Eiskalte Chemie
Wenn sich in chemischen Reaktionen Moleküle bilden oder umgekehrt molekulare Bindungen gelöst werden, ist dies normalerweise durch komplexe Prozesse bestimmt, die sich einer direkten Beobachtung weitgehend entziehen. Manche dieser Prozesse benötigen Energie (endotherme Reaktionen), andere wiederum setzen Energie frei (exotherme Reaktionen). Die großen Fortschritte bei der Erforschung ultrakalter atomarer und molekularer Gase ermöglichen es nun erstmals, elementare chemische Reaktionen vollständig kontrolliert zu realisieren, so dass sich dabei alle beteiligten Teilchen in einem genau definierten Quantenzustand befinden. Innsbrucker Quantenphysikern um Rudolf Grimm ist es gemeinsam mit amerikanischen Forschern nun erstmals gelungen, eine so genannte Austauschreaktion in einem Quantengas direkt zu beobachten und auch energetisch zu steuern. „Mit unserem Experiment konnten wir zeigen, dass die kontrollierte Reaktion ultrakalter Moleküle möglich ist“, freut sich Grimm gemeinsam mit seinem Team.
Reaktion direkt beobachtet
Die Wissenschaftler fangen dazu Cäsiumatome in einer Laserfalle ein und kühlen sie stark ab. Durch die Ausnutzung einer Feshbach-Resonanz bildet ein Teil der Atome paarweise Moleküle, sodass eine ultrakalte Teilchenwolke aus rund 4.000 Molekülen und 30.000 Atomen entsteht. Mit einem Mikrowellenimpuls werden die Atome in einen anderen Quantenzustand versetzt, ohne dass dadurch die Moleküle verändert werden. An diese Mischung aus Molekülen (A+A) und Atomen (B) legen die Experimentalphysiker ein Magnetfeld an, mit dem sie die Bindungsenergie der Moleküle sehr genau steuern können. Stossen die Moleküle und Atome nun miteinander zusammen, kommt es ab einer bestimmten Bindungsenergie zu einer einfachen Austauschreaktion. Die ursprünglichen Moleküle zerfallen zu Atomen (A) und es entstehen neue Moleküle (A+B). „Weil die Energie, die bei diesem exothermen Prozess frei wird, äußerst gering ist, verbleiben die Reaktionsprodukte in unserer Laserfalle“, erklärt Rudolf Grimm. „So konnten wir die chemische Reaktion erstmals direkt beobachten.“
Führend im Forschungsfeld Quantengase
Die Forschungsgruppe um den Wittgenstein-Preisträger Rudolf Grimm vom Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck und dem Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ist federführend bei der Erforschung von ultrakalten Quantengasen. So gelang es ihr 2002 erstmals ein Bose-Einstein-Kondensat aus Cäsiumatomen herzustellen. Das erste Bose-Einstein-Kondensat aus Molekülen sowie ein Fermi-Kondensat folgten. Heute sind die Quantenphysiker in der Lage, auch komplexere Moleküle in ultrakalten Quantengasen herzustellen. „Hier tut sich ein ganz neues Forschungsfeld auf“, erklärt der Grundlagenforscher Grimm, „in dem wir mit Hilfe von ultrakalten Quantengasen sehr kontrolliert chemische Reaktionen in ihrer ganzen Vielfalt studieren werden können.“