Grabung in der Giarnera Piccola 

(1999, 2001-heute)

 

Parallel zu den Ausgrabungen am Colle Serpente führte das Institut für Klassische und Provinzialrömische Archäologie der Universität Innsbruck nach einer geomagnetischen Prospektion durch Dr. J. Fassbänder vom Bayerischen Amt für Denkmalpflege bisher fünf Grabungskampagnen auf den Feldern der  “Giarnera Piccola” durch. Das weitläufige Gelände der Masseria Giarnera Piccola gehört zu den bedeutendsten Fundplätzen des daunischen Ascoli, wobei Streufunde sowohl auf eine der wahrscheinlich größten Nekropolen des Gebietes als auch auf eine Siedlungszone schließen lassen. Schon Pasquale Rosario, der Antiquar und Heimatforscher, hatte das Areal aufgrund zahlreicher Funde hervorgehoben, und überdies gelangte die Zone am Fuße der Hügel durch unzählige illegale Raubgrabungen zu fragwürdigem Ruhm. Bis zu den österreichischen Ausgrabungen wurden mit Ausnahme eines Surveys der Universität von Bologna 1990/1991 noch keine wissenschaftlichen Untersuchungen in diesem Areal durchgeführt.

Abb. 1: Ansicht Giarnera Piccola

 

Grabungskampagnen Giarnera Piccola

 

In dem siebenbändigen Werk von Pasquale Rosario wird die Giarnera Piccola neben anderen Stellen als ein Ort genannt, an dem man Mauern und Häuser beobachten konnte. Bereits im 19. Jahrhundert dürften durch die Feldarbeit eher zufällig auch viele Grabfunde ans Tageslicht gekommen sein. Mit steigendem Interesse an gewinnbringenden, meist apulischen Vasen wurden wohl in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Abhänge der ascolotischen Hügel gegen die Ufer des Carapelle, also die Giarnera Piccola mit den angrenzenden Parzellen, zu einem der Hauptgebiete für Grabräuber. Diese Tatsache ist noch deutlich im Verlauf der offiziellen Grabung an großen Baggerschneisen, die sich durch das Feld ziehen oder im einzelnen am Abdruck von Baggerschaufeln, die in Grabbefunde zerstörerisch eingedrungen sind, abzulesen. Um jedoch Anlage und Entwicklungstendenzen einer solchen daunischen Nekropole erfassen zu können, sind ausgeraubte Grabgruben von ebensolcher Bedeutung wie noch intakte Gräber.

 

Nach den Erkenntnissen durch die Survey-Untersuchungen der Universität Bologna in den Jahren 1990-1991 waren die Gebiete an den Abhängen seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. sowohl bewohnt und als Begräbnisplätze genutzt und wurden zwischen der Mitte des 4.Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. verlassen. Die Teile der daunischen Bevölkerung, die dort lebten, waren einerseits Handwerker, die unter Nutzung des anstehenden Lehms die lokale Keramik produzierten und andererseits Ackerbauer, die die weiten, sanft abfallenden Flächen für den Anbau nutzten. Zeugnisse dafür sind entsprechende Oberflächenfunde wie die für Ascoli typischen pentagonalen Antefixe, Unmengen an Dachziegeln, Gebrauchskeramik, große Vorratgefäße, zahllose Webgewichte und Fragmente von Mühlsteinen aller Größen. In ebensolcher Weise sind die Gräber an der Oberfläche durch subgeometrisch daunische Ware aller Phasen, durch apulische Fragmente oder schwarze Glanztonware dokumentiert. Vielleicht sind die Hangsiedlungen auch als Vorposten für die Hügelkuppen anzusehen.

 

Mit der Anlage des neuen Ausculum der hellenistisch–römischen Zeit im Bereich zwischen den Hügeln Serpente, Castello und Pompei, spätestens gegen die Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. muss man mit einer vollständigen Auflösung aller Siedlungsgruppen der Hügelabhänge rechnen und in der Folge mit einer rein landwirtschaftlichen Nutzung zur Versorgung der „neuen“ Stadt. Die bisherigen Grabfunde in der Giarnera Piccola lassen noch keine über den Anfang des 3. Jahrhunderts v. Chr. hinausgehende Verwendung als Nekropole erkennen.

