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Kairos und Parusie
(Kairos als Ereignis des in Christus angekommenen und angenommenen Gottes)

Autor:Sandler Willibald
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:Jesu Gottesreichverkündigung hat für seine jeweiligen Adressaten den Charakter eines Kairos. Kairos bedeutet hier nicht primär Zeit, sondern „Treffer“ oder Ereignis eines Zusammentreffens. Näherhin: das Ereignis des in Jesus ganz angekommenen und angenommenen Gottes. Dieses Ereignis eines Zusammentreffens mit Gott in Christus ermächtigt die Adressaten, den ihnen sich offenbarenden Gott selber vertieft anzunehmen – um so selber für Dritte zum Kairos zu werden – oder aber abzulehnen. In dieser dramatischen Sichtweise stehen Heilsangebot und Gerichtsansage so nahe beieinander, wie in Lk 4,16-30 exemplarisch erzählt. Ausgehend von einem solchen Kairos-Verständnis lassen sich Gegenwart und Zukünftigkeit des von Jesus verkündigten Gottesreichs – ebenso wie präsentische und futurische Eschatologie – zwanglos miteinander verbinden.
Publiziert in:Gekürzte Fassung: ZkTh 136 (2014) 10-31.
Datum:2014-04-22

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

1
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Kairos ist ein theologischer Schlüsselbegriff, vor allem weil das Christusereignis in seinen Konkretisierungen von Gottesreichbotschaft bis zu Kreuz-Auferstehung neutestamentlich – vor dem Hintergrund von spezifisch biblischen Zeitverständnissen – immer wieder als Kairos bezeichnet wird. Für die Untersuchung des im Alltagsgriechisch gebräuchlichen Begriffs sind nicht nur exegetische, sondern auch philologische Arbeiten heranzuziehen.1 Dieser Aufsatz befasst sich mit diesem Thema aus einer systematisch-theologischen Perspektive – und zwar näherhin der Innsbrucker dramatischen Theologie2 – auch wenn er sich hauptsächlich mit exegetischen Fragen auseinandersetzt. Ein solcher Zugang dürfte nicht unberechtigt sein, wenn man bedenkt, dass Interpretationen von biblischen Texten immer auch geleitet von theologischen und anthropologischen Vorverständnissen sind, welche sich bis in Übersetzungsfragen hinein auswirken können. Theologisch: Ob z.B. das Perfekt ἤγγικεν konventionell als „ist angekommen“ übersetzen wird oder aber futurisch, hängt auch davon ab, ob man die Behauptung eines angekommenen Gottesreichs für vertretbar und deshalb als Jesus oder den biblischen Autoren legitim zuschreibbar erachtet. Anthropologisch: Ob die Aussage zu Jesu Synagogenbesuch in Nazaret „Alle pflichteten ihm bei“ (Καὶ πάντες ἐμαρτύρουν αὐτῷ, Lk 4,22a) als echte Zustimmung zu bewerten ist und die fast unmittelbar anschließende Frage „Ist dieser nicht ein Sohn Josefs?“ – wie in Mk 6,3 – als echte Ablehnung, hängt auch damit zusammen, wie sehr man einen dramatischen Aufeinanderprall gegenläufiger Dynamiken und einen kurzfristigen Umschlag von Überzeugungen für möglich hält. Mit seiner Gottesreichbotschaft hat Jesus den Jüngern und Christen eine „Sinnesänderung“ (μετανοεῖτε = „Ändert euren Nous!“ Mk 1,15) zugemutet, die eine „Bekehrung des Denkens“ (vgl. Röm 12,3) bis in jene Grundkategorien hinein umfasst, mit denen wir unsere Erkenntnisurteile synthetisieren. Erahnbar wird das, wenn Christen in den Bedrängnissen der Welt nicht einfach auf den Himmel hin, sondern vom Himmel her leben, in dem sie bereits ein Heimatrecht beanspruchen (Phil 3,20), weil Christus die Welt – kontrafaktisch – schon erlöst hat (Offb 1,5) und Christen demgemäß die Eucharistie als himmlische begehen. Das lässt auf verschobene (nach den Maßstäben dieser Welt: „ver-rückte“) Perspektiven der Raum- und Zeitwahrnehmung schließen. Der Begriff Kairos – mit seiner biblischen Anwendung auf Jesu Gottesreichverkündigung – dürfte dafür „symptomatisch“ sein.

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1. „Du hast die Zeit der Gnade nicht erkannt“ (Lk 19,44): Kairos und Gericht

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1.1 Wovon hängt es ab, ob Jesus das Gottesreich oder das Gericht ansagt?

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Jesus begann sein öffentliches Wirken mit einer vollmächtigen Verkündigung des ankommenden Gottesreichs. Summarisch bei Markus: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,15). Es war ein voraussetzungsloses Heilsangebot, dem die Umkehrforderung nicht als Bedingung vorausging, sondern als erwartete Konsequenz nachfolgte: „Aufgrund der Erfahrung des anbrechenden Gottesreichs kannst du umkehren, und weil du es kannst, wird es dir von Gott nun auch zugemutet.“ Der Voraussetzungslosigkeit des Heilsangebotes entspricht ein toleranter Umgang Jesu mit Sündern. Sie werden auf ihre Sünden nicht festgelegt, sondern erfahren Vergebung3.

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Nun gibt es zahlreiche Texte, in denen Jesus mit Menschen ganz anders umgeht: Er konfrontiert sie hart mit ihrer Sünde; statt Blindheit zu heilen, wirft er ihnen Blindheit vor4 und warnt sie vor der Hölle als letzter Konsequenz ihrer Verweigerung. Statt das Gottesreich anzukündigen, droht er ihnen, dass Gottes Reich ihnen weggenommen werden wird (Mt 21,43). Wovon hängt es ab, ob Jesus den Menschen das Gottesreich oder aber das Gericht ansagt?5

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1.2 Umschlag von Gottesreichansage zu Gerichtsworten in Lk 4,16-30

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Für das Verhältnis von Gottesreich- und Gerichtsbotschaft ist die lukanische Perikope von Jesu Verkündigung in der Synagoge Nazarets (Lk 4,16-30) aufschlussreich, auch wenn weder von Gottesreich noch von Gericht ausdrücklich die Rede ist. Sachlich findet sich hier beides: eine an Jesaja orientierte Heilsbotschaft, welche Jesu Gottesreichverkündigung zusammenfasst (V 18-21) und der Gemeinde aktuell zuspricht: „Heute ist dieses Schriftwort in euren Ohren erfüllt.“ (V 21)6; und eine konfrontative Rede Jesu (V 23-27), die Gerichtscharakter hat.7 Beide Redeteile sind verbunden durch eine einheitliche Erzählung, wobei ein einziger Vers den Übergang herstellt:

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22a Und alle pflichteten ihm bei (ἐμαρτύρουν αὐτῶ)
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22b und staunten über die gefälligen Worte, die aus seinem Mund hervorkamen,
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22c und sprachen: „Ist dieser nicht ein Sohn Josefs?“8
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Die hier beschriebene Reaktion der in der Synagoge versammelten Menschen motiviert den Umschlag von Jesu vorausgehender Heilszusage zu seiner nachfolgenden kritischen Rede:

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23 Und er sprach zu ihnen:
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„Vielleicht werdet ihr mir dieses Sprichwort sagen: ,Arzt, heile dich selbst! Alles, von dem wir gehört haben, dass es in Kapharnaum geschehen ist, vollbringe auch hier in deiner Heimatstadt!‘ 24 Er sagte weiter:
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„Amen, ich sage euch: Kein Prophet ist in seiner Heimatstadt willkommen.
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25 Wahrlich, ich sage euch: In den Tagen Elias gab es viele Witwen in Israel, als der Himmel für drei Jahre und sechs Monate verschlossen wurde und eine große Hungersnot über das ganze Land kam. 26 Und zu keiner von ihnen wurde Elia gesandt, außer nach Sarepta bei Sidon zu einer verwitweten Frau.
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27 Und viele Aussätzige gab es in Israel zur Zeit des Propheten Elisa, und keiner von ihnen wurde gereinigt — außer Naeman, der Syrer.“ (Lk 4,23-27)9
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Die im Vergleich zu Mk 6,4 und Mt 13,57 ausgedehnte Gerichtsrede Jesu deckt jene Motive und Kräfte auf, die die Menschen an einer glaubenden Zustimmung zu seiner Verkündigung hinderten:

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Als Einzelpersonen verglichen sie sich mit dem Mann aus dem gleichen Dorf: „Ist das nicht der Sohn Josefs“ – also einer wie wir? Dem entspricht Jesu Kritik: „Kein Prophet wird in seiner Heimat anerkannt“ (Lk 4,24).

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Als Bewohner Nazarets, Jesu früherem Heimatort, rivalisierten sie mit der Stadt Kafarnaum, Jesu gegenwärtigem Wohnsitz: „Sicher werdet ihr mir das Sprichwort vorhalten: Arzt, heile dich selbst! Wenn du in Kafarnaum so große Dinge getan hast, wie wir gehört haben, dann tu sie auch hier in deiner Heimat!“ (Lk 4,23)

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Als Juden fühlten sie sich gegenüber den Heiden von Gott erwählt und bevorzugt. Gegen diesen Anspruch zeigt Jesus auf, dass Elija und Elischa, die wirkmächtigsten Propheten des Alten Testaments, ihre großen Wunder nicht an Juden, sondern an Heiden gewirkt hatten.

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Die extrem aggressive Reaktion der Synagogenbesucher auf Jesu Rede – im Versuch, ihn zu lynchen – zeigt, dass er den Finger auf die Wunde gelegt hatte. In jedem der drei angesprochenen Fälle liegt das Problem darin, dass die Bewohner Nazarets ihre individuelle und gemeinschaftliche Identität nicht mit ungeteiltem Herzen von Gott empfingen, sondern durch einen vergleichend-taxierenden Seitenblick auf die jeweils anderen, entweder durch Zugehörigkeit – zur Stadt Nazaret oder zu den Kindern Abrahams – oder durch einheitsstiftende Abgrenzung gemäß dem Motto: „Wir sind, wer wir sind, weil wir nicht so sind wie diese anderen da.“10

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Wenn solche Dynamiken wirken, wird es vorstellbar, dass Jesu Gottesreichverkündigung die Menschen zwar erreicht, aber dieser Keim im Ansatz erstickt wird. Es kommt zu einem fast augenblicklichen Erlöschen des aufblitzenden Gnadenkairos. Diese Möglichkeit wird im Gleichnis vom Sämann ausdrücklich genannt: „Auf den Weg fällt das Wort bei denen, die es zwar hören, aber sofort (εὐθὺς) kommt der Satan und nimmt das Wort weg, das in sie gesät wurde“ (Mk 4,15).

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1.3 Zwei Thesen zum Zusammenhang von Gottesreichbotschaft und Gerichtsworten

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Die Erzählung von Lukas legt zwei Hypothesen zum Zusammenhang von Jesu Gottesreichbotschaft und Gerichtsworten Jesu nahe:

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1. Jesu Gottesreichverkündigung versetzt Menschen in eine Entscheidungssituation für oder gegen Gott. Wird die Chance eines vertieften Ja zu Gott verfehlt, wechselt Jesus zu Gerichtsworten, welche die verborgenen Gründe für die Ablehnung freilegen und/oder vor den Konsequenzen der Ablehnung (bis hin zur Hölle) warnen.11

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Diese Hypothese lässt sich durch einen Umkehrschluss erweitern: In einer systematisch-theologischen Deutung, die Jesu Sündlosigkeit in der Weise von Gerechtigkeit und Nichtwillkür seines Handelns, sowie seine Irrtumslosigkeit im Kontext seines Sendungshandelns voraussetzt, legt sich folgende Hypothese zu einer Hermeneutik von Jesu Gerichtsworten nahe:

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2. Wann immer Jesus Gerichtsworte an Menschen bzw. Menschengruppen richtet, ist ein vorausgegangener Kairos eines ergangenen Gnadenangebots anzunehmen, das die Menschen in ihrem Herzen erreicht hat, aber dennoch – und deshalb schuldhaft – von ihnen abgelehnt wurde.

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Dass Menschen von Jesu Verkündigung erreicht wurden, bedeutet nicht nur, dass sie der Botschaft intellektuell zustimmen konnten, sondern dass sie dafür offen waren und so eine echte Chance hatten, sie mit Konsequenzen für ihr Leben anzunehmen. Eine solche Offenheit kann sich durch eine anfängliche Zustimmung zeigen.

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1.4 Die Reaktion der Synagogenbesucher Nazarets auf Jesu Verkündigung in dramatischer Interpretation

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Wenn die zweite Hypothese zur Hermeneutik der jesuanischen Gerichtsworte zutrifft, dann müsste es als Voraussetzung für Jesu Gerichtsworte zwei gegenläufige Momente geben: nämlich [1.] eine anfängliche Zustimmung, die sich aber nicht durchsetzt, sondern [2.] in eine schlussendliche Ablehnung mündet.

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Diese beiden gegenläufigen Momente von Annahme und Ablehnung finden sich in allen drei synoptischen Versionen von Jesu Verkündigung in Nazaret:

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„Am Sabbat lehrte er in der Synagoge. Und die vielen Menschen, die ihm zuhörten,
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[1.] staunten und sagten: Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist! Und was sind das für Wunder, die durch ihn geschehen!
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[1. ~2.] 3 Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns?
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[2.] Und sie nahmen Anstoß an ihm und lehnten ihn ab.
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[3a.] 4 Da sagte Jesus zu ihnen: Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie.
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[3b] Und er konnte dort kein Wunder tun; nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie.“ (Mk 6,2-5)
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Zur Nummerierung: Nach [1.] Zustimmung und [2.] Ablehnung werden mit [3.] darauf folgende Gerichtsworte Jesu [3a] sowie richtende Konsequenzen auf der Handlungsebene [3b] benannt. [1.>2.] markiert einen ambivalenten Übergang zwischen [1.] und [2.].
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Identisch ist die Struktur bei Mt 10,54-58. Auch bei Lukas finden wir die gleiche Struktur, allerdings in einer modifizierten Ausgestaltung:

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„Dann schloss er die Schriftrolle, gab sie dem Diener zurück und setzte sich hin. Und die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet. 21 Er begann aber zu ihnen zu sprechen: ‚Heute ist dieses Schriftwort in euren Ohren erfüllt.‘
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[1.] 22a Und alle pflichteten ihm bei (καὶ πάντες ἐμαρτύρουν αὐτῷ)
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[1.~2.] 22b und staunten über die gefälligen Worte, die aus seinem Mund hervorkamen (καὶ ἐθαύμαζον ἐπὶ τοῖς λόγοις τῆς χάριτος τοῖς ἐκπορευομένοις ἐκ τοῦ στόματος αὐτοῦ)
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[2.] 22c und sprachen: ‚Ist dieser nicht ein Sohn Josefs?‘(καὶ ἔλεγον, Οὐχὶ ὑιός ἐστιν Ἰωσὴφ οὗτος;)
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[3a] 23 Und er sprach zu ihnen ... (Lk 4,22-30)12
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Die Konsequenzen auf Wortebene [3a: Vers 23-27] und auf Handlungsebene [3b: Vers 28-30] sind bei Lukas im Vergleich zu den anderen Synoptikern ungleich ausführlicher und dramatisch ausgestaltet. Dafür ist die vorausgehende Reaktion der Synagogenbesucher mit ihren beiden Aspekten von Zustimmung [1] und Ablehnung [2] in einen einzigen Vers komprimiert. Unser Interpretationsansatz ergibt hier einen Umschlag von anfänglicher Zustimmung zu Ablehnung, wobei die Verdichtung dieses Prozesses in einen einzigen knappen Satz eine dramatische Zuspitzung dieses Umschlags auf einen äußerst knappen Entscheidungszeitraum nahelegt. Dieser ist nur nachvollziehbar unter der Annahme, dass massive widerstreitende Kräfte auf die Synagogenbesucher wirkten:

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Den im vorigen Kapitel beschriebenen Negativkräften eines „chauvinistischen“ Insistierens auf die eigene Vorzugsstellung im Vergleich oder Gegensatz zu anderen (Kafarnaum; die Heiden) steht die göttliche Heilsmacht entgegen, die von Jesus und seiner Verkündigung ausstrahlt. Nicht nur mit seinen Verkündigungsworten, sondern mit seinem ganzen Wesen muss er einen tiefen Eindruck auf die Anwesenden gemacht haben. Ohne einen solchen Eindruck wäre eine allgemeine Zustimmung zu dem geradezu revolutionären „Heute hat sich ... erfüllt“ unvorstellbar.13 „Und alle pflichteten ihm bei“ (V 22) darf also nicht einfach nur als oberflächliche Zustimmung gewertet werden,14 sondern als Ausdruck einer starken Evidenz von der Richtigkeit und Angemessenheit der Verkündigung Jesu. Diese artikulierte sich in dem Zeugnis, das sie ihm laut Vers 22a ausstellten („ἐμαρτύρουν“). Von daher waren Jesu richtende Worte mehr als ein äußerlich verhängtes Urteil. Ihre eigene Einsicht richtete sie. Gegen ihr anfänglich vorhandenes besseres Wissen versuchten sie die erkannte Wahrheit auszulöschen, indem sie dem Zeugen der Wahrheit nach dem Leben trachteten. Das gelang ihnen (noch) nicht. „Er aber schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg“ (v 30) – und mit ihm schwand die Heilszusage, der Kairos, den Jesus ihnen eröffnet hatte.

