Schlick-Wittgenstein Korrespondenz bereichert Brenner-Archiv
Drei Briefe und zwei Postkarten von Moritz Schlick an Ludwig Wittgenstein sowie eine Postkarte von Schlick an Ludwig Hänsel bereichern seit Ende 2015 den Bestand des Brenner-Archivs. Wie sie letztendlich nach Innsbruck gekommen sind, ist ebenso bemerkenswert wie die neuen Perspektiven, die der Blick auf die Original-Schriftstücke eröffnet.
Es klingt fast wie eine kleine Odyssee, wenn die Wittengestein-Expertin Ilse Somavilla und ihr Kollege Anton Unterkircher vom Innsbrucker Brenner-Archiv die Geschichte des kleinen Briefkonvoluts von Moritz Schlick erzählen, das vergangenes Jahr vom Forschungsinstitut Brenner-Archiv erworben wurde. Moritz Schlick, Gründer des Wiener Kreises und selbst einer der großen Denker des 20. Jahrhunderts, korrespondierte zwischen 1924 und 1927 mit dem österreichichen Philosophen Ludwig Wittgenstein, dessen Arbeit er sehr bewunderte. Wittgenstein bekam die Briefe und Postkarten an die Adresse seines Freundes Ludwig Hänsel, bei dem er immer wieder wohnte, wenn er Wien war. Die Korrespondenz blieb über Jahrzehnte im Besitz der Familie Hänsel, wo Somavilla und Unterkircher sie bei einem Besuch vor 25 Jahren erstmals sichteten. „Wir arbeiteten am Gesamtbriefwechsel Ludwig Wittgensteins. Wir durften die Briefe sehen und erhielten sogar Kopien“, erzählt Unterkircher und Somavilla ergänzt: „Natürlich waren damals schon an den Originalen interessiert, sie konnten aber aufgrund der damals zur Verfügung stehenden Mittel nicht erworben werden.“ So verschwanden die Originale aus dem Blickfeld der Forschung und gingen an ein Wiener Antiquariat. Dieses verkaufte das wertvolle Konvolut an ein Antiquariat in London. „Da es sich um österreichisches Kulturerbe handelte, war die Ausfuhr illegal“, erläutert Ulriker Tanzer, Leiterin des Brenner-Archivs, an die sich das betreffende Londoner Antiquariat mit dem Angebot wandte, die Korrespondenz zu fairen Bedingungen zurückzuführen. „Vermutlich ist das Konvolut mehrere Jahre in London gelegen. Das Bundesdenkmalamt hat auf die illegale Ausfuhr aufmerksam gemacht. Die Verantwortlichen in London haben sich, als sie erfuhren, dass die formalen Ausfuhrkriterien nicht erfüllt waren, sehr engagiert, die Korrenspondenz zu retournieren“, betont Tanzer. So kam das Konvolut, bestehend aus zwei maschingeschriebenen und einem handschriftlichen Brief Schlicks an Wittgenstein, sowie drei handgeschriebenen Postkarten, zwei an Wittgenstein, eine an Ludwig Hänsel, ins Brenner-Archiv.
Faszination Original
„Jetzt sind die Schriftstücke dort angelangt, wo sie hingehören“, freuen sich Anton Unterkircher und Ilsa Somavilla, die bereits 1994 über die Freundschaft zwischen Schlick und Wittgenstein publiziert haben. „Abgesehen vom Wert und der Faszination, die von den Originalen ausgeht, kann man an ihnen natürlich ganz anders arbeiten“, erklärt Somavilla. Unterkircher verdeutlicht dies an einem Vergleich zwischen der alten Kopie, auf der Unterstreichungen zu sehen sind. „Wir haben uns sehr viele Gedanken über die Bedeutung der Unterstreichungen gemacht, die den Leser richtiggehend lenken. Jetzt wo wir das Original vor uns haben, ist kaum etwas von diesen Unterstreichungen zu sehen. Sie sind wohl durch die damalige Kopiertechnologie entstanden“, meint Unterkircher. Auch was die Datierung der Korrespondenz betrifft, löst sich durch eine der Original-Postkarten eine Ungereimtheit. „Auf der Kopie der vermeintlich frühsten Postkarte sieht die Jahreszahl aus wie 1923, damals waren Schlick und Wittgenstein noch nicht in Kontakt“, sagt Somavilla. Am Original sieht man, dass die Postkarte wahrscheinlich aus dem Jahr 1926 stammt.
Auszug einer Freundschaft
Im ersten Brief meldet sich Moritz Schlick 1924 als „Bewunderer“ von Wittgensteins Werk „Tractatus“ und verleiht seiner Hoffung Ausdruck, Wittgenstein einmal persönlich zu treffen. In der vom Brenner-Archiv erworbenen Korrespondenz geht es insbesondere um Wittgensteins „Tractatus“ und dessen Übersetzung sowie die Sitzungen des Wiener Kreises, zu der Schlick Wittgenstein auch einlädt. Die Bewunderung, die der große Philosophieprofessor Schlick in diesem ersten Schreiben wortwörtlich zum Ausdruck bringt, ist kennzeichnend für die folgenden schriftlichen, aber auch persönlichen Kontakte der beiden, die sich erstmals im Februar 1927 treffen. Die Treffen verlaufen zwar freundschaftlich, aber nicht immer ganz leicht, wie ein Zitat aus dem letzten im Konvolut enthalteten Brief vom 2. August 1924 zeigt, in dem Schlick Wittgenstein bittet, „in weitere Zusammenkünfte in irgendeiner von Ihnen zu bestimmenden Form einzuwilligen. Daß dabei von Wissenschaft nicht die Rede sein soll, will ich Ihnen gerne versprechen.“
Einige der schriftlichen Zeugen dieser faszinierenden Freundschaft liegen nun bei den anderen Wittgenstein-Dokumenten im Brenner-Archiv und sollen in Bälde unter Denkmalschutz gestellt werden. Der Großteil der Originalkorrespondenz zwischen Schlick und Wittgenstein – auch die Gegenbriefe Wittgensteins auf Schlicks Schreiben – ist übrigens im Wiener-Kreis-Archiv in Noord-Hollands Arief in den Niederlanden aufbewahrt.