 

 

Grabfunde:

 

Bei Beginn der ersten Grabungskampagne in der Giarnera Piccola war die Erwartungshaltung zunächst ausschließlich auf Grabfunde ausgerichtet. In den vergangenen Jahren der Forschung kamen über 50 Gräber aus der Zeit zwischen dem 7. und 4. Jh. v. Chr. zu Tage. Der Hauptanteil der Gräber waren Fossa-Gräber, daneben fünf Grotticella-Gräber (Erdkammergräber), von denen sehr viele bereits beraubt waren. Aber dennoch lassen sich auch aus den ausgeraubten Anlagen ebenso wie natürlich aus den intakten Bestattungen wertvolle Rückschlüsse für ein Gesamtbild des Wechsels zwischen Gräbern und Siedlungsstrukturen gewinnen. Auch die Entwicklung der Grabbräuche von flachen, oberflächlichen Gruben mit geringem Inventar des 7.Jhs.v.Chr., über die aus mehreren Platten bestehenden, massiven Bedeckungen des 6. und 5.Jhs.v.Chr. bis zu tiefgelegten Grabgruben mit quantitativ, teilweise auch qualitativ reichen Beigaben und ein bis zwei Deckplatten des 4.Jhs.v.Chr. wurde mit den Funden in der Giarnera fassbar. Bisher waren vier Gräber dem 7.Jh.v.Chr. und höchstens drei Gräber dem 6.Jh.v.Chr. zuzuweisen. Die überwiegende Anzahl von Bestattungen, ob intakt oder ausgeraubt, gehören dem Zeitraum zwischen 5.Jh. und Ende des 4.Jhs.v.Chr. an.

 

Abb. 2: mit Steinen ausgekleidete Grabgrube des 7.Jhs.v.Chr. (Grab 2/09)

Abb. 3: Inventar von Grab 2/09: protodaunische Olla, handgeformter Napf und Bronzefibel

Abb. 4: Inventar von Grab 1/10 des 6.Jhs.v.Chr.: daunische Olla, zwei Schöpftassen und ein Kännchen der Phase subgeometrisch daunisch II

Abb. 5: Fossagrab mit Deckplatte, Steinen zur Befestigung und Steinkranz (Grab 1/02)

Abb. 6: Inventar des 5.Jhs.v.Chr. (Grab 3/09)

Abb. 7: Inventar des 4.Jhs.v.Chr. (Grab 5/04)

Abb. 8: ausgeraubtes Erdkammergrab mit Rest der Beigaben (Grab 7/05)

 

 

 

 

Strukturelle Befunde:

 

Die Evidenz der Oberflächenfunde und die eher vagen Aussagen über „Häuser“ wurden schließlich in der dritten Kampagne im Jahr 2003 durch eindeutige Siedlungsbefunde mit der Fundamentlage einer Mauer im Zentralbereich der Grabungsfläche bestätigt. Diverse Ziegelverstürze, Kieselrollierungen, Reste von Abflussanlagen und Funde von Gebrauchskeramik und Webgewichten bestätigten die Funktion dieser Struktur (Haus 1-ältere Phase, Haus 4-jüngere Phase). Als Zugang zu dieser Struktur und als Hangsicherung diente ein serpentinenförmig angelegter Weg aus Flusskieseln. Auf Grund vielfältiger Störungen durch Baggerschneisen von Raubgräbern sind die Befunde schlecht erhalten und schwer zu erkennen.

 

 

Abb. 9: Mauerzug im zentralen Bereich

 

 

Ab 2006 wurde die Grabungsfläche stark nach Süden( Parzelle 546) erweitert, wo sich ein großer Gesamtkomplex von Gebäuden, mehreren Pflasterwegen aus Flusskieseln und Gräbern aufdecken ließ. Die Gemeinde von Ascoli Satriano erwarb im Jahr 2008 dankenswerterweise zwei Hektar dieser Ackerfläche und erleicherte unsere Forschungen damit wesentlich. In diesem südlichen Bereich kamen Reste von mehreren baulichen Strukturen (Haus 5 -12) zu Tage. Das sogenannte Haus 8 (Haus 5 in der jüngeren Phase) dürfte wohl als Zentrum dieses Komplexes und zwar als Ort für kultische Handlungen angesehen werden. Auch finden sich dort deutliche Zeugnisse von Verlassensriten wie die Entfernung eines Kieselpflasters im westlichen Raum und die Bedeckung mit Ziegeln und Grosskeramik desselben. Im sog. Haus 10 fanden sich teilweise in situ luftgetrocknete Lehmziegel, während im sog. Haus 11 deutlich zwei Bauphasen im 4.Jh.v.Chr. unterscheidbar waren. Schon in der älteren Phase bestand der westliche Abschluß von Haus 11 in einer massiven, mehrlagigen Stützmauer.

 

Hangabwärts, also unterhalb der Häuser 10 und 11 konnte 2010 eine eindrucksvolle Mauer in der Fundamentlage freigelegt werden, die bisher eine Länge von 29 m und nach einem rechtwinkligen Knick weitere ca.5, 5 m aufweist und einen leicht bogenförmigen Verlauf hat. Im südlichen Profil setzt sich die Mauer noch fort. Im Bereich des wohl ältesten Abschnittes der Mauer im Süden wurden zwei Opfermulden entdeckt, von denen eine Keramikmaterial des 7.Jhs.v.Chr. enthielt.