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Lukas beschreibt also nicht bloß eine äußere Konfrontation, sondern einen dramatischen Kampf zwischen gegensätzlichen Kräften. Nach einer kurzen Phase der Unentschiedenheit, markiert durch das ambivalente θαυμάζειν (Staunen) von Vers 22b – gewinnen die destruktiven Mächte mit der Frage in 22c die Oberhand: „‚Ist dieser nicht ein Sohn Josefs?“ Dass der ein Gnaden-Kairos damit verloren ist, bestätigt die anschließende kritisch-konfrontative Rede Jesu. Sie setzt voraus, dass nach Jesu Urteil die Gnadenchance seiner Verkündigung (a) die Anwesenden wirklich erreicht hatte und (b) von diesen schuldhaft verfehlt wurde. Ersteres kommt durch Vers 22a und letzteres durch Vers 22c zum Ausdruck.15

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Diese dramatische Interpretation von Lk 4,22 mag gegenüber konventionellen glatteren Deutungen als voraussetzungsreicher erscheinen. Sie wird aber dem Erzählverlauf besser gerecht:16 Die dynamische Deutung von Vers 22 lässt diesen als geeigneter erscheinen, die beiden Teile von vorausgehender Heils- und nachfolgender Gerichtsverkündigung miteinander zu verbinden. Und der Sinn der nachfolgenden langen Rede Jesu wird plausibler: als Aufdeckung der bestimmenden Negativkräfte. Besser nachvollziehbar wird auch die daran anschließende aggressive Eskalation, welche das Vorhandensein dieser massiven destruktiven Mächte nochmals bestätigt.

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1.5 „Kairos des Besuchs“ bei Lukas

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Von „Kairos“ ist in Lk 4 nicht ausdrücklich die Rede. Wohl aber von einem Handeln Gottes in Jesus Christus, welches Lukas andernorts als Kairos bezeichnet, – im Sinn einer „von Gott angebotenen, wertvollen Gelegenheit“17. So in Lk 19,44, wo Jesus in einem Klagegeschrei über Jerusalem – repräsentativ für ganz Israel – ausruft:

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„Denn es werden Tage über dich kommen; dann werden deine Feinde eine Palisadenschanze gegen dich errichten und dich einschließen und dich von allen Seiten bedrängen. 44 Und sie werden dich dem Erdboden gleichmachen und deine Kinder in dir. Und sie werden in dir keinen Stein auf dem anderen lassen, weil du den Augenblick deiner Heimsuchung [wörtlich: den Kairos des Besuchs – to.n kairo.n th/j evpiskoph/j] nicht erkannt hast.“ (Lk 19,43-44).18
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Als „Kairos des Besuchs“ (kairo.j th/j evpiskoph/j) kann wohl auch Lk 4 für Nazaret gelten. Kairos steht hier für eine zeitlich begrenzte Chance, die souverän von Gott für bestimmte Menschen vermittelt durch bestimmte Heilsmittler zu einem bestimmten Heilsangebot eröffnet wurde. Dieses Heilsangebot wird im Lukasevangelium mehrfach programmatisch als „eschatologischer ‚Besuch‘“19 Gottes bei den Menschen bezeichnet. Im „Benedictus“ des Zacharias spricht Lukas zweimal von einem solchen Besuchen. Am Anfang des Lobpreises mit Bezug auf die Geburt von Johannes dem Täufer: „Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels, weil er sein Volk besucht hat (evpeske,yato) und die Befreiung für sein Volk gemacht hat“ (Lk 1,68)20; und am Ende des Lobpreises in Erwartung Jesu Christi als des „Höchsten“ (V 76): „... durch das mitleidige Herz unseres Gottes, der uns durch das Aufgehende aus der Höhe besuchen wird (evpiske,yetai)“(Lk 1,78)21

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Eine Ahnung, wie ein rechtes „Erkennen“ (Lk 19,44) der „Zeit des Besuchs“ Gottes aussehen hätte sollen, gibt folgende Stelle aus dem Lukasevangelium. Auf die Auferweckung des Sohnes der Witwe von Nain beschreibt Lukas folgende Reaktion des Volkes:

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„Furcht aber ergriff alle, und sie priesen Gott und sagten: Ein großer Prophet ist unter uns aufgestanden, und: Gott hat sein Volk besucht [evpeske,yato].“ (Lk 7,16)22
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Im Unterschied zu Lk 4,22b bleiben die Menschen hier nicht staunend auf Jesus fixiert, sondern gelangen zu einem spontanen Lobpreis Gottes. Auf diese Weise wird der Besuchende – Gott – von den Besuchten aufgenommen. In diesem Sinn kann man unter Verwendung der Formel von Lk 19,44 sagen: Hier, in dieser Situation, haben sie den Kairos des Besuchs erkannt. Eine echte Begegnung von Gott und Mensch kommt zustande. So entstehen neue Kairoi für viele andere:

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„Und dieses Wort über sein Wirken ging aus in ganz Judäa und der ganzen Umgebung“ (Lk 7,17)23.
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2. „Das Gottesreich ist nahe“ (Mk 1,15b) – Gegenwart und Zukunft der Gottesherrschaft in Christus

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2.1 Das nahe gekommene Gottesreich (Mk 1,15)

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Der lukanischen Jesusrede vom heute erfüllten („σήμερον πεπλήρωται“) Schriftwort entspricht im Markusevangelium die Formulierung:

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„Der Kairos ist erfüllt (πεπλήρωται ὁ καιρὸς), die Königsherrschaft Gottes ist gekommen [ἤγγικεν]“ (Mk 1,15)24
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Das grammatikalische Perfekt „nahe gekommen“ bezeichnet Gegenwart und Zukunft, „jetzt schon“ und „noch nicht“ gleichermaßen,25 und zwar dadurch, dass das Gottesreich als dynamische Wirklichkeit begriffen wird, die in sich die Kapazität zu einer grenzenlosen Ausbreitung hat, – wie es ja auch die Wachstumsgleichnisse beschreiben.

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Diese Ausbreitung erfolgt allerdings – entsprechend dem Gleichnis vom Sämann – nicht automatisch, sondern hängt von einer freien Zustimmung der Adressaten ab. Fällt diese aus, kann das Samenkorn der ankommenden Gottesherrschaft beinah augenblicklich verloren gehen (vgl. Mk 4,4.15). Damit scheint allerdings die Effektivität von Jesu Gottesreichbotschaft im Ansatz in Frage gestellt. Sie beweist sich aber – und wird gerade nicht widerlegt – durch die Wende seines Wirkens von Gottesreichverkündigung über die Gerichtsworte zu Kreuz und Auferstehung. Entsprechend dem Bildwort vom Weizenkorn, das sterben muss, um reiche Frucht zu bringen (Joh 12,24), erweist sich die Ausbreitungskraft von Jesu Gottesreichverkündigung durch den Umstand, dass seine gewaltsame Zurückweisung die Ausbreitung nicht aufhält, sondern auf dramatischen Wegen sogar entfesselt.26

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Jesu Gottesreichverkündigung ist hier als Freiheitsgeschehen begriffen, und zwar in der radikalisierten Weise, dass Freiheit – im Rahnerschen Sinn einer Selbstbestimmung des Menschen vor Gott auf Endgültigkeit hin27 – durch Jesu Heilswirken nicht ausgeschaltet, auch nicht einfach nur erhalten, sondern aktuell freigesetzt wird. Durch die in der Begegnung mit Jesus und seinem Heilswirken erfahrene Ankunft von Gottes Herrschaft werden Menschen zu einer Neuausrichtung ihres Lebens – mit ungeteiltem Herzen auf Gott hin – befähigt.

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„Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe.
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[Deshalb:] Kehrt um [μετανοεῖτε], und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15)
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Die Umkehrforderung wird zumutbar durch die Zusage des ankommenden Gottesreichs, welches als erfahrenes Heilsereignis zu einer radikalen Sinnesänderung (wörtlich: μετανοεῖτε)28 überhaupt erst befähigt. Diese verbreitete Interpretation von Mk 1,15 setzt am von Jesus angekündigten Gottesreich etwas voraus, das bereits vollständig angekommen ist. Einige Evangelientexte beziehen sich ausdrücklich auf dieses Gegenwartsmoment der Gottesherrschaft, vor allem Lk 11,20:

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2.2 Das Gegenwartsmoment des Gottesreichs: angekommen und angenommen

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„Wenn ich aber die Dämonen durch den Finger Gottes austreibe, dann ist doch das Reich Gottes schon zu euch gekommen.“ (Lk 11,20)
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Im Unterschied zur Perfektform von ἤγγικεν („ist nahe gekommen“) aus Mk 1,15, welches etwas gegenwärtig Angefangenes bezeichnet, steht hier der Aorist ἔφθασεν, was ein – allerdings räumliches29 – Angekommensein als bereits abgeschlossenes Ereignis besagt. Im exorzistischen Befreiungswirken Jesu hat sich Gottes Herrschaft vom Himmel her bis auf die Erde ausgedehnt und ist hier angekommen, – zwar ganz, aber in seiner Ausbreitung noch räumlich begrenzt. Darin liegt der Unterschied zur Parusie als einem „Kommen in Macht“ (Mk 9,1). Dieser Unterschied betrifft aber nur die Weite der Ausbreitung, die „Extensität“, nicht die Intensität. An dem Ort Jesu und seines Wirkens ist die Gottesherrschaft Jesu bereits ganz angekommen,30 nicht erst ansatzweise oder vorläufig oder in einer bloß äußerlichen Zeichenhaftigkeit.31

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Soll die Freiheit der Menschen nicht verloren gehen, dann muss die Ausbreitung dieses Ganz-Angekommensein Gottes32 in der Welt als ein personales Geschehen begriffen werden: in Ereignissen einer Begegnung, in der Gott nicht nur angekommen, sondern auch in Freiheit angenommen ist.33 Das vollständige Angekommen- und Angenommensein Gottes in der Welt in der Person Jesu Christi ist sozusagen der Zündfunke des Gottesreichs. Vermittelt durch Jesu Zeugnis in Wort und Tat kommt Gott auch bei anderen Menschen an. Und alles hängt nun davon ab, ob „der Funke überspringt“, indem auch von ihnen der Angekommene angenommen wird. Geschieht das, dann werden sie nun selber zu Zeugen von Gottes Ankunft, indem sie diese nicht nur ansagen, sondern realsymbolisch vergegenwärtigen. Wie Jesus – eigentlich: hineingenommen in seine Gottespräsenz und auf diese Weise „in Christus“34 – verweisen sie nicht nur informativ oder äußerlich zeichenhaft auf Gottes Ankunft, sondern werden selber zum Ereignis, zum „Kairos“35 der anbrechenden Gottesherrschaft für Dritte. Auf diese Weise breitet sich das Gottesreich weiter aus, – machtvoll, aber ohne die menschliche Freiheit zu überfahren.36 Dass diese Ausbreitung geschehe, ist Jesu drängende Sehnsucht:

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„Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!“ (Lk 12,49)37
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2.3 Gegenwart und Zukunft des Gottesreichs

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Darin, dass Gott nicht nur angekommen, sondern – in freier Selbstbestimmung, sich von Gott ganz bestimmen zu lassen – angenommen ist, besteht die Eigenart der βασιλεία als Gottesherrschaft. Dass dies in Jesus ohne jede Einschränkung erfolgt ist, ist das noch nicht dagewesene Neue seines Wirkens, welches es rechtfertigt, im Unterschied zu allen früheren prophetischen Verheißungen von einem Kairos und „Jetzt schon“ der – von den zeitgenössischen Juden als eschatologisches oder apokalyptisches Ereignis erwarteten – Gottesherrschaft zu sprechen. Das „Noch nicht“ hingegen bezieht sich auf deren noch ausstehende umfassende Ausdehnung durch eine universale Verkündigung und Annahme. Der beschriebene Ansatz erlaubt es, Gegenwarts- und Zukunftsaussagen zwanglos miteinander zu vereinbaren, ohne eine von ihnen zu nivellieren. Das von Jesus angesagte Gottesreich erweist sich – in einer alttestamentliche Verheißungen überbietenden und diese dennoch nicht entwertenden Weise – als ganz gegenwärtig und zugleich noch fast vollständig ausstehend.

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So nimmt zum Beispiel die futurische Vaterunserbitte „dein Reich komme“ dem Anspruch, dass in Jesu Wirken das Gottesreich bereits ganz angekommen ist, nichts weg. Denn mit ihr bittet die Jüngergemeinschaft um die Ausbreitung der in Jesus vollkommen gegebenen Gottesgegenwart auf ihre Lebenswelt, sodass sie auch dort wie bei Jesus Gott nicht nur angekommen, sondern angenommen sein wird. Die so verstandene zweite Vaterunserbitte entspricht damit ganz der anschließenden: „Dein Wille geschehe“.

