Literaturhaus am Inn

Programm November–Dezember 2002

EditorialLiebe Besucherin, lieber Besucher
des Literaturhauses am Inn,

danke, dass Sie sich in letzter Zeit für den Besuch einer unserer Veranstaltungen entschieden haben, obwohl Sie sicherlich öfters vor der Qual der Wahl gestanden sind: Erich Hackl oder Ikezawa Natsuki? Mirko Bonné oder Yoko Tawada? Elisabeth Reichart oder Inger Christensen? Namen, Personen und Texte – alle interessant, und – sie lesen am selben Abend zur selben Zeit in Innsbruck, an verschiedenen Orten allerdings … Wie kommt das nur, werden Sie sich fragen. Hängt es von der Präferenz der einzelnen Veranstalter für be-stimmte Wochentage ab? Nein, keine Regelmäßigkeit erkennbar. Von Biorhythmen und Mond? Oder gar von jenem scheinbar Chaos auslösenden Dickkopffalter?

Schon lange geht unter den Veranstaltern der Wunsch um, an dieser Situation der Terminüberschneidungen etwas zu ändern. Es wäre doch ganz einfach: eine gemeinsame Datenbank, ein Kalender, per Internet aufrufbar, in den man sich mittels Losungswort einloggen und – den Autor, den man einladen möchte, am Telefon – Termine vergleichen, fixieren und sofort eintragen könnte. Transparenz wäre gegeben, aber vielleicht liegt es gerade daran …

Wäre eine solche Aktion im Vorfeld der Lesungen in Ihrem Sinne, liebe Besucherin, lieber Besucher? Wir denken schon.

Drei Abende im Literaturhaus bringt das verbleibende Jahr. Lassen Sie mich auf einen davon näher eingehen. Der Osttiroler Autor Christoph Zanon starb am 17. Dezember 1997 im Alter von 46 Jahren. Vier Bücher erschienen zu Lebzeiten, neben zahlreichen Erzählungen in Zeitschriften und Anthologien. Ein eigenwilliger Autor, der sowohl die Berge literarisch durchforstete als auch die Dickichte von Groß- und Kleinstädten, der Wege beschrieb und Spurensuche betrieb: Texte zur Heimatfindung eben, wie der Untertitel zu seinem 1992 im Haymonverlag erschienenen Schattenkampf ursprünglich lauten sollte. Es sind die Texte von einem, der sich auf der Suche befindet, Texte, die dabei Blick und Seele der Lesenden zu öffnen vermögen: in der Enge der Tiroler Landschaft und Literaturlandschaft notwendig und selten.

Ich möchte mich bei Frau Olga Zanon, der Witwe des Autors, ganz herzlich für ihr Entgegenkommen bedanken und für die Bereitschaft, uns für das Kleine Inn Lesebuch einen unveröffentlichten Text aus dem Nachlass sowie Ölbilder des Autors zur Verfügung zu stellen, die im Rahmen einer Ausstellung im Literaturhaus ein neues, bisher unbekanntes Licht auf Christoph Zanon werfen werden. A.R.

Begeisterung, was für ein herrliches Wort!

Platzhalter

Donnerstag, 28. November, 20 Uhr
Präsentation des Verlags Jung und Jung durch den Verleger Jochen Jung und mit Lesungen von Sherko Fatah aus der Erzählung Donnie (Jung und Jung 2002) und Elfriede Kern aus dem Roman Schwarze Lämmer (Jung und Jung 2001).

willige Spenden

Die Leser und Leserinnen für die Literatur zu begeistern - das ist der Motor, der Jochen Jung seit Jahrzehnten antreibt, zuerst in seiner jahrelangen Funktion als Verlagsleiter des Residenzverlags, und seit 2001 in noch viel konzentrierterem Maße als Verleger von Jung und Jung. Voraussetzung dafür ist die eigene Begeisterung für einen Text, den zu verlegen man sich entscheidet - eine Leidenschaft und Leidenschaftlichkeit, die dem Programm dieses Verlags anzusehen und anzulesen ist.

Sherko Fatahs Erzählung Donnie, aus der er am Abend vorlesen wird, ist das zweite bei Jung und Jung erschienene Buch des Autors und aspekte-Preisträgers. Darin erzählt er die Geschichte eines Fremdenlegionärs, der seinen Erinnerungen nicht entkommt, eine Geschichte von Schuld und Liebe.

Sherko Fatah, geboren 1964 in Berlin, aufgewachsen in der ddr. 1975 Übersiedlung nach Westdeutschland. Studium der Philosophie und Kunstgeschichte in Berlin, wo er als freier Autor lebt. Buchveröffentlichungen: Im Grenzland. Roman (Jung und Jung 2001).

