Editorial | Gehören Sie auch zu den passionierten Lesern? Zu jenen, die sich nicht ermüden lassen von der Übermenge des Angebots auf den Ladentischen, zu jenen, die aus der gut sortierten Buchhandlung meist mit mehr Büchern heim kommen, als vorgenommen, zufrieden aber. Und die einfach nicht lassen können - warum denn auch - vom Eintauchen in erzählte, geschriebene Welten und von der Lust des Lesens. Dann wissen Sie ihn wahrscheinlich auch zu schätzen: den fundierten Buchtipp jenseits der Verlagswerbung. Gelesen oder gehört, im Gespräch lässt er sich ergattern, zufällig oder gezielt, beim Buchhändler, bei Freunden, vielleicht und nicht selten im Feuilleton oder - und nicht zuletzt - hier im Literaturhaus. Wie könnte es anders sein: Wir möchten Sie wieder auf spannende Debüts und Neuerscheinungen aufmerksam machen und zu Begegnungen - diesmal vorwiegend mit Autorinnen - einladen. Was uns an den Texten interessiert hat? Herkunfts- und Familiengeschichten, unkonventionelle Lebenswege, Verstrickungen, Verwandlungen - eine inspirierende Phantasie, eine unverwechselbare Optik, eine leise Ironie durch die Hintertür - ein Erzählen, das den "inneren Film" ins Rollen bringt. Eigentlich wollten wir auch eine übergreifende Auseinandersetzung mit dem Erzählen als literarische Form, mit literarischen Formen überhaupt in diesem Programm stattfinden lassen, denn: Wir möchten die Tradition der "Innsbrucker Poetik-Vorlesungen" wieder aufnehmen, in denen namhafte Autoren und Autorinnen tiefere Einblicke in ihre Schreibpraxis und Poetologien vermitteln. Den geplanten Termin mussten wir in das kommende Frühjahr verschieben, dann wird Gert Jonke unser Gast sein.
Passionierte Leser kennen sie, die langen Nächte mit Büchern - zu einer Langen Nacht der Museen laden wir - gemeinsam mit dem Brenner-Archiv - auch heuer wieder ein. Bis Mitternacht können Sie sich überzeugen, dass Literatur alles andere als museal, vielmehr höchst lebendig ist. Lassen Sie sich in Zeiten von Disketten und Dateien faszinieren von den beschriebenen Blättern der Manuskripte, den literarischen Handschriften des Brenner-Archivs und wie gewohnt erwartet Sie weit mehr - lesen Sie nach und lassen Sie sich überraschen.
Zuletzt noch: Werner Kofler, einer der wichtigsten österreichischen Gegenwartsautoren, Meister der Montage und der Gesellschaftssatire, bei der das Lachen im Hals stecken bleibt, liest u. a. aus seinem neuen Roman Kalte Herberge, der alles andere als kalt lässt. Die Lesung ist der Auftakt zu einem politisch heißen Novemberprogramm, aber davon später.
Ch. R. |
Bettina Baláka
& Rosa Pock
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Freitag, 17. Sept., 20 Uhr
Literaturhaus am Inn
Lesung mit Bettina Baláka und Rosa Pock.
Mit einer Einführung von Mag. Barbara Hoiß.
BalákasTexte erzählen von Frauen, deren Ausbruchsphantasien, deren Leiden, manchmal auch von deren Schwächen und von der Lust am Anders-Sein.
Bettina Baláka, 1966 in Salzburg geboren, studierte Englisch und Italienisch und lebt nach mehreren Auslandsaufenthalten (England, USA) als freie Autorin in Wien. Für ihre Werke erhielt sie mehrere Preise, u.a. das Wiener Dramatikerstipendium 2004. Nach dem Lyrikband
Die dunkelste Frucht
(1994), erschienen die Erzählungen
Krankengeschichten
(Droschl 1996). Die Kritik rühmte die „reiche, phantasmagorische Bildsprache“ dieser Geschichten, „die das Versteckte ans Tageslicht bringen«. 1998 folgen die
road movies. 9 versuche auszubrechen, weitere Werke:
Der langangehaltene Atem. Roman
(2000);
Messer. Essay
(2000);
Unter Jägern. Erzählungen
(2002), alle bei Droschl.