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Auch folgende, in der Interpretation umstrittene präsentische Aussage wird so zwanglos erklärbar:

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„Als er aber von den Pharisäern gefragt wurde, ‚Wann kommt die Gottesherrschaft?‘, antwortete er ihnen und sprach: ‚Die Gottesherrschaft kommt nicht mit Beobachtung (μετὰ παρατηρήσεως). 21 Man wird nicht sagen: ,Siehe hier!‘ oder ,dort!‘, denn siehe, die Gottesherrschaft ist bei euch (ἐντὸς ὑμῶν).‘“ (Lk 17,20-21)38
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Das ἐντὸς ὑμῶν besagt nicht primär „unter euch“ oder „in euch“, sondern „in eurem Einflussbereich“39 Durch Wunder und Befreiungstaten wird das Gottesreich erfahrbar, durch seine Gleichnisse begreifbar, und so hängt nun alles davon ab, ob dieser Kairos genutzt wird (vgl. Kol 4,5; Eph 5,16), um das Erfahrene und Begriffene auch kompromisslos zu ergreifen. Dieses entschiedene Ergreifen unterscheidet sich grundlegend von einer existenziell unengagierten Beobachtung (Vers 20: παρατήρησις), auf welche die Pharisäer mit ihrer Zeichenforderung abzielen.

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3. Parusie: Grenzfall einer universalen Reichweite der Königsherrschaft Gottes

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3.1 Jesu „Erhöhung“ als Zielpunkt seiner Naherwartung

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Mehrere Evangelientexte bezeugen eine ausgeprägte Naherwartung Jesu und seiner Jünger, die sich auf die Parusie des Menschensohns bezieht, in Verbindung mit dem hereinbrechenden Ende der Welt.40 Nach Mk 9,1 rechnete Jesus mit diesem Ereignis noch in der gegenwärtigen Generation:

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„Und er sagte zu ihnen: Amen, ich sage euch, es gibt einige unter den hier Stehenden, die den Tod nicht kosten werden, bis sie das Reich Gottes in Macht gekommen sehen.“ (Mk 9,1)41
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Hat Jesus sich damit geirrt, oder gibt der Text gar nicht seine Worte wider, sondern ist Niederschlag einer apokalyptischen Endzeitstimmung, welche die Redaktoren auf Jesu Botschaft projiziert haben? Oder ist Jesu Naherwartung auf eine Weise zu verstehen, dass sie durch das Ausbleiben des erwarteten Weltendes gar nicht widerlegt wurde? In die zuletzt genannte Richtung hat Hans Urs von Balthasar einen überzeugenden Vorschlag entwickelt, indem er Jesu Naherwartung mit seinem Sendungsbewusstsein in Beziehung brachte:42 Jesus erfuhr sich als gesandt, durch sein Wirken die Welt zur Vollendung zu bringen. Die unmittelbar bevorstehende Vollendung dieses Wirkens hat er durch die Rede von Parusie und Weltende zum Ausdruck gebracht. Mit seinem Kreuzestod wurde nicht nur seine Sendung zu einem zeitlichen Ende, sondern – in Verbindung mit der Auferstehung – auch zur Vollendung geführt: durch eine neue Qualität der von Jesus vermittelten Gottesgegenwart – im Herzen von Mensch und kirchlicher Gemeinschaft durch den Heiligen Geist. Damit war durch das (bei Johannes als „Erhöhung“ zusammengeschaute) Doppelereignis von Tod und Auferweckung die Ankunft Gottes (vermittels der Ankunft Christi) in der Welt zu einem Abschluss gebracht. So erscheint es nicht nur nachvollziehbar, sondern auch berechtigt, wenn Jesus die zeitgenössische eschatologisch-apokalyptische Naherwartung auf das Ereignis seines Todes und seiner Auferstehung bezog.43

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3.2 Die Naherwartung der frühen Christen bezieht sich auch auf innergeschichtliche Kairoi

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Für die Erfahrung der ersten Christen und insgesamt der Kirche treten die vom vorösterlichen Jesus zusammengeschauten Ereignisse seiner Auferstehung und seiner Parusie auseinander. Sie zeigen sich nun als vergangener Anfangs- und zukünftiger Endpunkt einer Zwischenzeit, der Zeit der Kirche. Ein tiefer, innerer Zusammenhang dieser beiden Ereignisse wird aber weiterhin wahrgenommen: In Jesu Tod und Auferstehung ist der Tod bereits besiegt und die Vollendung vorweggenommen. Für den Kampf, in den die „streitende Kirche“ gestellt ist, ist der Sieg in Christus bereits geschehen.44 Demgemäß leben Christen nicht nur auf das Himmelreich hin, sondern vom Himmel her,45 bekennen Christus als den, der die Welt bereits erlöst hat (Offb 1,5), und feiern mitten in Bedrängnissen die Eucharistie als „himmlische Liturgie“46.

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Demgemäß ist für die Zeit der Kirche die Ankunft Christi nicht nur endzeitliche Zukunft, sondern eine immer wieder erfahrene Gegenwart: in Erfahrungen des ausgegossenen Heiligen Geistes47 und in der Feier der Sakramente. Das „Maranatha“ der ersten Christen changiert zwischen dem Sehnsuchtsruf „Komm, Herr“ und dem Bekenntnis „Der Herr ist gekommen“.48 Die christliche Eschatologie ist futurisch und präsentisch zugleich, und zwar beides ‚je ganz‘ 49, wie bei der Gottesreichverkündigung Jesu: zugleich ganz „jetzt schon“ und ganz „noch nicht“.

86
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Das heißt: Von ihrer jesuanischen Grundlegung her ist christliche Eschatologie auch echt futurisch. Im Unterschied zu einer „Stetserwartung“, die – etwa in der existentialen Interpretation Bultmanns – jeden Moment unterschiedslos zum entscheidenden erhebt, gibt es ein echtes Warten auf innergeschichtliche Kairoi, mit einem echten Jetzt-noch-nicht. Auch im Vergleich zu chronologischen (unter Umständen sogar terminisierten) Naherwartungsvorstellungenen ist die Dringlichkeit dieses Wartens nicht verringert, sondern sogar noch verschärft. Denn die neutestamentlichen Warnungen zur Wachsamkeit – dass „der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht“ (1 Thess 5,2)50 – können sich buchstäblich in der folgenden Minute bestätigen: nicht erst in der fundamentalistisch errechneten Weltkatastrophe in ein paar Jahren, auch nicht erst in der Stunde des eigenen Todes, sondern in zahllosen kleineren oder größeren Kairoi der Ankunft Christi, seiner „Heimsuchung“ (1 Petr 2,12) in Gnade oder Gericht, von Erfahrungen des Heiligen Geistes oder Stunden der Bewährung, in der anonymen Begegnung mit Jesus Christus in mitmenschlichen Kontakten (vgl. Mt 25,31-46), die Freiheit freisetzen zu einem heilbringenden Ja oder einem verschärft destruktiven Nein gegenüber dem innerweltlich sich offenbarenden Gott.

87
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Der biblische Ruf zur Wachsamkeit wird nivelliert in einer präsentischen oder existentialen Eschatologie, für die unterschiedslos immer Kairos ist (vgl. Joh 7,6).51 Und sie wird entkräftet in einer futurischen Eschatologie, für die die Wiederkunft Christi nach jahrtausendelang erfahrener Parusieverzögerung auf den Nimmerleinstag hinausgeschoben scheint. Ein Kairos der Heimsuchung kann hingegen jederzeit erfolgen, – als Chance und Gefahr, als Heil und Gericht. So bleibt die biblisch eingemahnte Wachsamkeit des Wartens akut. Eine an Kairoi orientierte Kirche verliert ihre eschatologische Spannkraft nicht.

88
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Die zahllosen großen und kleinen „Kairoi“, die die Zeit der Kirche sowie die Zeiten der Christen interpunktieren, sind Vorschattungen der endzeitlichen Parusie, die den äußersten Horizont und letzten Zielpunkt von vielen „kleinen Ankünften“ bildet. Wenn die hier entworfene Sichtweise zutrifft, dann muss es eschatologische Aussagen im Neuen Testament geben, die sich nicht nur rein futurisch auf die endzeitliche Wiederkunft Christi und nicht nur in präsentischer Eschatologie auf innergeschichtliche Ereignisse zu beziehen, sondern auf beides zugleich. Dies soll exemplarisch an einigen Stellen belegt werden.52

89
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Als Paulus sich von den Korinthern kritisiert sieht, fordert er sie auf:

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Richtet also nicht vor der Zeit (πρὸ καιροῦ); [wartet], bis der Herr kommt (ἕως ἂν ἔλθῃ ὁ κύριος), der das im Dunkeln Verborgene ans Licht bringen und die Absichten der Herzen aufdecken wird. Dann wird jeder sein Lob von Gott erhalten.“ (1 Kor 4,5)
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Heißt das, dass die Korinther bis zum Jüngsten Tag überhaupt niemals richten dürfen? Oder bedeutet es nicht eher, dass sie (gemäß Vers 5a) einen Kairos dafür abwarten sollen, an dem Paulus in für sie ersichtlicher Weise – lobend oder richtend – vom Herrn beurteilt wird? Letzteres entspricht auch dem Sinn der vorangehenden Aussage von Paulus: „Der Herr ist es, der mich zur Rechenschaft zieht“ (Vers 4). Endzeitliche und innergeschichtlich-kairologische Deutung schließen sich hier nicht aus, sondern ergänzen sich zwanglos.53

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Nicht anders beim Urteil von Paulus angesichts eines „Falls von Blutschande“:

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„Im Namen Jesu, unseres Herrn, wollen wir uns versammeln, ihr und mein Geist, und zusammen mit der Kraft Jesu, unseres Herrn, 5 diesen Menschen dem Satan übergeben zum Verderben seines Fleisches, damit sein Geist am Tag des Herrn gerettet wird. “ (1Kor 5,4-5)
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Wenn hier von einer Rettung des Sünders erst am Jüngsten Tag die Rede wäre, dann würde es sich um einen Heilsautomatismus handeln: jetzt Verderben und dafür endzeitliche Rettung.54 Anders, wenn der „Tag des Herrn“ sich auch auf einen innergeschichtlichen Gnaden- oder Gerichts-Kairos beziehen kann,55 auf den der Frevler durch den Gemeindeausschluss (um den es sich ja beim „Übergeben an den Satan“ handelt) und die dadurch provozierten Bedrängnisse vorbereitet wird.56 Wenn der Sünder diese Gnadenchance wahrnimmt, dann ist er – ohne jeden Automatismus – auch für den Jüngsten „Tag des Herrn“ gerettet.

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Oder: Bezieht sich folgende in Röm 8 artikulierte Heilshoffnung ausschließlich auf das endzeitliche Heil?

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„Ich bin überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit („τοῦ νῦν καιροῦ“) nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll. 19 Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes.“ (Röm 8,18-19)
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Die Leiden des gegenwärtigen Kairos sind zu verstehen als eine begrenzte Prüfungszeit; wird sie bestanden, dann wird etwas von „der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll“, sichtbar werden – bereits innergeschichtlich – auch wenn es in Fülle erst am Ende der Zeiten geschehen wird.

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Oder im ersten Petrusbrief:

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„Führt unter den Heiden ein rechtschaffenes Leben, damit sie, die euch jetzt als Übeltäter verleumden, durch eure guten Taten zur Einsicht kommen und Gott preisen am Tag der Heimsuchung (ἐν ἡμέρᾳ ἐπισκοπῆς)“ (1 Petr 2,12).
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Bezieht sich dieser Tag des Besuchs57 Gottes nur auf die Parusie, oder nicht auch auf innergeschichtliche Kairoi, welche die Heiden – vorbereitet durch das Zeugnis der Christen – nutzen können, sodass sie bereits innergeschichtlich dazu kommen, zu glauben und Gott zu preisen?

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4. „Die Zeit ist erfüllt“ (Mk 1,15a). Kairos als Ereignis der angekommenen und angenommenen Gottesherrschaft

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4.1 Kairos als „Treffer“ und die „Zeichen der Zeit“

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In einer umfangreichen semantischen Studie hat Norbert Baumert nachgewiesen, dass die Bedeutung des neutestamentlichen Begriffs Kairos nicht primär zeitlich ist.58 Bei großer semantischer Variabilität hat er als Kernbedeutung „Treffer“ vorgeschlagen.59 In Bezug auf Personen ist Kairos etwas, was sie trifft oder betrifft, Voraussetzungen, Umstände oder Effekte eines Handelns betreffend, Situation oder auch Ereignis.60 Bei diesen Bedeutungen ist ein zeitliches Moment meist mitgegeben, aber nicht primär.

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So verhält es sich auch mit jenen zwei biblischen Texten, in denen gemäß konventioneller Übersetzung von „Zeichen der Zeit“ die Rede ist.

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„Heuchler, das Aussehen der Erde und des Himmels wisst ihr zu beurteilen; diesen Kairos aber — wie (kann es sein, dass) ihr (ihn) nicht zu beurteilen wisst?“ (Lk 12,56)61
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Hier geht es nicht darum, eine Zeit zu beurteilen, sondern „dieses Ereignis“, nämlich das Wirken Jesu. Ebenso in Mt 16,3, das allerdings erst von späteren Textzeugen aufgenommen ist:

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„Da kamen die Pharisäer und Sadduzäer zu Jesus, um ihn auf die Probe zu stellen. Sie baten ihn: Lass uns ein Zeichen vom Himmel sehen. 2 Er antwortete ihnen: 3 Das Aussehen des Himmels wisst ihr zwar zu beurteilen, aber die Zeichen der Kairoi (σημεῖα τῶν καιρῶν) könnt ihr nicht beurteilen“ Mt 16,1-3.62
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Die Übersetzung als „Zeichen der Zeiten“ schafft hier Probleme: welcher Zeiten? Anders, wenn man Kairos als Ereignis versteht, das Menschen betrifft.63 Meteorologische Beurteilungen sind ohne existenzielles Engagement möglich. Die personalen Ereignisse (Kairoi), in denen Gott handelt bzw. Zeichen von solchen Ereignissen (σημεῖα τῶν καιρῶν) – im Wirken und den Wundertaten Jesu – können hingegen nur erkannt, unterschieden und beurteilt werden, wenn man sich existenziell – d.h. in einem gesamtmenschlichen Engagement, welches für den Vollzug von Glauben unabdingbar ist – auf sie einlässt.64

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Nach Baumerts Analyse kann das Wort Kairos – um die abstrakte Kernbedeutung „Treffer“ herum – viele Bedeutungen haben, die jeweils im Einzelnen zu prüfen sind.65 Gewichtig für das NT sind darunter jene Kontexte, wo sich Kairos auf Gottes Heilshandeln durch Jesus Christus bezieht.66 Hierfür soll im Folgenden von Gnaden-Kairos gesprochen werden. Entsprechend der vorausgehenden Analysen zu Mk 1,15 ist unter Kairos dabei nicht primär ein Zeitpunkt, sondern ein Ereignis des angekommenen und angenommenen Gottes zu verstehen. Kairos bedeutet hier (entsprechend der Grundbedeutung) „Treffer“, und zwar als ein Zusammentreffen von Gott und Mensch, Himmel und Erde – wie ein Blitz auf der Erde einschlägt und trifft – aber nicht in der Weise eines zwingenden Naturereignisses („Zeichen vom Himmel“), sondern als ein Ereignis des Zündens, das nur angemessen erkannt und unterschieden werden kann, wenn man den Kairos „wahr-nimmt“, indem man sich – in allen Dimensionen seines Seins, vom Erkennen über das Entscheiden bis hin zum Handeln – davon entzünden lässt.

