Meisterinstallateure an der Waldgrenze
Bäume haben komplexe hydraulische Systeme und können Wasser, das sie über die Wurzeln aus dem Boden aufnehmen, in Höhen von über 100 Metern befördern. Treibende Kraft in der Wasserversorgung ist die Verdunstung von Wasser über Blätter oder Nadeln. „Durch Transpiration verlieren Bäume kontinuierlich Wasser. Der Verdunstungsprozess erzeugt einen Sog, der über die Leitgefäße im Holz bis in den Boden übertragen wird. So wird Wasser angezogen und nach oben transportiert“, erklärt Stefan Mayr vom Institut für Botanik die grundlegende Funktion des Wassertransports von Bäumen. Im Sommer funktioniert die Wasserversorgung reibungslos, in Tallagen ist die Wassersäule auch im Winter immer wieder von der Wurzel bis in die Nadel- bzw. Blattspitze durchgehend. Die extremen klimatischen Bedingungen des hochalpinen Winters setzen Nadelbäume jedoch im wahrsten Sinn des Wortes unter Druck: Wenn ein Teil ihrer Biomasse über die Schneedecke hinausragt, verdunsten sie, insbesondere aufgrund der starken Höhensonne, auch im Winter Wasser. Aus den von Oktober bis April gefrorenen Böden kommt jedoch keinerlei Wassernachschub, was zu Trockenstress und einer Saugspannung von bis zu 40 bar im Wassertransportsystem führt. Hinzu kommt, dass die Bäume unzähligen Gefrier- und Tauvorgängen ausgesetzt sind. „Die extremen Saugspannungen einerseits und das häufige Einfrieren und Auftauen des noch in den Leitgefäßen befindlichen Wassers andererseits bewirkt, dass sich die Gefäße mit Luft füllen. Es entstehen sogenannte Embolien – ein Abreißen der Wassersäulen und damit einhergehende Unterbrechung des Wassertransportssystems“, erklärt Stefan Mayr, der sich mit seinen Forschungsergebnissen zur Embolie-Entstehung bereits international einen Namen gemacht hat.
Zwischen Labor und Waldgrenze
Die Äste vieler Koniferen an der alpinen Waldgrenze sind im Winter bis zu 100 Prozent emboliert. „Durch die Gefäße geht kein Tropfen Wasser mehr“, betont Mayr. „Im Sommer würde ein derart embolierter Baum sterben.“ Nadelbäume in hohen Lagen, insbesondere Fichten und Latschen, können ihre embolierten Gefäße jedoch Jahr für Jahr reparieren. Die Frage, wie sie diesen als Refilling bezeichneten Prozess bewältigen, beschäftigt Stefan Mayr und sein Team seit einiger Zeit. Erforscht wird das rätselhafte biophysikalische Phänomen in erster Linie im Labor, die Beschaffung des Probenmaterials verlangt den Forscherinnen und Forschern jedoch Kondition und Kältetauglichkeit ab. „Alle zwei bis drei Wochen holen wir Proben von Bäumen an der Waldgrenze. Die Proben werden zum Teil noch vor Ort präpariert, was bei hüfthohem Schnee sehr beschwerlich sein kann“, erzählt Mayr. Im Labor werden dann an den entnommenen Ästen hydraulische Messungen wie beispielsweise Durchfluss- oder Druckbestimmungen durchgeführt. Darüber hinaus setzen die Wissenschaftler aber auch die Ultraschallemissionsanalyse, eine Methode die eigentlich aus der zerstörungsfreien Werkstoffprüfung stammt, ein.
Druck reduzieren
Nachweisen konnte das Innsbrucker Forschungsteam bereits, dass die Bäume noch vor dem eigentlichen Refilling im Achsensystem gespeichertes Wasser innerhalb der Baumkrone verschieben. Darüber hinaus konnten sie experimentell beobachten, dass Bäume im Spätwinter Wasser über die Oberfläche aufnehmen. „Wenn Schneepakete abtauen, wird ein Teil des Tauwassers über die Rinde oder Nadeln aufgenommen“, skizziert der Wissenschaftler ein aktuelles Ergebnis. „Dadurch kommt zwar etwas Wasser ins System und die Saugspannung wird von 40 bar auf 10 bar reduziert“, erläutert er, „was die Bäume danach tun, wissen wir aber noch nicht genau. Tatsache ist, dass sie ihre Systeme jedes Jahr wiederbefüllen“, so Mayr. – Ein zehn Jahre alter Baum an der Waldgrenze war also bereits zehn Mal emboliert und hat seine unterbrochene Wasserversorgung zehnmal repariert.
Dieser Beitrag ist in der aktuellen Ausgabe des Magazins „zukunft forschung“ erschienen. Weitere Artikel zum Themenschwerpunkt Wasser sowie zu aktuellen Forschungsthemen finden Sie auch online