Über das Kopftuch
Die westliche Vorstellung der islamischen Frau ist geprägt von stigmatisierenden Bildern, die vor allem durch Gesellschaft und Medien tradiert werden. Der eurozentrische, westliche Blick auf den Islam und den Orient hat eine lange Tradition, der oftmals mit Orientalisierungsfantasien einhergeht, wie dem Bild der verschleierten Frau im Harem, das sehr stark sexuell besetzt ist, oder der unterdrückten muslimischen Kopftuchträgerin. Diese negative Vorstellung im Westen wird genährt durch Medienberichte über islamische Gesellschaften: Vorrang des Mannes in der Familie, Polygamie, Ausschluss der Frau aus dem gesellschaftlichen Leben. „Nicht für alle Musliminnen ist das Kopftuch ein Zeichen der Unterdrückung. Viele entscheiden sich bewusst und eigenständig für das Tragen eines Kopftuches“, erklärt Dr. Monika Zisterer. Sie führte Interviews mit muslimischen Frauen mit türkischem Migrationshintergrund im Alter von zwanzig bis dreißig Jahren und traf auf selbstbewusste Musliminnen mit Kopftuch, ohne Anzeichen von Unterdrückung oder Fremdbeeinflussung. „Das hat mich irritiert und zugleich aber auch neugierig gemacht, weil es die gängige Vorstellung von muslimischen Frauen verworfen hat“, so die Bildungswissenschaftlerin.
Motivationen für das Kopftuch
Hinter dem Stück Stoff, das in den Medien immer wieder stark diskutiert wird, verbirgt sich aus der Sicht von Musliminnen vielmehr als nur ein Symbol des Islam. Es repräsentiert eine Lebenseinstellung. „Der Glaube an Allah ist für die Frauen das wichtigste Motiv für das Tragen eines Kopftuchs. Es ist aber nur als Teil einer ganzheitlichen Glaubenspraxis zu begreifen“, erläutert Monika Zisterer das zentrale Motiv der Musliminnen. Das Kopftuch ist für die Frauen nur ein Puzzleteil einer Ganzheit. Das Kopftuchtragen allein ist im Hinblick auf den muslimischen Glauben nicht ausreichend. Es entfaltet seine Wirkung erst dann, wenn auch alle anderen Gebote des Islam eingehalten werden und eine ganzheitliche islamische Glaubenspraxis gelebt wird. „Aus der Sicht der Musliminnen ist dies das größte Motiv, aber natürlich gibt es noch weitere Motivationen, die die Frauen bewegen ein Kopftuch zu tragen. Bei den Frauen, die ich interviewt habe, handelt es sich um die erste bzw. zweite Generation von Migrantinnen. Dementsprechend spielt auch die Migrationsgeschichte eine Rolle“, so Zisterer. Für einige der Frauen führten Ausgrenzungserfahrungen dazu, sich verstärkt mit ihrem Glauben auseinanderzusetzen und sich dem Islam zuzuwenden. „Bin ich Österreicherin oder Türkin? Die Frage nach der Identität spielt bei der Entscheidung für das Kopftuch und somit für den islamischen Glauben eine nicht unwesentliche Rolle. Die Frauen sehen den Islam als Ausweg, da sie sich weder mehr als Österreicherin, noch mehr als Türkin fühlen, sondern als österreichische Muslima mit türkischem Migrationshintergrund. Sozusagen eine dritte Identität zwischen den natio-ethnokulturellen Identitäten.“ Hinsichtlich der Zugehörigkeitsordnungen schafft der Glaube eine enorme Erleichterung für die Frauen, weil sie für sich selber einen außerordentlichen Standpunkt, außerhalb dieser Eingliederungsdebatte, gefunden haben. Ein weiteres Motiv ist die Kritik an der Sexualisierung des weiblichen Körpers, also die Darstellung der Frauen als Sexualobjekte in den Medien und im täglichen Leben. „Die Verschleierung durch das Kopftuch bietet ihnen einen Schutz vor dieser Sexualisierung. Muslimische Frauen möchten mehr als Persönlichkeit wahrgenommen werden, denn als Objekt der Begierde“.
Diskriminierung der Musliminnen
So selbstbewusst das Kopftuch auch getragen wird, stellt es leider dennoch viel zu oft ein Hindernis bei der gesellschaftlichen Teilhabe der muslimischen Frauen, vor allem in beruflicher Hinsicht, dar. „Von den Interwiewpartnerinnen sind viele Frauen Studentinnen, die nach dem Abschluss gern einen Beruf ergreifen und dabei nicht auf das Kopftuch verzichten möchten, dies aber zumeist gefordert wird“, sagt Zisterer und ergänzt, dass „darin die Absurdität der Debatte begraben liegt. Einerseits spricht die Gesellschaft von den armen unterdrückten Musliminnen, andererseits werden Emanzipationsbestrebungen unterbunden. Emanzipation soll immer nur in eine Richtung erfolgen und zwar in die Richtung, die von der Mehrheitsgesellschaft vorgesehen ist. Dementsprechend ist noch ein großer Schritt in Richtung Gleichheit, Freiheit und Solidarität zu tun, um die gesellschaftliche Stigmatisierung der glaubensüberzeugten Kopftuchträgerinnen zu unterbinden.“
Zur Person
Monika Zisterer studierte Erziehungswissenschaft mit den Schwerpunkten „Psychoanalytische Pädagogik“ sowie „Psychosoziale Arbeit“ und schrieb ihre Diplomarbeit zum Titel „Mediale Vaterbilder und partnerschaftliche Vatervorstellungen“. Zusätzlich absolvierte sie den Lehrgang des psychotherapeutischen Propädeutikums an der Universität Innsbruck. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt in der Kritischen Migrations- und Frauenforschung. Für ihre Dissertation „Verschleierungen. Gespräche über das Kopftuch...“ erhielt Monika Zisterer am 6. November dieses Jahres den Preis für frauen-/geschlechtsspezifische/ feministische Forschung an der Universität Innsbruck, der mit Euro 3.000 dotiert ist.