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Dieses Ereignis hat seinen souverän göttlichen Urheber (in dessen Entscheid zum Besuch,67 also als „Angekommener“), seinen zündenden „Fokus“ im Ereignis der Annahme durch eine Person – die somit Urheber des Kairos in einem sekundären Sinn ist: durch eine zumindest anfanghafte Annahme erst kommt der Kairos zustande – und seine unter Umständen wechselnden Adressaten („Kairos für ...“): Für sie ist der Kairos als Möglichkeit gegeben – angekommen, aber noch nicht angenommen – um durch den Akt der Annahme „erfüllt“ zu werden.68 Und in Bezug auf die jeweiligen Adressaten (und ihre Disposition und Reaktion) hat der Kairos auch seine Zeit.69 Schließlich kann ein Gnaden-Kairos auch noch ein Handlungsziel („Kairos, um zu ...“) haben, das entweder ausdrücklich benannt oder durch den situativen Kontext gegeben ist, und an dem sich eine Annahme oder ein Nutzen des Kairos zu konkretisieren hat.70

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4.2 „Der Kairos ist erfüllt“ (Mk 1,15a) – oder „noch nicht erfüllt“ (Joh 7,7)?

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„Die Zeit ist erfüllt, (πεπλήρωται ὁ καιρὸς)
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und das Reich Gottes ist nahe. (καὶ ἤγγικεν ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ)“ (Mk 1,15)
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Hier wird die Rede vom erfüllten Kairos meist als faktisch gleichbedeutend mit der anschließenden Aussage vom nahe gekommenen Gottesreich gesehen: „Die Zeit ist erfüllt worden, weil die Gottesherrschaft nahegekommen ist.“71

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Wie aber kann ein Kairos erfüllt sein? Erfüllt werden können Zeiträume und Fristen, was aber biblisch mit Chronos ausgedrückt wird.72 Was ein erfüllter Kairos sein kann, wird verständlich, wenn man hier Kairos nicht primär temporal – als qualifizierte Zeit –, sondern als Ereignis versteht – und zwar als Ereignis der in Christus anbrechenden Basileia. „Πεπλήρωται ὁ καιρὸς“ heißt dann: „Das (von Gott angekündigte) Ereignis (des anbrechenden Gottesreichs) ist erfüllt (im Sinn von: verwirklicht).“

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Es handelt sich dabei um ein personales Ereignis: nämlich der restlosen Annahme des sich anbietenden Gottes durch Jesus Christus. Insofern ist es zwar auch hier Gott, der die Erfüllung der Zeiten – oder: der bereits prophetisch vorhergesagten Ereignisse – souverän bestimmt,73 aber eben dadurch, dass Jesus den von Gott festgesetzten Kairos frei handelnd erfüllt, indem er die Werke des himmlischen Vaters tut.74 So macht er den angekommenen Gott zum in dieser Welt angenommenen und errichtet auf diese Weise die Königsherrschaft Gottes.

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Wie aber kann dann Jesus nach dem Johannesevangelium sagen: „Mein Kairos ist noch nicht erfüllt?“ Zu seinen Brüdern, die ihm empfahlen, in Judäa bzw. Jerusalem zu predigen, antwortete er nämlich:

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„Mein Kairos ist noch nicht da (οὔπω πάρεστιν), aber euer Kairos ist immer bereit. [...]
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8 Zieht ihr hinauf zum Fest! Ich steige nicht hinauf zu diesem Fest,
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denn mein Kairos ist noch nicht erfüllt (οὔπω πεπλήρωται)“ (Joh 7,6.8).75
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Die Formulierung „καιρὸς ... πεπλήρωται“ ist identisch mit jener von Mk 1,15, nur eben verneint: „οὔπω – noch nicht“. Der Gegensatz gründet darin, dass das Johannesevangelium die „Stunde“ oder den „Kairos“ ganz im Ereignis der Erhöhung Christi in Tod/Auferstehung zentriert, während die Synoptiker den Kairos mit Jesu Verkündigung beginnen lassen. Beides schließt sich aber nicht aus, weil es sich beim Kommen der Basileia und beim Erfüllen des Kairos um ein dynamisch sich verwirklichendes Geschehen handelt. Zwar ist Gott in Christus

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zwar schon vor Beginn seiner Verkündigung ganz angekommen und angenommen,76 aber die Intensität seiner Präsenz in der Welt verändert sich für die Adressaten im Verlauf seines Wirkens: In der Taufe Jesu wird sie nach dem Zeugnis der Synoptiker manifest, durch seine Verkündigung wird sie wirksam, und durch Kreuz, Auferstehung und Geistsendung beginnt seine Gegenwart die Menschen in einer Innigkeit zu erfüllen, die während des irdischen Wirkens Jesu noch aussteht. „Denn der Geist war noch nicht gegeben“ (Joh 7,39).77

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4.3 Paulus als Kairos für die Korinther

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Dem Verständnis von Kairos als personales Ereignis entspricht auch, dass eine Person – nämlich Paulus – für andere zum Kairos werden kann. So im Zweiten Korintherbrief:

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„Als Mitarbeiter aber ermahnen wir auch, daß ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangt. 2 Denn er spricht: «Zur angenehmen Zeit [καιρῷ δεκτῷ] habe ich dich erhört, und am Tage des Heils habe ich dir geholfen.» Siehe, jetzt ist die wohlangenehme Zeit [καιρὸς εὐπρόσδεκτος], siehe, jetzt ist der Tag des Heils. 3 Und wir geben in keiner Sache irgendeinen Anstoß, damit der Dienst nicht verlästert werde, 4 sondern in allem empfehlen wir uns als Gottes Diener, in vielem Ausharren, in Bedrängnissen, in Nöten, in Ängsten, [...]“ (2 Kor 6,1-4 Elberfelder)
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Der Text scheint in zwei Teile zu zerfallen. Im ersten (6,2) wird der Gemeinde ein Gnadenkairos zugesprochen, verbunden mit einer Ermahnung; im zweiten (6,3-10) beschreibt Paulus die radikale Nachfolgeexistenz von sich und anderen Aposteln. Ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Teilen wird erst mit einer Interpretation ersichtlich, wonach Paulus durch sein gelebtes Vorbild für die Gemeinde selber zum Gnaden-Kairos wird.78 Das anfängliche Zitat aus den Gottesknechtliedern – „In einem Augenblick, der (mir) gefiel, habe ich dich erhört, und an einem Rettungstag bin ich dir zu Hilfe gekommen“79 – bezieht sich demnach (dem alttestamentlichen Kontext entsprechend) primär nicht auf die Gemeinde, sondern auf Paulus als Heilsmittler. Die angeschlossene Interpretation des Gottesknechtzitats lautet wörtlich „Siehe, (hier) nun ein (solcher) Kairos, der Gott wohlgefällt“ (2Kor 6,2b). Der Kairos, den Paulus für die korinthische Gemeinde benennt, ist er selbst, der in Bedrängnis und Gottgetragenheit, in Not und Freude für die Korinther zum Ereignis des angekommenen und angenommenen Gottesreichs geworden ist und sie so – wie zuvor Christus – dazu auffordert und zugleich befähigt, in die gleiche Existenzform einzutreten.

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4.4 Zur Phänomenologie eines Gnaden-Kairos

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Gottes Gnade hält sich durch;80; aber sie ist nicht unterschiedslos allgegenwärtig, sondern ergeht durch ein freies Handeln Gottes „zu Seiner Zeit“. Sie ist „kairologisch“ in dem Sinn, dass sie Ereignischarakter hat – in Ereignissen von Gottes Selbstmitteilung – und demgemäß an bestimmte Zeiten gebunden ist. Derartige im Leben von Christen vorkommende Gnaden-Kairoi werden theologisch unter dem Stichwort „Gnadenerfahrungen“ reflektiert.81

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Es gehört zur Eigenart der hier vorgeschlagenen Kairos-Interpretation, dass ein Kairos das Ereignis von Gottes Selbstmitteilung nie nur im Modus des Angebots, sondern – zumindest ansatzweise – auch der Annahme bedeutet. Diese Annahme ist primär die durch Christus vollzogene Annahme Gottes in der Welt, weshalb unsere These sich bereits aus einem christozentrischen Verständnis von Gnade ergibt: Ein Gnadenkairos besteht aus einem Heilsangebot Gottes, das nicht nur angeboten, sondern immer auch schon angenommen ist, und zwar durch Christus an unserer Stelle.82 Wenn das der Fall ist, dann müssten sich in einer Phänomenologie von Gnadenerfahrungen Momente eines ansatzweisen Angenommenseins Gottes aufweisen lassen.

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Für interpersonale Gnadenerfahrungen ist das mühelos möglich: Eine Person nimmt Gottes erfahrene Gnade an und wird so – durchscheinend für Gottes Gegenwart – zum Kairos für andere.83 Aber setzt diese von der Mittlerin zuvor empfangene Gnade nicht auch für sie einen Kairos voraus? Diese kann natürlich wiederum durch die Mittlerschaft eines Dritten freigesetzt worden sein. Aber nicht immer ergehen Gnadenerfahrungen in interpersonalen Kontakten. Sie können sich zum Beispiel auch im Erleben von Natur- oder Kunstschönem ereignen84 oder überhaupt ohne wahrnehmbare Vermittlung auftreten. Wo finden sich dabei Anteile eines Angenommenseins, welche gemäß unserer Kairos-Interpretation vorauszusetzen sind?

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Es ist charakteristisch für Gnadenerfahrungen, dass sie einen Menschen zumindest ein Stück weit ungefragt überfallen und aus seinen gewohnten Ausrichtungen herausreißen.85 Auf diese Weise findet die von einer Gnadenerfahrung erfasste Person ein Moment des Angenommenseins von Gottes Gnadenangebot in sich selbst bereits vor. Sie erfährt sich nicht als neutral einem Gnadenangebot Gegenüberstehende, sondern als eine bereits positiv Vorentschiedene. Aus der Position eines unvordenklich vorgefundenen Ja86 erfährt sie sich als zu einer Entscheidung gegenüber dieser Vorentschiedenheit Gerufene.

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Am Beispiel einer beinahe alltäglichen Gnadenerfahrung:87 Ein Mensch erfährt sich plötzlich, ja ertappt sich geradezu dabei, dass er in einer bestimmten Situation sich „besser“ verhält, als er es eigentlich gewollt hätte: zum Beispiel im geduldigen Umgang mit einem Menschen, der es nach eigener Auffassung nicht verdient hätte. In solchen Situationen kommt unweigerlich der Punkt, wo man sich bewusst wird, was man da überhaupt dabei ist zu tun.88 In diesem Moment wird dann das der Bergpredigt entsprechende Ideal eines Engagements ohne Blick auf eigenen Vorteil oder des Hinhaltens der anderen Backe als etwas bereits Angekommenes und inchoativ Angenommenes erfahren, wobei diese anfangshafte Annahme erst im Moment ihres Bewusstwerdens zum Gegenstand einer expliziten freien Entscheidung wird. Man kann den bei sich vorgefundenen Impuls „ratifizieren“ und frei-willentlich verstärken.89 – oder man kann ihn entrüstet als eine Dummheit zurückweisen und so den in sich vorgefundenen guten Impuls im Keim ersticken.

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Analog können wir bei der ‚Antrittspredigt‘ Jesu in Nazaret annehmen, dass die Zuhörer von der in ihm andrängenden Macht des anbrechenden Gottesreichs, d.h. des angekommenen und angenommenen Gottes ein Stück weit mitgerissen wurden, sodass sie ihm trotz allen Ressentiments Zeugnis geben (Lk 4,22a) mussten. Gerade dadurch, dass ein Ja aus ihnen anfanghaft hervorbrach,90 wurde es nun auch Gegenstand einer bewussten Stellungnahme, – an sich selbst oder an den aufmerksam beobachteten Anderen.91

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4.5 Kairos und Freiheit

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Wie steht es aber dann um die Freiheit von Menschen in Gnaden-Erfahrungen? Es ist ein gnadentheologischer Grundsatz, dass Gott Menschen nicht überfährt, sondern ihre Freiheit respektiert. Eine phänomenologische Analyse von Gnadenerfahrungen – biblisch, geschichtlich bis gegenwärtig – wird aber ergeben, dass Menschen ungefragt von ihnen getroffen werden. Ein extremes Beispiel: Saulus wurde von Gott nicht zuvor gefragt, ob es ihm recht wäre, von Gott geblendet zu werden. Aber selbst Paulus behielt die Freiheit, „gegen den Stachel auszuschlagen“ (Apg 26,14), oder genauer: er gewann sie wieder, denn auch die gewaltigste Erfahrung beginnt irgendwann zu verblassen, während die Vorbehalte des „alten Adam“ wieder an Zugkraft gewinnen. Somit kommt früher oder später der Moment, wo Entscheidungen „frei“ getroffen werden können und auch müssen: nicht ohne Einfluss treibender Kräfte, aber in einer Lage, wo gegenläufige Kräfte ein gewisses Gleichgewicht erzeugen.

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5. Kairos als „Kreuzungspunkt“ von Gottes Handeln und menschlichem Tun

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5.1 „Die guten Werke ... tun, die Gott für uns im voraus bereitet hat“ (Eph 2,10)

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Wenn Kairos das personale Ereignis des bei den Menschen angekommenen und von ihnen (zuerst stellvertretend in Christus) angenommenen Gottes ist, dann bedeutet Kairos „Treffer“ in dem Sinn, dass in ihm Gottes Handeln und menschliches Tun aufeinandertreffen. Kairoi sind damit Ereignisse, in denen Gott bestimmten Menschen für bestimmte Situationen Weisungen erteilt, indem er durch eine gewisse Selbstoffenbarung in Seinem Handeln Menschen für ihr Handeln den Weg weist. Das ist nicht als Bevormundung zu verstehen, sondern als Einladung, unterstützt von Gottes Kraft zu wirken, indem man mit dem erfahrenen Handeln Gottes kooperiert. Es ist wie der Wind, den man beim Segelfliegen oder Windsurfen nutzen kann, wenn man bereit ist, den naturgegebenen Vorgaben zu gehorchen, nur mit dem Unterschied, dass es hier um ein Sicheinlassen auf personale Ereigniszusammenhänge geht. Einen Kairos „nutzen“ (vgl. Kol 4,5; Eph 5,16) heißt also tun, was man Gott tun sieht. Was das konkret bei Gnadenerfahrungen bedeuten kann, haben wir oben bereits skizziert. Der grundsätzliche Zusammenhang eines Handelns aus der Gnade Gottes ist im Epheserbrief beschrieben:

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„Seine Geschöpfe sind wir, in Christus Jesus dazu geschaffen, in unserem Leben die guten Werke zu tun, die Gott für uns im voraus bereitet hat.“ (Eph 2,10)92
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5.2 „Der Sohn kann nichts von sich aus tun ...“ (Joh 5,19) – Jesu Leben aus dem Kairos

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Was es konkret heißt, zu tun, was man Gott tun sieht und so „die Werke des Vaters zu tun“, hat vor allem das Johannesevangelium scharf am Leben Jesu herausarbeitet:
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„Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, wenn er den Vater etwas tun sieht“ (Joh 5,19) – und gerade deshalb: „der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm alles, was er tut, und noch größere Werke wird er ihm zeigen, so dass ihr staunen werdet“ (Joh 5,20)Jesus hat den Ereignis-Kairos von Gottes innerweltlichem Handeln nicht nur angesagt, sondern selbst gelebt. Von daher ist sein Wirken ausgespannt zwischen äußerster Ohnmacht und einer alles übertreffenden Vollmacht. Ohnmächtig ist Jesus nach den Maßstäben einer Willkürfreiheit. „Von mir selbst aus kann ich nichts tun“ (Joh 5,30). Seine Autonomie ist von Grund auf eine verdankte: „Denn wie der Vater das Leben in sich hat, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben in sich zu haben“ (Joh 5,26). Weil Jesus sich – als Sohn – unvordenklich dazu bestimmt hat, sich vom Vater bestimmen zu lassen, erscheint sein eigenes Verhalten bisweilen unvorhersehbar (offenbar sogar für ihn selbst) und sprunghaft. Etwa wenn er bei der Hochzeit zu Kana seine Mutter mit den Worten abweist: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“ (Joh 2,4), um doch wenige Augenblicke später den Kairos von Gottes Herrlichkeit durch ein Wunder hell aufleuchten zu lassen. Ebenso, als seine Brüder ihn auffordern, nach Judäa hinunterzuziehen um dort zu wirken:

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„Mein Kairos ist noch nicht da, aber euer Kairos ist immer bereit. [...]
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8 Zieht ihr hinauf zum Fest! Ich steige nicht hinauf zu diesem Fest,
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denn mein Kairos ist noch nicht erfüllt (ou;pw peplh,rwtai).
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9 Das sagte er nun, und blieb selbst in Galiläa.
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10 Als aber seine Brüder zu dem Fest hinaufgezogen waren,
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da stieg auch er hinauf, nicht öffentlich, sondern wie im Verborgenen“ (Joh 7,7-10),93
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Also war sein Kairos doch gekommen? Gewiss hat Jesus weder sich noch seine Brüder getäuscht. Vielmehr ließ er sich in jedem Augenblick von Gott führen, und so konnte sich ihm unvermittelt eine Tür öffnen, die zuvor noch verschlossen war.

