Alpenländer untersuchen Permafrost gemeinsam
Die mit dem Klimawandel einhergehende Erwärmung geht auch an den Alpen nicht spurlos vorüber. Während dem Rückzug der alpinen Gletscher in den Medien große Aufmerksamkeit geschenkt wird, fand der an der Oberfläche nicht sichtbare Gebirgspermafrost bislang weniger Beachtung. Obwohl das Phänomen seit den 1970er Jahren erforscht wird, ist das Wissen über seine alpenweite Verbreitung noch fragmentarisch. In den Alpen kann der Untergrund je nach Beschaffenheit des Geländes und lokalen Klimas oberhalb der Waldgrenze ständig gefroren bleiben, in den Sommermonaten taut er nur oberflächlich auf. Im Hochgebirge etwa erreichen die Permafrostzonen stellenweise eine Dicke von mehreren hundert Metern. Für den Bau und sicheren Unterhalt von Infrastruktur im Hochgebirge wie Wege, Steige und Kletterrouten, aber auch Schutzhütten, Seilbahnstationen und Gletscherskigebiete ist die Kenntnis von Permafrostvorkommen wichtig und spezielle Anpassungen sind oft nötig. Eine Zunahme von Felsstürzen, wie sie in den letzten Jahren in den Hochalpen immer wieder stattfanden, ist eine mögliche Folge des Auftauens von Permafrost.
Permafrost-Inventar und Netzwerk von Beobachtungsstellen
Bislang gab es für den Alpenraum nur länderspezifische und damit inhomogene Datensammlungen zum Permafrost. Aussagen über Zustand und Entwicklung des Permafrostes im gesamten Alpenraum wurden bisher nicht systematisch zusammengeführt. Die gemeinsame Arbeit der teilnehmenden Länder ermöglichte nun ein Inventar von Permafrostbeobachtungen und -messstandorten. „Durch die Einrichtung eines internationalen Beobachtungsnetzwerks mit 40 zum Teil neuen Messstellen untersuchen alle Alpenländer den Permafrost erstmals gemeinsam“, sagt Projektkoordinator Dr. Volkmar Mair vom Südtiroler Amt für Geologie und Baustoffprüfung. Neue Messungen gibt es zum Beispiel am Sonnblick (Österreich), im Schnalstal (Italien), an der Aiguille du Midi (Frankreich) und der Zugspitze (Deutschland). So wurden beispielsweise in Deutschlands höchsten Berg knapp unterhalb des Gipfels zwei, 44 und 58 Meter lange, Löcher gebohrt. Mit Sensoren werden dort seit fast drei Jahren stündlich die Temperaturen im Fels automatisch erfasst. Zum selben Zweck wurden letztes Jahr am Alpenhauptkamm im Schnalstal auf 3200m Höhe zwei Bohrlöcher von 125 und 162 m Länge und an der Aiguille du Midi im Mont Blanc Gebiet auf 3800 m Höhe dreimal auf einer Länge von 11 Metern in den beinahe senkrechten Granit gebohrt.
Erste gesamtalpine Permafrost-Hinweiskarte
Die Daten des Permafrost-Inventars liefern nicht nur Hinweise auf die lokalen Verhältnisse, sie bilden auch die Grundlage für Computersimulationen, mit denen auf die mögliche Verbreitung von Permafrost im gesamten Alpenraum geschlossen werden kann. Bis Projektende wird eine Hinweiskarte der potentiellen Permafrostverbreitung im gesamten Alpenraum publiziert werden. „Es gibt heute viele verschiedene Permafrostmodelle für unterschiedliche Regionen und Anwendungen“, erklärt Dr. Jeannette Nötzli vom Geographischen Institut der Universität Zürich, an dem das neue Modell erarbeitet wird. „Diese sind aber nicht einfach vergleich- oder kombinierbar und auf eine so große Region anwendbar. Mit dem neuen Modell simulieren wir erstmals die mögliche Verbreitung des Permafrosts für den gesamten Alpenraum mit einem einheitlichen Ansatz.“ Von den beobachteten lokalen Permafrostvorkommen des Inventars wird auf das Vorhandensein von Permafrost in der gesamten Alpenregion geschlossen. Grundlage dazu ist Statistik basierend auf Topographie, Lufttemperatur und Oberflächenbeschaffenheit der bekannten Vorkommen. Auf Basis einer solchen Karte können Abschätzungen über die Wahrscheinlichkeit von Permafrost in einem Gebiet gemacht und Entscheide über die Notwendigkeit von detaillierteren Untersuchungen gefällt werden. Frühzeitige Abklärungen helfen zum Beispiel die Kosten allfälliger Anpassungsmaßnahmen der Hochgebirgsinfrastruktur zu reduzieren.
Strategien im Umgang mit Naturgefahren
Die Permafrostregionen in den Alpen reagieren besonders sensibel auf den Klimawandel. Deshalb wollen die Wissenschaftler auch herausfinden, welche Folgen die Erwärmung der Atmosphäre für den Permafrost und seine Heimatregion haben kann. „Der Vergleich von Klimadaten mit den von uns beobachteten Veränderungen am Permafrost ermöglicht Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung und Beurteilung von damit möglicherweise verbundenen Gefahren“, sagt Prof. Johann Stötter vom Institut für Geografie der Universität Innsbruck. Die Forscher wollen aber nicht nur Risikoabwägungen vornehmen, sondern auch Strategien für den Umgang mit dem Wandel in den Alpen entwickeln. „Permafrostphänomene und die damit verbundenen Naturgefahren sollten in Zukunft unbedingt in Naturgefahren- und Risikomanagementplänen erfasst werden“, betont Prof. Stötter, der in Innsbruck auch das „alpS – Centre for Climate Change Adaptation Technologies“ leitet.
Die Wissenschaftler kooperieren im Rahmen des Forschungsprojekts „PermaNET – Permafrost Long-Term Monitoring Network“, an dem 14 Partner aus fünf Ländern beteiligt sind und das Teil des europäischen Alpenforschungsprojekts „Alpine Space“ ist. PermaNET läuft von 2008–2011 und wird im Rahmen des EU-Programms Interreg IV gefördert.
(cf)