Editorial |
Lesen ist wie Urlaub
Naheliegend wäre es zwar, im Editorial eines
Literaturhaus-Programms die neuesten
kulturunfreundlichen Maßnahmen einer Regierung
analysierend zu bedenken, etwa die Stornierung
des begünstigten Zeitungsversandtarifs oder -
Heute tun wir das aber nicht. Vielmehr tun wir
etwas Verpöntes, wir schweigen uns aus, wir
hören nicht hin, wir schimpfen nicht, wir sagen
nur: lesen ist wie urlaub! Nicht daß wir eine
derartige Haltung generell propagieren, das
wäre ja unerhört. Das wäre ja unpolitisch. Das
wäre ja Mißbrauch der Literatur, ein
Rückschritt in biedermeierliche Zeiten. Nein,
grundsätzlich wollen wir natürlich mitreden,
dagegen aufstehen. An und für sich möchten wir
unsere Meinung angeben. Vieles möchten wir
beseitigt wissen, am besten noch heute, gleich
... Und wir wollen eine Literatur, die die
Wirklichkeit kennt, die ebenfalls mitredet.
Aber gegenwärtig leisten wir uns einfach den
Luxus -
lesen: ein u-boot. lesen: reines vergnügen,
besser als badengehen und eisessen und
bergsteigen und tanzen und reisen. kein
besonderer ort, kein meer, kein berg, kein
ziel, nur das buch. oder die zeitung. bloß
buchstaben, zu geschichten geformt, zu
abenteuerlichen sätzen gefügt. logische sätze,
unlogische sätze. gewohntes, unbekanntes. harte
wörter. seichte worte. schönes, fremdes,
abgründiges. abenteuer im gehirn, im herzen.
zwischen den buchstaben wieder u-boote, u-boote
zwischen wort und wort: pausen. sich versenken.
lesen ist wie urlaub, einmal nichts sagen
wollen, die eigene meinung für sich behalten,
einmal nur zuhören, aufnehmen. ein wenig
abschweifen -
Weitere zwei Monate mit interessanten
Lesungen/Buchpräsentationen und
österreichischen sowie fremdsprachigen
Schwerpunkten. Im Juni ein
Skater-Literatur-Fest für Jugendliche,
gemeinsam mit der Stadtbücherei Innsbruck im
Colinhof: SkaterInnen lesen aus ihren Büchern.
Junge Leute, die Bücher kennen und mitmachen
wollen, können sich noch bei uns im
Literaturhaus melden! Die Sommerpause wird
eingeleitet mit einem Abend über Elfriede
Jelinek und mit Kofferinhalten von Gotthart
Kuppel (siehe Kleines Inn-Lesebuch). Wenn im
Juli und August dann die Pforten des
Literaturhauses verschlossen bleiben, kann es
sein, daß Sie uns antreffen: auf dem
Adolf-Pichler-Platz, der hoffentlich der
Adolf-Pichler-Platz bleibt, an einem Waldrand
der Umgebung, vor dem Museum, an der
Bushaltestelle, am Fluß. Mit einem Buch,
seltener mit einer Zeitung. Sie sehen dann eine
Leserin, einen Leser. Die verdichten gerade
Meinungen. Sie bereiten sich vor, denken nach.
Sie machen gerade Urlaub.
P.S. Informieren Sie sich gezielt über
kulturpolitisches Geschehen in Österreich, z.B.
mit der Homepage des Literaturhauses
Wien:Literaturhaus
Wien
Die beste Literaturseite Österreichs
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" ... aber
ich komme aus Wien."
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Lesung und Buchpräsentation Peter Henisch.
Aus dem neuen Roman: Schwarzer Peter (Residenz
2000). Eintritt frei.
"Sie werden lachen, aber ich komme aus Wien.
Auch wenn ich möglicherweise nicht ganz so
aussehe. Vienna. Austria. Europe. Ob Sie es
glauben oder nicht. Ich bin dort geboren und
habe meine ersten dreißig Jahre dort
verbracht."
