Editorial | Zum dritten Jahrtausend nichts Neues
Beinahe jeder ergreift derzeit die treffende Gelegenheit, entweder vom Ultimativen und Finalen oder vom Ersten und Allerneuesten zu reden - bloß, weil demnächst 3 Nullen auf dem Kalender stehen werden. Hört man ins Mediengeplapper hinein, so könnte man fast den Eindruck gewinnen, der Beginn des neuen Jahrtausends bedeute Fortschritt. Die Tatsachen sehen leider anders aus, es gibt hierzulande nichts grundsätzlich Neues, vor allem aber nichts Gutes zu berichten. So wenige Konzepte, ein so geringes Maß an Kreativität hat es in der Politik schon lange nicht mehr gegeben, ein Zustand, den man durch viel Spaßkultur zu verdrängen versucht. Es bedarf keines prophetischen Blicks um vorauszusehen, daß eine Kultur jenseits von Spaß für die Massen nicht gerade leichten Zeiten entgegensieht. KulturpolitikerInnen, die diesen Titel verdienen, sind rar geworden. Man erlebt, daß man herabgesetzt wird, weil man Kultur vorantreiben möchte. Dafür kommen seit einigen Jahren mehr und mehr PolitikerInnen an die Macht, die ihre Reden mit Attacken auf Künstler und Literaten würzen. Große Dichter dieser Nation dürfen öffentlich diffamiert werden. Jörg Haider und seine Funktionäre wollen Gutes tun und die Abhängigkeit der Künstler mildern, indem sie Kultursubventionen abschaffen, zumindest drastisch kürzen (siehe Falter, 24.11.1999). Eine Kulturausschußvorsitzende profiliert sich heutzutage durch das Ideal einer 100prozentigen Kürzung der Kulturförderungen (siehe Initiative und Aufruf der IG Autorinnen und Autoren vom 25.11.99). Literaturvermittler und die AutorInnen müssen von ihrer Interessensvertretung dazu aufgefordert werden (siehe oben), dem zunehmenden Kultur-Dilettantismus in der Politik entgegenzutreten. Zur Jahrtausenwende sehen KünstlerInnen und Kulturschaffende sich damit konfrontiert, nicht kompetenten PolitikerInnen fachlich aushelfen zu sollen. Generell greift eine Politik der Feindseligkeit gegen Andere und Anderes um sich, viele ÖsterreicherInnen gehen mit. Am 3. Oktober 1999 haben 1 Million 244.087 Tausend Menschen in diesem Land die Wahlkampf-
forderung der FPÖ Stop der Überfremdung mit einer Stimme honoriert. Da fühlt man sich erinnert. Gerhard Ruiss, Vorsitzender der IG-Autorinnen Autoren, bringt die traurigen Tatsachen der Nation satirisch auf den Punkt: Ausländer! Fremde! Meidet uns! Ihr seid hier nicht willkommen! (siehe Plakat-Initiative zur Buchmesse 1999 EDITION SELENE)
Was gibt es da zu feiern? Privat kann man zu Silvester ja anstoßen, Begriffe wie Wende und Fortschritt oder gar die Vision eines neuen Zeitalters vermeidet man besser, es sei denn, man lügt sich gerne in die eigene Tasche. Das Literaturhaus am Inn beginnt das neue Jahr mit einem nachdenklichen Programm und einem Schwerpunkt, der übers Jahr Fortsetzung finden wird und der bewußt nichts Neues präsentiert: Jüdische Themen. Mit dem Alten gibt es noch genug zu tun. |
Fesseln der Tradition
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Freitag, 14. Jänner, 19 Uhr: Zweisprachige Lesung (französisch - deutsch) mit Leïla Marouane (Algerien) und Katrin Bene (Innsbruck). Einführung Dr. Birgit Mertz-Baumgartner (Romanistik).
Eintritt frei.
Leïla Marouanes Romane sind in Algerien angesiedelt und erzählen die alptraumartige politische Situation des Landes, ohne diese jedoch plakativ in den Vordergrund zu stellen. Vielmehr stehen weibliche Einzelschicksale im Zentrum.