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5.2 Vom Kairos, die andere Backe hinzuhalten. ‚Kairologische‘ Ethik der Bergpredigt

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Seit zweitausend Jahren wird um Antworten gerungen, wie und unter welchen Bedingungen die radikale Ethik der Bergpredigt lebbar ist. Ein gewisser Konsens besteht darin, dass die Bergpredigt, beginnend mit den Seligpreisungen nur im Kontext der vollmächtig angesagten Gottesreichbotschaft recht verstanden werden können. Was aber bedeutet das für heutiges christliches Leben? Handelte es sich hier um eine Interimsethik, die nur unter den Zeichen einer verschärften Naherwartung lebbar ist, weil man sich angesichts unmittelbar bevorstehenden Weltendes wirklich keine Sorgen um morgen mehr machen müsse? Dann wäre gegenwärtig nicht die rechte Zeit für ein Leben nach der Bergpredigt. Oder gilt das „Heute“ von Jesu Gottesreichverkündigung durchgängig und unterschiedslos für die Zeit der Kirche? Dann trifft und ihr Anspruch jederzeit, und man müsste – angesichts der faktischen Unmöglichkeiten mit Bergpredigt Politik zu machen – die Bergpredigt auf Teilbereiche reduzieren: auf mönchische Lebensformen, oder für ein kirchliches Leben in der Weise einer Kontrastgesellschaft94. Aber selbst für anspruchsvollste kirchliche Lebensgemeinschaften erweisen sich die von Jesus erhobenen Forderungen allzuschnell als „u-topisch“.

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Eine „kairologische“ Interpretation geht davon aus, dass das „Aufblitzen der Gottesherrschaft im Jetzt“95 für die Zeit der Kirche und für die Lebenszeit von Christen nicht jederzeit unterschiedslos gegeben ist. Es gibt Kairoi, in denen sich für ein Handeln gemäß der Bergpredigt unerwartet Türen öffnen und Gott – in anderen oder in uns – bereits angefangen hat, entsprechend zu handeln.96 Hier gilt es, Gottes Werke zu tun, indem man das ansatzmäßig Erfahrene entschlossen vorantreibt, und so z.B. den Dialog mit dem unrecht handelnden Gegner nicht abbricht, auch wenn das heißt, „die andere Backe hinzuhalten“ (Mt 5,39), oder etwa die ungerechte Forderung eines Menschen in freier Liebe überzuerfüllen und so die strukturell blockierte Erfahrung einer freien Gabe für ihn freizuspielen (vgl Mt 5,40-42).97

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Ein Handeln gemäß der Bergpredigt ist also nicht jederzeit gleichermaßen möglich, sondern ist abhängig von Kairoi: von gott-menschlichen Ereignis-Konstellationen bzw. Gnadensituationen, die „Seine Zeit“ haben. Das heißt, dass für eine christliche Moral zwischen Normalfall und kairologischem Sonderfall unterschieden werden muss. Das ist möglich, weil eine christliche Ethik für den „Normalfall“ – zur Zeit Jesu: die Tora – durch die Bergpredigt nicht ersetzt, sondern auf die unverfügbare Mitte eines von Gottes Gnade getragenen Liebesgebot hin überboten wird.98 Eine Ethik gemäß dem Kairos hat ihren situativen Kontext – der aufblitzenden Basileia – und damit ihre begrenzte Zeit. Auch hier gilt Jesu Wort:

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„Wir müssen, solange es Tag ist, die Werke dessen vollbringen, der mich gesandt hat; es kommt die Nacht, in der niemand mehr etwas tun kann.“ (Joh 9,4)
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„Nacht“ ist auch nach der Lehre Jesu eine Situation, in der zum Beispiel die radikale Schutz- und Gewaltlosigkeit der Basileia-Verkündigung und der ihr entsprechenden Bergpredigt nicht mehr gelebt werden kann:

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„Dann sagte Jesus zu ihnen: Als ich euch ohne Geldbeutel aussandte, ohne Vorratstasche und ohne Schuhe, habt ihr da etwa Not gelitten? Sie antworteten: Nein. Da sagte er: Jetzt aber soll der, der einen Geldbeutel hat, ihn mitnehmen, und ebenso die Tasche. Wer aber kein Geld hat, soll seinen Mantel verkaufen und sich dafür ein Schwert kaufen.“ (Lk 22,36)99
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5.3 Kairos und Sakrament

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Das zentrale Ereignis von Gottes Gegenwart ist zumindest für katholische Christen das Sakrament. In der Eucharistie vollzieht sich die Wandlung zur „somatischen Realpräsenz“ Jesu Christi und damit die Mitte von Gottes Heilshandeln in der Welt. Wie geht es aber miteinander zusammen, dass Zeit und Ort der Feier der Eucharistie (zumindest prinzipiell) im Ermessen von Menschen steht, während Gottes Handeln unverfügbar ist, – gemäß dem Heiligen Geist, der weht, wo er will (Joh 3,8)? Erfahrungen der Gegenwart Gottes – nicht nur gefühlserhebend, sondern auch lebensverändernd – werden oft abseits von sakramentalen und kirchlichen Vollzügen gemacht. Kann man da noch sagen, dass die (im Sinn von: jede) Feier der Eucharistie (hier repräsentativ auch für andere Sakramente) einen Kairos darstellt?

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Vom hier entfalteten Ansatz her kann man die Frage eindeutig bejahen. Die Eucharistie ist das Ereignis des durch Christus in dieser Welt angekommenen und angenommenen Gottes – Geheimnis der Wandlung/Transformation von Welt an der Stelle des leibhaft gegenwärtigen Christus. Sie ist Ort des anbrechenden Gottesreichs, vorweggenommene Parusie. Damit ist sie auch Kairos für die Mitfeiernden, sich von dieser ausstrahlenden Gottespräsenz anstecken zu lassen: Wandlung/Transformation der Christen, die gerufen und ermächtigt sind, zu werden was sie empfangen: Leib Christi (1 Kor 10,17). Wo dieses ‚Übergreifen‘ des Kairos nicht erfolgt, weil die Menschen den Leib Christi nicht richtig beurteilen („mh. diakri,nwn“), essen und trinken sie sich das Gericht („evsqi,wn kai. pi,nwn kri,ma“), bis hin zu Schwachheit, Krankheit und Tod in der Gemeinde (1Kor 11,29f).100

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Das Einsenken des basileia-Samens in die Welt durch das Christusereignis von Verkündigung, Kreuz und Auferstehung ist das zentrale Ereignis für Kirche und Christentum, das bereits geschehen und bleibend wirksam ist.101 Auftrag und Ermächtigung ergeht an die Kirche, dieses Ereignis in eigenem Tun – auch zu selbst verfügter Zeit – zu vergegenwärtigen: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ (1 Kor 11,24f). Verlässlich („ex opere operato“) ist Christus – und mit ihm das Gottesreich in nuce – gegenwärtig. Erbeten wird der Heilige Geist, der die Communio, die Weitergabe dieser Präsenz an die Anwesenden, die Kirche und die Welt bewirkt.102 Diese Bitte erfolgt in Jesu Namen, sodass ihr Erfüllung zugesagt ist.103 Aber diese geistgewirkte Fruchtbarkeit des Sakraments verwirklicht sich als personales Geschehen: nicht nur abhängig von der Disposition der Menschen, sondern durch Ereignisse – Gnadenerfahrungen –, die Gott zu Seiner Zeit ansetzt, wo und wie Er will, und nicht selten ‚anonym‘. Zentrale Aufgabe des Wort-Dienstes der Eucharistie ist auch das anamnetische, dankende und prophetisch-mahnende Einsammeln von solchen Kairoi: „Zeichen der Zeit“ im Sinne von „Zeichen von Ereignissen“, in denen Gott sich anschickt, in dieser Welt – durch unsere Kooperation – Heil zu wirken.

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5.4 Kairos, Gnadentheologie und dramatische Theologie

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Die Frage, wie sich Gottes Heilsmacht und menschliche Freiheit zueinander verhalten, zieht sich durch die ganze Theologiegeschichte, und zwar über weite Strecken aporetisch. Das augustinische „Alles ist Gnade“ wurde antipelagianisch von der Kirche rezipiert, aber der damit beinah zwangsläufig zusammenhängenden Konsequenz einer absoluten Heils- und somit auch Unheilsmacht Gottes, die Augustinus bis hart an die Grenze einer doppelten Prädestination vorantrieb, wich man aus.104 In der frühen Neuzeit wurden verschiedene Gnadensysteme entwickelt, welche die Verträglichkeit von Gottes Heilsmacht und menschlicher Freiheit von unterschiedlichen Ansätzen aus zu vermitteln suchten. Die Kontroversen blieben ohne Einigung. Das Scheitern dieser Verstehensversuche dürfte mit einer allgemeinen theologischen Vernachlässigung der heilsgeschichtlichen und kairologischen Dimension von Gottes Heilswirken zusammenhängen.

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Die Bibel legt den Gedanken nahe, dass Gott seine Heilsmacht einsetzen kann, ohne Menschen zu zwingen oder zu manipulieren, indem er Zeit gibt;105 und dass Er schuldhaft blockierte Freiheit freisetzt, indem er zu Seiner Zeit Menschen – auch ungefragt – mit Situationen konfrontiert, die ihnen die Möglichkeit eines Ja zu Gott neu eröffnet. Von einem solchen kairologischen Ansatz her müsste die Problematik von Gottes Heilsmacht und menschlicher Freiheit neu durchdacht werden, etwa für die Augustinische Problematik von Gnade und Prädestination,106 oder für die gegenwärtig neu aufflammende Diskussion der Gnadensysteme.107

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Das heute weithin vorausgesetzte gnadentheologische Grundaxiom, dass Gottes Nähe die menschliche Freiheit nicht rivalisierend reduziert, sondern vielmehr freisetzt, müsste angesichts konkreter Problematiken von Freiheit zum Bösen, Gewalt und Manipulation nicht nur behauptet, sondern begründet werden. In die Richtung einer kairologischen Gnadentheologie hat dazu gegenwärtig die dramatische Theologie wichtige Beiträge geleistet. Mit seiner Theodramatik hat Hans Urs von Balthasar die Möglichkeit einer Interaktion von göttlicher und menschlicher Freiheit grundsätzlich zu klären versucht und das Freiheit freisetzende Handeln Gottes durch die Möglichkeit eines gerade durch Gottes Heilshandeln ermöglichten vertieften Neins nicht nur gesichert, sondern zugleich verschärft. Die damit sich eröffnende Möglichkeit einer dramatischen Eskalation des Bösen ausgerechnet durch Gottes Heilshandeln – weil es eben nicht manipuliert, sondern wirklich freisetzt – wird von ihm soteriologisch und eschatologisch weitergeführt und aufgefangen.108

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Mit und in Weiterführung von Raymund Schwager hat auch die Innsbrucker dramatische Theologie gnadentheologisch-kairologische Beiträge erarbeitet, in Rezeption des Werks von René Girard mit einer scharfen Wahrnehmung von zwischenmenschlich-kollektiven Gewaltdynamiken und in einer gründlichen Auseinandersetzung mit biblischen Texten.109 In diese Arbeit reiht sich der vorliegende Aufsatz ein.

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Literatur

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Balthasar, Hans Urs von:

168
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—   Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik. Band I: Schau der Gestalt. Einsiedeln 31988.

169
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—   Theodramatik. Band II: Die Personen des Spiels, Teil 2: Die Personen in Christus. Einsiedeln 1978.

170
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—   Theodramatik. Band III: Die Handlung. Einsiedeln 1980.

171
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Baumert, Norbert:

172
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—   Christus – Hochform von „Gesetz“. Übersetzung und Auslegung des Römerbriefes. Würzburg 2012.

173
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—   ΚΑΙΡΟΣ – ein Zeitbegriff? In: Antifeminismus bei Paulus? Einzelstudien. Würzburg 1992, 357-446.

174
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—   Mit dem Rücken zur Wand. Übersetzung und Auslegung des zweiten Korintherbriefs. Würzburg 2008.

175
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—   Sorgen des Seelsorgers. Übersetzung und Auslegung des ersten Korintherbriefes. München 2007.

176
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Boff, Leonardo: Gott erfahren. Die Transparenz aller Dinge. Düsseldorf 2004.

177
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Bovon, François:

178
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—   Das Evangelium nach Lukas. 1. Teilband (Lk 1,1-9,50) (EKK III/1). Zürich 1989.

179
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—   Das Evangelium nach Lukas. 2. Teilband (Lk 9,51-14,35) (EKK III/2). Zürich 22008.

180
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—   Das Evangelium nach Lukas. 4. Teilband (Lk 19,28-24-53) (EKK III/4). Zürich 2009.

181
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Cullmann, Oscar: Christus und die Zeit. Die urchristliche Zeit- und Geschichtsauffassung. Tübingen 21948.

182
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Delling, Gerhard: Art. καιρός etc., in: ThWNT III (1938), 456-465.

183
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Gnilka, Joachim:

184
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—   Das Evangelium nach Markus. 1. Teilband (Mk 1-8,26), EKK II/1. Neukirchen-Vluyn / Düsseldorf 62008.

185
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—   Das Evangelium nach Markus. 2. Teilband (Mk 8,27-16,20), (EKK II/2). Neukirchen-Vluyn/Düsseldorf 62008.

