Die Ansichten der Kriegsfürsorge

Der Historiker Joachim Bürgschwentner beschäftigt sich mit Bildpostkarten aus dem Ersten Weltkrieg. In seiner Dissertationgeht er der Frage nach, inwieweit diese ein staatliches Propaganda-Medium waren.
Karte des Deutschen Schulvereins mit dem Titel "Gegen welsche Tücke und Raubier!" und …
Karte des Deutschen Schulvereins mit dem Titel "Gegen welsche Tücke und Raubier!" und dem Slogan "Wir wollen, daß deutsch bleibt, was deutsch ist, und deutsch wird, was deutsch war!" Das Motiv zeigt Deutschland und Österreich im heldenhaften Kampf mit dem mehrköpfigen feindlichen Drachen, während sich Italien als feiger Meuchelmörder von hinten anpirscht. (Stadtarchiv/ Stadtmuseum Innsbruck)

Einfache Bildsprache und hetzerische Slogans waren ein Charakteristikum der ausgeklügelten, staatlichen Propagandamaschinerie des nationalsozialistischen Regimes, das unter anderem auch Ansichtskarten zu Propagandazwecken einsetzte. Bereits während des Ersten Weltkriegs erfreuten sich Karten mit propagandistisch anmutenden Motiven und Parolen großer Beliebtheit. Auch wenn sie auf den ersten Blick nahe liegen, dürfen Analogien zum Nationalsozialismus nur mit Vorsicht gezogen werden, wie Mag. Joachim Bürgschwentner, Doktorand am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie erläutert. „Als ich bei der Erfassung einer Sammlung erstmals mit solchen Postkarten in Kontakt kam, habe auch ich staatliche Kriegspropaganda dahinter vermutet“, erzählt Bürgschwentner aus seiner eigenen Erfahrung. „Ich habe mich daraufhin näher mit dem Thema beschäftigt und mir ist aufgefallen, dass es zwar Untersuchungen zur Bildsprache gibt, aber noch niemand der Frage nachgegangen ist, wer diese Karten im Ersten Weltkrieg mit welcher Absicht produziert hat.“ – Genau das hat Bürgschwentner in seiner von Prof. Gunda Barth-Scalmani und Prof. Christoph Bertsch betreuten Doktorarbeit vor. „Bei Weitem nicht alles, was hetzerisch oder aggressiv anmutet, ist automatisch staatliche Kriegspropaganda“, berichtet er über ein erstes Ergebnis. Viel häufiger waren es kommerzielle Verlage oder politische Vereine, die solche Postkarten herausgaben. Aber auch staatsnahe und staatliche Wohlfahrtseinrichtungen produzierten Postkarten mit Kriegsmotiven, um sie zu verkaufen. Der Erlös ging an Witwen, Waisenkinder und Versehrte. Das Kriegspressequartier – die dem Armeeoberkommando unterstehende Propagandastelle der Monarchie – zählte nicht zu den Postkarten-Herausgebern.

Hetzerisch oder wohltätig?

Neben dem Kriegsfürsorgeamt des Kriegsministeriums und dem Kriegshilfsbüro des Innenministeriums kümmerten sich monarchienahe Vereine wie zum Beispiel der Witwen- und Waisenfonds oder das Rote Kreuz um bedürftige Kriegsopfer – ein Sozialministerium gab es damals noch nicht. „Die Kriegsfürsorgestellen setzten alle möglichen Mittel und Wege ein, um Geld zu sammeln“, schildert Bürgschwentner. Da der Brief- und Postkartenverkehr den wichtigsten Kommunikationsweg innerhalb der Monarchie darstellte, war der Verkauf von Postkarten besonders lukrativ. „Zeitgenössische Schätzungen deuten auf rund 50 Millionen verschickte Postkarten pro Monat hin“, erklärt er. Die Recherchen für seine Arbeit führten ihn bereits mehrmals nach Wien ins Österreichische Staatsarchiv, wo er in Akten aus der k.u.k.-Monarchie nach Korrespondenz forscht, die die Postkartenproduktion der damaligen Zeit betrifft: Im Fundus von Innen- und Kriegsministerium versucht er herauszufinden, wie Kriegsfürsorgestellen bei der Produktion von Postkarten vorgingen. Darüber hinaus ist er auf der Suche nach Schriftstücken, die sich auf die Produktion durch andere Stellen beziehen. „Ich bin zum Beispiel auf einen Briefwechsel gestoßen, in dem es um die Kartenserie „Unsere Heerführer“ ging. Dieser enthält genaue Anweisungen an den beauftragten Verlag, wer wie dargestellt werden soll“, beschreibt Bürgschwentner beispielhaft die Dokumente, mit denen er arbeitet.

Vereine aggressiver als Staat

Ob und in welcher Weise sich die Motive der von den Kriegsfürsorgestellen herausgegebenen Postkarten von jenen anderer Produzenten unterscheiden, ist eine zentrale Forschungsfrage von Bürgschwentners Arbeit. „Das überraschendste Ergebnis meiner bisherigen Arbeit ist, dass die kommerzielle Verlage und politischen Vereine weit aggressivere Postkartenmotive in Umlauf brachten als der Staat“, sagt er. Kunstkritiker aber auch Vertreter staatlicher Stellen kritisieren deren Postkarten sogar als geschmacklos und Kultur schädigend. „Bestimmte Motive wurden von staatlicher Seite untersagt, weil man sie für künstlerisch minderwertig oder unanständig hielt“, schildert Bürgschwentner. Der Leiter des staatlichen Kriegshilfsbüros heftete sich hingegen auf die Fahnen, nichts auf den Markt zu bringen, was „die oft recht beliebte Verunglimpfung eines Gegners als Leitmotiv besitzt.“ Man wolle „den patriotistischen Gedanken möglichst fördern“, heißt es allerdings in einem Schreiben der gleichen Stelle. „Inwieweit sich solche Erklärungen in der Realität wiederfinden, muss ich mir noch genau ansehen. Da kommen natürlich unter anderem auch kunsthistorische Aspekte mit ins Spiel“, verdeutlicht Bürgschwentner. Neben vielen offenen Punkten ist für ihn etwas bereits klar: Während des Ersten Weltkriegs wurde die Bildpostkarte bei Weitem nicht so effektiv als Propagandamedium genützt, wie dies möglich gewesen wäre. Einerseits, weil man wohl die Macht von (Bild)-Propaganda noch nicht ganz erkannt hatte; andererseits bestanden offensichtlich auch gewisse ästhetische und moralische Vorbehalte. „Es gab kein strikt organisiertes, staatliches System wie bei den Nationalsozialisten. Diese zogen aus derartigen ‚Fehlern’ ihre Schlüsse und ‚perfektionierten’ den Einsatz von Propaganda für ihre Zwecke“, verdeutlicht Bürgschwentner.

(ef)