Weinbergschnecken sind genetisch gegen Stress gerüstet
„Weinbergschnecken sind Stress-Profis und Überlebenskünstler. Nicht nur ihr Kalkgehäuse schützt sie gegen Austrocknung und Feinde. Sie haben ein außergewöhnliches Gen, das in ihrem Stoffwechsel die Produktion spezieller Eiweißstoffe steuert. Durch diese Stress-Proteine - sogenannte Metallothioneine - sind die Weichtiere hart im Nehmen. Sie können giftige Metalle wie Kupfer oder Cadmium in hohen Konzentrationen speichern und entgiften“, erklärt A.-Univ.-Prof. Dr. Reinhard Dallinger von der Abteilung Ökophysiologie des Institutes für Zoologie der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck.
Außergewöhnlich großes Gen
Dallinger und seinem vierköpfigen Team ist es in Zusammenarbeit mit der Sektion Genetische Epidemiologie der Medizinischen Universität Innsbruck gelungen, den genetischen Grund für die Widerstandsfähigkeit der Weinbergschnecke zu finden. Jenes Gen, mit dem die Helix pomatia unter anderem ihren Schutz gegen Schwermetalle wie Cadmium aktiviert, hat 10.000 Basenpaare. Mit dieser großen Anzahl an Bausteinen ist es das größte und komplexeste Gen für diese Art von Stress-Proteinen, das bisher überhaupt bekannt ist. So lautet ein bisheriges Ergebnis des bis 2010 laufenden Forschungsprojektes, das vom Fonds zurFörderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) gefördert wird.
Vom Aufbau her ist dieses „Cd-Metallothionein-Gen“ der Weinbergschnecke sogar größer und komplexer als vergleichbare Erbfaktoren für Stress-Proteine von Wirbeltieren. Für Dallinger und seine Kollegin Margit Egg, die das Gen nun erstmals vollständig unter die Lupe nahmen, bot auch dessen Struktur einige Überraschungen. Das Metallothionein-Gen der Weinbergschnecke enthält wiederholt Anordnungen von sogenannten Enhancern sowie Bindungsstellen für regulatorische Proteine im Zusammenhang mit der Stress-Antwort. Einfach erklärt heißt das, dieses Gen ermöglicht der größten, heimischen Gehäuse tragenden Landschnecke nicht nur auf Schwermetallbelastungen, sondern auch auf zahlreiche weitere Umweltstress-Faktoren, wie Hitze, Kälte, Trockenheit und Sauerstoffmangel zu reagieren.
Stress-Reaktionen besser verstehen
„Gerade im Darwin-Jahr konnten wir einen Beweis dafür finden, welch ein erfolgreicher Modellorganismus die jedem geläufige Weinbergschnecke ist. Das zeigt auch jedem Laien, dass sich heute in unserer heimischen Tierwelt noch Entdeckungen machen lassen“, betont Dallinger. Durch die Aufklärung des Gens erhofft sich das Innsbrucker Team neue Perspektiven in der molekularen Stressforschung. Dallingers Gruppe leistet seit langen Jahren im Feld der Wechselwirkung zwischen Lebewesen und Umwelt Pionierarbeiten zu einer ganzen Reihe bodenbewohnender Tierarten, wobei Grundlagenforschung und praktische Anwendung intensiv verknüpft sind. Auch die laufenden Forschungsarbeiten zur Helix pomatia sollen in die Entwicklung neuartiger Testverfahren zur Überwachung gefährdeter Ökosysteme münden.
Wie sich Lebewesen bereits auf molekularer Ebene an Umwelt-Stress anpassen, ist global ein sehr junges Forschungsfeld, das durch den Klimawandel und Umweltprobleme stetig an Bedeutung gewinnt. Der Einfluss von Umweltreizen auf den Stoffwechsel von Organismen und ihre Gene ist diesen September auch Thema eines internationalen Kongresses in der Tiroler Landeshauptstadt, der vom Institut für ZoologieUniversität Innsbruck organisiert wird (http://escpbnew-innsbruck2009.xxls.de/).
Stichwort Schnecke
Weichtiere, zu denen auch die Schnecken gehören, gelten allgemein als markantes Beispiel der Evolution. Zum einen verkörpern zahlreiche Mitglieder dieser großen Tiergruppe ein erfolgreiches Überlebenskonzept und haben seit Anbeginn ihrer Entwicklung im Kambrium – vor etwa 600 Millionen Jahren – kaum ihre Form verändert. Zum anderen haben sie sich, wie auch die Widerstandskraft der Helix pomatia zeigt, im Laufe dieses langen Zeitraumes an viele verschiedene Lebensräume erfolgreich angepasst. Die Weinbergschnecke steht in Österreich und weiteren europäischen Ländern unter Naturschutz. Sie ernährt sich von weichen Pflanzenteilen, frisst aber auch die Gelege anderer, weitaus häufigerer Schneckenarten und gilt daher als Nützling. Früher wurde sie als Delikatesse geschätzt und bis an den Rand der Ausrottung gebracht.