Zivil-militärisches Zusammenwirken im „blended learning“ – Joint Study Seminar

In einem zweisemestrigen, teils in Präsenzlehre, teils über internetgestützte Lehre umgesetzten gemeinsamen Seminar mit dem 17. Generalstabslehrgang an der Landesverteidigungsakademie Wien setzte die Stiftungsprofessur für Europäische Sicherheitspolitik neue Akzente für zeitgemäße Lehre im Fachgebiet Internationale Politik und Sicherheit.
Die LFU/UMIT-Gruppe des Joint Study Seminars um Prof. Siedschlag (Mitte) nach der gem …
Die LFU/UMIT-Gruppe des Joint Study Seminars um Prof. Siedschlag (Mitte) nach der gemeinsamen Anreise zur Landesverteidigungsakademie Wien.

Wie schreibt man eine Sicherheitsstrategie? Wie kann man die Relevanz bestehender Sicherheitsstrategien beurteilen? Welche Schritte sind notwendig, um eine gemeinsam beschlossene Sicherheitsstrategie in die Tat umzusetzen? Diese Fragen sind fundamental für das Verständnis und die Weiterentwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) im Rahmen der EU, die seit Ende 2003 über eine eigene „Europäische Sicherheitsstrategie“ verfügt. Genauso grundlegend ist das Erlernen des Entstehungs- und Implementierungsprozesses derartiger Sicherheitsstrategien für eine berufsfeldrelevante Ausbildung von Studierenden der Fachgebiete Internationale Politik und Security Studies. Das Verständnis von Strategie und ihrer Anwendung ist ebenso ein wichtiges Ausbildungsziel in den Generalstabslehrgängen an der Landesverteidigungsakademie Wien.

 

„Im Sinn unseres Ansatzes der vernetzten Lehre entstand im vergangenen Sommer gemeinsam mit dem Kommandanten des 17. Generalstabslehrganges, Oberst dG August Reiter, und dem Kommandanten der Landesverteidigungsakademie Wien, General Schittenhelm, die Idee, ein „zivil-militärisches“ Blockseminar zum Thema „Europäische Sicherheitsstrategie“ abzuhalten, in dem handverlesene Studierende der LFU und der UMIT mit den Teilnehmern des Generalstabslehrganges zusammen arbeiten – und zwar im Sinne sowohl forschungs- als auch praxisgeleiteter Lehre“, erklärt Prof. Alexander Siedschlag, der zusammen mit Anja Opitz, M.A. das Seminar seitens der LFU geleitet hat.

 

Blended Learning als Qualitätsmaßstab

Der didaktische Ansatz des Seminars ging über die konventionelle Methodik hinaus und versuchte, verschiedene Lern- und Lehrformen miteinander zu verbinden. „Damit wollten wir auch ein Zeichen für innovative Lehre setzen, die nicht bei E-Learning stehen bleibt; denn die Hochschuldidaktik ist heute schon viel weiter und empfiehlt den Übergang zu so genannten „blended learning“-Ansätzen“, weiß Anja Opitz. Dabei werden verschiedene Seminarformen miteinander verbunden, z.B. Online-Lektürekurse, internetgestützte Gruppenarbeit, aber auch Rückmelderunden und Ergebnispräsentationen in Form von Präsenzlehre. „Dazu kommen WebQuest-Methoden und simulierte ‚reale’ Bedingungen der Gremienarbeit in Brüssel, mittels derer die Studierenden lernen können, rasch Informationen beispielsweise über internationale Krisen zu sammeln und zu bewerten“, erläutert Alexander Siedschlag.

 

Im Seminarverlauf beschäftigte sich die LFU- und UMIT-Gruppe vor allem mit den zivilen Aspekten der Europäischen Sicherheitsstrategie, z.B. Stabilitätspolitik durch Bildung, Umweltschutz, wirtschaftliche Entwicklung und Technologieinnovation. Die Gruppe des Generalstabslehrganges legte den Schwerpunkt auf die militärischen Aspekte, z.B. militärische Trennung von Streitparteien, rüstungstechnologische Entwicklung, Proliferation von Massenvernichtungswaffen und Schutz kritischer Infrastrukturen.

 

Globale öffentliche Güter als Leitkonzept

Eine Grundlage für diese Aufarbeitungen lieferte ein von der Stiftungsprofessur für Europäische Sicherheitspolitik erstellter „virtueller Reader“ mit einem digitalen Leseleitfaden. Im anschließenden Präsenz-Seminarblock in der Landesverteidigungsakademie Wien wurden die Ergebnisse der „virtuellen Arbeitsgruppen“ gegenseitig präsentiert und diskutiert. Anschließend ging es um die Frage der Definition Europäischer Sicherheitsinteressen. Im WebQuest-Verfahren stieß die von Susanne Dilp, Projektmitarbeiterin an der Stiftungsprofessur, geleitete Teilgruppe auf das Konzept der „Globalen Öffentlichen Güter“, die untereinander verknüpft sind und auf die jeder Mensch ein Anrecht hat: physische Stabilität und Sicherheit („freedom from fear“), politische Partizipation und eine durchsetzungsfähige Rechtsordnung, die Menschenrechte und Gleichheit für alle garantiert, eine offene und inklusive Wirtschaftsordnung, die Wohlstand für jeden schafft („freedom from want“) sowie soziales Wohlergehen in allen seinen Aspekten (Zugang zu Gesundheitseinrichtungen und Bildung, saubere Umwelt).

 

 

Sicherheit als Entwicklungsaufgabe

Die Teilnehmer des 17. Generalstabslehrgangs und die LFU-/UMIT-Gruppe arbeiteten daraufhin ein Konzept aus, mittels dessen eine Sicherheitsstrategie positiv definiert werden kann: nämlich als eine gemeinsame Entwicklungsstrategie im Gegensatz zu einer Abwehrstrategie gegenüber „Sicherheitsbedrohungen“, die sehr rasch automatisch ein militärisch-politisches Vorgehen implizieren könnte. Dies würde aber dem umfassenden zivil-militärischen Ansatz europäischer Sicherheitspolitik nicht gerecht werden.

 

In einem anschließenden Planspiel wurde anhand zweier fiktiver Krisensituationen durchgespielt, wie Europa auf der Grundlage der gemeinsamen Innsbrucker-Wiener Sicherheitsstrategie hier reagieren würde.

 

 

Eine gelungene zivil-militärische Lehr-Operation

„Besonders beeindruckend war das Ineinandergreifen von praktischer und wissenschaftlicher Sicht und das Öffnen von intellektuellen Grenzen“, freut sich Anja Opitz über den Erfolg. „Das gegenseitige voneinander Lernen ist unerlässlich für berufsfeldorientierte Lehre im Fachgebiet Internationale Politik und Sicherheit. Das Joint Study Seminar hat gezeigt, dass Militärwissenschaft und zivile akademische Forschung und Lehre ineinander greifen müssen. Die Stiftungsprofessur für Europäische Sicherheitspolitik möchte als eine Plattform für entsprechende Vernetzung dienen – dies auch, um den Studierenden unserer LFU einzigartige Angebote praxisbezogener akademischer Lehre machen zu können“, resümiert Alexander Siedschlag das glücklich verlaufene Pilotprojekt.

 

Die Stiftungsprofessur für Europäische Sicherheitspolitik beabsichtigt, die Kooperation mit der Landesverteidigungsakademie und ihren wissenschaftlichen Instituten weiter auszubauen. Gedacht ist an gemeinsame und tauschbare Lehrveranstaltungsmodule ebenso wie an Kooperation auf dem Dissertationssektor.