186
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Goss-Mayr, Hildegard: Wie Feinde Freunde werden. Mein Leben mit Jean Goss für Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit und Versöhnung. Freiburg 1996.

187
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Heiligenthal, Roman: Wehrlosigkeit oder Selbstschutz? Aspekte zum Verständnis des Lukanischen Schwertwortes. In: New Testament Studies 41 (1995), 39-58.

188
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Jäger, Christoph: Göttlicher Plan und menschliche Freiheit: Vorsehung und ‚Mittleres Wissen‘ bei Luis de Molina, Philosophisches Jahrbuch 117 (2010), 299-318.

189
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Jeremias, Joachim: Neutestamentliche Theologie I, Gütersloh 1971.

190
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Levinas, Emmanuel: Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht. Freiburg i. Brsg. 1992.

191
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Lohfink, Gerhard:

192
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—   Braucht Gott die Kirche? Zur Theologie des Volkes Gottes. Freiburg i. Brsg. 1998.

193
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—   Wem gilt die Bergpredigt? Beiträge zu einer christlichen Ethik. Freiburg i.Br. 1988.

194
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Lohfink, Norbert: Kirchenträume. Reden gegen den Trend. Freiburg i. Brsg. 1981.

195
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Niewiadomski, Józef: Herbergsuche. Auf dem Weg zu einer christlichen Identität in der modernen Kultur (BMT 7). Münster / Thaur 1999.

196
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Rahner, Karl:

197
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—   Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums, Freiburg i. Br. 1976.

198
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—   Über die Erfahrung der Gnade. In: ders., Schriften zur Theologie, Bd. III. Zur Theologie des geistlichen Lebens (Einsiedeln-Zürich-Köln 1956), 105-109.

199
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Sandler, Willibald:

200
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—   Augustinus – Lehrer der Gnade und Logiker des Schreckens? In: Ders., Skizzen zur dramatischen Theologie, 335-377.

201
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—   Die gesprengten Fesseln des Todes. Wie wir durch das Kreuz erlöst sind, Kevelaer 2011. Im Internet: http://theol.uibk.ac.at/itl/900.html

202
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—   Eucharistische Erneuerung, in: ders., Skizzen zur dramatischen Theologie, 470-474.

203
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—   „Nutzt den Kairos!“ Biblische Grundlagen für ein christliches Leben aus der Kraft und Führung Gottes. Gekürzt in: J. Panhofer / N. Wandinger (Hg.), Kirche zwischen Reformstau und Revolution. Vorträge der 13. Innsbrucker Theologischen Sommertage 2012 (theologische trends 22). Innsbruck: innsbruck university press 2013, 53-87; ungekürzt im Innsbrucker Theologischen Leseraum: http://theol.uibk.ac.at/itl/1006.html

204
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—   Skizzen zur dramatischen Theologie. Erkundungen und Bewährungsproben. Freiburg i. Br. 2012.

205
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Schwager, Raymund:

206
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—   Jesus im Heilsdrama. Entwurf einer biblischen Erlösungslehre (ITS 29). Innsbruck, Wien 1990. Im Internet: http://theol.uibk.ac.at/itl/212.html

207
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—   Wassertaufe, ein Gebet um die Geisttaufe? ZkTh 100 (1978), 36-61.

208
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Söding, Thomas: Der Kairos der Basileia. Die Geschichte Jesu als Ende und Wende, in: R. G. Kratz (Hg.), Zeit und Ewigkeit als Raum göttlichen Handelns. Religionsgeschichtliche, theologische und philosophische Perspektiven, Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 390 (Berlin 2007), 233-252.

209
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Steinmair-Pösel, Petra: Gnade in Beziehung. Konturen einer dramatischen Gnadenlehre (BMT 27), Berlin 2009.

210
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Theobald, Michael: Das Evangelium nach Johannes. Kapitel 1-12, Regensburger Neues Testament. Regensburg 2009.

211
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Vanoni, Gottfried / Heininger, Bernhard: Das Reich Gottes, Die Neue Echter Bibel – Themen 4 (Würzburg 2002).

212
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Verweyen, Hansjürgen: Ontologische Voraussetzungen des Glaubensaktes. Zum Problem einer transzendentalphilosophischen Begründung der Fundamentaltheologie. Düsseldorf 1969.

213
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Wainwright, Geoffry: Eucharist and Eschatology. London 1973.

214
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Weder, Hans: Gegenwart und Gottesherrschaft. Überlegungen zum Zeitverständnis bei Jesus und im frühen Christentum, Biblisch-theologische Studien 20, Neukirchen-Vluyn 1993.

215
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Wolter, Michael: Das Lukasevangelium (Handbuch zum Neuen Testament 5), Tübingen 2008.

216
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Anmerkungen

217
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1 Vgl. Delling, Art. καιρός; vor allem aber Baumert, ΚΑΙΡΟΣ – ein Zeitbegriff? In: Antifeminismus bei Paulus? Einzelstudien (Würzburg 1992), 357-446.

218
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2 Vgl. W. Sandler, Skizzen zur dramatischen Theologie.

219
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3 Vgl. Mk 2,5 u.ö.

220
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4 Vgl. Mt 15,14; 23,16-26; Joh 9,39-41.

221
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5 Der Unterschied gründet nicht darin, dass Jesus generell verschiedene Menschengruppen (zum Beispiel das einfache Volk und jüdische Autoritäten) unterschiedlich behandeln würde. Er ist auch nicht auf unterschiedliche Zeitphasen zurückzuführen: dass etwa einer Zeit der Heilsansage eine Zeit der Gerichtsworte folgen würde, – zum Beispiel nach einer allgemeinen Ablehnung des Heilsangebots (vgl. die zurückgewiesene These von einer „galiläischen Krise“). Und er lässt sich auch nicht durch eine historisch-kritische Unterscheidung „authentische Jesusworte – Gemeindetheologie" in den Griff bekommen. Denn Jesus kann an einem Ort Menschen von Heils- zu Gerichtsworten wechseln, um im nächsten Ort mit dem Heilswirken fortzufahren. Vgl. Lk 4,16-30 über Nazaret mit Lk 4,31-37 über Kafarnaum.

222
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6 Übersetzung: M. Wolter, Das Lukasevangelium, 189.

223
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7 Es ist zwar keine explizite Gerichtsansage, aber eine konfrontative Rede, die die Dynamik eines Selbstgerichts antreibt (vgl. dazu Joh 3,17-21). Der abschließende Satz „Er aber schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg“ ist de facto Gericht über Nazaret. Jesu Wort über Jerusalem würde hier auf Nazaret passen: „... du hast die Zeit der Gnade nicht erkannt“ (Lk 19,44). Siehe dazu unten, Kapitel 1.5.

224
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8 Übersetzung: Wolter, Das Lukasevangelium, 189.

225
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9 Übersetzung: Ebd.

226
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10 Zu dieser „Seitenblick-Mentalität“ vgl. Sandler, Die gesprengten Fesseln des Todes, 40-47. Vgl. auch den soziologischen Interpretationsansatz bei Wolter: „Es handelt sich um eine kognitive Dissonanz zwischen der Rolle, in der Jesus den Synagogenbesuchern gegenübertritt, und dem Status, der ihm in dem Ort seiner Kindheit und Jugend (s. V. 16) zugewiesen wird: Hier kennen ihn alle nur als den „Sohn Josefs“ (22e). Eben hierin liegt dann auch der Grund dafür, dass ihre Reaktion sich auf ein Staunen über die Wohlgestalt der Worte Jesu beschränkt“ (Wolter, Das Lukasevangelium, 194).

227
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11 Die zweite Konsequenz kommt in der Nazaretperikope nicht vor; sie ist im Blick auf andere Gerichtsworte zu berücksichtigen. Zu dieser These vgl. Schwager, Jesus im Heilsdrama, 77-83.

228
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12 Übersetzung: Wolter, Das Lukasevangelium, 189.

229
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13 Dieser Anspruch Jesu konnte nur messianisch verstanden werden – auf seine eigene Person bezogen. Angesichts dieses ungeheuren Anspruchs wäre es nicht verwunderlich gewesen, wenn die Hörer ohne Zwischenspiel mit jener Empörung reagiert hätten, von der dann ab Vers 28 die Rede ist, gemäß einem Urteil „wegen Gotteslästerung: denn du bist nur ein Mensch und machst dich selbst zu Gott“ (Joh 10,33). Dass dem nicht so war, muss in einem tiefen Eindruck gründen, den Jesus bei den Hörern hervorgerufen hatte. Dieser tiefe Eindruck spiegelt sich in Vers 22a – „und alle pflichteten ihm bei“, wenn man bedenkt, wofür sie Jesus da beigepflichtet haben.

230
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14 Vgl. die vorige Anmerkung.

231
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15 Konventionelle Deutungen verstehen Vers 22 harmonischer. Vers 22a wird als kritische Reaktion interpretiert und/oder 22c wird als nur begrenzt kritisch angenommen (letzteres in einer betonten Abhebung von Lk 4 gegenüber Mk 6). Es ergibt sich damit der Befund einer für Jesus unzulänglichen Reaktion der in der Synagoge anwesenden Bewohner Nazarets. Der hier vorgeschlagene dramatische Interpretationsansatz kann sich einer solchen Bewertung bis auf Nuancen nähern; er wird aber entsprechend der genannten methodischen Hypothesen annehmen, dass (a) sowohl Anteile von Zustimmung und Ablehnung bei den Adressaten von Jesu Gottesreichverkündigung anzunehmen sind, und dass (b) eine Bewegung von Zustimmung auf Ablehnung hin in Ansätzen gegeben ist.

232
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16 Das ist wichtig für das rechte Verständnis der hier verfolgten Argumentationsstruktur sowie von dem hier vorausgesetzten Verhältnis zwischen systematischer Theologie und Exegese: Die dramatische Interpretation von Lk 4,16-30 sowie insbesondere Lk 4,22 ergibt sich nicht aus zwei willkürlich postulierten dramatisch-hermeneutischen Prinzipien, sondern legitimiert sich als Interpretation, die dem Textverlauf besser gerecht wird. Dadurch legt dieser Text – neben anderen Texten – die beiden oben genannten hermeneutischen Prinzipien nahe. Ich habe die beiden Prinzipien vorweg genannt, um mein methodologisches Interesse einer Verhältnisbestimmung von systematischer (näherhin: dramatischer) Theologie und Exegese anzuzeigen.

233
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17 Vgl. F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas. 4. Teilband, 46.

234
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18 Übersetzung: Wolter, Das Lukasevangelium, 626.

235
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19F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas. 1. Teilband, 104.

236
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20 Übersetzung: Bovon, Das Evangelium nach Lukas, 1. Teilband, 95.

237
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21 Übersetzung: Bovon, Das Evangelium nach Lukas, 1. Teilband, 96.

238
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22 Übersetzung: Bovon, Das Evangelium nach Lukas, 1. Teilband, 355.

239
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23 Übersetzung: Bovon, ebd.

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24 Auf den erfüllten Kairos wird unten, Kapitel 4.2 eigens eingegangen.

241
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25 „Nachdem der festgesetzte Zeitpunkt eingetreten ist, kann die Nähe nur so aufgefaßt werden, daß die Gottesherrschaft angekommen ist und sich von jetzt ab durchzusetzen beginnt. Sie ist präsentisch und endzeitlich“ (J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus. 1. Teilband, 67.

242
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26 Die Wirkung von Martyrien in der frühen Kirche, begonnen mit der Apostelgeschichte, unterstreicht diesen Zusammenhang.

243
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27 Vgl. Rahner, Grundkurs des Glaubens, 107-108.

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28 Μετανοεῖτε (Kehrt um, Mk 1,15b) bedeutet wörtlich: Ändert euren Nous!.

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29 Vgl. Weder, Gegenwart und Gottesherrschaft, 28-29.

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30 „Nach Mk 1,15 ist die Gottesherrschaft nahegekommen und deshalb ist die Zeit erfüllt. Damit ist der ewige Gott selbst nahegekommen – so unendlich nahe, wie die Propheten, mit neutestamentlichen Augen gelesen, dies verheißen haben" (Söding, Der Kairos der Basileia, 239.

247
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31 Vgl. dazu Hans Weders Kritik an Zeichenhaftigkeit, – eine Kritik, die allerdings dort fehlgeht, wo Zeichenhaftigkeit in einem realsymbolischen Sinn verstanden wird (vgl. hier Scholtissek – in diesem Punkt – gegen Weder). Hans Weder arbeitet diesen Punkt heraus, indem er die Rede von einem „zeichenhaftem" Ankommen des Gottesreichs als unangemessene Relativierung zurückweist. Vgl. Weder, Gegenwart und Gottesherrschaft, 30-31.37-38. Im Sinne eines Realsymbols kann aber angemessen auch von einem zeichenhaften Anbruch des Gottesreichs gesprochen werden.

248
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32 Vgl. die Übersetzung von „Das Gottesreich ist nahe“ (Mk 1,15) als „Gott ist nahe“ in: Jeremias, Neutestamentliche Theologie I, 105.

249
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33 Die Evangelien betonen das radikal Neue in der Verkündigung Jesu im Vergleich zu den vorausgehenden Propheten (vgl. Söding, Der Kairos der Basileia, 234-235.). Worin kann dieses Neue bestehen, wenn einerseits alttestamentliche Theophanien nicht abgewertet werden sollen und andererseits auch bei Jesus die Annahme seiner Verkündigung durch Israel und damit die Ausbreitung der Gottesherrschaft noch aussteht? Es kann nur in der Eigenart des mit Jesus vorgegebenen Samenkorns des Gottesreichs bestehen. Und für diese ist eine restlose Annahme spezifisch. Sie führt dazu, dass er die Botschaft nicht nur predigt, sondern in Vollmacht lebt, durch sein Tun ebenso wie durch sein Leiden und seinen Tod, durch welchen dieses Samenkorn so tief in die ihn Ablehnenden eingesenkt wird, dass diese im Fall einer Zurückweisung erneut und in einer noch tieferen Weise damit konfrontiert werden.

250
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34 Vgl. die johanneische Forderung Jesu, in ihm (Joh 6,56; 15,4-7), in seinem Wort (Joh 8,31) oder in seiner Liebe (Joh 15,9) zu bleiben. Bei Paulus kommt die Formulierung „in Christus“ 76 mal vor.

251
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35 Zur Bedeutung von „Kairos“ als Ereignis der Ankunft und zur Möglichkeit, dass Menschen in diesem Sinn Kairos werden können, siehe unten, Kapitel 4.3.

252
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36 Diese gesteigerte Macht oder Potenz des Gottesreichs steht in einem Verhältnis positiver Proportionalität zur menschlichen Freiheit, da sie diese nicht nur nicht behindert, sondern kairologisch freisetzt und von ihren (erb-)sündigen Blockierungen befreit. Insofern ist diese Macht eine die Dynamiken des Bösen überwindende und in diesem Sinn exorzistische.

