Mehr Arten und weniger Fehler dank neuer Methoden-Kombination
Der schwedische Naturwissenschaftler und Taxonomiepionier Carl von Linné entwickelte im 18. Jahrhundert neben der binominalen Nomenklatur auch ein Ordnungsprinzip für Tier- und Pflanzenarten. Er gründete sein System hauptsächlich auf Merkmale der äußeren Morphologie. „Es gibt natürlich viele Tierarten, sogenannte kryptische Arten, die einer anderen Art sehr ähnlich sehen, jedoch eigenständig sind und eine völlig andere Funktion im Ökosystem einnehmen. Morphologie ist also nicht immer ein sicherer Leitfaden für die Abgrenzung von Arten“, beschreibt Prof. Schlick-Steiner vom Institut für Ökologie ein Grundproblem der Taxonomie. Sie und ihr internationales Team konnten zeigen, dass nicht nur der morphologische Zugang, sondern auch moderne taxonomische Verfahren wie DNA-Methoden, Cytogenetik oder Chemie eine hohe Fehleranfälligkeit aufweisen. Deshalb haben die WissenschaftlerInnen in ihrer Studie, die in der renommierten Fachzeitschrift "Annual Review of Entomology“ erscheint, einen neuen, integrativen Taxonomie-Ansatz entwickelt.
Bewährtes mit Neuem kombinieren
„Wir haben 184 Gliederfüßler-Studien, aus 48 Fachjournalen analysiert und konnten zeigen, dass alle Methoden zur Artabgrenzung, wenn sie isoliert eingesetzt werden, eine hohe Fehlerrate haben. Im Durchschnitt beträgt die Fehlerrate ein Drittel“, sagt Schlick-Steiner. Sie und ihre Kollegen schlagen daher eine integrative Taxonomie vor, die mehrere Methoden miteinander kombiniert und dabei auch die traditionelle Morphologie einbezieht. „Morphologie hat einen etwas verstaubten Anstrich ist aber nach wie vor sehr wichtig. Wenn man nur DNA-Methoden einsetzt, verzichtet man auf sehr viel Wissen, das über Jahrhunderte angehäuft wurde. Außerdem haben eben auch DNA-Methoden ihre Fehler“. Sinnvoll ist laut Schlick-Steiner, die Morphologie mit einer DNA-Methode und einer weiteren Methode zu kombinieren, die je nach Forschungsvorhaben zu wählen ist. „So können wir die durchschnittliche Fehlerrate von einem Drittel auf etwa 3 Prozent reduzieren“.
Zahlreiche praktische Anwendungsgebiete
Die hohe Fehlerrate ist übrigens kein rein akademisches Problem, sondern hat auch praktische Auswirkungen. „Wir sprechen heute von einer Biodiversitätskrise ohne genau zu wissen, wie viele Arten wir haben und welche Rolle sie im Ökosystem einnehmen. Vermutlich sind es weit mehr als man bisher angenommen hat“, erklärt Schlick-Steiner. Abgesehen davon profitieren auch andere Forschungsbereiche von guter Taxonomie, zum Beispiel die Evolutionsbiologie, die Naturschutzbiologie, der Pflanzenschutz und die medizinische Entomologie. So hat man herausgefunden, dass es bei den Anopheles-Mücken kryptische Arten gibt, die sich bei der Übertragung der Malaria im Gefahrenpotenzial unterscheiden. Mit diesem Wissen können die Mittel im Kampf gegen eine Krankheit, die jährlich eine Million Menschenleben fordert, effizienter eingesetzt werden. „Die Taxonomie ist leider ein Stiefkind der modernen Biologie“, bedauert die Ökologin. „Unsere Studie ist daher auch ein Appell, Taxonomie zu betreiben“.
Einzigartiger Forschungsbereich österreichweit
Birgit Schlick-Steiner lehrt und forscht seit knapp einem Jahr am Institut für Ökologie der Universität Innsbruck als Inhaberin der einzigen Professur für Molekulare Ökologie in Österreich. Ihre Schwerpunkte liegen im Bereich der Biodiversitätsforschung. Sie untersucht unter anderem die Herkunft alpiner Endemiten und den Einfluss des Klimawandels auf die Biodiversität in den Alpen.