Dissertantin entwickelte frei formbaren Baustoff
„Digitale Prozesse ermöglichen in der Architektur mittlerweile den Umgang mit freien Geometrien. Freiformstrukturen können in der Entwurfs- und Planungsphase dank neuer digitaler Entwurfswerkzeuge bereits präzise und effizient kontrolliert und entwickelt werden“, erklärt Valentine Troi, wissenschaftliche Mitarbeiterin am institut für experimentelle architektur.hochbau der Uni Innsbruck. Für sie liegt die große Herausforderung an die Architektur in Zukunft darin, im Bereich der Materialwissenschaften nachzuziehen, um vielfältigere Umsetzungsmöglichkeiten für das erweiterte architektonische Gestaltungsrepertoires zu entwickeln. „Bewährte Baustoffe wie Beton, Stahl oder Holz setzen der Umsetzung von Entwürfen natürliche Grenzen. Der Einsatz von faserverstärkten Kunststoffen für individuelle Lösungen bietet sich zwar aufgrund deren freien Formbarkeit an, ist aber vom aufwändigen und kostenintensiven Formenbau abhängig“, beschreibt die Architektin die Problemstellung, die sie auf die Idee brachte, faserverstärkte Kunststoffe textil zu verarbeiten. „Ich dachte mir, wenn schon ein Faden – also zum Beispiel die Glasfaser – vorhanden ist, warum sollte man diesen nicht textil verarbeiten – also stricken, nähen oder häkeln können“, so Troi.
Gute Ausgangsbasis
Dabei kann die Architektin auf eine umfassende materialtechnologische Grundlagenarbeit aufbauen. „Faserverstärkter Kunststoff kommt in Branchen zum Einsatz, die über ein hohes Entwicklungsbudget verfügen – zum Beispiel in der Luftfahrtbranche. Diese Ergebnisse und Produktentwicklungen kann ich für mein Projekt nutzen“, erklärt Troi.
Der Werkstoff Glasfaserverstärkter Kunststoff – kurz GFK – zeichnet sich vor allem durch eine gute Rohstoffbasis, eine an die Belastung anpassbare Festigkeit und Steifigkeit sowie durch seine Alterungs- und Korrosionsbeständigkeit aus. In ihrem Forschungsprojekt „superTEX- textile Qualitäten faserverstärkter Kunststoffe“
versucht Valentine Troi nun diesen materialtechnologisch hoch entwickelten Werkstoff unter besonderer Beachtung seiner textilen Komponente neu und originell und vor allem unabhängig vom Formenbau anzuwenden.
Modellstudien
Dazu testete die Architektin ihre Idee zuerst an kleinen Modellstücken, bei denen sie die Faser erst mithilfe der diversen textilen Verarbeitungsmöglichkeiten in Form brachte und im Anschluss mit Harz laminierte. Durch diese zwei Komponenten entsteht ein Baustoff, der flexibel formbar aber dennoch stabil und wetterfest ist. „Die selbständigen Formfindungsvarianten des Baustoffs bedeuten eine deutliche Reduzierung des Herstellungsaufwandes, da sie den Werkstoff von seiner Abhängigkeit vom Formenbau und damit vom hohen Zeit- und Kostenaufwand befreien“, erklärt Valentine Troi.
Patentrechtlich geschützte Entwicklung
Nachdem die Materialproben, die in Zusammenarbeit mit der Technischen Versuchs- und Forschungsangstalt an der Fakultät für Bauingenieurwissenschaften durchgeführten Materialtests bestanden hatten, machte sich Valentine Troi daran, die Methode auch im großen Maßstab zu testen. Für die 40-Jahr-Feier der Fakultäten für Bauingenieurwissenschaften und Architektur an der Uni Innsbruck entwarf und realisierte sie mit Unterstützung eines Projektteams (Stefan Strappler, Georg Wieser und Michael Zopf) einen 1:1 Prototypen, der von Hermann Lehar vom Institut für Grundlagen der Bauingenieurwissenschaften/ Arbeitsbereich für Festigkeitslehre, Baustatik und Tragwerkslehre berechnet wurde. Die Konstruktion aus sogenannten Splinemodulen diente bei den Feierlichkeiten als Bar und Treffpunkt am Technik-Campus. Diese Form der materialtechnologischen Entwicklung wurde von der Architektin inzwischen auch patentrechtlich geschützt. „Die Schläuche können in flexiblem Zustand zu den gewünschten Systemen verflochten, geknotet, gebündelt, gestrickt und über ein Hilfskoordinatensystem, zum Beispiel aus Gewindestangen, räumlich eingerichtet werden. Dabei können Wandstärke und Durchmesser der Schläuche den Anforderungen angepasst werden“, erklärt Troi. Das Material weist eine hohe Belastbarkeit bei sehr geringem Eigengewicht auf. Der Prototyp – eine 10 Meter lange und 4 Meter breite Konstruktion - wiegt beispielsweise nur 108 Kilogramm. „Der Einsatz von flexiblen Kunststoffschläuchen mit einem Überzug aus Glasfasergeflecht, das erst nach dem Formungsprozess laminiert und somit gehärtet wird, wurde bis dato noch nicht angedacht, bzw. angewendet. Ich bin allerdings überzeugt davon, dass sich diese Entwicklung durchsetzen kann“, zeigt sich Valentine Troi stolz auf ihr erstes Patent. In einem nächsten Schritt will die Architektin nun ihre materialtechnologische Entwicklung für die industrielle Anwendung optimieren und adaptieren.