253
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37 Das Feuer steht für Chance und Gericht zugleich: „Jesus hat das Bewußtsein, daß sein Kommen gleichbedeutend ist mit dem Anzünden eines Feuers. Seine Gegenwart ist nicht zu trennen von diesem Ereignis. Das Feuer kann heil- oder unheilbringend sein, Stärkung oder Gericht. Alles hängt von der Haltung ab, die die Menschen ihm gegenüber einnehmen.“ F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas. 2. Teilband, 350. Auch hier stellt sich die Frage, welche Chance auf eine universale Ausbreitung denn besteht, wenn sie durch jedes Nein zum Stillstand gebracht werden. Hier zeigt sich wieder die Bedeutung des Kreuzes, welche eine Fruchtbarkeit durch Verneinung und Zerbrechen hindurch öffnet. In diesem Sinn die Fortsetzung des Textes: „Ich muss mit einer Taufe getauft werden, und ich bin sehr bedrückt, solange sie noch nicht vollzogen ist. Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen? Nein, sage ich euch, nicht Frieden, sondern Spaltung.“

254
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38 Übersetzung: Wolter, Das Lukasevangelium, 574.

255
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39B. Heininger, in: G. Vanoni, B. Heininger, Das Reich Gottes, 79. „Der Sinn ist dann der: Die Gottesherrschaft befindet sich innerhalb des Bereichs, in dem ihr seid, sie ist euch zugänglich, sie liegt in eurem Erfahrungsbereich“ (ebd.).

256
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40 Meist bezieht sich der Jesus der Evangelien dabei indirekt durch Menschensohnworte auf sich. Es gibt aber auch folgenden direkten Bezug auf Jesus durch seine Jünger: "... und was ist das Zeichen für deine Ankunft [τὸ σημεῖον τῆς σῆς παρουσίας] und das Ende der Welt?" (Mt 24,3 EÜ).

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41 Übersetzung: J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus. 2. Teilband, 21.

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42 Vgl. Balthasar, Theodramatik II/2, 53-135.

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43 Gut erklärt kann damit auch werden, dass Jesus nicht direkt von seiner Wiederkunft sprach, sondern von der Ankunft des Menschensohns, mit dem er sich aber doch identifizierte. Die Rede vom Menschensohn würde sich auf ihn selbst im Status der Erhöhung spiegeln. Vgl. dazu Balthasar, Theodramatik II/2, 104-105.

260
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44 Vgl. Joh 16,33: „Ich habe die Welt besiegt“. Oscar Cullmann hat das Verhältnis von „Jetzt schon“ und „Noch nicht“ im Sieg Christi mit einem militärischen Vergleich veranschaulicht. Jesu Tod/Auferstehung war die Entscheidungsschlacht („D-Day: Day of Decision“); von ihr her ist der Sieg bereits erfolgt, auch wenn der Tag des vollen Siegs („V-Day: Day of Victory“) noch aussteht. Vgl. Cullmann, Christus und die Zeit, 72-73.

261
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45 Vgl. Phil 3,20: „Unsere Heimat [πολίτευμα = Bürgerrecht] aber ist im Himmel. Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter.“

262
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46 „In der irdischen Liturgie nehmen wir vorauskostend an jener himmlischen Liturgie teil, die in der heiligen Stadt Jerusalem gefeiert wird, zu der wir pilgernd unterwegs sind, wo Christus sitzt zur Rechten Gottes, der Diener des Heiligtums und des wahren Zeltes. In der irdischen Liturgie singen wir dem Herrn mit der ganzen Schar des himmlischen Heeres den Lobgesang der Herrlichkeit. In ihr verehren wir das Gedächtnis der Heiligen und erhoffen Anteil und Gemeinschaft mit ihnen. In ihr erwarten wir den Erlöser, unseren Herrn Jesus Christus, bis er erscheint als unser Leben und wir mit ihm erscheinen in Herrlichkeit“ 2. Vatikanum, SC 8.

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47 Vgl. das Buch der Apostelgeschichte.

264
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48 Zu dieser doppelten Übersetzungsmöglichkeit von „Maranatha“ vgl. Wainwright, Eucharist and Eschatology, 68-69.

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49 D.h. ohne Kompromisse, etwa im Sinne von „nicht ganz gegenwärtig aber schon sehr nahe“.

266
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50 Vgl. auch: 1 Thess 5,4; Mt 24,42-44; 25,13; Mk 13,34-37; Lk 12,39; 2 Petr 3,10; Offb 3,3; 16,15, weiters: Apg 20,31; 1 Kor 16,13; Eph 6,18; Kol 4,2; 1 Petr 5,8.

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51 Jesu Aussage „für euch ist immer Kairos“ (Joh 7,6) gilt nicht der Kirche, sondern – kritisch – Ungläubigen.

268
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52 Wesentlich mehr Beispiele bei Baumert, der zahlreiche konventionell eschatologisch, apokalyptisch und auf Naherwartung gedeuteten Stellen der Paulusbriefe präsentisch im Sinn von innergeschichtlich interpretiert. Vgl. Baumert, Christus – Hochform von „Gesetz“, 33; dort weitere Verweise.

269
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53 Vgl. dazu Norbert Baumert: „Bei V 5 stehen wir vor der Frage, in welchem Sinne hier Paulus vom „Kommen des Herrn“ spricht. Ist es so sicher, daß dies nur der Jüngste Tag sein könne? Sollen wir tatsächlich warten bis auf diesen Tag – an dem es ja dann zu spät ist, um uns zu ändern? Gewiß wird dann über jeden Menschen „das letzte Wort“ gesprochen, aber ist dies eine Antwort auf und eine Hilfe für die vorliegende Frage? Wird der Herr erst dann ans Licht bringen‘, was der einzelne Dienstbote Gottes wert ist? Welche Handlungsimpulse für jetzt ergäben sich daraus? Müssen wir warten, bis alles vorbei ist, um zu sehen, wie der Apostel Paulus seinen Dienst versehen hat? Der „kairos“, von dem in V 5 die Rede ist, ist jedenfalls nicht ein Fachausdruck für den Jüngsten Tag, sondern „pro kairou“ heißt einfach ,vorzeitig‘, und der Zusammenhang entscheidet, worauf es zu beziehen ist. Wie kairos ursprünglich ,der Treffer‘ bedeutet und gern in Wendungen gebraucht wird wie ,an der Reihe sein‘, so schwingt dies auch hier mit. ,Vorzeitig‘ zu dem Zeitpunkt, wann es dran ist. Und diesen Zeitpunkt bestimmt der Herr! Denn er ist es ja auch, der dann „ans Licht bringt“ und seinen Arbeitern als ,Lohn‘ ein Lob gibt.“ (N. Baumert, Sorgen des Seelsorgers, 54).

270
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54 Vgl. Baumert, Sorgen des Seelsorgers, 67-68.

271
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55 Zum Beispiel ein Moment der Einsicht, Reue und frei entschiedenen Umkehr.

272
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56 „In unserem Fall wären die Bedrängnisse eine Art Vorbereitung, damit der Mensch dann, am Tag einer neuen ‚Heimsuchung‘, wenn ihn die Gnade Gottes (des Vaters) neu trifft, jenes Angebot der Gnade nicht zurückweist, sondern eben dann ‚gerettet werden‘ kann, d.h. durch Umkehr zur Vergebung und Gerechtmachung durch Gott (!) gelangen kann“ (Baumert, Sorgen des Seelsorgers, 68).

273
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57 Vgl. die lukanische Rede von ἐπισκοπή, bzw. ἐπισκέπτομαι und dazu oben, Kapitel 1.5.

274
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58 Vgl. Baumert, ΚΑΙΡΟΣ – ein Zeitbegriff? 357-446.

275
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59 Vgl. Baumert, ebd. 358-359.

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60 Vgl. ebd., 409-424.

277
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61 Übersetzung: Wolter, Das Lukasevangelium, 471. Die Einheitsübersetzung formuliert freier: „Warum könnt ihr dann die Zeichen dieser Zeit nicht deuten?“

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62 Vers 3 ist von der Einheitsübersetzung ausgelassen. Elberfelder übersetzt: „Das Aussehen des Himmels wißt ihr zwar zu beurteilen, aber die Zeichen der Zeiten könnt ihr nicht beurteilen.“

279
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63 Baumert erklärt dazu: „Während Lk mit dem καιρός direkt das Auftreten und Handeln Jesu bezeichnet, spricht Mt allgemein von der Unfähigkeit, sich von Ereignissen (hier paßt der Plural) treffen zu lassen, was sich dann auch in der Begegnung mit Jesus auswirkt. Aber so wie es am meteorologischen Himmel Formationen gibt, die Zeichen sind für das Wetter, so gibt es im Leben Jesu Dinge, die Zeichen sind für ein ,aus dem Himmel‘ = von Gott kommendes Heil. Es geht also um die Signalfunktion von Geschehnissen, um die Zeichenfunktion der Zutreffungen, also jener Dinge, die euch ,treffen‘“ (Baumert, Kairos, 423).

280
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64 Diese Bedeutung wird durch den Kontext bestätigt. Jesus hat gerade ein Brotvermehrungswunder für viele Menschen gewirkt (Mt 15,32-39). Unmittelbar darauf fordern die Pharisäer und Sadduzäer ein Zeichen vom Himmel, – also ein äußeres, kosmisches Zeichen, das für jeden – d.h. in einem Erkennen auch ohne existentielles Engagement, also im biblischen Sinn: ohne Glauben – wahrnehmbar wäre.

281
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65 Baumert legt Wert darauf, dass Kairos ein „Allerweltwort“ ist, das nicht für jedes biblische Vorkommen theologisch aufgeladen werden darf. Eine theologische Überfrachtung des Kairos-Begriffs wirft Baumert Kairos-Beitrag im ThWNT von Delling vor. Vgl. Baumert, Kairos, 407.

282
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66 Abgesehen von Schriftstellen, wo sich Kairos explizit auf Gottes Heilshandeln in Christus (Mt 8,29; 16,3; 26,18; Mk 1,15; 13,33; Lk 12,56; 19,44; Joh 7,6.8) oder auf die Parusie bezieht (Mk 13,33), gibt es zahlreiche biblische Texte, an denen Kairos Ereignisse, Möglichkeiten oder Chancen bezeichnet, die implizit mit Gottes allumfassenden und alldurchdringenden Gnadenwirken in Christus zusammenhängen.

283
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67 Vgl. oben Kapitel 1.5.

284
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68 Vgl. dazu das folgende Unterkapitel.

285
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69 Durch die Annahme, dass Kairos primär ein adressiertes Ereignis (bzw. eine adressierte zusammenhängende Ereignisfolge) bezeichnet und erst sekundär die diesem Ereignis zugehörige begrenzte Zeit, lässt sich zwanglos die oft große zeitliche Variabilität eines Kairos erklären. Der von Jesus in seiner Verkündigung angesagte Kairos kann die Dauer seiner ganzen Verkündigung umfassen – den „Kairos des Besuchs“ nach Lk 19,44 oder das Gnadenjahr des Herrn nach Lk 4,19 –, dennoch aber in einem Augenblick verspielt sein, wie in der Synagoge von Nazaret: eben für ganz bestimmte Adressaten.

286
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70 Worin die vom Adressaten geforderte Annahme zu bestehen hat, wird durch Gott im Kairos angezeigt, – entweder durch einen ausdrücklichen Auftrag (z.B. Mk 1,15b: „Kehrt um und glaubt“) oder durch ein Geschehen, das das zu Vollbringende anzeigt und vorbereitet: zum Beispiel in der Begegnung eines um Heilung Bittenden. Weiteres dazu unten, Kapitel 5.1.

287
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71Söding, Der Kairos der Basileia, 241. Gnilka verweist auf ein proportionales Verhältnis: „Die wörtliche Rede in 15 ist ein Doppelstichos. Die Nähe der Gottesherrschaft verhält sich zur Erfüllung der Zeit wie der Glaube zur Umkehr“ (Gnilka, Das Evangelium nach Markus, Teilband 1, 64).

288
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72 So in Gal 4,4: „Als aber die Zeit erfüllt war (ὅτε δὲ ἦλθεν τὸ πλήρωμα τοῦ χρόνου), sandte Gott seinen Sohn ...“ Damit wird eine apokalyptische Wartezeit benannt, die nun mit dem Christusereignis endgültig zu Ende gegangen ist (vgl. ἦλθεν im Aorist). Ähnlich in Eph 1,9-10: „Er hat uns ja das Geheimnis seines Willens zu erkennen gegeben nach seinem Wohlgefallen, das er sich vorgenommen hat in ihm 10 für die Verwaltung bei der Erfüllung der Kairoi (εἰς οἰκονομίαν τοῦ πληρώματος τῶν καιρῶν): alles zusammenzufassen in dem Christus, das, was in den Himmeln, und das, was auf der Erde ist – in ihm“ (nach Elberfelder). Was aber bedeutet es, dass ein Kairos (im Singular) erfüllt ist?

289
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73 „Die Wendung vom erfüllten Kairos stimmt überein mit profetisch-apokalyptischer Sprache. Hinter ihr steht das Wissen, daß Gott die Zeiten festlegt (vgl. Dan 7,22; Ez 7,12; 9,1; Klgl 4,18; Offb 1,3; 1Petr 1,11; TestN 7,1). So hat Gott den Zeitpunkt des Auftretens Jesu im voraus bestimmt“ (J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus, I 66.). Vgl. auch Lk 21,24: „Mit scharfem Schwert wird man sie erschlagen, als Gefangene wird man sie in alle Länder verschleppen, und Jerusalem wird von den Heiden zertreten werden, bis die Zeiten der Heiden sich erfüllen (πληρωθῶσιν καιροὶ ἐθνῶν).“

290
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74 Vgl. die aktive Bedeutung von „erfüllen“ in Mt 5,17: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen (πληρώσαι).“ Dazu erklärt G. Lohfink: „‚Erfüllen‘ meint im Zusammenhang von 5,17-20 und vor dem Hintergrund der matthäischen Theologie insgesamt ‚zur Ganzheit bringen‘, ‚zum Abschluß bringen‘, ‚endgültig Wirklichkeit werden lassen‘, in ihrer ‚innersten Intention realisieren‘“ (Lohfink, Wem gilt die Bergpredigt, 85). Jesus versucht durchwegs, den Willen des Vaters und dessen Werke zu tun (dazu unten, Kapitel 5,1), indem er seinen Plan erspürt und nach Kräften verwirklicht. Vgl. sein Wort zum kämpfenden Petrus bei seiner Gefangennahme: „Oder glaubst du nicht, mein Vater würde mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schicken, wenn ich ihn darum bitte? 54 Wie würde dann aber die Schrift erfüllt (pw/j ou=n plhrwqw/sin ai` grafai.), nach der es so geschehen muss?“ (Mt 26,53-54; vgl. auch Vers 56).

291
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75 Übersetzung nach M. Theobald, Das Evangelium nach Johannes. Kapitel 1-12, Regensburger Neues Testament (Regensburg 2009) 506.

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76 Nach Matthäus wird diese Gottesannahme Jesu bei seiner Taufe offenbar. Nach Lk 1,78 könnte sie bis zur Geburt Jesu zurückreichen.

293
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77 Dass die Stunde oder der Kairos Jesu auch für das Johannesevangelium bereits bei seiner Verkündigung beginnt, wird in beiden besprochenen Stellen deutlich: Mit dem Hinweis auf die noch nicht gekommene Stunde weist Jesus das Begehren seiner Mutter nach Hilfe für die Festgäste zurück. Und seinen Brüdern gegenüber begründet Jesus seine Verweigerung, nach Judäa zu gehen damit, dass sein Kairos noch nicht gekommen sei. Er geht dann aber doch.

