Wirtschaftsnobelpreis 2005 an zwei Spieltheoretiker:
„VWL-Forschungsschwerpunkt „Experimentelle Ökonomik und angewandte Spieltheorie“ an der LFU ist top-aktuell.“
Der diesjährige Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften zeigt einmal mehr die Aktualität des Forschungsschwerpunkts „Experimentelle Ökonomik und angewandte Spieltheorie“ an der Fakultät für Volkswirtschaft und Statistik der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Die Forscher Robert J. Aumann (von der Hebräischen Universität in Jerusalem) und Thomas C. Schelling (von der Universität von Maryland) erhalten die Auszeichnung für ihre Forschungen zur Spieltheorie, der Lehre der strategischen Interaktion.
Thomas Schellings Arbeiten sind während des Kalten Krieges entstanden und haben wesentlich zum Verständnis des Gleichgewichts wechselseitiger Abschreckung durch die beiden Supermächte USA und UdSSR beigetragen. Im Kern hat Schelling die Frage untersucht, wovon die Verhandlungsmacht zweier miteinander interagierender Parteien abhängt. Dabei hat Schelling etwa als erster gezeigt, dass sich die eigene Verhandlungsmacht häufig dadurch stärken lässt, dass eine Partei ihre eigenen Handlungsalternativen einschränkt und die eigenen Optionen verschlechtert. In der Sprache des Militärs: Es kann eine sinnvolle Strategie eines Generals sein, überquerte Brücken niederzubrennen, um dem Feind (und auch den eigenen Truppen!) zu signalisieren, dass ein Rückzug nicht in Frage kommt. Mit seinen Überlegungen zur Glaubwürdigkeit der Einschränkung der eigenen Alternativen hat Schelling als erster jene Idee formuliert, die ein anderer Spieltheoretiker, Reinhard Selten (deutscher Wirtschaftsnobelpreisträger aus dem Jahr 1994), später durch das Konzept der Teilspielperfektheit formalisiert hat.
Konflikt und Konsens
Neben seinem Interesse an der Analyse von Konflikten hat sich Schelling auch damit beschäftigt, unter welchen Bedingungen Koordination von Handlungen in Situationen ohne wechselseitigen Konflikt möglich ist. Schelling hat dabei die Bedeutung von fokalen Punkten („focal points“) hervorgehoben, die er auch in ökonomischen Experimenten nachgewiesen hat (2002 ist Vernon Smith für seine experimentelle Analyse ökonomischer Interaktion mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet worden.). Die Entstehung vieler sozialer Konventionen und Normen (etwa der Rechtsregel im Verkehr oder sogar des Gebrauchs von Sprache) lassen sich dadurch erklären, dass sie die Koordination zwischen Menschen erleichtern.
Während Schelling laut Aussendung der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaft vor allem „originelle Gedanken und Begriffe mit einem Minimum an mathematischer Technik“ entwickelt hat, sorgte Robert Aumann vor Allem für die Entwicklung mathematischer Analysewerkzeuge. Insbesondere hat sich Aumann mit den Bedingungen für Kooperation bzw. Konflikt in wiederholten Spielen beschäftigt, die er mit Methoden der nicht-kooperativen Spieltheorie analysiert hat. Dabei hat Aumann gezeigt, dass in wiederholten Spielen wechselseitig vorteilhafte Kooperation selbst dann möglich ist, wenn die interagierenden Parteien bei kurzfristiger Betrachtung ein Interesse haben, nicht zu kooperieren. Kooperation ist deswegen in wiederholten Spielen möglich, weil die Parteien ein glaubwürdiges Drohpotenzial haben, nämlich in Zukunft nicht mehr zu kooperieren, sobald eine der anderen Parteien die Kooperation beendet. Dadurch lässt sich etwa erklären, dass bei Preiswettbewerb auf Märkten mit wenigen Anbietern Monopolpreise aufrechterhalten werden können.
So wie Schelling von der geopolitischen Situation des Kalten Krieges beeinflusst war, hat sich Aumann (zusammen mit Michael Maschler und Richard Stearns) mit Fragen der Abrüstungskontrolle beschäftigt. Dabei hat er die Grundlagen der Theorie wiederholter Spiele unter unvollständiger Information erarbeitet (für deren Formalisierung John Harsanyi 1994 den Wirtschaftsnobelpreis erhalten hat).
Nobelpreise und Forschungsschwerpunkt an der LFU
Univ.-Prof. Dr. Rudolf Kerschbamer, der Leiter des Forschungsschwerpunktes „Experimentelle Ökonomik und angewandte Spieltheorie“ an der hiesigen Fakultät für Volkswirtschaft und Statistik, ist einer der führenden angewandten Spieltheoretiker Österreichs, der in seiner Forschung vielfach auf den Pionierarbeiten der diesjährigen Wirtschaftsnobelpreisträger aufbaut. In einer jüngst fertig gestellten Arbeit (die im international höchst renommierten Journal of Economic Literature erscheinen wird) hat er etwa die Informations-Probleme auf Märkten für Vertrauensgüter untersucht. Vertrauensgüter sind Güter bei denen die Konsumenten vorher nicht wissen, welche Qualität sie benötigen und nachher oft nicht feststellen können, welche Qualität sie erhalten haben. Ein Beispiel dafür sind Autoreparaturen, bei denen die Kunden vor der Reparatur nicht wissen, welche Art der Reparatur sie benötigen (sie sehen nur, dass das Auto nicht das tut, was es tun soll) und nach der Reparatur nicht feststellen können, ob die vom Mechaniker behauptete Reparatur auch tatsächlich durchgeführt wurde (sie sehen nur, ob das Auto wieder funktioniert, können aber kaum beurteilen, ob der Mechaniker nur eine Sicherung oder tatsächlich, wie von ihm behauptet, die Lichtmaschine ausgetauscht hat). Ein anderes, vor allem für die Kosten des Gesundheitswesens wichtiges Bespiel sind Arztdienstleistungen, bei denen der normalsterbliche Patient weder die Diagnose überprüfen noch die tatsächlich durchgeführte Behandlung verifizieren kann. Prof. Kerschbamer hat sich in seiner Arbeit (gemeinsam mit Prof. Uwe Dulleck von der Universität Linz) mit den Bedingungen beschäftigt, unter denen die besser informierte Partei keinen Anreiz hat, ihren Informationsvorsprung auszubeuten, bzw. unter denen optimale Marktergebnisse zu erwarten sind.
Spitzenforschung in Innsbruck
Gemeinsam mit den international anerkannten Experimentalisten Dr. Martin Kocher und Univ.-Prof. Dr. Matthias Sutter vom Institut für Finanzwissenschaft arbeitet Prof. Kerschbamer derzeit auch an einer experimentellen Analyse von Preis- und Mengenwettbewerb auf Märkten mit wenigen Anbietern. Die Synthese zwischen spieltheoretischer Modellierung und experimenteller Überprüfung der theoretischen Vorhersagen im Labor mit menschlichen Entscheidern generiert einen rekursiven Prozess, der die Arbeit von Spieltheoretikern und experimentellen Ökonomen im Forschungsschwerpunkt der Fakultät wechselseitig befruchtet und als einzigartig in Österreich eingestuft werden kann. Die Vergabe des diesjährigen Nobelpreises (und auch jener der Jahre 1994 und 2002) zeigt, dass die Innsbrucker Ökonominnen und Ökonomen einen, gemessen an der internationalen Forschungslandschaft, hochaktuellen Forschungsschwerpunkt eingerichtet haben, der Spitzenforschung in Innsbruck garantiert.
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