Editorial |
Tirol schwirrt aus
Vor dem Sommer wurde im Literaturhaus am Inn gemeinsam mit Circus, Innsbruck ein Literaturkalender für das Jahr 2000 herausgebracht, in dem 53 Tiroler Autorinnen und Autoren kurzcharakterisiert werden (
siehe Tips).
Der kulturell interessierte Mensch kann sich also demnächst die Dichter des Landes in die gute Stube hängen. Er braucht den Kalender nur um wohlfeile 148, Schillinge in einer Buchhandlung (Vertrieb Löwenzahn/Skarabäus) zu erwerben und einen Nagel in die Wand zu schlagen. Damit wird er täglich daran erinnert, daß Dichter im allgemeinen ziemlich durchschnittliche Typen sind, und zwar im besten Sinn des Wortes. Einer Dichterin, einem Dichter gereicht Durchschnittlichkeit zur Ehre, nichts ist peinlicher als der bereits von weitem als solcher zu identifizierende Schreiberling. Dennoch fallen Tiroler Schreibende natürlich auf mit dem, was sie schreiben, weshalb man hingehen sollte, um sie zu hören.
Am 4. November, zum Beispiel, beginnend um bereits 19 Uhr, wird ein literarischer Sechser à la Tirol im Literaturhaus am Inn bei einer Speckjause mit Wein Einblicke gewähren. Man hofft, daß dann über die Weihnachtsfeiertage nicht nur der Kalender gehängt, sondern auch die Bücher gelesen werden.
Aber nicht nur Innsbruck kommt in nächster Zeit in den Genuß der Tiroler Literatur. Wir haben uns auf die Suche nach auswärtigen Interessenten gemacht und natürlich einige gefunden. Die hiesige Literatur ist also derzeit in Wien, Linz, Klagenfurt und Bludenz, in Lienz und in Lana zu hören (siehe Tips). Die reisenden Dichter-Innen führen einen orangen Kalender mit sich und machen damit auch auf die im Lande verbliebenen Kolleginnen und Kollegen aufmerksam.
Neben der Präsentation von 4 Neuerscheinungen (Geiger, Faschinger, Egger, Breznik) möchten wir zum ausklingenden Jahr darauf hinweisen, daß zwei Jubiläen gefeiert werden: Die große Schriftstellerin der ehemaligen DDR, Christa Wolf, ist heuer 70 Jahre alt geworden. Ihr ist ein Abend der besonderen Art gewidmet, eine genau durchkomponierte szenische Lesung aus ihrem Buch Medea. Stimmen, in der gekürzten Fassung von Hedy Danneberg. War 1998 das Brecht-Jahr in aller Munde, so wird heuer das Kästner-Jahr gefeiert. Dr. Michael Klein (Institut für Germanistik) präsentiert in einer kommentierten Lesung seinen Erich Kästner, einige überraschende Seiten des bekannten Schriftstellers werden dabei ganz sicher zum Vorschein kommen.
Unserem Publikum überreicht Erich Kästner ein tiefsinniges Zeit-Geschenk zum ausgehenden Jahrtausend, einen dreizehnten Monat. (siehe Kleines Inn Lesebuch in der Mitte des Programmheftes). Wie säh er aus, wenn er sich wünschen ließe?
Prost Neujahr!
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Ein langer Tiroler Abend der anderen Art
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Donnerstag, 4. November 1999, 19 Uhr: 6 Lesungen, CD-Klang, Speckjause. Zur Präsentation des Literatur Hauskalenders 2000.
Eintritt frei.
Noch zwei Monate, und das neue Jahr beginnt. Wir erinnern noch einmal an die Möglichkeit, das Jahr 2000 mittels eines Kalenders an der Seite von Tiroler AutorInnen zu begehen. Der Literaturkalender des Literaturhauses wird übrigens auch darüber hinaus gute Dienste leisten, man stellt ihn am besten als Anthologie ins Regal, es gibt dort nämlich allerhand Zeitloses über die Literatur des Landes nachzuschlagen. Der lange Tiroler Abend bietet literarische Kostproben, es lesen Hans Augustin, Christine Huber, Barbara Hundegger, Konstantin Kaiser, Sylvia Krismayr und Romed Mungenast.
Eintritt frei, bei Speckjause und Wein und bei Tiroler Musik der weiteren Art.
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Rasante Jagd durch die Stadt
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Donnerstag, 11. November, 20 Uhr: Lesung und Buchpräsentation Arno Geiger: Irrlichterloh (Hanser).
Eintritt frei.
Arno Geiger 1968 in Bregenz geboren, ehemaliger Literatur-Student der Universität Innsbruck, lebt in Wien und Wolfurt war schon mit seinem Debütroman Kleine Schule des Karussellfahrens sehr erfolgreich. Nun hat er sein zweites Buch herausgebracht, den wunderbar abgedrehten Liebesroman voll Witz, drive und lodernde Phantasie Irrlichterloh. Darin befinden sich fünf junge Leute auf einer rasanten Jagd durch Großstadt- und Provinzlandschaften, fünf Menschen, die sich im ständigen Gefühl des Betrogenseins selbst betrügen. Irrlichterloh ist ein zorniges, manchmal trauriges Lied der Verlorenheit und des Erwachsenwerdens. Für alle, die Qualität schätzen, Spaß jedoch nicht verachten.
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Bewegende Lebensbeichte - satirisches Zeitbild
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Donnerstag, 18. November, 20 Uhr: Lesung und Buchpräsentation Lilian Faschinger: Wiener Passion (Kiepenheuer & Witsch)
Eintritt frei.
