Die Lebensqualität Jugendlicher als „Marktlücke“
Die Geschichte der Lebensqualitätsforschung reicht bis in die frühen 1920er Jahre zurück und beschäftigte bereits unterschiedlichste Disziplinen – von Medizin über Tourismus bis hin zur Raumplanung. „Bislang ist aber nicht viel mehr als ein riesiges Puzzle entstanden, das noch nicht zusammengesetzt wurde“, betont Dr. Lars Keller vom Institut für Geographie. Auch ohne genaue wissenschaftliche Definition ist der Begriff „Lebensqualität“ in aller Munde und wird in medialen Diskursen, politischen Wahlprogrammen oder wirtschaftlichen Zusammenhängen gerne verwendet. Trotz der umfassenden Präsenz dieses Themas ist ein Aspekt bislang allerdings vernachlässigt worden: In keiner Studie zur Lebensqualität standen junge Menschen im Zentrum. „Dabei sollten gerade die Einstellungen, Wünsche und Motivationen der Jugendlichen für die Gestaltung der künftigen Gesellschaft berücksichtigt werden“, ortet der Geograph Keller einen Nachholbedarf.
Schülerinnen und Schüler im Fokus
Dass die Bedürfnisse folgender Generationen große Relevanz für politische und wirtschaftliche Entscheidungen haben, liegt auf der Hand. In bisherigen Forschungsarbeiten wurde aber in erster Linie die Lebensqualität gewisser Städte bzw. bestimmter Bevölkerungsgruppen, etwa Seniorinnen und Senioren, untersucht. „Natürlich ist es einfacher, bei Konferenzen über die Lebensqualität in diversen Städten zu diskutieren, als sich über Jahre hinweg mit jungen Menschen auseinanderzusetzen. Die Arbeit mit Jugendlichen ist mitunter anstrengend, dafür aber sehr inspirierend“, sagt Keller. Mit dem Projekt „LIFE eQuality? – Jugendliche erforschen Lebensqualität“ versucht der Geograph gemeinsam mit Mag. Alexander Schober, die subjektiven Lebensqualitätskonzepte von Schülerinnen und Schülern zwischen 16 und 18 Jahren aus Österreich, Deutschland, Italien und der Schweiz in einem integrativen Modell zu erfassen. „Unsere Intention ist es, lokale und regionale Entscheidungsträgerinnen und -träger in ihrer Arbeit durch unsere Forschungsergebnisse zu unterstützen. Denn nur so kann vermieden werden, dass an den eigentlich wichtigen Personen ‚vorbeiregiert‘ wird“, beschreibt Keller eines der Ziele des Projekts.
Lebensqualität im Vergleich
Mehr als 160 Oberstufen-Schülerinnen und -Schüler beschäftigten sich zunächst gemeinsam mit dem Forscherteam mit gängigen wissenschaftlichen Theorien zur Lebensqualität, um anschließend die subjektiven Vorstellungen und Definitionen zu erheben. Daraus ergaben sich neun Kriterien, wie beispielsweise Verkehr, Freizeit, Arbeit, Wirtschaftskraft oder Naturraum, die die Jugendlichen momentan in Arbeitsgruppen näher behandeln. „Sie wählen hier sehr unterschiedliche Strategien. Manche planen die Produktion eines Films, andere gestalten umfangreiche Fragebögen“, sagt Keller. Dadurch erhoffen sich die Wissenschaftler, Aufschluss über die tatsächlichen Bedürfnisse der Jugendlichen zu erlangen. Die Arbeitsgruppen in den Klassen der verschiedenen Schulen sind über eine Online-Plattform miteinander verbunden und können ihre Ergebnisse gegenüberstellen. Nachdem die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Tirol, Südtirol, Bayern und dem Engadin stammen, spielt nicht zuletzt auch der regionale Vergleich eine wichtige Rolle. „Um herauszufinden, ob es hinsichtlich der Lebensqualität Unterschiede in den verschiedenen Gebieten gibt, soll jede Gruppe ‚über die Brille‘ der Region forschen“, beschreibt Lars Keller die Vorgehensweise.
Jugendliche forschen selbstständig
Ein zentrales Anliegen des Projektes von Lars Keller und seines Mitarbeiters Alexander Schober ist allerdings nicht allein die Erforschung der Lebensqualität Jugendlicher. Von großer Bedeutung ist auch die Tatsache, dass Schülerinnen und Schüler nicht nur „als Forschungsgegenstand“ im Mittelpunkt stehen, sondern die Forschungsarbeit auch eigenständig durchführen. Die Auswahl thematischer Schwerpunkte und geeigneter Forschungsmethoden erfolgt autonom durch die Jugendlichen. Die Schülerinnen und Schüler waren von Beginn an in die Planung des Projekts eingebunden, müssen an authentischen Problemstellungen arbeiten und Lösungsansätze mit lebensweltlicher Relevanz entwickeln. Diesen Aspekt hält Keller für besonders wichtig: „Immerhin sind sie in diesem Alter teilweise bereits wahlberechtigt, daher ist es heute umso wichtiger, sie mit komplexeren Aufgaben zu konfrontieren, die sie dazu anregen, sich mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen“. Die Resultate werden der Öffentlichkeit im Rahmen einer Abschlussveranstaltung an der Universität Innsbruck vorgestellt und in Form eines interaktiven Lernmoduls zur Lebensqualität dauerhaft zugänglich gemacht. Erfahrungen aus der Anwendung dieser neuartigen Unterrichtskonzepte sollen in die Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern sowie in die fachdidaktische Diskussion miteinfließen.
Finanzielle Unterstützung
Das Projekt „LIFE eQuality? – Jugendliche erforschen Lebensqualität“ umfasst einen Zeitraum von zwei Jahren und wird finanziell durch das Förderprogramm „Sparkling Science“ des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung sowie durch das Amt für Hochschulförderung der Autonomen Provinz Bozen/Südtirol getragen. Die teilnehmenden Jugendlichen sind Schülerinnen und Schüler des Reithmanngymnasiums in Innsbruck, der Academia Engiadina in Samedan, der Handelsoberschule Heinrich Kunter in Bozen sowie des Gymnasiums Weilheim in Oberbayern.