Frank Welz zum Präsidenten der ESA gewählt
Während auf der einen Seite die allgegenwärtige Thematisierung von gesellschaftlichen Problemen wie den Auswirkungen der Finanzkrise oder dem Zustrom von Flüchtlingen der Soziologie gleichsam von unten unablässig eine je große Zahl an Studieninteressierten zuführt, steht auf der anderen Seite in vielen europäischen Ländern das sozialwissenschaftliche Fach (wie noch viel mehr die benachbarten Geisteswissenschaften) seit Jahren „von oben“ unter gehörigem Druck. Hier ist es vor allem der zunehmende Einfluss wissenschaftsexterner Regulierungssysteme, die in die Produktion wissenschaftlichen Wissens hineinwirken, die den auf die Autonomie der modernen Wissenschaft verpflichteten Fachvertretungen (und konkret Forschenden) zu schaffen machen. "Umso wichtiger ist es daher, auch auf europäischer Ebene eine wissenschaftliche Vertretung der nationalen Fachverbände sowie der einzelnen Forscher und Forscherinnen zu organisieren". sagt Frank Welz vom Institut für Soziologie der Uni Innsbruck. "Aus diesem Grund gibt es seit gut zwanzig Jahren die European Sociological Association als europäische Dachorganisation der Soziologie, welche jetzt erstmals aus Österreich präsidiert wird."
Ihren Hauptsitz hat die ESA am Maison des Sciences de l'Homme in Paris, von wo aus sie über 2200 Mitglieder aus über sechzig Ländern organisiert, deren größte Anteilsgruppen aus dem Vereinigten Königreich, Deutschland, Italien und Polen stammen. Eine der zentralen praktischen Aufgaben der ESA ist die Herausgabe zweier Fachzeitschriften und einer Buchreihe im Routledge-Verlag sowie zweier digitaler Mitgliederorgane. Fachlich ist sie untergliedert in 37 Forschungsgruppen von der „Altersforschung“ über die Soziologie der Kindheit und die der „politischen Ökonomie“ bis hin zu den „Women’s und Gender Studies“, die allesamt selbstverständlich ihre Beteiligten europaweit rekrutieren.
(Un)Making Europe?!
Während diese Forschungsgruppen gehalten sind, im Zweijahrestakt spezifische Tagungen zu veranstalten, ist es eine weitere Aufgabe des 17-köpfigen, gewählten Vorstands der ESA, dem der Innsbrucker Soziologe Welz jetzt vorsteht, die verschiedenen Spezialisierungsrichtungen verbindende europäische Fachkonferenzen zu organisieren. So ging es in diesem Jahr zum Beispiel in Prag um das Thema „Differences, Inequalities and Sociological Imagination“, während das nächste Großereignis 2017 in Athen unter dem Titel „(Un)Making Europe: Capitalism, Solidarities, Subjectivities“ stattfinden wird.
Es gibt viel zu tun - die europäische Initiative „for Science“
Während die thematische Mitgestaltung einer solchen Konferenz mit 3000 bis 4000 Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen für Welz die leidenschaftliche Kür darstellt, verlangt die Pflicht des Präsidentenamtes es derzeit, behutsam eine strategische Umstrukturierung der administrativen Hinterbühne vorzunehmen. Schließlich ist die Organisation und deren Konferenzen binnen sehr weniger Jahre fast exponentiell gewachsen, so dass Kongressplanung, Jahresbudgetierung und die faire Regulierung von europaweit heterogenen Interessen weniger ad hoc und vielmehr technisch und personell qua praktischer Wissensakkumulation gesteuert werden wollen.
Über die Schaffung von „Räumen“ für Forschung und Austausch über das Angebot von ESA-Zeitschriften und ESA-Kongressen hinaus ist es weiters Programm der Welzschen Amtsperiode, auch die nach außen gerichtete, aktive Seite der Interessenvertretung der europäischen Soziologie zu stärken. Dazu wirkt die European Sociological Association an zwei neuen fachübergreifenden Wissenschaftsorganisationen mit, weil, so Frank Welz, im europäischen Konzert der Wissenschaftspolitik und Forschungsförderung kein Fach allein seiner Stimme Gehör verschaffen kann. Das ist zum einen die bereits gewichtige „Initiative for Science in Europe“ (ISE) mit Sitz in Heidelberg, welcher derzeit 19 Organisationen angehören, die mit Ausnahme von dreien inklusive der Soziologie allesamt aus dem Bereich der Sciences kommen (Life Sciences; Biologie, Chemie, Physik, Mathematik u.a.m.); zum anderen arbeitet die ESA jetzt auch in der erst in diesem Jahr begründeten „European Alliance for the Social Sciences and Humanities“ (EASSH) mit Sitz in Paris mit.
(red)