Ökonomen belegen: Bei befürchteter Strafe steigt die Kooperationsbereitschaft
Menschen neigen dazu, einander zu helfen – zumindest wesentlich öfter und stärker als Tiere. Warum das so ist, haben Innsbrucker Ökonomen untersucht. In einem Aufsatz für die „Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America“ (PNAS) zeigen sie nun: Die Bereitschaft zur Kooperation ist dann besonders hoch, wenn Menschen bei Nicht-Kooperation Strafen befürchten.
Für die Kooperationsbereitschaft von Menschen sind soziale Normen verantwortlich, das ist in der Literatur unbestritten. Diese Normen sorgen auch dafür, dass Menschen, anders als die meisten Tiere, auch Personen helfen, die genetisch nicht mit ihnen verwandt sind und die sie mitunter nicht einmal kennen. Dr. Daniela Glätzle-Rützler, Mag. Philipp Lergetporer und Mag. Silvia Angerer vom Institut für Finanzwissenschaft der Universität Innsbruck haben sich unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Matthias Sutter nun die Kooperationsbereitschaft von Kindern in Experimenten angesehen. Teilgenommen haben rund 1.100 Kinder zwischen 7 und 11 Jahren aus Meran in Südtirol. Das Ergebnis: Allein schon die Befürchtung von Strafe reicht, um die Kooperationsbereitschaft zu steigern.
Kooperations-Spiele
„In vielen wissenschaftlichen Arbeiten zu Kooperationsverhalten wird dasselbe Spiel über mehrere Runden wiederholt, um zu sehen, wie sich Kooperationsverhalten entwickelt“, erklärt Daniela Glätzle-Rützler. Das Setting entspricht dabei weitgehend dem aus der Spieltheorie bekannten Gefangenendilemma: Zwei Testpersonen erhalten eine bestimmte Menge an Geld. Beiden wird gesagt, dass ihr Partner die doppelte Menge erhält, wenn sie selbst auf ihr Geld verzichten, und beide wissen nicht, wie der Partner handeln wird. Eine wichtige Erkenntnis aus der Literatur ist, dass die Kooperationsraten in den ersten Runden des Spieles sehr hoch sind, mit der Zeit allerdings drastisch sinken – je öfter die gleichen Personen das Spiel spielen, desto seltener arbeiten sie zusammen.
„Wir haben das Experiment mit fiktiven Münzen durchgeführt, die von den teilnehmenden Kindern in kleine Geschenke wie Äpfel, Bleistifte oder Süßigkeiten eingetauscht werden konnten. Jedes Kind spielte das Spiel mit einem unbekannten Partner. Die Teilnehmer haben am Anfang zwei Münzen erhalten und mussten sich zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden: Wenn sie die Münzen an den Partner schicken, also kooperieren, kommt die doppelte Anzahl bei diesem am. Wenn das Kind die Münzen behält, werden sie nicht verdoppelt. Das sozial wünschenswerteste Ergebnis tritt dann ein, wenn beide kooperieren: in diesem Fall erhält jeder Teilnehmer vier Münzen. Wenn nur einer seine Münzen schickt, bekommt sein Partner sechs Münzen, er selbst geht allerdings leer aus“, sagt Silvia Angerer. Die Wirtschaftswissenschaftler führten dieses Spiel mit einer Gruppe von Kindern durch und ergänzten das Setting in einer zweiten Gruppe um einen weiteren Spieler: Eine dritte Person fungierte als Beobachter und konnte Nicht-Kooperation „bestrafen“, in dem er die Münzen des unkooperativen Spielers vollkommen entwertet. Dieser Beobachter verlor allerdings auch einen Teil seiner eigenen Münzen, wenn er die Strafe aussprach. „Die beiden eigentlichen Testpersonen wussten das auch: Sie wussten, dass der Beobachter für die Bestrafung etwas bezahlen muss, und auch, dass eine Bestrafung den Verlust ihrer Münzen zur Folge hat“, erläutert Philipp Lergetporer. Das Ergebnis dieser Gruppe weicht deutlich von jenem der ersten Gruppe ab: Die Kooperationsraten verdoppeln sich.
Erwartung der Strafe
„Durch Befragungen wissen wir, dass mehr als die Hälfte der Kinder der Überzeugung war, sie werden bei Nicht-Kooperation bestraft – obwohl sie wussten, dass der Beobachter auch selbst auf einen Teil des Gewinns verzichtet, wenn er straft“, sagt Daniela Glätzle-Rützler. Tatsächlich bei einem Verstoß gestraft haben nur rund zehn Prozent der Kinder, in Wahrheit wäre also wohl auch bei Nicht-Kooperation mit großer Wahrscheinlichkeit nichts passiert. „Allein die Befürchtung von Strafe reicht aus, um die Kooperationsbereitschaft konstant hoch zu halten“, sagt Silvia Angerer. Auch in Alltagssituationen lässt sich dieses Verhalten beobachten: „Studien haben gezeigt, dass etwa in U-Bahn-Stationen in den seltensten Fällen jemand angesprochen wird, wenn er Müll dort auf den Boden wirft – dennoch macht das fast niemand. Auch hier reicht die Befürchtung von Strafe“, sagt Daniela Glätzle-Rützler.
Für die erhöhte Kooperationsbereitschaft machen die Ökonomen zwei Gründe aus: Einerseits hat die Strafdrohung einen direkten Effekt, da die Testpersonen kooperieren, weil sie Angst vor Strafe haben. Es gibt aber auch einen indirekten Effekt: Testpersonen kooperieren auch mehr, weil sie glauben, dass die Kooperationsbereitschaft ihres Partners durch die Strafandrohung steigt – dadurch sind sie auch selbst eher dazu bereit, zu kooperieren. „Diese beiden Kanäle waren ungefähr gleich stark“, erklärt Glätzle-Rützler. Zwischen den Altersgruppen gab es übrigens keinen Unterschied: Kinder mit 7 reagierten nicht anders als die älteren Test-Teilnehmer.
Audio:
♫ Daniela Glätzle-Rützler im Gespräch (Soundcloud-Link)
Der Artikel zum Download:
Philipp Lergetporer, Silvia Angerer, Daniela Glätzle-Rützler, and Matthias Sutter: Third-party punishment increases cooperation in children through (misaligned) expectations and conditional cooperation, PNAS Early Edition, http://www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1320451111