Literaturhaus am Inn

Programm März–April 2002

EditorialLesen Sie ruhig

Die Pisa-Studie hat in den letzten Wochen für heftige Diskussionen gesorgt – vor allem bei unseren deutschen Nachbarn, die ein gutes Stück hinter den Österreichern gelandet sind, was das Bildungsniveau der Schülerinnen und Schüler betrifft. Die heimischen Bildungspolitiker durften sich also auf die Schultern klopfen: Man befindet sich unter den Top 10 der Welt und ist sogar Nummer 1 in der EU! Ein kleiner Wermutstropfen trübt allerdings das Bild: Unter den Österreichischen Jugendlichen hat ein außerordentlich hoher Anteil gar kein Interesse am Lesen – in dieser Hinsicht haben wir vor allen anderen die Nase vorn. Wenn man auf Besserung sinnt, stellt sich rasch der Gedanke ein, dass die Liebe zum Lesen möglichst früh geweckt werden sollte. Gute Kinderbücher braucht es also, um der Bilderflut der übrigen Medien oder einfach dem Desinteresse etwas entgegenzusetzen. Dass Kinderbücher tatsächlich eine das Denken, Fühlen und Leben beeinflussende Kraft haben können, beweist unter anderem die Aufmerksamkeit, welche der Tod von Astrid Lindgren, der Schöpferin von Pippi Langstrumpf, erregt hat. Er war dem Fernsehen und der Tagespresse europaweit eine Schlagzeile wert. Zu viele von uns sind ein wenig auch an der Seite von Pippi herangewachsen, als dass nicht ein weit verbreitetes Gefühl vorhanden wäre, Astrid Lindgren für ihre Kinderdichtung einen Dank zu schulden. Was immer man von der Zukunft des Lesens jenseits von Kinderbüchern und deren positiver Wirkung denken mag, eines kann mit Sicherheit angenommen werden. Es wird immer Menschen geben, die gern und viel und gut lesen, die happy few, an die Stendhal als Leser seiner Bücher dachte, und für die wir nicht zuletzt unser Programm machen. Dazu passt auch, dass wir diesmal an Robert Musil erinnern, einen Dichter, dessen Roman Der Mann ohne Eigenschaften eines der in Österreich am meisten empfohlenen Bücher ist (es steht zumindest auf Platz 5 der jüngsten Profil-Umfrage-Liste der „50 Klassiker fürs Leben“!). Zugleich ist es ob seiner Komplexität wahrscheinlich eines der am wenigsten gelesenen Bücher. Erinnern wir uns also anlässlich seines 60sten Todestages an diesen Dichter, der aus Missmut über das mangelnde Interesse seiner Zeitgenossen einen Band mit Prosaschriften unter dem Titel Nachlass zu Lebzeiten veröffentlicht hat. Auch bezogen auf Tirol gibt es einen heute kaum Gelesenen wieder zu entdecken, und zwar Josef Leitgeb, dem aus Anlass seines 50. Todestages ein Themenabend gewidmet ist. Willkommen! Seien Sie einmal mehr bei uns.

Kontroversen. Eine neue Veranstaltungsreihe des Brenner-Forums

Unter dem Titel Kontroversen im Brenner-Forum wird mit Jänner 2002 eine neue Gesprächs-Reihe eröffnet, die künftig drei- bis viermal im Semester über wichtige Bücher aus den Bereichen Literatur / Philosophie / Theologie / Politikwissenschaft / Kunst, auch aus den Grenzbereichen zwischen Natur- und Geisteswissenschaften informieren und dabei nach Möglichkeit unterschiedliche Standpunkte berücksichtigen soll. Die Reihe begann mit einer Diskussion über das Buch Kampf der Kulturen von Samuel P. Huntington.
Neuer Termin: Dienstag, 12. März, 20.00 Uhr

Dialog: Naturwissenschaften – Geisteswissenschaften – Gesellschaft
Impulsreferate von: Dr. Monika Seekircher (Brenner-Archiv) Dr. Silvia Prock (Büro für Öffentlichkeitsarbeit an der Universität Innsbruck)
Eine Diskussion über die Möglichkeiten zu einem Dialog zwischen Natur- und Geisteswissenschaften einerseits und Wissenschaft und Öffentlichkeit andererseits. Seekircher wird am Beispiel von Ludwig Wittgenstein und Erwin Chargaff zeigen, wie die Beschäftigung mit Geistes- und Naturwissenschaften zu neuen Einsichten führen kann, um so die von C. P. Snow in seinem Buch Die zwei Kulturen angesprochene tiefe Kluft zwischen den Natur- und den Geisteswissenschaften zu überwinden. Prock spricht über ihre Praxis als Öffentlichkeitsarbeiterin an der Universität Innsbruck und ihre Erfahrungen mit Wissenschaftlern und der Öffentlichkeit. Wo: Literaturhaus am Inn.

