Der neulateinische Beitrag zum modernen Europa
Latein wird in erster Linie mit der Antike in Verbindung gebracht. Dass lateinische Literatur weit mehr umfasst, zeigen nun WissenschaftlerInnen des am Dienstag eröffneten Ludwig Boltzmann Instituts (LBI) für Neulateinische Studien mit Sitz an der Universität Innsbruck. Sie stellen das bisher kaum beachtete Gebiet der neulateinischen Literatur in den Mittelpunkt ihrer Forschung.
„Ohne neulateinische Literatur gäbe es das heutige Europa in dieser Form nicht“, ist das Forscherteam um den klassischen Philologen PD Dr. Stefan Tilg, Leiter des LBI für Neulateinische Studien, überzeugt. Das durch die renommierte Ludwig Boltzmann Gesellschaft errichtete Institut wird sich daher der Erforschung des bisher noch kaum erschlossenen Gebiets der neulateinischen Literatur seit der Renaissance widmen. Momentan befindet sich das LBI in der Aufbauphase und wird künftig 14 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umfassen. Rektor Karlheinz Töchterle und Stefan Tilg erläuterten im Rahmen einer Pressekonferenz anhand von Beispielen aus den Bereichen Politik, Religion und Mentalitätsgeschichte die Bedeutung der neulateinischen Literatur für das moderne Europa. Die Erforschung der neulateinischen Literatur hat an der Universität Innsbruck bereits eine langjährige Tradition, die nun im LBI stärker etabliert wird: „Die Universität Innsbruck zählt im Bereich neulateinische Studien nicht zuletzt dank hervorragender junger Wissenschaftler zur internationalen Spitze“, freute sich Rektor Töchterle.
Orientierung an antiken Vorbildern
Der Beginn der Epoche der neulateinischen Literatur ist in der Mitte des 14. Jahrhunderts mit den frühen Werken des Humanismus anzusetzen. Während sich die lateinische Literatur des Mittel-alters von der antiken Latinität eher entfernte, zeichnet sich die neulateinische Literatur durch eine stärkere Orientierung an den klassischen Vorbildern aus der Antike aus. „Neulatein“ ist somit nicht als eine Neuschaffung zu verstehen, sondern vielmehr als eine Rückkehr zu einer vorbildlichen antiken Form der lateinischen Sprache.
Projekte zeigen Bedeutung für Europa
Die Anzahl der überlieferten Texte der neulateinischen Literatur übersteigt jene der Antike bei weitem – allein in Tirol wurden bislang rund 7000 Texte von 2000 Autoren erfasst. „Als Europa sich formierte, war Neulatein die Kommunikationssprache, vergleichbar mit dem Englischen heute“, verdeutlicht Töchterle. Trotzdem ist die neulateinische Literatur noch sehr schlecht erforscht und in ihrer Bedeutung für die Entwicklung Europas unterschätzt. Das Team des LBI für Neulateinische Studien zeigt diese Bedeutung nun anhand einer Reihe von Beispielen auf. Die ersten Projekte beschäftigen sich mit den Funktionen des Lateinischen im Vielvölkerstaat der Habsburger und dem katholischen Schultheater der Aufklärung. Eine dritte Projektschiene wird sich mit der Etablierung eines neuen Naturbildes auseinandersetzen: „Während die Berge im Mittelalter noch sehr negativ konnotiert waren, wurden sie in neulateinischen Texten des 16. Jahrhunderts zunehmend als Orte des Genusses beschrieben“, erklärt Tilg.
Innsbrucker Antrag setzte sich durch
Nachdem 2009 zahlreiche Anträge zur Gründung neuer Institute bei der Ludwig Boltzmann Gesellschaft eingegangen waren, konnten sich die Innsbrucker Forscherinnen und Forscher nach Begutachtung durch eine internationale Jury durchsetzen. Mitgetragen wird das neue LBI für Neulateinische Studien neben der Universität Innsbruck von der Österreichischen National-bibliothek, der Universität Freiburg im Breisgau sowie dem Päpstlichen Komitee für Geschichts-wissenschaft. Die 1960 gegründete Ludwig Boltzmann Gesellschaft ist eine private Träger-organisation für Forschungseinrichtungen in Österreich, die sich mit medizinischen sowie geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen befassen.
Weitere Informationen:
Rückfragehinweis:
Dr. Stefan Tilg
Ludwig Boltzmann Institut für
Neulateinische Studien
Tel.: +43 512 507 37900
Mail: stefan.tilg@neolatin.lbg.ac.at
Mag. Melanie Bartos
Büro für Öffentlichkeitsarbeit und Kulturservice
Universität Innsbruck
Tel.: +43 512 507 32021
Mail: melanie.bartos@uibk.ac.at