Literaturhaus am Inn

Programm Jänner – Februar 1998

Editorial Rituale des Literaturbetriebs

1. Wie jeder andere gesellschaftliche Zusammenhang hat auch der Literaturbetrieb seine Rituale. Das Rituelle des Literaturbetriebs findet sich in seinen Äußerungen: in Lesungen, AutorInnengesprächen, Rezensionen, wissenschaftlichen Abhandlungen. Sein Hochamt ist das Literarische Quartett; seine liturgischen Fixpunkte sind die periodisch wiederkehrenden Preisverleihungen.
Die Würde von Preisverleihungen verweist auf ihr (kultur)politisches Gewicht. Ihr Ernst auf ihre finanzielle Bedeutung.

2. Wie alle Rituale sind auch die des Literaturbetriebs funktionalisiert: Verweis auf transzendenten Sinn, Schaffung von Zusammengehörigkeitsgefühl der Beteiligten, Selbstlegitimation, Präsenz sind nur einige der wichtigsten Funktionen.

3. Der Prosapreis Brixen-Hall (Maria-Veronika-Rubatscher-Preis) existiert nun seit 10 Jahren und wurde 6mal vergeben. Er ist ein verdientes Mittel der Literaturförderung in Tirol und auch eines der wichtigsten Rituale des Tiroler Literaturbetriebs. Mit der Reihung der drei besten Einsendungen verweist er auf das Ideal der Krönung des/der Besten, mit dem sich jede literarische Jury dieser Welt herumschlägt. Die "lobenden Erwähnungen" gelten jenen, die zwar nicht den Lorbeer ernten, aber sich trotzdem von den sonstigen allzuvielen Einsendungen abheben.
Die Funktion der "lobenden Erwähnungen" könnte sein: zu zeigen, welche bekannten AutorInnen eingesandt haben (Steigerung des ideellen Wertes des Preises) und den Preis doch nicht bekommen haben (Betonung der Unabhängigkeit der Wertung); damit einhergehend Selbstlegitimation, Bezeugung der Repräsentativität und der literarischen Präsenz.
Für die betroffenen AutorInnen sieht die Sache anders aus: Ihr Name dient zwar dem Preis, die "lobende Erwähnung" jedoch nicht dem Namen - denn sie ist der eindeutige Beweis, daß er/sie den Preis eben nicht bekommen hat. So manche(r) fühlt sich durch eine "lobende Erwähnung" gedemütigt. Dieses mit guter Absicht begonnene Ritual erlangt so eine unlöbliche Bedeutung und sollte vielleicht überdacht werden, ebenso wie der Ernst und die Würde der Preisübergabe, die zwar der kulturpolitischen Stellung und der finanziellen Bedeutung des Preises angemessen sind, von vielen PreisträgerInnen jedoch als unangemessen empfunden werden.

4. Rituale sind veränderbar.

5. Das Literaturhaus am Inn besteht erst seit 8 Monaten; trotzdem hat es bereits seine Rituale. Wir hoffen, daß auch diese Rituale nach zehn Jahren verändert werden, wenn sie nicht mehr verstanden werden, oder mit neuem Sinn gefüllt werden, wenn der Sinn, der hinter der Entstehung der Rituale stand, verlorengegangen ist. Daß nach zehn Jahren Literaturhaus am Inn dessen Rituale verändert werden, hoffen wir auch, weil das bedeuten würde, daß
5.1. das Literaturhaus zehn Jahre alt wäre und
5.2. daß es (immer noch) lebendig wäre.

6. Genau das, nämlich daß das Literaturhaus lebendiger Bestandteil des Tiroler und Österreichischen Literaturbetriebs ist, wünschen wir uns auch für das 2. Jahr seines Bestehens.



Ursula Schneider
Erika Wimmer
Literaturhaus am Inn,
Josef-Hirn-Straße 5, 10. Stock
6020 Innsbruck.
Tel.: 0512 / 507-4503 und 4505 Fax: 0512 / 507-2960
e-mail: Literaturhaus@uibk.ac.at
Internet: http:// info.uibk.ac.at/c/c1/ c111/lithaus.html

Durch die Sprachblume.
Arno Geigers quasselndes Karussell

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Freitag, 16. Jänner, 20 Uhr, Lesung Arno Geiger aus KLEINE SCHULE DES KARUSSELLFAHRENS (Hanser 1997), mit Maultrommelbegleitung von Peter Quehenberger.

