Literaturhaus am Inn

Programm März–April 2004

Editorial

Der Reiz des Neuen

Ein Literaturhaus zu gründen und aufzubauen ist eine Herausforderung, viel Arbeit, aber auch ein Vergnügen. Es gilt, am Ort Neugierde zu erwecken, zu überzeugen und sich zu positionieren. Man hat so manche Hürde zu überwinden. Während die Ideen wuchern und sich die Möglichkeiten durch Zunahme der Kontakte erweitern, bleibt das Geld doch immer ein bisschen knapp. Dann und wann hat man mit Kontrahenten zu tun, nicht alles läuft wie geschmiert. Strukturprobleme und Personalfragen sind zu lösen, Erwartungen zu erfüllen. Gelegentliche Erschöpfungszustände stellen sich ein. Aber immer bleibt die Gewissheit aufrecht, dass sich der Einsatz lohnt und etwas Sinnvolles entsteht. Man hat vor allem auch das Privileg, mit außergewöhnlichen Autorinnen und Autoren Umgang zu pflegen, was für die mühevollen Seiten entschädigt. - Soweit meine persönliche Bilanz nach 7 Jahren.

Der Reiz des Neuen winkt, und ich werde mich in nächster Zeit anderen Dingen zuwenden. Ende März scheide ich aus dem Team aus. Meine Nachfolgerin als Leiterin ist Anna Rottensteiner, die Geschäftsführung übernimmt Kristin Jenny. Ich danke den vier Mitarbeiterinnen des Literaturhauses (neben den beiden erwähnten auch Verena Gollner und Christine Riccabona) für ihre Unterstützung und Freundschaft, für Einsatz und Ideenreichtum! Ich danke der Leitung des Forschungsinstituts Brenner-Archivs für das Vertrauen und die Beteiligung. Und natürlich bedanke ich mich besonders herzlich bei unserem Publikum: Ihr Interesse an unseren Veranstaltungen gibt dem Unternehmen erst das Gewicht!

Schließlich möchte ich mich zum Abschied bei den zahlreichen Kooperations- und Geschäftspartnern für die angenehme Zusammenarbeit bedanken. Die Stadt Innsbruck, das Land Tirol und das Bundeskanzleramt haben die Entstehung eines Innsbrucker Literaturhauses finanziell ermöglicht und mit Wohlwollen mitverfolgt: Vielen Dank! Und bitte gewähren Sie dem Literaturhaus auch in Zukunft die bestmögliche Unterstützung, damit Wort und Mund und Tat und Leben weiterhin gedeihen.

Erika Wimmer

Macht Literatur Betrieb?

Platzhalter

Dienstag, 9. März, 20 Uhr
Literaturhaus am Inn

Konrad Paul Liessmann, Thomas Glavinic und Walter Grond im Gespräch. Diskussionsleitung: Literaturhaus am Inn. In Kooperation mit dem Pen-Club Tirol, dem Brenner-Forum und Studierenden des Instituts für deutsche Sprache, Literatur und Literaturkritik

Literatur als Medium der Einmischung ins (tages)politische Geschehen – Literatur als unantastbares Terrain kreativer Freiheit; Anlassgebundenheit gegen Zweckfreiheit: diese beiden einander scheinbar ausschließenden Positionen bilden ein traditionsreiches Konfliktfeld, das es nicht erst seit den Diskussionen im Vor- und Nachfeld der 68er Bewegung gibt. Mehr denn je agiert Literatur in den verschiedensten Kommunikationsmedien wie Presse, Fernsehen, Internet, mehr denn je ist sie "umtriebig". Wirkt sich dies auf die Art und Weise des Schreibens aus?
Konrad Paul Liessmann, geboren 1953 in Villach, Professor am Institut für Philosophie der Universität Wien.
Thomas Glavinic, geboren 1972 in Graz, war Taxifahrer, Bergbauer und Werbetexter. Schreibt seit 1991 Romane, Essays, Erzählungen, Hörspiele und Reportagen.
Walter Grond, geboren 1957, lebt in Aggsbach Dorf/Wachau. Im Frühjahr 2002 Arbeit am Projekt "Schreiben am Netz" am Collegium Helveticum der eth Zürich in Zusammenarbeit mit der Neuen Zürcher Zeitung.

