Literaturhaus am Inn

Programm Jänner–Februar 2001

Editorialweniger ist mehr

Nicht selten hören die Mitarbeiterinnen des Literaturhauses Sätze wie: "Ihr macht aber zur Zeit viel!" Je nach GesprächspartnerIn klingt dies erstaunt, bewundernd oder entschuldigend, dann und wann ist auch ein Hauch von Vorwurf beigemischt ... Zuviel Literatur? Dabei haben wir mehr vorbereitet als tatsächlich durchgeführt. Drei Beispiele: Ein Japan-Schwerpunkt war geplant, scheiterte aber an den mangelnden Geldmitteln (weshalb der Kollege auf dem Bild (Programmheft - Titelbild) eingefroren wurde, vielleicht geht er in einigen Jahren weiter in Richtung Literaturhaus, vielleicht kommt er dort glücklich an). Ein Vergleich der österreichischen, deutschen und französischen Literatur der 90er Jahre in Hinblick auf das Thema Shoah - in prominenter Besetzung - war schon beinahe eingefädelt. Die Durchführung scheiterte an den zu knapp vorhandenen Geldmitteln, weshalb im Jahr 2000 stattdessen die bescheidenere Reihe jüdische Themen realisiert wurde.
50 Jahre Jugendkulturwoche - dieses für die Kultur der Stadt Innsbruck wichtige Jubiläum hätte mit einer Reihe klingender Autorennamen gebührlich gefeiert werden wollen, das Geld hat nicht gereicht. Man sieht, nicht nur quantitativ, auch qualitativ wäre einiges mehr möglich. Wir machen aus der Not eine Tugend: Das Literaturhaus wird im laufenden Jahr deutlich weniger Einzellesungen anbieten. Dafür wird unser Publikum zu drei Themenblocks geladen:

Literatur als Ware -
mehrere Abende unter Mitwirkung des Schriftstellers Hans Augustin: Die Literatur hat heute in Sparzeiten mehr denn je einen schweren Stand. Autorinnen und Autoren schreiben, doch können sie manchmal ihre Produkte nicht verkaufen. Zahllose gute Bücher mit noch viel mehr wichtigen Gedanken kommen entweder gar nicht unter die Leute, oder verstauben in den Lagern der Verlagshäuser. Wir bieten daher konkrete Hilfestellung an: Es wird vorausgedacht und analysiert, um der Ware Literatur zu ihrem Recht zu verhelfen: Literaturmarketing: etwas für Literaten? Analyse der Mechanismen von Lektoraten. Wie veranlasse ich meinen Verlag zur bestmöglichen Vermarktung meines Buches? Selbsthilfe: Ideen zur Imageverbesserung von Literatur im Zeitalter neuer Medien Buchhändler: Was ist ein Buch, das sich verkauft?

Wiedergehört -
die besten deutschsprachigen Hörspiele in einer Serie, unter Mitwirkung von Martin Sailer - ORF Tirol: Das Hörspiel-Archiv des ORF beherbergt zahlreiche Schätze deutschsprachiger Hörspielkunst. Martin Sailer erhebt die besten Hörspiele nach 1950 und bringt sie dem Publikum zu Gehör. Das Literaturhaus lädt heimische und auswärtige Autorinnen und Autoren ein und fordert zu einer literarischen Auseinandersetzung mit dem Thema eines Hörspiels, mit dem Autor eines Hörspiels oder mit dem Hörspiel als Gattung auf: eine zwanglos geistreiche Bereicherung aus der Perspektive heute Schreibender.

Literatur-Schätze Tirols -
Neubegegnung mit Beständen des Brenner-Archivs in einer Serie: Forschungsprojekte des Brenner-Archivs werden neu bewertet und für ein allgemeiner interessiertes Publikum präsentiert. Kuriose Aspekte und Begebenheiten, Wissenswertes, das unbekannt geblieben ist, sowie Zugänge durch andere Künste (Musik, Malerei, Architektur etc.) rücken Vergangenes ins Blickfeld der Gegenwart: Carl Dallago, Georg Trakl, Rainer Maria Rilke,
Grete Gulbransson, Ludwig Wittgenstein, Josef Leitgeb, die Exl-Bühne u.a. Zu zweien der Themen-Blocks finden Sie in diesem Programm erste Veranstaltungen, daneben Lesungen und 1 Film - zur Zeit noch bei freiem Eintritt.
Ob dies so bleiben kann, entscheiden nicht wir.


P.S. Informieren Sie sich gezielt über kulturpolitisches Geschehen in Österreich, z.B. mit der Homepage des Literaturhauses Wien:Literaturhaus Wien
Die beste Literaturseite Österreichs

Wiens fröhliches Wohnzimmer

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Mittwoch, 17. Jänner, 19 Uhr
Ilse Kilic und Erika Kronabitter lesen aus ihren neuen Büchern. Das fröhliche Wohnzimmer stellt sich vor.