294
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Näherhin zum Zusammenhang von Gegenwärtigkeit und Zukünftigkeit bei Jesu „Erfüllen des Kairos“ – gemäß der grammatikalischen Perfektform „peplh,rwtai“: Jesu Erfüllen besteht in einer solchen vollkommenen Annahme Gottes in dieser Welt, dass diese – unter Respektierung der Freiheit der Beteiligten – unaufhaltsam erlösend verwandelt wird. Diese radikale Annahme ist zu Beginn der Verkündigung Jesu bereits vollzogen (wie für seine Taufe beschrieben): Gott ist in Jesus ganz angekommen und von ihm ganz angenommen. Nun geht es darum, dass Gott durch Jesus in der Welt um ihn ankommt, zuerst in Israel. Diese Annahme wird durch die maßgeblichen Autoritäten verweigert werden, was sie zwangsläufig dazu treibt, Jesus zu verstoßen (zwangsläufig aufgrund der destruktiven Dynamiken, denen sie sich durch ihr Nein überlieferten, korrelierend zum heilsgeschichtlichen „dei,“). Dadurch entwickelt sich ein Schuldzusammenhang, durch den die Gegner Jesu ihren verstoßenen Feind nicht loswerden können. Dieser Schuldzusammenhang wird allerdings durch den vergebenden Gekreuzigten transformiert – in eine Tat der liebend-vergebenden Selbsthingabe an den himmlischen Vater. Der Auferstandene wird durch den ausgegossenen Heiligen Geist den Menschen – auch seinen Gegnern, vermittelt durch das Zeugnis von geisterfüllten Christen – in einer neuen tieferen Weise präsent sein können. Auf diese Weise wird durch das Ereignis von Kreuz/Auferstehung Jesus Christus – und damit Gott als Angekommener und Angenommener – ganz in diese Welt eingesenkt. So ist der Kairos des in der Welt angekommenen und angenommenen Gottes zu Beginn der Verkündigung Jesu im Begriff, erfüllt zu werden. Denn jetzt beginnt der dramatische Prozess der Einsenkung Gottes in die Welt, die durch die pneumatische Präsenz des Auferstandenen zur Vollendung gebracht wird. Dies ist das zukünftige Moment, als Gegenstand des Drängens und der Naherwartung Christi. Das gegenwärtige Moment, das „jetzt schon“ besteht hingegen im Angekommensein Gottes in der Person Jesu Christi. Das Peplh,rwtai („ist erfüllt“ / „ist im Begriff, erfüllt zu werden“) des Kairos steht ebenso im Perfekt wie das ;Hggiken („ist angekommen“ / „ist im Begriff, anzukommen“) des Gottesreichs: Dass beides ganz gegenwärtig und wirklich zukünftig zugleich ist, lässt sich – wie beschrieben – aus dem theologischen Sinnzusammenhang erschließen.

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78 Zu dieser Interpretation vgl. Baumert, Mit dem Rücken zur Wand, 122-126.

296
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79 Vgl. die Arbeitsübersetzung von 2 Kor 6,1-4 in Baumert, Mit dem Rücken zur Wand, 122f: „Die wir aber (euch dazu) helfen und vor Augen halten, 1b daß ihr euch auf die Zuwendung Gottes nicht unbegründet eingelassen habt 2a – heißt es doch: „In einem Augenblick, der (mir) gefiel, habe ich dich erhört, 2b und an einem Rettungstag bin ich dir zu Hilfe gekommen“ (Jes 49,8) –, 2c(wir) sind also offensichtlich ein (solcher) ̦Augenblick, der Gott wohlgefällt‘, 2d sind also offensichtlich ein (solcher) ,Rettungstag‘, 3a indem wir auf keinen Fall irgendeinen Anstoß geben, 3b damit der Dienst nicht verunglimpft werde, 4a sondern auf jeden Fall wir uns als Diener Gottes erweisen 4b durch große Geduld – in Bedrängnissen, in Notlagen, bei Engpässen, ...“

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80 Vgl. Mt 28,80: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“, sowie die spätere christliche Gnadentheologie.

298
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81 Vgl. z.B. Boff, Gott erfahren; vor allem aber: Rahner, Über die Erfahrung der Gnade.

299
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82 Es ist zentral für Karl Rahners Soteriologie, dass in Christus der Mensch das Heilsangebot Gottes endgültig angenommen hat: „Wenn Gott somit einen Menschen will und heraufführt, der in seiner Wirklichkeit (zu der auch sein Wort gehört) Gottes letztes, unwiderrufliches und unüberbietbares Zusagewort an die Menschen ist, das in der Geschichte selbst und nicht bloß in transzendentaler Hoffnung ergriffen wird ─ wenn diese Zusage nur dann die letzte ist und sein kann, wenn sie sich siegreich durchsetzt, also mindestens und zunächst in diesem Menschen als angenommen existiert ─ wenn eine solche Annahme nur geschehen kann durch die durch den Tod endgültig werdende eine Geschichte des einen ganzen Lebens dieses Menschen ─ wenn dieses Zusagewort Gottes darum überdies nur vollendet ist, wenn die annehmende Antwort des Menschen darauf als von Gott angenommene und bei ihm angekommene geschichtlich erscheint (eben in dem, was wir ‚Auferstehung‘ nennen, dann kann und muß gesagt werden, daß dieses eschatologische Zusagewort Gottes seiner freien Initiative entspringt, real in dem Leben Jesu vollzogen und für uns geschichtlich anwesend ist, und sich durch den frei angenommenen Tod vollendet, wobei dieser Tod als in freiem Gehorsam vollzogener und das Leben restlos Gott übergebender erst durch die Auferstehung vollendet und für uns geschichtlich greifbar ftlinewird“ (Rahner, Grundkurs des Glaubens, 278; Hervorhebungen W.S.).

300
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83 Vgl. dazu das vorhergehende Unterkapitel 4.3: Paulus als Kairos.

301
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84 Vgl. dazu: Verweyen, Ontologische Voraussetzungen des Glaubensaktes, 224-228.

302
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85 Balthasar bespricht in seiner theologischen Ästhetik eine Dualität von „Erblicken“ und „Entrücken“. Vgl. Balthasar, Herrlichkeit I, 10.110-118. Man kann auch von der Eigenart von Gnadenerfahrungen als Gnadenunterbrechungen sprechen. Vgl. dazu J. Niewiadomski, Herbergsuche, 189-196.

303
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86 Vgl. hierzu das Plusquamperfekt als phänomenologische Zeit bei Levinas, Jenseits des Seins, 42.

304
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87 Man könnte die folgend beschriebene Gnadenerfahrung als „Tun-Erfahrung“ bezeichnen. Karl Rahner hat an Beispielen von Gnadenerfahrungen deutlich gemacht, dass Gottes Gnade (oder: der Heilige Geist) sich vor allem im Tun von Menschen manifestiert, und zwar in einem selbstlosen Tun, das oft wenig befriedigend ist, „wo man sich und seinen Lebensdrang nicht mehr mit Gott verwechseln kann“ (Rahner, Über die Erfahrung der Gnade, 106).

305
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88 Die Frage „Was hat mich denn da geritten“ kann sich grundsätzlich auch auf positive Einflüsse beziehen.

306
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89 Daraus ergibt sich dann die Praxis eines Handelns aus Gottes Kraft. Vgl. dazu Sandler, Nutzt den Kairos.

307
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90 Ob durch ausdrückliche Akklamation oder nur auf mimischer oder gestischer Ebene, wissen wir nicht.

308
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91 Zur dramatischen Interpretation von Lk 4,16-30, sowie insbesondere zur „Seitenblickmentalität“, vgl. oben, Kapitel 1.4.

309
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92 Gewiss spielen hier apokalpytische Vorstellungen hinein, „daß die Ereignisse der Endzeit gewissermaßen im Himmel, bei Gott, schon urbildlich existieren, und sie müssen nur auf die Erde unserer Geschichte hinuntergebracht werden.“ (Lohfink, Kirchenträume, 45). Aber der Kontext von Eph 2,10 verankert die Vorstellung gnadentheologisch. Von einem kairologischen Verständnis her wird sie konkret lebbar.

310
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93 Übersetzung nach Theobald, Das Evangelium nach Johannes, Teilband 1, 506.

311
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94 Zu Letzterem vgl. Lohfink, Wem gilt die Bergpredigt. Lohfinks Adressierung der Bergpredigt an Gemeinden, die sich in Jesu Nachfolge als Kontrastgemeinschaften verstehen, erscheint mir noch am plausibelsten. Aber auch hier ist die Lebbarkeit der Bergpredigt ‚kairologisch indiziert‘.

312
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95Weder, Gegenwart und Gottesherrschaft, 29.

313
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96 Vgl. oben, Kapitel 4.4 und 5.1. Auch Gerhard Lohfink hat die Bedeutung des Kairos für eine BergPredigtinterpretation hervorgehoben: „Radikalität im Sinne des Matthäusevangeliums setzt das Handeln Gottes voraus. Sie hat deshalb ihren geschichtlichen Kairos. Sie ereignet sich nicht beliebig und jederzeit. Matthäus macht das auf narrativer Ebene deutlich, indem er den Forderungen der Bergpredigt die Taten des Messias vorangehen läßt“ (Lohfink, Wem gilt die Bergpredigt, 97).

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97 Eines solche kairologische Ethik muss nicht individualistisch und – situationsethisch – auf isolierte Einzelsituationen beschränkt bleiben. Das zeigt z.B. die christliche Friedensarbeit, wie sie aus der Biographie von Jean Goss gewachsen ist. Vgl. dazu Goss-Mayr, Wie Feinde Freunde werden.

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98 Diesem differenzierten Verhältnis von ‚Basileia-Ethik‘ und ‚Ethik für den Normalfall‘ entsprechen die nur scheinbar widersprüchlichen Aussagen Jesu zur Tora. Einerseits: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt wurde ... Ich aber sage euch ...“ (Mt 5,21-44); andererseits: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen. Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich.“ (Mt 5,18-19).

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99 Dieses Logion wird gewöhnlich so interpretiert, dass die Zeit für eine schutzlose Verkündigung endgültig vorbei wäre. So Bovon: „Was die VV 35-38 festhalten, ist, dass unterschiedliche Zeiten unterschiedliche Ausrüstungen verlangen. Zu Jesu Lebzeiten waren die Jünger durch die Gegenwart ihres Meisters geschützt. Die Mission, die sie erfüllten, entsprach eher militärischen Manövern als einem Krieg. Die Ausrüstung, die Jesus damals bewilligte, war auf ein Minimum beschränkt. Nach Ostern, wenn der Herr in den Himmel enthoben sein wird, wird das anders sein. Da geht dann der Ernst des Lebens los. Die Risiken werden Wirklichkeit, und die bestmögliche Ausrüstung wird unabdingbar werden“ (Bovon, Das Evangelium nach Lukas, 4. Teilband, 279). Ähnlich R. Heiligenthal: „Mit dem Schwertwort beabsichtigt Lukas, seinen Gemeinden einen Weg aufzuzeigen, der weitere Martyrien verhindert, denn in ihm ist für die Zeit nach Jesus eine Änderung der ethischen Maßstäbe signalisiert. Nicht mehr demonstrative und provozierende Wehrlosigkeit wie zur Zeit Jesu gelten nun, sondern der Eindruck des Sich-Wehren-Könnens und der getroffenen Versorge [sic!] gegenüber einer ungerechten Welt.“ (Heiligenthal, Wehrlosigkeit oder Selbstschutz, 56-57). Allerdings beschränkt Heiligenthal diese Wehrhaftigkeit auf „die bescheidenste Waffe zur Selbstverteidigung“ (ebd.). Dennoch: Mit analogen Überlegungen müsste auch die radikale Ethik der Bergpredigt hinfällig sein. Im Unterschied dazu rechnet eine kairologische Interpretation mit Gnadenkairoi rechnen, in denen eine christliche „Alltagsethik“ in Richtung auf Jesu Basileia-Ethik überboten werden kann. Das entspricht genau dem ersten Satz des obigen Zitats von Bovon, ohne jedoch die Zeit des „Schutzes durch den Meister“ restlos vorbei sein zu lassen: „Was die VV 35-38 festhalten, ist, dass unterschiedliche Zeiten unterschiedliche Ausrüstungen verlangen“.

317
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100 Nach Baumert: „Man wird geistlich schwach und kraftlos, insgesamt zu einer ,schlafenden Gemeinde‘. Das neue Leben ,dämmert‘ dann mühsam dahin; es fehlt die innere Freude und die spezifische Kraft, die vom Herrn kommt“ (Baumert, Sorgen des Seelsorgers, 178). Eine dramatische Deutung kann hier weiter gehen, indem sie die zersetzende Wirkung des Evangeliums für ungerechte Strukturen berücksichtigt. Diese wird durch die einen wahren Frieden stiftende Wirkung des Sakraments der Eucahristie mehr als aufgewogen, die aber geschwächt wird bei einem „unwürdigen Kommunizieren“, welches „den Leib des Herrn nicht richtig beurteilt“ (1 Kor 11,29 Elberfelder). In diesem Fall überwiegt die destruktive Wirkung auf kommunizierende Gemeinschaften: unter Umständen Schwachheit, Krankheit und frühen Tod (vgl. 1 Kor 11,30). Vgl. dazu W. Sandler, Eucharistische Erneuerung, 470-474.

318
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101 Vgl. Mt 28,20: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“

319
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102 Vgl. Kommunionepiklesen im Eucharistischen Hochgebet, zum Beispiel im 4. Hochgebet: „Sieh her auf die Opfergabe, die du selber deiner Kirche bereitet hast, und gib, dass alle, die Anteil erhalten an dem einen Brot und dem einen Kelch, ein Leib werden im Heiligen Geist, eine lebendige Opfergabe in Christus zum Lob deiner Herrlichkeit.“

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103 Vgl. die Zusagen unbedingter Erfüllung von Gebeten im Namen Christi im Johannesevangelium (sechsmal in Joh 14-16!), und die Interpretation auf die sakramentale Epiklese durch Raymund Schwager: R. Schwager, Wassertaufe, ein Gebet um die Geisttaufe, 56-59.

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104 Vgl. dazu: W. Sandler, Augustinus – Lehrer der Gnade und Logiker des Schreckens.

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105 Zur Gewaltlosigkeit, die Gott mit seinem Handeln bewirkt, weil er den Menschen Zeit lässt, vgl. G. Lohfink, Braucht Gott die Kirche, 43-45.

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106 Vgl. dazu Sandler, Augustinus – Lehrer der Gnade und Logiker des Schreckens.

324
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107 Vgl. Jäger, Göttlicher Plan und menschliche Freiheit: Vorsehung und ‚Mittleres Wissen‘ bei Luis de Molina. – Eine Auseinandersetzung mit dieser Problematik von einem kairologisch-dramatischen Ansatz her steht noch aus.

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108 Vgl. Balthasars Konzepte einer dramatsichen Eskalation und der Unterwanderung der sündigen Freiheit durch den kenotisch sich entäußernden Gott. Dazu: Balthasar, Theodramatik III, besonders 53-56, 309, 461.

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109 Vgl. Schwager, Jesus im Heilsdrama; P. Steinmair-Pösel, Gnade in Beziehung.

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