"Back to the roots": Kanadische Hutterer in Tirol
Die Hutterer gehören zur religiösen Bewegung der Täufer. Ihr Name geht auf den Vorsteher der Gemeinde, den Pustertaler Jakob Huter zurück, der im Februar 1536 vor dem Goldenen Dachl in Innsbruck auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Glaubensgrundlagen der Täufer waren die Erwachsenentaufe, die Gewalt- oder Wehrlosigkeit, die Verweigerung des Untertaneneides, die Trennung von Staat und Kirche sowie die Absonderung. Die Täufer gewannen in Tirol viele Anhänger, die jedoch aufgrund der harten Verfolgung im Land sukzessive nach Mähren auswandern mußten. Dort konnten sich Gemeinden bilden, die bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges wuchsen und wirtschaftlich prosperierten. 1621/22 mußten alle Nicht-Katholiken Mähren verlassen, so daß die Wanderung für die Hutterer Richtung Siebenbürgen weiterging. Über die Ukraine führte der Weg dann im 19. Jahrhundert in die USA und schließlich nach Kanada. Heutzutage leben etwa 40.000 Hutterer auf über 400 Höfen („colonies“) in Nordamerika – immer noch entsprechend alter Traditionen und Ordnungen in Gütergemeinschaft. Ihr Gemeindeleben orientiert sich an bereits im 16. Jahrhundert praktizierten Glaubensgrundlagen; ihr Dialekt ist ein kärntnerisch-tirolerischer Dialekt, der sich jedoch immer stärker mit englischen Begriffen durchmischt. Im wirtschaftlichen Bereich sind sie äußerst erfolgreiche Produzenten landwirtschaftlicher Güter.
Der Besuch der Hutterer-Ehepaare Ende Februar in Tirol gewann seinen Reiz durch die doppelte Perspektive. Für die Hutterer auf der einen Seite bedeutete die Reise einen Abstecher in die Vergangenheit, in die eigene Geschichte. Alle Ehepaare waren das erste Mal in Europa und das Erkunden der nur aus dem Geschichteunterricht auf den Höfen bekannten Orte hatte für alle eine ganz besondere Faszination. Die Tiroler Öffentlichkeit auf der anderen Seite lernte Menschen kennen, für die Geschichte – Tiroler Geschichte – immer noch einen bedeutenden Teil der Identität darstellt. Sie lernte aber auch Menschen kennen, die heutzutage in Kanada einen etwas anderen Lebensentwurf praktizieren, weitgehend abgesondert von der „Welt“, alten Traditionen und Überzeugungen folgend.
Die Hutterer nahmen auch teil an einer Veranstaltung, die am 25. Februar – dem Todestag Jakob Huters – vor dem Goldenen Dachl an die Verbrennung des Gemeindegründers erinnerte. Märtyrerberichte aus dem 16. Jahrhundert wurden verlesen und VertreterInnen der verschiedenen christlichen Bekenntnisse sprachen. Für die zweite Jahreshälfte 2007 ist ein Zeichen der Freundschaft geplant, bei dem Vertreter der heutigen säkularen und geistlichen Obrigkeit, die Landeshauptleute von Nord- und Südtirol und die Bischöfe von Innsbruck und Bozen-Brixen gemeinsam mit den Hutterern den Geschehnissen vor fast 500 Jahren gedenken.
Im Rahmen des Hutterer-Besuchs wurde zudem ein neues Buch zur Geschichte und zum heutigen Leben der Hutterer präsentiert – „Die Hutterer zwischen Tirol und Amerika. Eine Reise durch die Jahrhunderte“ von Astrid von Schlachta vom Institut für Geschichte und Ethnologie der LFU Innsbruck. Es widmet sich der wechselvollen, letztendlich jedoch fast 500 Jahre dauernden Geschichte der Hutterer im Kontext von Toleranz und Konfessionalisierung in den habsburgischen Ländern. Den Abschluß bildet die heutige Situation in Kanada und in den USA. Institutionell verankert sind die Forschungen im Internationalen Graduiertenkolleg „Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20. Jahrhundert", das ein wichtiger Bestandteil des Forschungsschwerpunkts „Politische Kommunikation und die Macht der Kunst“ darstellt, sowie in der Forschungsplattform „Religion – Gewalt – Kommunikation – Weltordnung“.
Den Höhepunkt der diesjährigen Veranstaltungen zur Geschichte und zum Leben der Hutterer ist eine Ausstellung, die ab 28. Juni im Museum Goldenes Dachl in Innsbruck gezeigt wird. Nicht nur die Geschichte wird hier im Mittelpunkt stehen, sondern es werden auch Fragen nach Toleranz und Akzeptanz in Geschichte und Gegenwart gestellt. Die Ausstellung findet in Kooperation mit dem Institut für Geschichte und Ethnologie sowie dem Zentrum für Kanada-Studien statt.