Eintritt frei

Das fröhliche Wohnzimmer, eine literarische Initiative mit reichhaltiger und immer Überraschung bescherender Verlagstätigkeit hat Erika Kronabitters ersten Prosaband herausgebracht. Ich auf Chios, mit dieser ironisierten Bildbeschriftung aus dem privaten Album, aus der Urlaubs-Diashow wird die Perspektive signalisiert, in der Kronabitters Chios-Kiosk seine Rolläden öffnet. Ein schreibendes Ich findet sich in tagebuchartigen Aufzeichnungen zwischen sanftem Tourismus und harter Autorinnen-Realität, zwischen Kitsch und Lektüre. Damit ist ein weiteres typisches Wohnzimmer-Buch (Reihe mitnichten 3, hrsg. von Petra Nachbaur) erschienen. Gleichzeitig hat Wohnzimmer-Mitbegründerin und experimentelle Literatin Ilse Kilic im Ritter Verlag ein neues Buch in die Welt gesetzt, Die Rückkehr der heimlichen Zwei. Anlässe genug, um sowohl zwei Autorinnen mit ihren Neuerscheinungen als auch das Konzept der Edition Wohnzimmer in Innsbruck vorzustellen. Ilse Kilic, die nicht nur mit Texten, sondern auch mit Film, Bild, Comics u.a. arbeitet und bereits eine stolze Reihe von Publikationen, Tonarbeiten und Filmen aufzuweisen hat, wird ihre Präsentation mit Diaprojektionen begleiten.

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Kurt Neumann liest

Mittwoch, 31. Jänner, 20 Uhr:
Mit einer Situationsanalyse zur Literatur in Österreich von Kurt Neumann und Ferdinand Schmatz.

Eintritt frei.

Nachträglich zu seinem 50. Geburtstag und zum 25jährigen Gründungsjubliäum des Literarischen Quartiers Alte Schmiede in Wien und ungeachtet seiner Selbstdefinition Ich bin ein Sonntagsschriftsteller laden wir Kurt Neumann ein, in Innsbruck in erster Linie als Autor aufzutreten. Freilich ist Neumann in Österreich vornehmlich als Literaturveranstalter bekannt, hat er doch die Hälfte seines Lebens die Alte Schmiede, Wiens erste Leseadresse, geleitet und in dieser Funktion etliche Kulturpolitiker überdauert. Mehr als 3.500 literarische Veranstaltungen sind von ihm ausgegangen. In der kulturellen Öffentlichkeit stand Neumann immer wieder als Präsentator literarischer Texte anderer und als kritischer Geist vorne. Daneben publizierte er seit 1982 eigene Texte in Literaturzeitschriften, u.a. in Neue Rundschau, manuskripte, Wespennest und protokolle, sowie in Anthologien zur österreichischen Literatur. Gemeinsam mit Autoren wie Walter Grond, Yoko Tawada und Ludwig Fels Mitwirkung am Kollektivroman: Grond. Absolut Homer (Literaturverlag Droschl 1995). Einzelpublikationen: Gegen Weinen gegen Klagen gegen Hoffen gegen Zagen. Oratorium für Sprechmedium (wdr 1986); Aus dem Übungsheft zur Unterhaltungsliteratur (Edition Splitter 1992); Herausgabe von: Lesungsbilder (Picus 1995). Der Schriftsteller Ferdinand Schmatz (zuletzt: das grosse babel,n, Haymon 1999) wird sich mit Kurt Neumann über das Schreiben, über die momentane Situation in diesem Lande und über die gegenwärtige Lage der Autoren Österreichs unterhalten.

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Das Politische, das Soziale, das Künstlerische

Freitag, 2. Februar,
16 Uhr Lesungen,
18 UhrDiskussion.
Im Tiroler Kunstpavillon.
Carl Dallago: Im Anfang war die Vollendung (Haymon 2000).
Tiroler PolitikerInnen lesen aus Schriften Carl Dallagos. Buchpräsentation als öffentliche Diskussion zum Thema: Künstler als Widersacher der Mächtigen. Diskussionsleitung: Walter Methlagl. Eintritt frei.

Eintritt frei.