"Der Mensch lebt nicht vom Spiel allein, aber er lebt gut damit. In der Literatur ist allerdings bei der Gattung homo ludens Vorsicht geboten, denn gar so flink huschen Sprachspielereien heute aus dem Laserdrucker. Wer einen ordentlich gezimmerten Text will, wird lieber beim guten homo faber schreiben lassen, Geschichten mit Inhalt, mit Hand und Fuss und Einfalt. Denn allzu selten ist der Glücksfall, dass ein Autor beides meistert, den Ernst des Handwerks und den funkelnden Spass." (Neue Zürcher Zeitung)
Arno Geiger ist einer jener seltenen Glücksfälle. 1968 in Bregenz geboren, in Wolfurt in Vorarlberg aufgewachsen, überraschte er im Sommer 1997 mit einem fulminanten Romanerstling, dessen Witz, Leichtigkeit, Geist und Sprachkunst einnehmen. Geiger, der bei den Bregenzer Festspielen als Videotechniker arbeitet und - u.a. auch in Innsbruck - Germanistik, Geschichte und Komparatistik studierte, lebt als freier Schriftsteller in Wien.
1996 Einladung zum Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb sowie Prosaveröffentlichungen in den Zeitschriften MANUSKRIPTE und LITERATUR UND KRITIK.

Eintritt frei



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Entfremdeter Alltag
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Freitag, 30. Jänner, 20 Uhr, Lesung von Robert Schindel aus: DIE LETZTEN TAGE DER MENSCHHEIT. Einführung zur Kraus- Lesung von Sigurd Paul Scheichl. (Reihe Sprache und Ideologie)

Am 4. Februar 1920 las Karl Kraus - eingeladen vom "Brenner" - im Innsbrucker Musikvereinssaal aus den "Letzten Tagen der Menschheit", ein zweiter Leseabend sollte am 5. Februar folgen. Die Veranstaltung ("zugunsten der durch den Krieg geschädigten Mütter und Säuglinge") führte zu einem Presseskandal und zu Demonstrationen und Gewaltandrohungen seitens der deutschnationalen Studentenschaft, worauf die Polizeidirektion den zweiten Abend verbot. Kraus verarbeitete die gegen seine Person gerichteten Ereignisse in einer eigenen Fackelnummer "Innsbruck und Anderes", Ludwig von Ficker schrieb 2 Essays im "Brenner", die ebenfalls in die Fackel aufgenommen wurden. Innsbruck wurde für Kraus zum Symbol alles dessen, was er zeit seines Lebens bekämpft hatte.
Der Wiener Schriftsteller Robert Schindel (Roman GEBÜRTIG, ersch. 1992 bei Suhrkamp, und mehrere Gedichtbände) liest jene Szenen aus Kraus' Kriegsdrama, die 1920 in Innsbruck zur allgemeinen Empörung führten.
Der Kraus-Experte Univ. Prof. Dr. Sigurd Paul Scheichl (Innsbruck) kommentiert den historischen Kontext, eine Dokumentation der Presse (Kopienauswahl) wird gereicht.
Eintritt: 100 Schilling


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Dichtung als Erfahrung des Seins

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Freitag, 6. Februar, 20 Uhr, Literaturgespräch und Lesung mit Raoul Schrott und Michael Klein.

Lesen und Schreiben in den 90er Jahren - lautet der Titel dieses ersten Literaturgespräches - Auftakt einer Form der Auseinandersetzung mit Literatur, die zukünftig im Literaturhaus am Inn in loser Folge immer wieder stattfinden wird.
Raoul Schrott, der durch seine neuen Veröffentlichungen DIE ERFINDUNG DER POESIE (Eichborn Verlag, Frankfurt) und FRAGMENTE EINER SPRACHE DER DICHTUNG (Belleville Verlag, München) Aufsehen erregt hat, und Dr. Michael Klein vom Instituit für Germanistik an der Universität Innsbruck werden - ausgehend von Schrotts Texten - eine gemeinsame "Wanderung" durch die neueste deutschsprachige Literatur machen. Neben dem Versuch, einen Überblick und eine Einschätzung über das gegenwärtige literarische Schaffen zu geben, wird auch die grundsätzliche Frage "Wie was wozu schreiben?" debattiert werden. Das Gespräch wird durch Lesungen Raoul Schrotts aus seinen neuen Texten intensiviert.

Eintritt frei.



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