Genom von Süßwasserpolypen entschlüsselt
Der Südwasserpolyp (Hydra) gehört zum Stamm der Nesseltiere. Vor rund 600 Millionen Jahren entwickelten sich die ersten Nesseltiere auf der Erde. Mit ihnen ging eine grundlegende Veränderung in der Evolution einher: Erstmals bildeten Tiere komplexere Zellstrukturen aus und waren damit in der Lage, ganz neue Lebensfunktionen wie die Jagd und Verdauung von Nahrung zu etablieren. In den Fokus der biologischen Forschung geriet die Hydra bereits vor über 300 Jahren. Ihre enorme Regenerationsfähigkeit – die Tiere können sich in fünf Tagen vollständig erneuern und damit theoretisch unendlich alt werden – macht die Hydra in der modernen Forschung zu einem weitverbreiteten Modellorganismus. Mit der erstmaligen Sequenzierung des Genoms der Hydra durch ein internationales Team, dem neben Wissenschaftlern aus USA, Japan und Deutschland auch Forscher der Universitäten Innsbruck und Wien angehören, erweitern sich die Möglichkeiten für die biologische Forschung enorm. „Wir haben bisher oft im Trüben gefischt“, sagt Prof. Bert Hobmayer vom Institut für Zoologie der Universität Innsbruck. „Nun kennen wir die gesamte Erbinformation und können damit sehr gezielt die Funktion von bestimmten Genen untersuchen und diesen kritischen Übergang in der Evolutionsgeschichte eingehender studieren. Erleichtert wird die Analyse durch eine kürzlich entwickelte Methode zur Herstellung genetisch veränderter Polypen, mit der spezielle Gene im Labor ganz gezielt eingeschleust und aktiviert werden.“
Überspringende Gene haben Spuren hinterlassen
Das nun sequenzierte Genom dieses einfachen Organismus ist unerwartet groß und mit einer Zahl von etwa 20 000 Genen annähernd so komplex wie vergleichbare Genome der Wirbeltiere und des Menschen. Jedoch bestehen 57 Prozent davon aus repetitiven Elementen (Transposonen), die ursprünglich von Viren übergesprungen waren. Durch genetische Vergleiche mit verwandten Tierarten entdeckten die Wissenschaftler, dass Hydren in ihrer Entwicklungsgeschichte drei Mal solchen genetischen Angriffen von außen ausgesetzt waren. Zumindest einmal hat dies auch zur Entstehung einer neuen Hydra-Species geführt. „Wir gehen daher davon aus, dass derartig dynamische Veränderungen des Genoms einen Einfluss auf die Entwicklung der Arten hatte“, sagt Hobmayer. Die Forscher haben bei der Entschlüsselung des Genoms auch das Erbgut eines Bakteriums mitsequenziert, das offenbar in enger Symbiose mit den Nesseltieren lebt. Die genetische Analyse zeigt, dass es zwischen den beiden Organismen auch zu einem sogenannten horizontalen Gentransfer gekommen sein könnte. „Im Genom der Hydra wurden etwa 70 Gene gefunden, die bislang nur aus Bakterien bekannt sind. Es wird noch zu klären sein, welche davon wirklich von Bakterien stammen und welchen Einfluss diese Gene auf die Biologie der Hydra hatten“, meint der Innsbrucker Entwicklungsbiologe.
Wesentliche Beiträge aus Innsbruck
Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Roland Aufschnaiter, Marie-Kristin Eder, Anne-Kathrin Gorny und Willi Salvenmoser hat Bert Hobmayer sich besonders für jene Gene der Hydra interessiert, die den Aufbau der Kontaktstellen zwischen den Zellen regulieren. So entwickelten sich bei Nesseltieren erstmals in der Entwicklung des Lebens Kanäle zwischen den Zellen (sogenannte Gap Junctions), durch die diese miteinander chemisch kommunizieren. Mit Hilfe von bioinformatischen Methoden wurden jene Gene identifiziert, die für den Bau dieser Kanäle verantwortlich zeichnen. Für eine ganze Reihe von weiteren Kontaktstellen zwischen den Zellen haben die Tiroler Forscher ebenfalls entsprechende Gene gefunden. Die Kontaktstelle zwischen Nervenzellen und Muskelzellen untersuchten die Biologen mit Hilfe eines Elektronenmikroskops. In den synapsenartigen Fortsätzen der Neuronen fanden sie an den Zellwänden winzige Vesikel („Bläschen“), die Botenstoffe in die benachbarten Muskelzellen abgeben. Eine genetische Analyse ergab, dass der Hydra einige von höheren Lebewesen bekannte Gene fehlen. „Die Nervenreizleitung muss demnach anders funktionieren, als wir dies von höheren Organismen kennen“, erklärt Prof. Hobmayer. „Es wurden aber eine ganze Reihe von Genen entdeckt, die möglicherweise für die Bildung von Botenstoffen in den Nervenzellen zuständig sind. Deren Funktion muss aber noch genauer untersucht werden.“
Die Innsbrucker Forscher wurden bei ihren Arbeiten vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF finanziell unterstützt.