Leïla Marouane, geb. 1969, arbeitete nach einem Studium der arabischen und französischen Literatur zunächst als Journalistin in Algerien. Aufgrund der seit dem Verbot der Islamischen Heilsfront 1991 angespannten Situation im Land und infolge des 1990 erlassenen, strafgesetzartigen Code de la presse verließ Marouane Algerien und ließ sich in Frankreich (Paris) nieder, wo sie als freie Schriftstellerin tätig ist.
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Zornig gegen das stumpfe Vergessen |
Montag, 17. Jänner, 18 Uhr: Ronnith Neumann (Hamburg) liest aus: Die Tür/Ein stürmischer Sonntag (Erzählbände 1992/1996, Fischer). Gemeinsam mit dem Institut für Germanistik, Einführung Dr. Veronika Bernard. (Reihe Jüdische Themen)
Eintritt frei.
Ronnith Neumann, 1948 geb. in Haifa/Israel, kam 1958 mit den Eltern nach Deutschland, wo sie nach Abschluß der Schule in Frankfurt als Fotografin und beim Rundfunk arbeitete. 1970 übersiedelte sie zum Norddeutschen Rundfunk nach Hamburg und absolvierte eine Phonetikausbildung. Seit 1985 ist sie freie Schriftstellerin.
Ronnith Neumann erzählt in ihren Geschichten vom Eingesperrt- und Ausgeliefertsein, von Aussichtslosigkeit und Vergänglichkeit. Sie veröffentlichte seit 1981 mehrere Bücher mit Erzählungen und einen Roman (Heimkehr in die Fremde, Bert Schlender) und ist außerdem als Theaterautorin tätig.
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Überleben im Grenzland |
Mittwoch, 19. Jänner, 20 Uhr: Terézia Mora liest aus dem
Erzählband Seltsame Materie (Rowohlt 1999).
Eintritt frei.
Die Menschen in dem ungarischen Dorf unweit der österreichischen Grenze, von denen die Erzählungen Terézia Moras handeln, beherrschen das Trinken ebensogut wie den Traum von einer Flucht aus den ärmlichen Verhältnissen. Und die Erinnerungen an dieses Dorf mit seinen skurrilen, manchmal liebenswerten, manchmal brutalen Einwohnern beherrscht die Geschichten Terézia Moras wie ein Vexierbild, in dem die Landschaft der eigenen Heimat zur Fremde wird, zur seltsamen Materie.
Terézia Mora, 1971 in Ungarn geboren, lebt seit 1990 in Berlin, wo sie Drehbuch studiert und aus dem Ungarischen übersetzt. Sie erhielt für Drehbuch und Prosa mehrere Preise, darunter den 1. Preis beim
Ingeborg-Bachmann- Literaturwettbewerb 1999 in Klagenfurt.
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"... da kamen sie mit Haß und Feindschaft und mit Tod ..." |
Freitag, 4. Februar, 20 Uhr: Jiddische Lyrik mit Musik/Vernissage zur Ausstellung: Bilder, Illustrationen zur Anthologie:
Gehat hob ikh a heym/Ich hatte ein Zuhaus' (EYE Literaturverlag 1999). Der Herausgeber Armin Eidherr und Gerald Kurdoglu Nitsche lesen jiddische
Gedichte.
Musik (Guitarre und Gesang): A. Eidherr. Dazu Bilder von Monika Migl-Frühling, Gerald K. Nitsche und Willi Pechtl. (Reihe Jüdische Themen)
Die Ausstellung ist zu besichtigen vom 7. bis 25. Februar 2000, Mo-Fr 9-12 und 14-17h
Eintritt frei.
Als Band 1 der sinnhaft bezeichneten Reihe "Am Herzen Europas. Lyrik der Wenigerheiten" ist unlängst ein Buch erschienen, in welchem Armin Eidherr zeitgenössische jiddische Lyrik in Original und Übersetzung vorstellt. Drei heimische Künstler haben sich von diesen Gedichten zu bildnerischen Darstellungen anregen lassen, die Illustrationen und Bilder werden in einer Ausstellung gezeigt und kommentiert. Monika Migl-Frühling, geb. 1947, stammt aus Innsbruck und lebt in Linz. Sie studierte Keramik in Linz und beschäftigt sich vorwiegend mit Plastik, Zeichnung und Grafik. Gerald Kurdoglu Nitsche, geb. 1941 in Wien, studierte an den Akademien in Wien und Den Haag und an den Universitäten Wien und Innsbruck. Er arbeitet als freier Künstler und Lehrer in Landeck, zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland, viele Preise sowie Publikationen im Bereich Kunst und Literatur. Willi Pechtl, geb. 1951 in Zams, studierte an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien Grafik und arbeitet heute als Künstler und Lehrer in Zams. Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland sowie Publikationen.