Mit Präzision, aber durchaus lustvoll entwirft Elfriede Kern in Schwarze Lämmer eine Welt, die von Elementen alter und neuer Opferkulte durchzogen ist. Anklänge an Gothic Novel und Horror-Genre fehlen nicht; mit ihm verbindet Kern das fast schon voyeuristische Interesse an Grenzüberschreitungen aller Art.

Elfriede Kern, geboren 1950 in Bruck/Mur. Bibliothekarin an der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, lebt seit 1983 in Linz, seit 1988 als freie Autorin.

Zahlreiche Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien. Zuletzt erschienen: Etüde für Adele und einen Hund. Roman (Residenz 1996), Kopfstücke. Roman (Residenz 1997).


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Untersuchung
zu den Selbst-
darstellungen
eines Lebens

Mittwoch, 4. Dezember, 20 Uhr
Albert Drach. Ein wütender Weiser(Residenz 2002). Buchpräsentation mit der Autorin
Eva Schobel. Mit unveröffentlichten Tondokumenten aus Interviews.

willige Spenden

Als der Schriftsteller und Anwalt Albert Drach (1902–1995) im Jahr 1988 mit dem Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet wurde, war die Überraschung auch in den gewöhnlich gut informierten Kreisen der literarischen Szene groß. Albert Drach, wer war das? Ein Mann, der in den sechziger und siebziger Jahren mit Romanen wie Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum(Langen-Müller 1964) oder Untersuchung an Mädeln (Claassen 1971) Furore gemacht hatte, schließlich aber wieder vergessen worden war. Infolge des Büchner-Preises entdeckte eine neue Generation von Lesern und Kritikern in dem mittlerweile 86-jährigen, den das Times Literary Supplement bereits 1968 in einem Atemzug mit Elias Canetti zu den bedeutendsten Avantgardisten deutscher Zunge gezählt hatte, einen der originellsten und radikalsten Schriftsteller nach 1945. 1988 nimmt Eva Schobel ihre kontinuierlichen Gespräche mit dem Autor auf und trifft auf einen nach wie vor wütenden, aber auch weisen Mann, der das Österreich der Zweiten Republik, die Gegenwartsliteratur, aber auch sein eigenes Leben und Schaffen mit provokanter Schärfe beurteilt.

... ein spannendes Buch, das sich abschließender Deutungen enthält und zum Weiterdenken und Entdecken auffordert, statt mit seiner bloßen Existenz die Eingliederung des Autors in den literarischen Kanon zu vollenden und ihn für die Verstaubung freizugeben. Damit hat es Albert Drach den vielleicht größten Dienst erwiesen.(Walter Grünzweig, Der Standard)

Eva Schobel ist freie Literaturwissenschafterin und Journalistin. Sie hat Albert Drach in seinen letzten Lebensjahren regelmäßig interviewt, seinen Nachlass im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek aufgearbeitet und ist Mitherausgeberin der neuen Drach-Werkausgabe.

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Ein Abend für Christoph Zanon

Mittwoch, 11. Dezember, 20 Uhr
Lesungen, Erinnerungen, Annäherungen. Mit einer Ausstellung von Ölbildern des Autors.

w illige Spenden

Am 17. Dezember jährt sich zum 5. Mal der Todestag des Osttiroler Autors Christoph Zanon. Ihm als Menschen und als Autor, der noch viel zu sagen gehabt hätte, soll dieser Abend gewidmet sein.

Hans Salcher, Autor, Freund und Weggefährte Christoph Zanons, liest aus Briefen und erinnert sich; Nora und Benjamin Zanon lesen Texte ihres Vaters; Sandra Unterweger, eine junge Literaturwissenschafterin, bettet den Autor in den Kontext der Osttiroler Literatur ein. Johann Holzner moderiert den Abend, Romed Hopfgartner spielt am Saxophon.

Christoph Zanon, geboren 1951, gestorben 1997. Studium der Bautechnik, Deutsch und Latein an der Universität Innsbruck.

1971-74 in Kulturforschungsabteilungen deutscher Auto- und Elektrokonzerne beschäftigt. Seit 1980 AHS-Lehrer in Lienz. Lebte mit seiner Familie in Leisach.

Buchveröffentlichungen (Auswahl): Die blaue Leiter.Erzählung (Haymon 1988), Schattenkampf. Texte von der Heimat (Haymon 1992), Auf dem Trödelweg. Verstreutes aus den Jahren 1986–1988 (Edition Raetia 1997), Freude und Abschied. Eine Geschichte (Edition Mosaic 1999), Osttirol. Eine Liebeserklärung (Studienverlag 2000).

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