Eine Veranstaltung im Rahmen von "Innsbruck liest".


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Für ein Theater des Menschlichen

Montag, 15. März, 20 Uhr
Literaturhaus am Inn


In memoriam Raimund Berger anlässlich des 50. Todestages. Lesung mit Josef Kuderna

Der Tiroler Dramatiker Raimund Berger (1917–54) galt als einer der begabtesten Bühnenautoren der jungen Generation in der Nachkriegszeit. Die Uraufführung seines Stückes Zeitgenossen in Graz 1951 erhielt den Österreichischen Staatspreis. Hans Weigel, der von Bergers Können überzeugt war, holte ihn immer wieder an seinen legendären Autoren-Stammtisch ins Wiener Café Raimund. Mit seinen Stücken feierte er Bühnenerfolge in Innsbruck, Graz, Wien und Bonn. Nach dem frühen Tod Raimund Bergers sind seine Bühnenwerke jedoch sehr bald in Vergessenheit geraten. In den 60er Jahren brachte die junge Theatergruppe um Josef Kuderna im Zentrum 107 den Namen des Dramatiker wieder ins Gespräch. Josef Kuderna inszenierte Bergers Komödie Der Schelm von Limburg - es war seine erste Regie-Arbeit.
Ob nicht die besten Texte Raimund Bergers wert wären, wiederentdeckt zu werden? Josef Kuderna, Leiter des Orf-Kulturhauses, geht dieser und anderen Fragen nach und liest Passagen aus Bühnentexten und Erzählungen von Raimund Berger. - Eine Ausstellung zeigt Interessantes aus dem Nachlass des Autors.


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Skepsis & Poiesis


Donnerstag, 25. März, 20 Uhr
Literaturhaus am Inn


"Unterschiedenes ist / gut".
Reinhard Priessnitz und die Repoetisierung der Avantgarde
(Wilhelm Fink Verlag).
Buchpräsentation mit dem Verfasser Thomas Eder, Lesung von Priessnitz' Texten durch
Ulf Stolterfoht

Die vierundvierzig gedichte (1978) von Reinhard Priessnitz (1945–1985) zählen zu den bedeutsamsten Gedichtbänden der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Weil sich jedes einzelne dieser Gedichte einer je unterschiedlichen dichterischen Herausforderung stellt und diese mit den Mitteln der Poesie zu einem Ende bringt, sind in diesem Buch die Grundfragen der Dichtung zugleich noch einmal aufgeworfen und "im Wesentlichen endgültig gelöst". Zugleich aber sind diese vierundvierzig gedichte auf das Unabschließbare, Fragmentarische hin angelegt, das einem kosmogonischen Lösungsmodell der poetischen Welterkenntnis radikal skeptisch gegenübersteht.
Ulf Stolterfoht, geboren 1963 in Stuttgart, lebt in Berlin. Bei Urs Engeler Editor erschienen die Bände " fachsprachen I-IX" (1998) und " fachsprachen X-XVIII" (2002).
Thomas Eder, geboren 1968 in Linz, lebt als Literaturwissenschaftler in Wien; Lehrbeauftragter am Institut für Germanistik der Universität Wien.


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Letternletscho

Mittwoch, 31. März, 20 Uhr
Literaturhaus am Inn


Text&Bild mit Markus Köhle und Christian "Yeti" Beirer

Letternletscho live heißt nicht nur, dass das Stabreim-Abcetera und die Illustrationen dazu präsentiert werden, sondern auch, dass vor Ort Texte zu Bildern werden. Diese Simultanübersetzung geschieht während der Lesung, was diese zur einmaligen Mal-Lesung macht.