P.S. Informieren Sie sich gezielt über kulturpolitisches Geschehen in Österreich, z.B. mit der Homepage des Literaturhauses Wien: Literaturhaus Wien
Die beste Literaturseite Österreichs

Lesung mit Joseph Zoderer

Platzhalter

Donnerstag, 7. März, 20 Uhr
Buchpräsentation und Lesung mit Joseph Zoderer aus seinem Roman Der Schmerz der Gewöhnung (Hanser 2002). Mit einer Einführung von Sigurd Paul Scheichl (Institut für deutsche Sprache, Literatur und Literaturkritik).

willige Spenden

Der Roman wird von einer persönlichen Spurensuche zur Chronik eines Landes und eines Jahrhunderts. In der Geschichte Juls und seiner Familie spiegelt sich die Geschichte Italiens zwischen dem Faschismus Mussolinis und dem Aufbruch der Revolte von 68, bis hin zu einer Gegenwart, die von der Vergangenheit nichts mehr wissen will. Josef Zoderer, geb. 1935 in Meran, lebt als freier Autor auf einem Bauernhof in Südtirol. Sein Werk wurde mit internationalen Preisen ausgezeichnet, u.a. erhielt er die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung 2001. Veröffentlichungen, erschienen bei Hanser: Das Glück beim Händewaschen (1982), Die Walsche (1982), Lontano(1984), Dauerhaftes Morgenrot (1987) und Das Schildkrötenfest (1995).

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Das ungleiche Quartett

Montag, 11. März, 20 Uhr
Jürg Beeler präsentiert sein neues Buch Die Liebe, sagte Stradivari (Haymon 2002). Mit einer Einführung von Michael Forcher.

willige Spenden.

Der von Beelers virtuoser Sprachkunst getragene Roman erzählt nicht nur von den amourösen Verwicklungen seiner Figuren, sondern ist zugleich ein großer Essay über Liebe und Leidenschaft, ein Buch über Bücher, über Musik und Kunst, über Zeit und Vergänglichkeit, ein Spiel mit Kunst und Wirklichkeit. Jürg Beeler, geb. 1957 in Zürich, lebt dort als freier Schriftsteller; zahlreiche Preise u.a. Erwin-Jaeckle-Preis der Goethe-Stiftung in Basel, 1994 1. Förderungspreis beim Lyrikpreis Meran, 1997 Literaturpreis des Kantons Solothurn. Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien. Bücher: Tag, Steinfaust, Maulschelle, Tag. Gedichte (1986), Blues für Nichtschwimmer. Roman (1996), Das Alphabet der Wolken. Roman (1998). --

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Ein Fest für Walter Methlagl

Donnerstag, 14. März, 20 Uhr
Präsentation des neuen Buches von Walter Methlagl Bodenproben . Kulturgeschichtliche Reflexionen (Haymon 2002).

Eintritt frei.

Anlässlich des 65. Geburtstags des Autors vom Forschungsinstitut Brenner-Archiv herausgegeben, wird das Buch an diesem Abend Walter Methlagl überreicht. Es stellt eine Bilanz der jahrelangen wissenschaftlichen, insbesondere kulturgeschichtlich orientierten Arbeit dar. Literatur ist Element eines gesamtkulturellen Prozesses; Texte sind nur der sprachlich kristallisierte Teil all jener Formen, die eine Kultur als gemeinschaftliches Handeln und als dessen Ergebnisse hervorbringt. --


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Weggesperrte

Montag, 18. März, 20 Uhr
Cornelia Peschko liest aus Christine Lavants Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus (Otto Müller 2001). Mit einer kurzen Einführung durch die Herausgeberinnen Annette Steinsiek und Ursula A. Schneider.


willige Spenden.

Christine Lavants Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus reichen in eine Zeit, die sie selbst als Patientin dort freiwillig verbrachte. Es ist ein Zeugnis erschütternder Eindrücke verrückter Gesichter des Zornes, bodenloser Einsamkeit, Erniedrigung und gespensterhafter Gebärden des Seins und des Nicht-Seins. Die Berührung mit all diesen der Welt abhanden gekommenen Geschöpfen wirft sie gnadenlos zurück in die Zerstörungswut ihrer eigenen unerhörten Liebe. Und während sie an ihrer Einsamkeit erstickt, lässt sie ihr weit aufgerissenes Herz das Wesen aller Verdunkelung in sich aufnehmen, lässt es ein solch kraftvolles Zeugnis ihres Schauens auf Dinge und Menschen ablegen – ein wahres Requiem. (Cornelia Peschko) Cornelia Peschko, Schauspielerin und Regisseurin in Deutschland. 1990 gründete sie in Bonn ein Theater für experimentelles Arbeiten. Zusammenarbeit mit Komponisten, Inszenierungen im Bereich Musiktheater, enger Kontakt zum Tanz. Ist inzwischen spezialisiert auf die Interpretation von Lavant-Texten; es entstand ein Theaterstück über Christine Lavant, seit Jahren zahlreiche Lesungen in Österreich und Deutschland.


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Magie Kinderbuch – Stiefkind Kinderbuch [Schwerpunkt Kinderliteratur]

Podiumsdiskussion mit Erhard Dietl, Hubert Flattinger, Adele Sansone und Brigitte Weninger. Impulsreferat und Diskussionsleitung: Nils Jensen.

willige Spenden.