In drei Ich-Stimmen erzählt Lilian Faschinger eine Geschichte von Leiden und Aufbegehren. Die Sängerin Magnolia Brown entdeckt in der Truhe ihrer Tante den Lebensbericht der zum Tode verurteilten Mörderin Rosa Havelka, die im Wien der Jahrhundertwende als Dienstmädchen gearbeitet hat. Ihre tragische Geschichte ist eine Passion, ein Lied vom schändlichen Ausgenutztwerden und vom unaufhaltsamen Niedergang, das im Leben der Magnolia Brown und ihres Gesanglehrers Joseph Horvath widerhallt. Intelligent, episodenreich, sehr komisch und von Anfang bis Ende: Musik.
Lilian Faschinger, Jahrgang 1950, gehört zu den wichtigsten österreichischen Schriftstellerinnen und literarsichen Übersetzerinnen der Gegenwart. Schon die zuletzt erschienenen Arbeiten Frau mit drei Flugzeugen. Erzählungen (1993) und Magdalena Sünderin. Roman (1995), beide bei Kiepenheuer & Witsch, zeugen von ihrer reichen, raffiniert und kunstvoll arrangierten Sprache und von ihrem schonungslosen Blick auf die Wirklichkeit.
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Gesang zwischen den Stühlen
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Donnerstag, 25. November, 20 Uhr: Erich Kästner-Abend. Eine Nachlese von Michael Klein zum hundertsten Geburtstag des Autors.
Eintritt frei.
Am 23. Februar dieses Jahres wäre Erich Kästner 100 Jahre alt geworden. Wer kennte ihn nicht, den international geschätzten, ja geliebten Erfinder von Emil und die Dedektive, Pünktchen und Anton oder Das doppelte Lottchen? Noch immer gilt er zurecht als Klassiker des Genres Kinderbuch in diesem Jahrhundert. Aber wie bekannt ist der Romancier, der Hörspiel- und Drehbuchautor, der Dramatiker, Literaturkritiker und nicht zuletzt der Lyriker Erich Kästner? Viel zu wenig, glaubt Michael Klein, und zumal in Österreich. Dieser Abend will daher in Form einer kommentierten Lesung an den Erich Kästner für Erwachsene erinnern, den hoffnungslosen Aufklärer, den traurigen Moralisten, den immer liebenswerten Melancholiker, vor allem am Beispiel seiner Lyrik.
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"alles in allem ein Bild"
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Donnerstag, 2. Dezember, 20 Uhr: Lesung und Buchpräsentation Oswald Egger: Herde der Rede. Poem (edition suhrkamp 1999).
Eintritt frei.
Oswald Eggers opulenter Gedichtband ein Poem von mehr als 1000 neunzeiligen Strophen deutet in Glossen sowie ikonischen Lese- und Orientierungshilfen die Möglichkeiten von Lyrik an: dort, wo Sprache aufhört, Kritik ihrer Urteilskraft zu sein und einzugehen in ein selbstredendes Moiré der Rede. Ekloge, Ode und Lehrgedicht in einem als anschaulich präzis konzipierte, sinnliche Verstrickung: "Nach und nach ist Poesie alles in allem ein Bild".
Oswald Egger wurde 1963 in Lana geboren, er lebt in Wien. 1992 Studienabschluß in Wien mit einer Arbeit über die Poetik des Hermetischen. Zahlreiche Autoren- und Projektstipendien, bisher 8 eigenständige Veröffentlichungen, zuletzt bei Edition Howeg Zürich Sommern und Poemandern Schlaf. Egger war Herausgeber der Zeitschrift Prokurist und schrieb selbst Beiträge für die wichtigsten Literaturzeitschriften im deutschen Sprachraum.
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Lebensgeschichten am Wendepunkt
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Montag, 6. Dezember, 20 Uhr: Lesung und Buchpräsentation Melitta Breznik: Figuren. Erzählungen (Luchterhand 1999).
Eintritt frei.
Die 1961 geborene, aus Kapfenberg stammende und heute in Zürich lebende Autorin Melitta Breznik legt nach ihrem erfolgreichen Debüt Nachtdienst jetzt eine Sammlung kleiner Erzählungen vor. Eindringlich und schlicht, distanziert und doch einfühlsam skizziert Breznik ihre Figuren, sie tauchen aus der Erinnerung auf und werden dem Leser an einem Wendepunkt ihres Lebens vorgestellt. Es sind Geschichten von Einsamkeit und Scheitern, aber auch vom Wehren und vom Eigensinn: die Möglichkeit, im Trubel der Welt unverbrauchte Lufträume zu finden.
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Medea. Stimmen. Eine szenische Lesung
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Donnerstag, 16. Dezember, 20 Uhr: Christa Wolf: Medea. Stimmen, in einer bearbeiteten Fassung von Hedy Danneberg. Szenische Lesung mit 4 Stimmen unter der Regie von Martin Sailer (ORF Tirol). Zum Anlaß des 70. Geburtstages der Autorin.
Eintritt frei.
Christa Wolfs siebzigster Geburtstag war im heurigen Jahr Anlaß für zahlreiche Würdigungen und Auseinandersetzungen mit der umstrittenen Autorin der ehemaligen DDR. Das Literaturhaus am Inn ergreift die Gelegenheit, seinem Publikum in einer genau komponierten vierstimmigen Lesung eines der jüngeren Werke Wolfs vorzustellen: die Geschichte einer Frau, die Höhenflug und Fall erlebt, ihren Mut und ihre Kraft niemals verliert und dennoch keine Heldin abgibt. Die Schilderung versunken geglaubter politischer Verhältnisse und Machtspiele, die uns Christa Wolf wie einen Spiegel vorhält.
Wir danken Hedy Danneberg für die freundliche Überlassung ihrer Medea-Bearbeitung.
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