Letternletscho ist ein Stück experimenteller Literatur, halb Poesie, halb Prosa. Die dabei geschaffenen Innovationen sind nicht in die Sprache "hineingeschrieben", sondern aus der Sprache heraus gewonnen. In Alliterationen, Akrosticha und Mischformen wird jedem der sechsundzwanzig Buchstaben des deutschen Alphabets ein Kapitel eingeräumt. Die Geschichten entwickeln sich aus dem jeweiligen, notwendigerweise begrenzten Wortschatz, aber auch aus bestimmten Soziolekten und Jargons. Es entstehen rhythmisch-musikalische, lautpoetische Texte.
Markus Köhle, geboren 1975, lebt und arbeitet in Innsbruck. Bücher: Pumpernickel (Skarabaeus 2003), Couscous à la Beuschl (Kyrene 2004), Letternletscho wird demnächst im Sisyphus-Verlag veröffentlicht.
Christian "Yeti" Beirer ist Herausgeber und Illustator des im Eigenverlag erscheinenden Yeti-Literaturkalenders. Organisierte u. a. die Projekte Almrauschen mit Bertl Mütter und Franzobel und die Literaturkartierungen mit Kurt Lanthaler, Gerhard Ruiss, Heinz D. Heisl.


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Sprachalchemie

Donnerstag, 15. April, 20 Uhr
Literaturhaus am Inn


Oskar Pastior liest seine
Chlebnikov-Übertragungen.

Velimir Chlebnikov (1885-1922) gilt als herausragender Exponent des russischen Modernismus, seine "transmentale Sprache" war Zeigenossen wie Majakowski und vielen späteren sprachalchemistischen Dichtern Inspiration.
" Was es zu übersetzen gilt", schreibt Felix Philipp Ingold, "ist das Unübersetzbare, das, was Benjamin das Sprachliche an der Sprache genannt hat: das Poetische. - Die von Pastior praktizierte Art des Übersetzens entspricht nicht nur dem chlebnikovschen Konzept einer hintersinnigen Laut- oder Vogel- oder Sterne- oder Göttersprache, sondern auch Oskar Pastiors eigener Arbeit am Wort als solchem."
Oskar Pastior, 1927 geboren im siebenbürgischen Hermannstadt, lebt seit 1969 als freier Schriftsteller in Berlin. Er gilt als einer der eigenwilligsten, produktivsten und sprachmächtigsten Dichter der deutschen Sprache. Mitglied der Werkstatt für Potentielle Literatur OULIPO. Huchel-Preis 2002, Ehrendoktor der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt, Erich-Fried-Preis 2002. Zahlreiche Veröffentlichungen, Gedichtübertragungen zu Charles Baudelaire, Gertrude Stein, Velimir Chlebnikov (Urs Engeler Eeditor).


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That's what it's like Dienstag, 20. April, 20 Uhr
Literaturhaus am Inn

Österreichische AutorInnen übersetzen englischsprachige Lyrik. Lesung und Gespräch.
Mit Ludwig Laher, Peter Waterhouse, Erwin Einzinger

2002 ist im Innsbrucker Haymonverlag So also ist das. So that's what it's like erschienen, eine zweisprachige Anthologie mit Übersetzungen von Gedichten englischsprachiger AutorInnen durch österreichische KollegInnen. Sie haben sich in poetisch-gedanklicher Übereinstimmung der Texte ihrer Kolleginnen und Kollegen aus England, Schottland, Wales und Nordirland angenommen. Am Abend werden ausgewählte Originaltexte und deren Übersetzungen gelesen, im Anschluss daran findet ein Gespräch darüber statt, was AutorInnen immer wieder dazu treibt, in fremde Sprachuniversen einzutauchen.
Ludwig Laher, geboren 1955, lebt in St. Pantaleon. Zuletzt erschienen: Herzfleischentartung (Haymon 2001), Aufgeklappt (Haymon 2003). Übersetzt u.a. Lindsey Collen, Merle Collins.
Peter Waterhouse, geboren 1956, lebt in Wien. Zuletzt erschienen: Prosperos Land (Jung und Jung 2001), Im Genesis-Gelände. Versuch über einige Gedichte von Paul Celan und Andrea Zanzotto (Urs Engeler Edition). Übersetzer von Michael Hamburger.
Erwin Einzinger, geboren 1953, lebt in Micheldorf. Zuletzt erschienen: Kleiner Wink in die Richtung, in die jetzt auch das Messer zeigt (Residenz 1994), Das wilde Brot (Residenz 1995). Übersetzt u.a. Robert Creeley, John Ashbury, William Carpenter.



