Erzeugt Pendeln Stress?
Die Abklärung dieser Frage ist wichtig, da sie einerseits unser Verständnis für die Determinanten des individuellen Arbeitsangebots und damit der Pendelentscheidung fördert und andererseits auch den Begriff “Pendelkosten“ erweitert.
1250 Vorarlberger Arbeitnehmer wurden befragt
Im Rahmen der Studie wurden 1250 Arbeitnehmer im Alter von 18 – 60 in Vorarlberg in Face-to-Face-Interviews gefragt, wie gestresst sie sich am Morgen bei der Ankunft an ihrem Arbeitsplatz fühlen. Zur Einstufung des subjektiven Stressempfindens wurde eine 4-stufige Likert-Skala (sehr gestresst – gestresst – entspannt - sehr entspannt) verwendet. Um den Determinanten des pendelbedingten Stress auf die Spur zu kommen, wurden im Fragebogen wichtige Begleitumstände des Pendelns, persönliche und familiäre Charakteristiken sowie das berufliche Umfeld der Befragten genau erhoben. Die Auswertung der Daten erfolgte mit Hilfe von ökonometrischen Methoden, die es erlauben, den Einfluss einzelner Faktoren auf das Stressniveau zu isolieren.
Ergebnisse der empirischen Analyse
Auf dem Weg zum Arbeitsplatz benützen 65 % der Befragten überwiegend das Auto, (nur) 13 % öffentliche Verkehrsmittel, 21 % gehen zu Fuß bzw. benützen das Fahrrad, 1 % fährt mit dem Motorrad.
Die Studie ergab weiters, dass Pendeln ist ein wichtiger Erklärungsgrund für das subjektive Empfinden von Stress ist. Dies gilt auch dann, wenn persönliche Eigenschaften wie Alter, Geschlecht, und für Charakteristiken des Arbeitsplatzes wie Branche, Arbeitszeit, kontrolliert werden. Die Studie bestätigt einige Ergebnisse der bisherigen Forschung zu dieser Thematik. So wächst der Stress mit der Pendeldistanz und der Verkehrsdichte.
Die Studie fördert aber auch neue und überraschende Ergebnisse zu Tage. So konnte ein signifikanter Einfluss des Verkehrsmittels auf das Stressempfinden nicht nachgewiesen werden. Auch die persönliche Erfahrung mit der Pendelroute hat offensichtlich keinen Einfluss auf das Stressempfinden. Grenzpendler fühlen sich weniger gestresst als Binnenpendler. Die Art der Nutzung der Pendelzeit beeinflusst das Stressniveau signifikant.
Beschäftigte, die in einer Partnerschaft leben, fühlen sich weniger gestresst. Dies gilt auch für Personen, die regelmäßig an Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen. Das Stressempfinden nimmt mit der Arbeitszeit zu. Beschäftigte mit Führungsfunktionen im Betrieb und Beschäftigte, die einen neuen Arbeitsplatz oder einen neuen Wohnsitz suchen, weisen ein höheres Stressniveau auf.
Im Gegensatz zu bisherigen Untersuchungsergebnissen konnte ein Einfluss des Alters und des Geschlechtes auf das empfundene Stressniveau nicht nachgewiesen werden.
Die Studie zeigt insgesamt, dass Pendeln bei der Erklärung von beruflichem Stress eine wichtige Rolle spielt. Stress und die daraus folgenden Kosten stellen daher eine wichtige Kategorie von Pendelkosten dar und sollten daher bei standort- und verkehrspolitischen Entscheidungen berücksichtigt werden.
Stress als Quelle ökonomischer Kosten
Stress, dessen Ursachen sowie Techniken seiner Bewältigung werden heute von verschiedenen Wissenschaften analysiert. In den Wirtschaftswissenschaften hat sich in den letzten Jahren die Erkenntnis durchgesetzt, dass Stress eine wichtige Quelle ökonomischer Kosten sein kann. Solche Kosten manifestieren sich in Betrieben in Produktivitätsverlusten, verursacht durch hohe stressbedingte Abwesenheitsraten und durch häufige Arbeitsplatzwechsel. Auf der volkswirtschaftlichen Ebene entstehen zusätzliche Kosten dadurch, dass Stress eine wesentliche (Mit)-ursache zahlreicher Krankheitsbilder ist. Die International Labour Organization (ILO) schätzt, dass „mental health problems“ in der EU Kosten von 3-4 % des BIP verursachen. Ein großer Teil dieser Probleme wird von medizinischen Experten als stressbedingt angesehen. Eine mögliche Quelle von Stress sind dabei die Bedingungen der Arbeitswelt.