Peter Henisch, "ein Sonderfall der
österreichischen Literatur" (Helmut Schödel,
Die Zeit), erzählt die Geschichte von Peter,
der nicht völlig schwarz, aber schwarz genug
ist. Etwas zu schwarz für die Verhältnisse, in
die er 1946 als Sohn einer
Straßenbahnschaffnerin und eines amerikanischen
Soldaten hineingeboren ist. Der Roman reicht
"aus der Enge der Nachkriegszeit über den
antiautoritären Geist der späten sechziger bis
zur Fremdenfeindlichkeit der neunziger Jahre"
(Die Presse). Ein Buch über Vielfalt und
Anderssein, ein Thema von brennender
Aktualität. Peter Henisch (Jg. 1943) war
Gründungsmitglied von wespennest, Texte und
Sänger der Musikgruppe Wiener Blut und arbeitet
seit 1989 mit den Jazzmusikern W. Schabata und
H. Zinkl. Autor zahlreicher Romane und
Erzählungen, zuletzt Amerika landete und Kommt
eh der Komet (Residenz 1994 und 1995).
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Das Unerklärliche erklären |
Montag, 8. Mai, 20 Uhr:
Lesung und Buchpräsentation Jürg Amann / A.T.
Schaefer:
Kafka (Haymon 2000).
Eintritt frei.
Der Schriftsteller Jürg Amann und der
Photograph A.T.Schaefer setzen sich, im Bereich
ihres jeweiligen künstlerischen Ausdrucks, mit
dem Verhältnis von Leben und Schreiben Franz
Kafkas, eines unerbittlichen, konsequenten
Künstlers auseinander. Amanns Text, vor 20
Jahren bei Piper erschienen und längst
vergriffen, versucht "das Unerklärliche zu
erklären", wie Kafka in seinem
"Prometheus"-Mythos schreibt. Der Bild-Essay
von Schaefer lotet die Grenze zum nicht mehr
Darstellbaren aus. A.T. Schaefer (Jg. 1944)
stammt aus Westfalen und hat Malerei und Design
studiert. Seit 1981 hauptsächlich als
Photograph tätig, zahlreiche Ausstellungen und
Bücher. J. Amann (geb. 1947 in Winterthur),
freier Schriftsteller und Träger literarischer
Auszeichnungen, hat eine Dissertation über
Franz Kafka geschrieben. Zahlreiche
Publikationen, zuletzt Rondo Erzählungen (1996)
und Ikarus. Roman (1998).
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Die Maccheroni sind das Totem der
neapolitanischen Gemeinschaft |
Donnerstag,11. Mai, 20 Uhr:
Zweisprachige Lesung Italienisch und Deutsch;
Buchpräsentation Marino Niola: Totem und Ragù.
Neapolitanische Spaziergänge (Luchterhand
2000). Mit Beiträgen der Übersetzer Anton
Holzer und Benedikt Sauer.
Eintritt frei.
Marino Niola, Dozent für Ethnologie an der
Universität von Neapel und Autor
anthropologischer Bücher, in Neapel geboren und
aufgewachsen, führt die Leser in einer Sammlung
von Essays auf Spaziergängen durch seine Stadt,
in ihre Zentren, Vororte, Friedhöfe und
Untergründe. Wir erfahren etwas über die
anthropologischen Grundlagen der Pasta und über
die Mamma als zentrale Institution der
süditalienischen Gesellschaft. Camorra, Mamma,
Maccheroni - Totem und Ragù ist ein
Vielgängemenü, seine Happen sind mit Ironie
gewürzt, sie machen Appetit auf mehr und haben
Biß. Von Anton Holzer und Benedikt Sauer
vorbildlich übersetzt, ist dies ein Buch für
Italiensehnsüchtige und Liebhaber
intelligenter, barocker, tiefgründiger
Gedankenspiele: Eine Annäherung an die
Wirklichkeit einer Stadt abseits der Klischees
von Schmutz, Armut, Korruption und protzig zur
Schau getragenem Reichtum.
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"wer bin ich, wenn ich nicht
schreibe..." |
Montag, 29. Mai, 20 Uhr:
Rose Ausländer, Gedichte.
Gelesen von Ilse M. Seifried.
Elfriede Pöder führt ein Literaturgespräch mit
Ilse M. Seifried über Rose Ausländer. (Reihe
Jüdische Themen)
Eintritt frei.