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"... zu sterben wie ein schwein ..." |
Donnerstag, 10. Februar, 20 Uhr: Lesung und Buchpräsentation Josef Oberhollenzer: Was auf der erd da ist. Geschichten (Folio 1999). Einführung Mag. Christine Riccabona.
Eintritt frei.
Josef Oberhollenzer ist einer jener Literaten, die selten und nicht besonders laut auftreten, dafür aber umso tiefere Eindrücke hinterlassen. Großes und Ausschweifendes ist seine Sache nicht, der 1955 im Ahrntal geborene Autor schreibt vornehmlich Lyrik und kurze Prosa. Er veröffentlichte in zahlreichen Zeitschriften und Anthologien, Rockbands haben seine Texte vertont, zwei seiner Theaterstücke wurden bisher aufgeführt. 1994 erschien In der Tasse gegenüber (Haymon). Jetzt stellt er einen Geschichtenband vor: Texte zur Grausamkeit.
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Falsche Geschichte? Dichtermythos und Wirklichkeit |
Dienstag, 15. Februar, 20 Uhr: Hrotsvith von Gandersheim. Eine Entmystifizierung. Präsentation des Buches von Alfred Tamerl (Mantis Verlag 1999) über die erste Dichterin des europäischen Mittelalters. Einführung Walter Klier.
Eintritt frei.
Als der berühmte deutsche Humanist Conrad Celtis (1459-1508) im Benediktinerstift
St. Emmeram zu Regensburg eine mehrere hundert Jahre alte Handschrift fand, kannte sein Jubel keine Grenzen. Endlich war belegt, daß die deutsche Bildung im frühen Mittelalter einzigartig und der italienischen überlegen war. Die Handschrift enthielt die Dichtungen einer Nonne, der Mythos Hrotsvith von Gandersheim war geboren.
Alfred Tamerl kommt in seinem Buch zum Schluß, daß Hrotsviths Werke in Wirklichkeit von der Humanistin Caritas Barbara Pirckheimer stammen. Wie er dazu kommt, und welche Folgen dies auf die frühe deutsche Literaturgeschichtsschreibung hat, wird das Thema des Abends sein. Tamerl, geb. 1942, lebt in Schönwies/Tirol, er studierte Germanistik und Anglistik und veröffentlicht zu kulturhistorischen Themen.
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Eine Sprache wie frisch gepreßtes Kernöl |
Freitag, 25. Februar, 20 Uhr: Anna Nöst liest Gedichte und Litaneien in oststeirischem Dialekt, Präsentation der CD: mama, kimm he, mama (edition kürbis 1999). Einführung Univ. Prof. Dr. Sigurd Paul Scheichl (Germanistik).
Eintritt frei.
An der Wirklichkeit orientiert, sie durchleuchtend, eigenwillig und zuweilen bitterbös sind einige Qualitäten von Anna Nösts Texten in oststeirischer Mundart. Doch wenn diese Texte - Gedichte und Litaneien - von der Autorin gelesen werden, ereignet sich noch viel mehr, nämlich Poesie. Auch ihre letzte CD mama, kimm he mama beweist, daß es eine moderne Mundartdichtung abseits idyllischer Klischees geben kann.
Anna Nöst wurde 1961 geboren, sie studierte Betriebswirtschaft und arbeitet als Betriebwirtin und Controllerin in St. Veit und Wien. Seit 1985 veröffentlicht sie literarische Texte in Zeitschriften und im Rundfunk. Publikationen: CD Linzer Kipferl (Wien 1993), Zwischen do und decksas (Herbstpresse, Wien 1995) und schreibtisch mattschwarz (edition kürbis, Wien 1997). Mehrere Preise, darunter Preis der Arbeit, verliehen von der Kärntner Arbeiterkammer 1995.
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