ERC Starting Grants für zwei Physiker
Der Europäische Forschungsrat unterstützt grundlagenorientierte Pionierforschung von herausragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Mit den ERC Starting Grants werden erfolgreiche junge Forscherinnen und Forscher mit hoch dotierten Projektbudgets ausgestattet. Hanns-Christoph Nägerl wird mittels Quantengasmikroskopie stark wechselwirkende Quantengase untersuchen und Roland Wester will Terahertz-Strahlung für die Spektroskopie von Molekülverbindungen nutzbar machen.
Hanns-Christoph Nägerl: Stark wechselwirkende Quantengase unter dem Mikroskop
Die Forschungsgruppe um Hanns-Christoph Nägerl vom Institut für Experimentalphysik untersucht experimentell die Eigenschaften von ultrakalten atomaren und molekularen Quantengasen. Bei hinreichend tiefen Temperaturen nahe dem absoluten Temperaturnullpunkt treten Phänomene wie Bose-Einstein Kondensation und Suprafluidität auf. Die ultrakalten Gase dienen dabei der Realisierung von Modellsystemen, anhand derer quantentheoretische Rechnungen getestet werden können. Ziel vieler Forschungsgruppen weltweit ist die Realisierung von sogenannten Quantensimulatoren. Da komplexe Quantensysteme meist klassisch nicht berechenbar sind, sollen Quantengassysteme selbst der Simulation dienen. Mit den Mitteln des Europäischen Forschungsrats will Nägerl auf neue Art und Weise die Eigenschaften von stark wechselwirkenden Quantengasen untersuchen. „Wir wollen eine kürzlich entwickelte Technik, die Quantengasmikroskopie, auf Quantengase anwenden, in denen die Wechselwirkungseigenschaften abstimmbar sind.“ Nägerls Forschungsgruppe möchte damit stark wechselwirkende Quantengase „sezieren“ und ihnen ihre Geheimnisse wie zum Beispiel ihr Ordungsverhalten mit Einzelatomauflösung entlocken. Neuartige Vielteilchen-Quantenzustände könnten dadurch zum ersten Mal direkt abgebildet werden.
Hanns-Christoph Nägerl wurde 1967 in Göttingen, Deutschland, geboren und studierte an der dortigen Universität Physik. Mit seinem Doktorvater Rainer Blatt kam er 1996 nach Innsbruck, wo er 1998 promovierte. Nach einem zweijährigen Forschungsaufenthalt in den USA kehrte Nägerl an die Uni Innsbruck zurück. Im Team um Rudolf Grimm beschäftigt er sich seither mit ultrakalten Quantengasen. 2003 erhielt Hanns-Christoph Nägerl den START-Preis, die höchste österreichische Auszeichnung für Nachwuchswissenschaftler. 2006 habilitierte er sich und wurde im selben Jahr zum außerordentlichen Professor ernannt. Kürzlich erhielt Nägerl den hochdotierten Rudolf-Kaiser-Preis 2010.
Roland Wester: Terahertz-Spektroskopie komplexer molekularer Verbindungen
Strahlung im fern-infraroten Spektralbereich kann erst seit wenigen Jahren mit hoher Intensität und Güte erzeugt werden. Diese Terahertz-Strahlung - 1 Terahertz entspricht 1012 Schwingungen pro Sekunde - ist viel hochfrequenter als konventionelle Mikrowellen und viel langwelliger als sichtbares Licht. „Diese Strahlung ist für die Untersuchung von komplexen Molekülen und Materialien sehr interessant, weil sie auf sehr charakteristische Weise von diesen abgeschwächt wird“, erklärt Roland Wester vom Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik. Mit seiner Arbeitsgruppe will er in diesen Spektralbereich vordringen, um die Struktur molekularer Netzwerke zu erforschen und damit zum Beispiel Details von Wasserstoff-Brückenbindungen und Wechselwirkungen in Bio-Farbstoffen aufzuklären. „Damit brechen wir in eine neue ‚terra incognita’ der Molekülspektroskopie auf, die sicher noch weitere Entdeckungen erwarten lässt“, ist sich Roland Wester sicher.
Roland Wester hat nach dem Studium in Konstanz und Heidelberg in einem deutsch-israelischen Forschungsteam am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg auf dem Gebiet der Molekülphysik promoviert. Er wechselte dann für zwei Jahre in die physikalische Chemie an der University of California in Berkeley, um sich mit ultraschneller Dynamik von Molekülen zu beschäftigen. Von 2003 bis 2010 baute Roland Wester eine eigenständige Arbeitsgruppe zur Untersuchung von Ionen-Molekülreaktionen an der Universität Freiburg auf. Dort habilitierte er sich 2007 und übernahm später eine Lehrstuhlvertretung. 2009 erhielt Roland Wester für seine Arbeit zur Reaktionsdynamik den Gustav-Hertz-Preis der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Im Jahr 2010 wurde er als Professor für Experimentelle Physik an die Uni Innsbruck berufen.
Europas Grundlagenforschung stärken
Forscherinnen und Forscher der Universität Innsbruck konnten in den vergangenen Jahren bereits fünf ERC Starting Grants einwerben: 2008 der Chemiker Thomas Lörting, 2010 Francesca Ferlaino und Gregor Weihs aus der Innsbrucker Physik und nun die Physiker Hanns-Christoph Nägerl und Roland Wester. Die Europäische Union ist ein wichtiger Förderer der Grundlagenforschung in Europa. Als Teil des 7. Forschungsrahmenprogramms hat die EU 2006 den Europäischen Forschungsrat (European Research Council, ERC) ins Leben gerufen. Er soll Pionierforschung ohne unmittelbaren Anwendungsbezug fördern und damit die EU als Forschungsstandort attraktiver machen. Kriterium für die Auswahl der Projekte ist ausschließlich die wissenschaftliche Exzellenz.