Chemie wie auf einem anderen Planeten

Sie bewegen sich auf einem neuen Gebiet, das vor ihnen noch niemand betreten hat. Die Chemiker um Prof. Hubert Huppertz synthetisieren neue Materialien bei sehr hohen Temperaturen und extrem großem Druck. Über ihre Arbeit wird in der neuen Ausgabe des Magazins „zukunft forschung“ berichtet, dessen Schwerpunkt diesmal den Material- und Nanowissenschaften an der Uni Innsbruck gewidmet ist.
Materialsynthese unter extremen Hochdruckbedingungen
Materialsynthese unter extremen Hochdruckbedingungen

Seit Jahrzehnten fördert die chemische Synthese immer neue Substanzen zutage. Und doch nutzte die Festkörperchemie bisher nur einen Bruchteil jener Möglichkeiten, die die Natur zu bieten hat. Denn die Chemiker veränderten bisher bei der Synthese neuer Materialien im Wesentlichen nur die Zusammensetzung und die Temperatur. „Setzen wir die Substanzen zusätzlich einem hohen Druck aus, vergrößert sich das Spektrum der Möglichkeiten dramatisch“, sagt Prof. Hubert Huppertz vom Institut für Allgemeine, Anorganische und Theoretische Chemie der Universität Innsbruck. „Wir stoßen damit in ganz neue Felder vor, die bisher noch niemand betreten hat. Damit beginnt die Festkörperchemie unter ganz anderen Voraussetzungen noch einmal von vorne.“

 

Jumbojets auf dem Teller

„Es geht bei uns zu wie in der Küche“, erzählt Hubert Huppertz schmunzelnd, „nur ein wenig extremer“. Er vergleicht seine Hochdruckpresse mit einem Dampfdruckkochtopf: Durch die Erhöhung des Innendrucks um ungefähr 1 bar wird der Kochprozess in der Küche deutlich beschleunigt. Allerdings ist der Druck im Labor der Chemiker noch um vieles höher. „Wir arbeiten normalerweise mit 100.000 bar und können bis maximal 250.000 bar gehen“, erklärt Huppertz. Der technische Aufwand aber, um diesen Prozess unter Kontrolle zu halten, ist erheblich. Seit wenigen Wochen läuft die eigens für Huppertz’ Forschungsgruppe installierte Hochdruckpresse im Keller der Chemischen Institute. Dieses eindrucksvolle Gerät kann das Gewicht von drei gut beladenen Jumbojets auf der Fläche eines Tellers erzeugen. Die Substanzen für die Synthese werden in winzig kleine Kapseln gefüllt. Umhüllt von schmalen Heizkörpern aus Graphit, steckt die Kapsel in einem Oktaeder aus Magnesiumoxid. Dieser steinharte Behälter mit acht Seitenflächen wird wiederum von acht Würfeln aus Wolframkarbid umschlossen. Durch diese Konstruktion verteilen die Wissenschaftler den Druck der Hochdruckpresse gleichmäßig von allen Seiten auf die Probe.

 

Immer für Überraschungen gut

Der ganze Prozess der Synthese dauert ungefähr 24 Stunden. In drei bis vier Stunden wird der maximale Druck erzeugt, dann wird die Probe nach einer Heizphase langsam wieder entlastet. „Es ist jeden Tag wieder eine Überraschung, was bei den Synthesen entsteht“, sagt Prof. Huppertz, der vor einem Jahr von der LMU München an die Universität Innsbruck berufen wurde. „Wir erhalten hier Zugang zu ganz neuen chemischen Systemen“, zeigt er sich begeistert. Mit Hilfe der Röntgenbeugung werden nach den Synthesen erste Strukturbestimmungen unternommen und die neuen Substanzen charakterisiert. Interessante Materialien werden dann gemeinsam mit Wissenschaftlern aus angrenzenden Fachbereichen eingehender untersucht. Neben den grundlegenden Fragen, wie Materie unter so extremen Bedingungen reagiert, stellt sich dann auch die Frage nach möglichen Anwendungen dieser neuen Stoffe.

 

Härter als Diamant

Welches enorme Potential in der Festkörperchemie steckt, zeigt die Herstellung von künstlichen Diamanten. So lassen sich zum Beispiel aus herkömmlicher Grillkohle bei entsprechender Temperatur und hohem Druck Diamanten produzieren. Als besonders harter Stoff ist dieser in der Industrie heiß begehrt und wird heute tonnenweise produziert. Doch Hubert Huppertz könnte sich vorstellen, dass seine Synthesen ähnlich harte aber stabilere oder noch härtere Materialien zutage fördern. Doch der Schwerpunkt seiner Forschungen sind derzeit die Borate, das sind Salze der Borsäure. So hat die Forschungsgruppe unter hohem Druck erstmals Oxoborate erzeugt, deren charakteristische Baueinheiten nicht über einzelne Eckpunkte sondern an den Kanten verbunden und damit wesentlich stabiler sind. „Weltweit sind derzeit nur etwa zehn Forschungsgruppen auf diesem spannenden Gebiet tätig“, sagt Prof. Huppertz, der seine Expertise im Rahmen des Forschungsschwerpunkts Materialwissenschaften auch mit seinen Kollegen aus den angrenzenden Disziplinen teilt. „Was wir hier machen, ist ein bisschen wie Chemie auf einem anderen Planeten“, sagt Hubert Huppertz abschließend. „Denn auf riesigen Planeten wie dem Jupiter herrschen ganz andere Temperatur- und Druckverhältnisse wie auf der Erde. Wir studieren, welche synthetischen Möglichkeiten sich unter diesen extremen Bedingungen ergeben und welchen Nutzen wir aus diesen neuen Materialien ziehen können.“

 

Weitere Beiträge der aktuellen Ausgabe des Magazins „zukunft forschung“ zum Forschungsschwerpunkt Material- und Nanowissenschaften der Universität Innsbruck finden Sie online. 

(cf)