Experimentalphysiker widerlegen nichtkontextuelle Quantenmodelle
Die Quantenmechanik beschreibt die physikalischen Verhältnisse von Licht und Materie und formuliert dabei einige Vorstellungen, die unserem klassischen Bild der Natur völlig widersprechen. Immer wieder haben Physiker deshalb versucht, die nichtkausalen Phänomene der Quantenmechanik mit Hilfe von verborgenen Variablen zu erklären und damit den in der Quantentheorie allgegenwärtigen Zufall auszuschließen. Eine theoretische Überlegung von Simon Kochen und Ernst Specker aus dem Jahr 1967 zeigt jedoch, dass bei solchen Erklärungsversuchen mit verborgenen Variablen die Messungen kontextuell sein müssen. Das heißt, dass das Ergebnis einer Messung von anderen gleichzeitig durchgeführten Messungen abhängig ist. Interessanterweise sind die Messungen hierbei miteinander verträglich und stören sich nicht gegenseitig. Nun konnten die Forscher um Christian Roos und Rainer Blatt vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Universität Innsbruck diese Überlegungen bestätigen und erstmals im Experiment nichtkontextuelle Erklärungsversuche der Quantentheorie ausschließen. Es gelang ihnen in einer Reihe von Messungen an einem Quantensystem aus zwei Ionen nachzuweisen, dass die Messung einer bestimmten Eigenschaft abhängig von anderen Messungen an dem System ist.
Technologischer Vorsprung
Ausgeführt wurde das Experiment von den Doktoranden Gerhard Kirchmair und Florian Zähringer sowie Rene Gerritsma, einem niederländischen Postdoc am IQOQI. Dazu speicherten die Forscher zwei lasergekühlte Kalzium-Ionen in einer elektromagnetischen Falle und führten dann eine Reihe von Messungen an den Ionen durch. „Wir haben dazu Techniken verwendet, die wir für den Bau des Quantencomputers entwickelt haben. Im Experiment mussten wir bis zu sechs Quantengatter hintereinander schalten", erklärt Christian Roos. „Das war möglich, weil wir seit kurzem Quantengatter besonders hoher Güte erzeugen können." Erst im Vorjahr gelang es den Forschern um Rainer Blatt, erstmals ein beinahe fehlerfrei arbeitendes Quantengatter zu realisieren, mit einer Güte von über 99 Prozent. Mit diesem technologischen Vorsprung konnten die Forscher nun erstmals auch mit experimentellen Mitteln umfassend nachweisen, dass nichtkontextuelle Erklärungsmodelle mit verborgenen Variablen nicht mit den Experimenten vereinbar sind. Das Ergebnis ist dabei unabhängig vom verwendeten Quantenzustand, im Experiment wurde es an zehn verschiedenen Zuständen getestet. Einflüsse der noch verbliebenen Störungen im Messverfahren konnten die Experimentalphysiker mit Unterstützung der Theoretiker Otfried Gühne und Matthias Kleinmann aus der Innsbrucker Arbeitsgruppe um Prof. Hans Briegel ausschließen.
Zufall lässt sich nicht ausschließen
Schon 1935 stellten Albert Einstein, Boris Podolsky und Nathan Rosen die Frage nach der Vollständigkeit der Quantenmechanik im Sinne einer realistischen physikalischen Theorie, eine Kritik, die als EPR-Paradoxon in die Wissenschaftsgeschichte einging. Mitte der 1960er-Jahre konnte John Bell zeigen, dass die Quantentheorie keine reale und gleichzeitig lokale Theorie sein kann, ein Resultat, das inzwischen auch in Experimenten belegt werden konnte. Das Ergebnis von Kochen und Specker schließt eine andere Klasse von Theorien aus, ein überzeugender experimenteller Nachweis war jedoch bisher schwierig. Den Innsbrucker Wissenschaftlern ist nun auf Basis eines theoretischen Vorschlags des Spaniers Adán Cabello ein eindeutiges Experiment gelungen. Unterstützt wurden sie dabei von österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, der Europäischen Union und der Industriellenvereinigung Tirol.