Rose Ausländer ist 1901 in Czernowitz geboren
und 1988 in Düsseldorf gestorben. Zwischen
diesen beiden Daten erstreckt sich ein von
starken Bewegungen, von Vertreibung und
Abschied gezeichnetes Leben: Flucht, Neubeginn,
Veränderung, kraftvoller Versuch und wieder
Flucht - das sind nur einige schwache Begriffe
für einen Weg von der Bukowina über Wien nach
New York und wieder zurück, nicht nur einmal.
Parallel dazu Erfahrungen von Elend, Hunger und
Tod der Ghettos, von Erfahrungen des
Weiterlebens und doch Getriebenseins, des
ewigen Fremdseins. "Schreiben war Überleben",
schrieb R. Ausländer wohl in dem Bewußtsein,
durch das Schreiben ihren eigenen psychischen
Tod verhindert zu haben. Die Wiener Lyrikerin
und Literaturvermittlerin Ilse M. Seifried (Jg.
1956), stellt in einer Auswahllesung das
lyrische Werk Rose Ausländers vor, ein
Literaturgespräch mit Elfriede Pöder gibt
Einblick in das Leben und in die literarische
Entwicklung der Dichterin.
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Zwei Meistererzählungen aus
Rußland |
Dienstag, 6. Juni, 20 Uhr: Zweisprachige
Lesung Russisch und Deutsch; Buchpräsentation
Olga Sedakova: Reise nach Brjansk. Zwei
Erzählungen (Folio 2000).
Mit einer Einführung des Übersetzers Erich
Klein.
Eintritt frei .
In den beiden Erzählungen des kleinen Bandes
skizziert die wohl berühmteste lebende
russische Dichterin anhand zweier entscheidend
zeitverschobener Reisen das klassische
Verhältnis von Geist und Macht. Die
titelgebende Erzählung charakterisiert die
Sowjetunion kurz vor ihrem Niedergang und
beschreibt eine Provinzgesellschaft voll
Skurrilitäten und Fantastereien. Reise nach
Tartu und zurück führt eine Gruppe russischer
Intellektueller von Moskau nach Estland zum
Begräbnis des großen Literaturwissenschaftlers
Jurij Lotman: Symbol für den Abgesang einer
großen Epoche - jener der sowjetischen
Dissidenz und des verbindenden
Selbstverständnisses von Demokratie und der
Vorstellung vom Westen. Olga Sedakova ist 1949
in Moskau geboren, Professorin für
Literaturtheorie an der Russischen
Staatsuniversität, seit 1991 zahlreiche
Gastprofessuren und Vorträge in Europa und den
USA. Sedakova ist Lyrikerin und Übersetzerin,
zahlreiche Buchveröffentlichungen (in mehrere
Sprachen übersetzt) und Literaturpreise. Die
Einführung eines ihrer Übersetzer, Erich Klein,
wird dazu beitragen, daß die Begegnung mit
dieser Autorin zu einem Erlebnis wird.
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Burgenland trifft Tirol |
Mittwoch, 7. Juni, 20 Uhr:
Schriftbilder. Portraits und Texte aus dem
Burgenland (Bibliothek der Provinz 1999).
Mit Lesungen von El Awadalla, Karin Ivancsics,
Andreas Novosel und Jakob Michael Perschy.
Kurzvortrag zur gegenwärtigen Literatur im
Burgenland von Barbara Tobler (Literaturhaus
Mattersburg) und einer Fotoausstellung
Burgenländische AutorInnen von Hans
Wetzelsdorfer.
Eintritt frei.
Während in Tirol 1999 der Literatur
Hauskalender mit Präsentationen von 53
SchriftstellerInnen erschienen ist, hat das
Literaturhaus Mattersburg zur selben Zeit eine
Anthologie mit Fotos und Texten zur
burgenländischen Gegenwartsliteratur
herausgegeben - eine bemerkenswerte Publikation
unter mehreren Gesichtspunkten. Zum einen
stellen die Fotografien von Hans Wetzelsdorfer
einen eigenwilligen Zugang zur Welt der
Literaten dar. Zum anderen erhalten die
LeserInnen einen hervorragenden Einblick in die
literarische Vielschichtigkeit, in die Qualität
und den Abwechslungsreichtum der Burgenländer.