Rosa Pocks soeben erschienener Band
Eine kleine Familie
(Droschl 2004) ist „ein leichtes Buch über die schwere Aufgabe, glücklich man selbst zu sein – oder gar zu werden“ ist (Verlag).
Rosa Pock, 1949 in der Steiermark geboren, studierte Philosophie in Salzburg, war bis zu seinem Tod (2000) mit H. C. Artmann verheiratet und lebt in Wien. Weitere Werke, u. a.
Monolog braucht Bühne
(1993);
Ein Halbjahr aus dem Leben einer Infantin
(1995);
die hundekette. mein eigenes revier
(2000), alle bei Droschl.
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Licht und Schatten
[ Schätze aus dem Brenner-Archiv ]
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Donnerstag, 23. Sept., 20 Uhr
Literaturhaus am Inn
Buchpräsentation
Ludwig Wittgenstein - Licht und Schatten. Ein nächtliches (Traum-)Erlebnis und ein Brieffragment.
(Haymon 2004).
Mit einer Einführung durch die Herausgeberin Ilse Somavilla. Johannes Nikolussi liest.
Zwei bisher unveröffentlichte Schriftstücke des Philosophen geben Anlaß, Wittgensteins Spannungsverhältnis zur Religion und zu kulturellen Werten der menschlichen Zivilisation nachzuspüren. Bei den beiden Texten handelt es sich zum einen um eine tagebuchartige Aufzeichnung eines nächtlichen (Traum-) Erlebnisses aus dem Jahre 1922, zum anderen um das Fragment eines Briefes, den er vermutlich im Jahre 1925 an seine Schwester Hermine gerichtet hat. Im ersten Text kommt das Dunkle, Angsteinflössende in Wittgensteins Gottesvorstellung zum Vorschein, im zweiten Text das Positive, Lichtvolle, das Wittgestein mit Religion assoziierte.
Ilse Somavilla, geboren in Fulpmes, lebt in Innsbruck, seit 1990 Mitarbeiterin des Forschungsinstituts Brenner-Archiv. Zahlreiche Aufsätze zu Ludwig Wittgenstein; Herausgeberin von u. a.
Ludwig Wittgenstein: Denkbewegungen. Tagebücher 1930-1932, 1936-1937.
(Haymon 1997)
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Katja Oskamp
& Antje Rávic Strubel
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Montag, 4. Okt., 20 Uhr
Literaturhaus am Inn
Lesung mit Katja Oskamp und Antje Rávic Strubel. Mit einer Einführung von Univ. Prof. Dr. Michael Klein
Mit frischem Ton erzählt Katja Oskamp
Halbschwimmer
(Ammann 2003) davon, wie ein waches Mädchen sich aussetzt, um sich aufgehoben zu fühlen, und dass auch junge Frauen durchaus etwas an älteren Männern finden können. Als einzige Tochter eines hohen NVA-Offiziers und einer Schuldirektorin hätte Tanja die besten Voraussetzungen dazu, ein Musterprodukt der DDR-Gesellschaft zu werden. Aber Tanja hat ganz anderes im Sinn: Sie sucht die Liebe. Und so nutzt sie jede Gelegenheit, das sozialistische Bilderbuchleben gegen andere, aufregendere Erfahrungen einzutauschen. Katja Oskamps Geschichten geben Einblick in eine Jugend während der realsozialistischen Spätphase.
Katja Oskamp, geboren 1970 in Leipzig, aufgewachsen in Berlin, Studium der Theaterwissenschaft, Dramaturgin am Volkstheater Rostock; Absolventin des Leipziger Literaturinstituts; lebt als freie Autorin in Berlin, 2003 erschien der Erzählband
Halbschwimmer, für den sie den Rauriser Literaturpreis 2004 erhielt.