Im Brenner-Archiv ist kürzlich eine Publikation erschienen, die in mehreren großen Zeitungen wie FAZ und NZZ positive, geradezu begeisterte Reaktionen wachgerufen hat: Es sind Carl Dallagos Essays zur Politik, insbesondere zum Mussolini-Faschismus, seine Aufsätze zur bildenden Kunst, seine Lyrik und Mystik. Warum soll man Dallago heute noch (heute wieder) lesen? Was macht die Aktualität seiner Texte aus?
Dallago war ein Südtiroler Denker, der durch seine Kulturkritik in der Nachfolge Nietzsches, durch seine ausgeprägte Naturphilosophie und durch sein Bild des Künstlers als Außenseiter der Gesellschaft von etwa 1910 bis in die 40er Jahre hinein in Tirol und weit darüber hinaus bekannt wurde. Die Innsbrucker Zeitschrift Der Brenner war über Jahre hinweg sein wichtigstes Publikationsorgan, Ludwig von Ficker ein Förderer und Gesprächspartner. Durch seine Analysen, durch die Anprangerung kirchlicher und politischer Mißstände, aber auch durch sein von östlicher Mystik geprägtes Weltbild wurde er zum Rufer und Mahner, zum Paria, dem außenstehenden und kompromißlosen Künstler, zum Widersacher der Macht.
Eine Buchpräsentation der anderen Art:
Eva Lichtenberger (NR-Abgeordnete der Grünen), Wilfriede Hribar (Vorsitzende des Kulturausschusses im Tiroler Landtag), Herbert Prock (Landeshauptmannstellvertreter in Tirol, SP) und Hilde Zach, Vizebürgermeisterin der Stadt Innsbruck stellen in einer Nachmittagslesung Texte Dallagos vor und sich selbst anschließend zur Diskussion mit bildenden Künstlern, Literaten und dem Publikum.


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Land ohne Eigenschaften

Donnerstag, 8. Februar, 19 Uhr
Ein Dokumentarfilm von Harald Friedl zur österreichischen Seele, aufgrund der Einschätzung österreichischer Literaten. Lesungen zum Thema von Barbara Neuwirth und Norbert Silberbauer. Mit einem Kommentar von Harald Friedl und Daniel Pöhacker, mit einem Text Harald Friedls zu den Arbeiten der lesenden Autoren.
Eintritt frei.



Robert Schindel, Anna Mitgutsch, Raoul Schrott, Marianne Gruber, Robert Menasse, Barbara Neuwirth, Rolf Schwendter, Norbert Silberbauer, Peter Turrini u.v.a.: österreichische SchriftstellerInnen im Medium Film, zu einem Thema, das die österreichische Literatur immer schon (auch) bestimmt. Gedanken und Fragen, poetische Assoziationen, Ernstes und Humorvolles, klare Aussagen und ein Sich-Annähern - der oberösterreichische, in Salzburg, Wien und Mitterretzbach lebende Regisseur Harald Friedl (Jg. 1958) läßt die Literatur zu Wort kommen und setzt das Wort filmisch um. Friedl, langjähriger Mitarbeiter am Institut für Alltagskultur in Salzburg, von 1991-1993 Leiter des Literaturhauses Salzburg, Rocksänger, Texter und Autor von Der Schwanz: Männer über ihr Geschlecht, arbeitete wiederholt als Regisseur (derzeit neue Produktion Die Farben des Wassers). Der Haller Filmautor, Regisseur und Cutter Daniel Pöhacker (Jg. 1966) hat den Filmschnitt von Land ohne Eigenschaften beratend begleitet und supervidiert. Barbara Neuwirth wandert in ihrer schriftstellerischen Arbeit in den Grenzbereichen zwischen Traum und Wirklichkeit, Norbert Silberbauer dagegen ist ein Grenzgänger zwischen Selbstbehauptung und Selbstverlust. Das Schreiben beider Autoren kann als exemplarisch für eine Zeit gelten, in der das Individuum sich auf nichts mehr verlassen kann, nicht einmal auf sich selbst. Im Risiko des permanenten Grenzganges liegt die Chance, zu sich selbst zu kommen.


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Mitterer - und sonst nichts!?

Donnerstag, 22. Feber, 20 Uhr:
Podiumsdiskussion mit Klaus Rohrmoser, (Leiter des Schauspiels am Tiroler Landestheater), Margit Drexel (Theatergruppe Inzing) Andreas Hauser (echo), Anders Linder (Stadttheater Innsbruck), angefragt Markus Völlenklee (Volksschauspiele Telfs). Leitung der Diskussion: Hans Augustin. (Schwerpunkt Literatur als Ware).

Eintritt frei.

Mitterer ist ein Synonym für Tiroler Theater. Mitterer ist der meistgespielte Autor im deutschsprachigen Bühnenraum. Mitterer ist mittlerweile ein eingeführter und eingespielter Markenname.
Daß unter dem Markennamen Mitterer im vergangenen Schauspielsommer ca. 8 Stücke auf Tiroler Bühnen zu sehen waren, fiel auch Journalisten des Tiroler Magazins ECHO auf. Und sie haben zu diesem Thema einen brisanten Artikel geschrieben:
Mitterer - und sonst nichts.
Die Theaterszene in Tirol, so ist dem Artikel zu entnehmen, tut so, als gäbe es nur die Marke Mitterer. Dabei könnte auf mehr als ein Dutzend bühnentauglicher Texte zugegriffen werden. Warum fortwährend darauf verzichtet wird und warum sich das Angebot mit Mitterer begnügt, will diese Podiumsdiskussion wenigstens in Ansätzen zur Sprache bringen.

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