Internationale Tagung: Geschlechterverhältnisse der Migrationsgesellschaften

Aspekte geschlechtlicher und intersektioneller Ungleichheit in Migrationsgesellschaften machte eine Tagung an der Uni Innsbruck zum Thema, die zwischen 11. und 13. Dezember 2014 stattfand. Organisiert wurde die internationale Tagung von der Forschungsgruppe "Geschlechterverhältnisse der Migrationsgesellschaften" als Teil der Interfakultären Forschungsplattform Geschlechterforschung.
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Die Tagung "Geschlechterverhältnisse der Migrationsgesellschaften: Repräsentation - Kritik - Differenz" fand von 11. bis 13. Dezember an der Uni Innsbruck statt. Bild: Verena Sauermann

Etwa die Hälfte der Wanderungsbewegungen weltweit werden von Frauen unternommen, und dies nicht erst in jüngster Zeit. Dennoch wird dieses Phänomen sowohl in der öffentlich-politischen als auch in der wissenschaftlichen Diskussion unangemessen thematisiert. Migration wurde lange Zeit als fast ausschließlich männlich beschrieben. Jedoch bereits in den so genannten „Anwerbejahren“ der 1960er Jahre überstieg in Deutschland die Erwerbstätigenquote von migrierenden Frauen jene der im Inland geborenen. Durch den wachsenden Bedarf an weiblicher Arbeitskraft – Stichwort Carework, Sexarbeit – nimmt der Anteil von Frauen, die aus dem Ausland zuwandern, gegenwärtig stetig zu. Migration muss also unter einer geschlechtsspezifischen Perspektive untersucht werden, um den gesellschaftlichen Tatsachen gerecht zu werden.
Jene Leerstellen in der Migrationsforschung aus unterschiedlichen disziplinären und praxisbezogenen Zugängen zu bearbeiten, sich fachübergreifend darüber auszutauschen und eine Standortbestimmung einer kritischen Migrationsforschung zu versuchen, war das Ziel einer internationalen Tagung vom 11. bis 13. Dezember an der Universität Innsbruck. Organisiert wurde diese Veranstaltung von der Forschungsgruppe „Geschlechterverhältnisse der Migrationsgesellschaften“, Teil der Interfakultären Forschungsplattform Geschlechterforschung, in enger Kooperation mit dem Interfakultären Masterstudium Gender, Kultur und sozialer Wandel sowie mit finanzieller Unterstützung der Fakultäten für Bildungswissenschaften, Politikwissenschaft und Soziologie, der Historisch-Philosopischen Fakultät und des Instituts für Erziehungswissenschaft. Die Migrationstatsache wird hier grundsätzlich als der Normalfall einer jeden Gesellschaft betrachtet. Gleichzeitig geht es um die Integration der Geschlechterperspektive, die Überwindung von Eurozentrismus und von assimilationistischen Eingliederungsideen.
Grundlegende thematische Zugänge bot neben Prof. Erol Yildiz vom Institut für Erziehungswissenschaft der LFU und Dr. Maria do Mar Castro Varela von der Alice-Salomon-Universität Berlin Prof. Nikita Dhawan, die im Oktober 2014 ihre Professur für Politische Theorie mit besonderer Akzentuierung im Feld Frauen- und Geschlechterforschung angetreten hatte, in ihrem Eröffnungsvortrag über Geschlechtergewalt und rassistische Strukturen in Migrationsgesellschaften. Sie beschrieb das Dilemma, das sich einstellt, wenn über Geschlechtergerechtigkeit, Kolonialismus, Rassismus und Migration debattiert wird: Kann Geschlechtergewalt innerhalb migrantischer Gemeinschaften thematisiert werden, ohne dass dieses Sprechen entweder vom hegemonialen Diskurs in den Aufnahmeländern des globalen Nordens vereinnahmt oder die Gewalt vom anti-westlichen Gegendiskurs der Ländern des globalen Südens negiert wird?

Grenzregime und Fluchtbewegungen

Einerseits ist eine Vervielfältigung der Migrationsbewegungen und der Grenzüberschreitungspraxen feststellbar, die andererseits auf zunehmend restriktivere Migrations- und Asylpolitiken treffen. Was dies für die konkrete Lebenswelt von Flüchtlingen in Österreich bedeutet, wurde anhand einer qualitativen Studie dargestellt (Scheibelhofer). Ein weiterer analytischer Blick wurde auf die statthabenden bio-politischen Ausgrenzungspraxen der Migrationsregime (wie zB die biometrische Altersfeststellung von jugendlichen Flüchtlingen in Österreich) geworfen (Ralser).