In ihrem neuen Roman
Tupolew 134
( Beck 2004) erzählt Antje Rávic Strubel von einer Flugzeugentführung und der schwierigen Suche nach der Wahrheit. Dabei hat sie sich von einer realen Geschichte inspirieren lassen: 1978 wurde eine Tupolew 134 von zwei Bürgern aus der DDR auf dem Flug Danzig-Schönefeld nach West-Berlin entführt. Die Entführung war nicht geplant, sie war eine Art Übersprunghandlung zweier bei ihrer Republikflucht verratener Menschen. Antje Rávic Strubel erzählt eine Geschichte über Flucht, Verrat und Illegalität, über die politischen Konsequenzen dieser Tat, über den Wunsch, das alte Leben hinter sich zu lassen, und vom Unvermögen, vorgeprägten Lebensmustern zu entkommen, über Sehnsucht und die Vergeblichkeit von Liebe außerhalb der Konvention.
Antje Rávic Strubel, geboren 1974 in , Ausbildung zur Buchhändlerin, Studium der Amerikanistik, Psychologie und Literaturwissenschaften in Potsdam und an der New York University. Sie lebt in Berlin, Veröffentlichungen zuletzt
Fremd Gehen. Ein Nachtstück. Roman
(2002) Preise u. a. Roswitha-von-Gandersheim-Preis (2003), Stipendium der Lion Feuchtwanger Villa in Los Angeles (2004).
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Spätlese - Wanderung durch Orte und Zeiten
[ Lange Nacht der Museen ]
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Samstag, 9. Okt., ab 18 Uhr
Literaturhaus am Inn
Gemeinsam mit dem Brenner-Archiv
Das Brenner-Archiv verwahrt etwa 150 Nachlässe vor allem von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, aber auch von Philosophen, Musikern und Künstlern.
Es macht Materialien, Dokumente und Manuskripte zugänglich, erstellt zuverlässige transkriptionen, gibt Editionen mit kulturwissenschaftlichen Kommentaren heraus, führt Forschungsprojekte durch, erstellt Publikationen in Buchform sowie in elektronischer Form.
19.00 Uhr - Führung durch die Sammlungen des Brenner-Archivs mit Eberhard Sauermann
20.00 Uhr - Julia Gschnitzer liest Texte aus den Nachlässen
21.00 Uhr - Anton Unterkircher: Video-Installation zu den Neuerwerbungen
21.30 Uhr -Barbara Hoiß, Verena Zankl, Sandra Unterweger: „Aus dem Weinhaus zu
Sündenprumpfstätten“. Szenische Lesung zu
Max Riccabona
22.00 Uhr - Lesung mit Bettina Galvagni
22.30 Uhr - Anton Unterkircher: Video-Installation zu den Neuerwerbungen
23.00 Uhr - Ulrike Lang:
Grete Gulbranson
in Innsbruck
Ursula Schneider, Annette Steinsiek:
Zu Rudolf Stibill
Erika Wimmer liest Texte von
Johannes E. Trojer
24.00 Uhr - Mitternachsführung durch die Sammlungen mit Johann Holzner
Musik: Harald Pröckl am Akkordeon - Herbstbuffet
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Maria E. Brunner
& Waltraud Mittich
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Freitag, 15. Okt., 20 Uhr
Literaturhaus am Inn
Lesung mit Maria E. Brunner und Waltraud Mittich. Mit einer Einführung von Irene Prugger.