Jetzt werden Kostproben geboten: Es lesen El
Awadalla (geb. 1956, Texte, Dialektgedichte,
Bierdeckellyrik, Theaterstücke); Karin
Ivancsics (geb. 1962, zahlreiche
Veröffentlichungen in Anthologien, Prosabände);
Andreas Novosel (geb. 1948, Lyrik, Kurzprosa,
Märchen & Fabeln, in kroatischer und
deutscher Sprache) und Jakob Michael Perschy
(geb. 1960, publizierte im Rundfunk und in
verschiedenen Zeitschriften).
Der Fotograf und Barbara Tobler, Leiterin des
Literaturhauses Mattersburg, geben Auskunft zur
Szene. (Die Parallelveranstaltung Tirol trifft
Burgenland mit einer Ausstellung von Porträts
Tiroler AutorInnen und Lesungen findet in
Mattersburg am 26. Mai 2000 statt.)
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Lesen Skater? Skater lesen! |
Mittwoch, 21. Juni, 15.30 bis 20 Uhr:
Literatur-Jam im Colinhof.
5 Skaterinnen und Skater lesen aus ihren
Büchern vor. Dazu Fest mit DJ und
Graffitti-Wand (gemeinsam mit der Stadtbücherei
Innsbruck).
Eintritt für alle Jugendlichen und
Erwachsenen frei. .
Sie stehen bei der Markthalle, sie lungern vor
dem Museum, sie fetzen über Straßen und
Gehsteige, drehen kunstvoll und springen
halsbrecherisch: die Jugendlichen mit den
nämlichen Bretteln, über die dann in
Fachgeschäften oder vor einschlägigen Videos
auch entsprechend gefachsimpelt wird. Was man
im allgemeinen nicht sieht: Skaterinnen und
Skater nehmen zuweilen auch ein Buch zur Hand.
Zum Beispiel anläßlich des Literatur-Jams im
Colinhof, wo allerdings nicht nur vorgelesen,
sondern mit Musik, Farben und Quarter Pipe auch
ordentlich gefeiert wird. Daß sich beides
verbinden läßt, daß Bretteln und Buchdeckel
einander nicht ausschließen müssen, das werden
einige Jugendliche vor versammelter
Gesellschaft vorführen: mit jenen Geschichten,
die ihnen in letzter Zeit am besten gefallen
haben. Vielleicht ist die eine oder andere
Skateboard-Kuriosität dabei.
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"Natur bin ich, erinnere daher oft an
Kunst". |
Freitag, 30. Juni, 20 Uhr:
Öffentlicher Vortrag Dr. Sieglinde
Klettenhammer (Institut für Germanistik)
Eintritt frei. .
Elfriede Jelineks Auseinandersetzung mit
Liquidationen des Lebendigen. Im Rahmen der
Ringvorlesung am Institut für
Erziehungswissenschaften zum Thema: Die
Gegenwart der Zukunft des menschlich
Lebendigen. Das Literaturhaus am Inn zeigt dazu
Fotografien von Elfriede Jelinek in Innsbruck
1969. Eintritt frei Vor dem Hintergrund des
Unbehagens an einer
mechanistisch-technizistischen Einstellung zum
Lebendigen und an der technischen
Reproduzierbarkeit der Natur hat sich seit den
70er Jahren auch die Literatur wieder verstärkt
dem Thema Natur zugewandt. Im Unterschied zur
ökologischen Naturästhetik, die die
sinnlich-ekstatische Naturerfahrung ins Zentrum
rückt und Natur als nicht
entfremdeten(Selbst-)Erfahrungsraum neu
entdeckt, steht in den provokanten Texten
Elfriede Jelineks die ideologiekritische
Entmystifizierung des Natur-Begriffs mit den
Mitteln der Satire im Vordergrund. Die
Auseinandersetzung mit dem Roman Die Kinder der
Toten (1995) und dem Drama Ein Sportstück
(1999) soll sichtbar machen, daß Jelineks
sprachkritische Durchquerung des
Natur-Diskurses vor allem auch eine
Durchquerung des Todes ist, weil sich die
gesellschaftliche Rede über Natur als
synthetisches Produkt erweist, das
Herrschaftsverhältnisse verschleiert und Bilder
kreiert, die auf Verdrängung der Geschichte und
auf die Vernichtung des Subjekts ausgerichtet
ist.
Dr. Sieglinde Klettenhammer (Jg. 1957) ist
Assistentin am Institut für Germanistik,
zahlreiche Veröffentlichungen und Vorträge zur
österreichischen Literatur und zur regionalen
Literaturdebatte.
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