertel. Überraschend für die Oberflächenexperten war auch der Vergleich mit einer früheren Messung einer deutschen Forschergruppe. Diese hatten in Wasser gelöste Ionen aus vier Chlor- und einem Platinatom an einer Goldoberfläche abgeschieden. „Interessanterweise haben sich diese Moleküle exakt gleich angeordnet, wie in unserem Fall“, sagt Erminald Bertel. „Dies deutet darauf hin, dass es sich hier um einen von der speziellen Oberfläche weitgehend unabhängigen Selbstorganisationsprozess handelt.“
Intensive Zusammenarbeit
Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher in der Fachzeitschrift „Journal of the American Chemical Society“. Entstanden ist die Arbeit der Forschungsgruppe um Prof. Bertel in Kooperation mit Wissenschaftlern des Center for Computational Materials Science (CMS) in Wien, die die experimentellen Ergebnisse der Innsbrucker Forscher theoretisch nachvollzogen und bestätigt haben. Finanziert wurde die Studie unter anderem im Rahmen des nationalen Forschungsnetzwerks „Nanowissenschaften auf Oberflächen“ des Wissenschaftsfonds FWF.