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drei - sprachig

Dienstag, 27. April, 20 Uhr
Literaturhaus am Inn


Alma Vallazza und Theresia Prammer lesen Amelia Rosselli (italienisch / deutsch).
Anschließend findet ein Gespräch statt.

Amelia Rosselli, 1930 in Paris geboren. Sowohl ihr Leben ist geprägt von Exilantentum - die Familie zieht nach England, als zwei Familienmitglieder von den Faschisten ermordet werden, nach einem Aufenthalt in den USA kehrt Amelia Rosselli nach Italien zurück, wo sie sich ab 1950 in Rom niederlässt – als auch ihre Gedichte. In ihnen prägen sprachliche Entwurzelung und Entfremdung die Annäherung an die Themen der Liebe, des Religiösen und der Krankheit, aber auch der Wechsel der Rhythmen und Klänge jener 3 Sprachen, die ihre Kindheit und Jugend prägten. Ab 1964 beginnt sie mit der Veröffentlichung von Gedichtbänden und übersetzt. 1996 nimmt sie sich in Rom das Leben. Berühmte Zeitgenossen wie Pier Paolo Pasolini schätzten ihre Texte, sie selbst blieb immer "fremd", verweigerte Zugehörigkeiten zu literarischen Gruppen und Moden.
Auf Deutsch liegen bis auf einige Gedichte in Anthologien keine Übersetzungen vor. In der Edition per procura erscheint nun im Frühjahr 2004 in der Übersetzung durch Theresia Prammer und Alma Vallazza der Band "Ausgewählte Gedichte" . An diesem Abend spricht jede der Übersetzerinnen über ihren Zugang zu den Gedichten von Rosselli.
Theresia Prammer, geboren 1973, lebt in Wien und Berlin. Studium der Romanistik in Wien mit einer Abschlussarbeit zur Theorie der Übersetzung. Übersetzungen aus dem Italienischen und Französischen. Preis der Stadt Wien für literarisches Übersetzen 2002.
Alma Vallazza, geboren 1965, lebt in Wien. Übersetzungen aus dem Italienischen und Französischen und literarische Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien. Herausgeberin der edition per procura.


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schreiben / übersetzen

Donnerstag, 29. April, 20 Uhr
Literaturhaus am Inn


Ilma Rakusa liest aus eigenen Texten und aus Übersetzungen

"Wie geht der Autor-Übersetzer mit dem inneren Stimmengewirr um, mit den möglichen Interferenzen? Als Übersetzer ist er angehalten, Hallraum zu sein, als Autor drängt es ihn, die eigene Stimme zu erhalten." In diesen Worten bringt Ilma Rakusa die Vielschichtigkeit der Doppeltätigkeit zu Wort, die sie selbst ausübt: Autorin und Übersetzerin zu sein.
Am Abend wird sie aus eigenen Texten lesen sowie die Stimmen jener Autorinnen und Autoren zu Gehör bringen, die sie übersetzt (u.a. Danilo Kis, Marguerite Duras, Marina Zwetajewa), eingebettet in Reflexionen zur Thematik.
Ilma Rakusa, geboren 1946, Slawistin und Romanistin, Übersetzerin aus dem Russischen, Serbokroatischen, Französischen und Ungarischen. Autorin, Kritikerin und Herausgeberin, lebt in Zürich. Zuletzt erschienen: Ein Strich durch alles. Neunzig Neunzeiler (1997), Love after Love. Acht Abgesänge (2001), Von Ketzern und Klassikern. Streifzüge durch die russische Literatur (2003), alle bei Suhrkamp. Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt.


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