Atome tanzen keinen „Bose Nova“
Wechselwirkungseffekte äußern sich in niedrigdimensionalen Systemen wesentlich drastischer als im dreidimensionalen Raum. Solche Strukturen sind deshalb für die Physik von besonderem Interesse. Neben nulldimensionalen Quantenpunkten und zweidimensionalen Quantenflächen kennt die Physik auch eindimensionale Quantendrähte. Das sind räumliche Potentialstrukturen, in denen Ladungsträger sich nur in einer Dimension bewegen können. Während Quantenpunkte und Quantenflächen relativ einfach hergestellt und analysiert werden können, lassen sich Quantendrähte an Festkörpern nur sehr schwer untersuchen. Physiker um Hanns-Christoph Nägerl vom Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck gingen deshalb einen ganz anderen Weg: Sie haben in einer Wolke aus ultrakalten Atomen eindimensionale Strukturen erzeugt und deren Eigenschaften genau analysiert.
Überraschende Beobachtung
In einer Vakuumkammer bilden die Forscher dazu ein Bose-Einstein-Kondensat aus rund 40.000 ultrakalten Cäsium-Atomen. Mit Hilfe von zwei Laserstrahlen erzeugen sie dann ein optisches Gitter, in dem sich die Atome in vertikalen, eindimensionalen Strukturen anordnen. Jeweils bis zu 15 Atome stapeln sich dabei übereinander auf. Durch das Laserlicht werden sie daran gehindert, aus der Reihe zu tanzen oder mit anderen Atomen den Platz zu tauschen. Über ein Magnetfeld können die Forscher die Wechselwirkung zwischen den einzelnen Atomen justieren: „Vergrößern wir die Anziehungskraft zwischen den Atomen (attraktive Wechselwirkung), bewegen sich diese aufeinander zu und der Stapel von Atomen fällt in sich zusammen“, erklärt Nägerl den in der Fachwelt als „Bose Nova“ bezeichneten Effekt. „Lassen wir hingegen die Atome einander abstoßen (repulsive Wechselwirkung), reihen sie sich in regelmäßigem Abstand entlang der eindimensionalen Struktur auf und es entsteht ein sehr stabiles System.“ Ein überraschender Effekt zeigt sich allerdings, wenn sich die Wechselwirkung zwischen den Atomen schnell von stark abstoßend nach stark anziehend ändert. „Dann erreichen wir einen exotischen, gasähnlichen Zustand, in dem die Atome angeregt sind, sich anziehen, aber nicht aufeinander zu bewegen können und die ‚Bose Nova’ ausbleibt“, sagt Nägerl. Nachgewiesen wird der Zustand, indem das Quantengas leicht zusammengedrückt und dessen Steifigkeit gemessen wird. Der angeregte Vielteilchenzustand kann allerdings nur dann erreicht werden, wenn der Umweg über die repulsive Wechselwirkung gegangen wird. „Dieser vor vier Jahren vorhergesagte Zustand konnte jetzt erstmals experimentell erzeugt werden“, freut sich Elmar Haller, der Erstautor der nun in dem renommierten Fachmagazin Science veröffentlichten Forschungsarbeit. Die Erforschung niedrigdimensionaler Strukturen erfährt derzeit international große Aufmerksamkeit und könnte etwa dabei helfen, die Funktionsweise von Hochtemperatursupraleitern in Zukunft besser zu verstehen.
Kalte Atome als ideales Experimentierfeld
„Ultrakalte Quantengase haben den großen Vorteil, dass sie sehr gut gegenüber der Umwelt isoliert werden können“, erklärt Nägerl. „Außerdem können wir in unserem Experiment Defekte, wie sie in Festkörpern häufig vorkommen, praktisch ausschließen.“ Damit steht den Innsbrucker Quantenphysikern eine ideale Versuchanordnung für das Studium der Eigenschaften von Quantendrähten zur Verfügung. Zugute kommt dem Team um Nägerl dabei auch die langjährige, erfolgreiche Arbeit mit ultrakalten Atomen und Molekülen, in der die Innsbrucker Arbeitsgruppe um Wittgenstein-Preisträger Prof. Rudolf Grimm international eine führende Rolle einnimmt. Neben den ersten Bose-Einstein-Kondensaten aus Cäsiumatomen und aus Molekülen haben die Forscher auch exotische Effekte wie den Efimov-Zustand und repulsive Quantenpaare weltweit erstmals im Experiment nachgewiesen. „Diese Arbeit von Hanns-Christoph Nägerl und seinem Team unterstreicht einmal mehr den internationalen Stellenwert unserer Forschungen“, freut sich Rudolf Grimm. Bei diesem Projekt profitierten die Experimentalphysiker aber auch von der engen Vernetzung mit den Theoretischen Physikern in der Quantenphysik-Hochburg Innsbruck. Finanziell unterstützt wurden die Forscher um START-Preisträger Hanns-Christoph Nägerl vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und der Europäischen Union.