   

 

Abb. 10: Gesamtbild von Areal G (südliche Zone) mit Kieselpflastern  

 

Abb. 11: Haus 8 (ältere Phase)  

 

Abb. 12: Haus 11  

 

Abb. 13: Stützmauer von Haus 11  

 

Abb. 14: Hangmauer mit Opfergruben

 

In dem südlichen Bereich der Grabungsfläche (Abschnitte G – J) kamen insgesamt drei Pflasterwege zu Tage, die jeweils in Rhomben und Fischgrätmustern verlegt waren (317, 369 und 391). Die erste, aus vier Teilen bestehende Pflasterung (teilweise in der Antike entfernt) wies zwei definierte Enden auf und verlief auf drei Seiten um das sog.Haus 8 und umschloss darüberhinaus die ausgeraubte Grabanlage 1/08. Fast parallel zu dieser verlief eine Kieselpflasterung, die nach einer Verbreiterung auf Grab 5/07 zustrebte und die im Nordosten in einer kleinen Abzweigung mit eingebauten Steinen endete. Im zentralen Abschnitt der Pflasterung fand sich ein massiver Ziegelversturz mit Antefixen, aus dem eine hypothetische Rekonstruktion eines daunischen Daches mit Tegulae, mit Dachrandziegeln mit Abfluß, mit dreieckigen Deckziegeln und mit Antefix gewonnen werden konnte.

 

 

Abb. 15: Kieselpflaster 317, erster Abschnitt

 

Abb. 16: Kieselpflaster 391 mit Ziegelversturz  

 

Abb. 17: Kieselpflaster 391 nach Entfernung der Ziegel, sog. Prozessionstraße  

 

Abb. 18: hypothetische Rekonstruktion eines daunischen Daches  

 

 

Die als Prozessionsweg zu bezeichnende Pflasterung 391 mündete in einen Schacht, in dem in ca. 3,5 m Tiefe 2007  das aussergewöhnliche Erdkammergrab 5/07 identifiziert wurde. Das zwar eingestürzte, aber nicht beraubte Grab enthielt ein überaus reiches Inventar, bestehend aus 130 Objekten, davon 26 apulisch rotfigurigen Vasen, einer großen Anzahl von Gnathia-Ware und schwarzer Glanzton-Keramik neben daunischen Gefäßen, einem Bronzebecken, Silberfibeln, einer Kette aus Glasflussperlen, einer Lanzenspitze und zwei Bronzegürteln. Der Reichtum der Beigaben und teilweise ihre hohe Qualität lassen den Schluß zu, daß es sich dabei um Bestattungen von Angehörigen einer hochstehenden Familie wie der eines Clanführers handelt.  

 

 

Abb. 19: Grab 5/07, erstes Niveau der Beigaben

 

 

Abb. 20: Grab 5/07, apulisch rotfigurige Vasen  

 

Abb. 21: Grab 5/07, schwarze Glanztonkeramik

 

Abb. 22: Silberfibel

 

Dieser singuläre Grabfund datiert nicht nur die Gesamtanlage in die zweite Hälfte des 4.Jahrhunderts v. Chr., sondern erklärt auch die wahrscheinliche Funktion derselben als ein Zeremonialzentrum für den Totenkult. Eine daunische Grabanlage des Erdkammertyps solchen Ausmaßes wurde bisher im Zuge von offiziellen Grabungen in Ascoli Satriano noch nicht zu Tage gefördert.

 

Im Verlauf der endgültigen Freilegung von Grab 5/07 im Jahre 2008 konnte der Dromos als sehr steil und nicht achsial zur Kammer hin verlaufend, definiert werden. Die Erdkammer erwies sich als zur Gänze eingestürzt und war damit in ihrer Form nicht mehr bestimmbar. Die Knochenreste von vier Bestattungen waren durch den säurehaltigen Boden und durch den erfolgten Einsturz teilweise in einem sehr schlechten Erhaltungszustand. Eine ältere Bestattung, versehen mit Bronzegürtel und Speerspitze befand sich sorgfältig zusammengelegt im südwestlichen Eck. Jeweils ein zerquetschter Schädel und Oberschenkelknochen von zwei wahrscheinlich weiblichen Verstorbenen erschienen in der Kammer verstreut. Nur das Skelett des wohl zuletzt in zentraler Position und liegender Hockerstellung Beigesetzten mit einem Bronzegürtel mit außergewöhnlichen Haken hatte sich relativ gut erhalten. Die Analyse des Fundmaterials von ca. 130 Objekten wird möglicherweise eine Abfolge der Bestattungen festlegen lassen.