Der Frage der Ethnisierung und Vergeschlechtlichung von Bildungs- und Arbeitsverhältnissen sowie der Effekte gesellschaftlicher Ein- und Ausschlussmechanismen wurde sowohl anhand quantitativer Daten, die schulische Ungleichheitsverhältnisse nach Migrationshintergrund und Geschlecht der Schüler_innen deutlich machte (Herzog-Punzenberger), als auch im Rahmen einer qualitativen Studie zu „ElternWissen“ nachgegangen (Wolf). Diese nahm die Erfahrungen von Eltern aus deprivilegierten Schichten mit der Schule ihrer Kinder in den Blick und fragte nach der Vergeschlechtlichung und Ethnisierung elterlicher Praxis und kindlicher Schulleistungen. Auch die aktuellen Diskussionen über Sexarbeit wurden – abseits der vorherrschenden Moralisierung und Viktimisierung – aufgegriffen, wobei die Sexarbeiterinnen als handlungsfähige Subjekte sichtbar gemacht wurden (Mineva).

(Arbeits)Migration: Erinnerungen, Erfahrungen und Narrative

Lebensgeschichtliche sowie statistische Quellen zur Arbeitsmigration wurden lange Zeit von der hegemonialen Geschichtsschreibung ignoriert. Diese Leerstellen wurden aus historischer (Hahn und Sauermann), aus kulturanthropologischer (Hollomey-Gasser) und geschlechtertheoretischer Perspektive aufgefüllt und dabei wurde u.a. sichtbar, wie sehr die Realität von Migration vor Ort verdrängt und/oder nur einseitig aus der Perspektive der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen wurde. Es wurde damit auch deutlich gemacht, dass eigenständige (d.i. jenseits des Familiennachzugs) weibliche Migration keinesfalls ein Randphänomen war.

Literatur, Politik und Religion wurden ebenfalls als Bereiche analysiert, in denen durch „Sprechen und Schweigen“, so der Panel-Titel, unterschiedliche Identitäten als Migrant/in konstruiert werden. Ein Beitrag analysierte etwa, unter welchen Umständen es ImmigrantInnen in Österreich überhaupt gelingen kann, als SchriftstellerInnen / AutorInnen wahrgenommen zu werden (Sievers). Ein anderer Beitrag analysierte Konstruktionen von Männlichkeiten in Literatur und Film, in denen die französischen Migrationsgesellschaft der „banlieues“ verhandelt wird, zeigte aber auch, wie Humor und Parodie als subversive Elemente die Repräsentation gängiger bzw. stark stereotypisierter Männlichkeitsbilder brechen kann (Fuchs-Eisner). Ein weiterer Beitrag thematisierte die Zerstörung nigerianischer Identitäten unter dem Einfluss des Kolonialismus und die geschlechts- und generationsspezifischen Weisen des Versuchs ihrer Rekonstruktion in der nachkolonialen Zeit (Pallua).

Abschließend wurden politisch und beratungsseitig  relevante Diskurse verhandelt. Für den migrationspolitischen Diskurs in Österreich wurden drei hegemoniale Narrative identifiziert – das Kulturnarrativ, das Emanzipationsnarrativ und das Leistungsnarrativ – und gezeigt, dass sich darin kolonial-patriarchale Muster reproduzieren (Gatt). Zum anderen wurde für den Diskurs der interkulturellen Beratung eindrucksvoll demonstriert, wie selbst dort in eurozentrischer Weise auf religiöse, geschlechtliche und ethnische Stereotype als Deutungsrahmen Bezug genommen wird – zum Schaden der  Professionalität des Beratungsvorgangs (Kasap Cetingök).
Das Ziel, jene Leerstellen in der Migrationsforschung aus unterschiedlichen disziplinären wie theoretischen Zugängen zu bearbeiten und darüber mit Forschenden aus verwandten Bereichen in Austausch zu treten, wurde mit dieser Tagung erreicht.


Text: das Organisationsteam der Tagung (Sabine Gatt, Kerstin Hazibar, Michaela Ralser, Max Preglau, Julia Tschuggnall, Verena Sauermann, Marcel Amoser, Gloria Tauber, Yesim Kasap Cetingök, Ulrich Pallua, Elisabeth Grabner-Niel)