Es ist besonders schwierig, gute Literatur für Kinder zu produzieren, es ist aber auch schwierig, gute Kinderliteratur im Literaturbetrieb durchzusetzen. Unter dem Motto Kinderbuch ist Kunst setzt sich Nils Jensen mit dem Thema Magie des Kinderbuches oder Über die Schwierigkeit, für Kinder zu schreiben auseinander. Anschließend werden fünf Vertreter bzw. Kenner der Kinderbuchszene der Frage Das soll Kunst sein? – Stiefkind Kinderbuch nachgehen. Der Abend steht in Zusammenhang mit einem größeren Kinderbuchschwerpunkt in Innsbruck, gemeinsam mit dem Radio Kulturhaus und der Landesjugendbücherei.

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Josef Leitgeb – zum 50. Todestag des Dichters

Mittwoch, 10. April 9 Uhr:
Univ.-Prof. Dr. Johann Holzner: Die ferne Welt der Kindheit. Josef Leitgebs Gratwanderung zwischen Goethe, Trakl und Friederike Mayröcker.
Öffentliche Vorlesung. 9.00–10.30 Uhr, Universität Innsbruck, Geisteswissenschaftliche Fakultät, hs 6
20 Uhr, Literaturhaus: Ein Fest mit Statements, einer Lesung, einer Computerinstallation und Musik.

Eintritt frei.

Josef Leitgeb, geboren 1897 in Bischofshofen, 1899 Übersiedlung nach Innsbruck. Erste Veröffentlichungen in den zwanziger Jahren, seit 1922 Lehrer an einklassigen Dorf-Volksschulen in Tirol, ab 1929 Hauptschullehrer in Innsbruck. Nach dem Krieg Stadtschulinspektor in Innsbruck, seit 1946 Präsident der Innsbrucker Volkshochschule. Gleichzeitig intensive literarische Tätigkeit, die ihn zu einer zentralen Figur im literarischen Leben Tirols werden läßt. 1950 erhält er den ersten Österreichischen Staatspreis für Literatur. Josef Leitgeb stirbt am 9. April 1952, am 11. April wird er in Mühlau begraben.

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Begegnungen mit Robert Musil

Montag, 15. April bis Donnerstag, 18. April
Begegnungen mit Robert Musil.
siehe Innlesebuch - Link auf der Startseite!


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Wortverbunden – Zeitbedingt

Montag, 22. April, 20 Uhr
Präsentation des Sammelbands Wortverbunden – Zeitbedingt durch die Herausgeber Wolfgang Hackl (Perspektiven der Zeitschriftenforschung) und Kurt Krolop (Vortrag: Paul Engelmann, Karl Kraus und Die Fackel).

willige Spenden.

Der Sammelband bietet einen Einblick in die Perspektiven aktueller Zeitschriftenforschung. In 23 Aufsätzen werden von namhaften Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftlern (aus Österreich, Deutschland, Frankreich, Irland, Israel und Tschechien) zum einen einzelne Publikationsorgane monographisch vorgestellt und damit ein Überblick zur Aufgabe und Funktion von Literaturzeitschriften im literaturgeschichtlichen Kontext geboten, zum anderen werden anhand spezifischer Fragestellungen die Notwendigkeit und die Bedeutung der Zeitschriftenforschung für die Literaturwissenschaft verdeutlicht.
Kurt Krolop ist em. Professor für deutsche Literatur am Institut für Germanistik der Karls-Universität Prag.
Wolfgang Hackl ist Ao. Univ-Prof. am Institut für deutsche Sprache, Literatur und Literaturkritik der Universität Innsbruck.


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Forscher und Familie

Mittwoch, 24. April, 18 Uhr c. t.
Vortrag von Heinz Dopsch im Rahmen der Innsbrucker Historikergespräche, anlässlich des 100. Todestages Julius von Fickers.



Der seit 1852 an der Universität Innsbruck tätige Julius von Ficker (geb. 1826 in Münster in Westfalen, gest. 1902 in Innsbruck) gehört zu den großen Historikern des 19. Jahrhunderts. Sein umfangreiches Werk, vor allem seine Arbeiten zur mittelalterlichen Reichs- und Rechtsgeschichte in Deutschland und Italien und auf dem Gebiet der Urkundenforschung, wirkt bis in die heutige wissenschaftliche Diskussion nach. Es ist ein interessanter Umstand, dass auch seine Kinder allesamt auf ihre Art Bekanntheit erlangt haben: Ludwig als Publizist und Herausgeber der Kulturzeitschrift Der Brenner, Heinrich als Meteorologe, Rudolf als Musikwissenschaftler, und die jüngste Tochter Zenzi, verehelichte Sild, als frühe Expeditionsbergsteigerin. Für den Vortragenden sind alle diese Persönlichkeiten zugleich auch ein Teil der eigenen Familiengeschichte, denn Julius von Ficker ist der Urgroßvater von Univ.-Prof. Dr. Heinz Dopsch. Univ.-Prof. Dr. Heinz Dopsch ist als ordentlicher Universitätsprofessor für mittelalterliche Geschichte und Vergleichende Landesgeschichte am Institut für Geschichte, Universität Salzburg, tätig.


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