Maria Brunners Roman
Berge Meere Menschen
(Folio 2003) hat seinen Erinnerungsfokus in den Südtiroler Bergen, in einer bäuerlichen Welt, die feindlich sich selbst, feindlich den zugewanderten Italienern im Grenzland gegenüber ist. Und da gibt es den Einbruch der Fremden aus dem Norden, genannt Fremdenverkehr. Das Pflegekind ist auf der Flucht: in den Norden, in den Süden, ans Meer, in die Stadt auf der Insel, auf der Suche nach Befreiung. Den Schlusspunkt der Folge von Aufbruch und Ankunft bildet der Tod der Mutter, dort, wo die Reise begonnen hat, auf dem Berg.
Maria E. Brunner ist geboren in Pflersch/Südtirol, Studium der Germanistik in Innsbruck, lebte sieben Jahre in Sizilien und Kalabrien; Dozentin für italienische Sprache und Literatur an der Universität Stuttgart; seit 2000 Professorin für Deutsche Literatur an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. Literarische Publikationen in Anthologien und Zeitschriften, Übersetzungen, u. a. von Vincenzo Consolo:
Bei Nacht, von Haus zu Haus
(Folio 2003).
Waltraud Mittichs Roman
Berühren sie jedes
erzählt die Geschichte der Kosmopolitin Dolly Meyer, Fotografin in New York, die nach 30 Jahren Abwesenheit in ihr Heimatdorf in die Grenzregion Südtirols zurückkehrt, dessen Enge sie als junge Frau zu entfliehen versuchte. Der Roman ist zugleich auch eine Geschichte von Krieg und Vertreibung, Flucht und Zwangsarbeit, von Militarismus und Männlichkeitskult, vom Aufeinanderprallen von Kulturen: der deutschsprachigen und der italienischen Kultur Südtirols ebenso wie der Kulturen von Männern und Frauen.
Waltraud Mittich ist geboren 1946 in Bad Ischl, aufgewachsen in Toblach, lebt heute in Bruneck. Studium an der Universität Padua. Zahlreiche literarische Veröffentlichungen in den Literaturzeitschriften Distel, Sturzflüge und Manuskripte; 2002 erschien ihre Prosa-Sammlung
Mannsbilder
bei Skarabæus
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Lesung mit Werner Kofler
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Mittwoch, 27. Okt., 20 Uhr
Literaturhaus am Inn
Lesung mit Werner Kofler.
Mit einer Einführung von Univ. Prof. Dr. Sigurd Paul Scheichl.
Werner Koflers letzter Roman
Kalte Herberge
(Deuticke 2004) ist ein „grandioses Stück Prosa“ (Kastberger). Darin sind Handlungselemente und Gedankengeflechte zu einem eigenen, dichten Universum montiert. Nüchterne Bestandsaufnahmen, mit bösem Blick protokolliert, wechseln mit persönlichen Momenten, Erinnerungen und Monologen über Krankheit, Tod und das Schriftstellerdasein. Als Klassiker der österreichischen Gegenwartsliteratur gilt Werner Koflers
Erstling Guggile. Vom Bravsein und vom Schweinigeln. Eine Materialsammlung aus der Provinz.
(Deuticke 2004, Neuauflage). Und es ist auch allerhand Material, das er über eine Jugend in den fünfziger Jahren sammelt und zum Gesamtbild verknüpft: Dokumente, Aussprüche, Erziehungsmaximen, Zeitungsphrasen, alles, was das Herz begehrt. Seinerzeit nannte man das Buch „eine totale Autobiografie„ - auch deshalb, weil es die Autobiografie nicht nur des Autors, sondern vieler anderer ist.
Werner Kofler ist 1947 in Villach geboren und lebt seit 1968 als freier Schriftsteller in Wien. Bücher
u. a. :
Konkurrenz. Szenen aus dem Salzkammergut
(1996),
Aus der Wildnis
(1998),
Manker
(1999),
Ida H. (2000),
Tanzcafé Treblinka
(2001); Auszeichnungen: u. a.: 1987 Elias-Canetti-Stipendium 1987, 1990 Österreichisches Würdigungspreis für Literatur, 1996/97 Arno-Schmidt-Preis.
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