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Gott ist da - aber wo bist du? Umwendungen und Umwege in der christlichen Frage nach Gott und dem Leid

Autor:Sandler Willibald
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:Gekürzte Fassung in: C. Paganini / N. Wandinger (Hg.), „Gott, der Gerechte!“? Leiderfahrungen als Anfrage an den Glauben (theologische trends 23). Innsbruck 2014, 121-153.
Datum:2014-09-12

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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1. „Wo bist du?“ – Zwei Umkehrungen der Theodizeefrage

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„Wir haben dich gerufen, Gott! Wir haben nach dir gebrüllt, geweint, geflucht! Wo warst du da, lieber Gott? Hast du dich von uns gewandt? Hast du dich ganz in deine schönen alten Kirchen eingemauert, Gott? Hörst du unser Geschrei nicht durch die zerklirrten Fenster, Gott? Wo bist du?1
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Diese anklagende Frage legt der Nachkriegsschriftsteller Wolfgang Borchert, selber zerbrochen an den Folgen des Zweiten Weltkriegs, Beckmann, einem traumatisierten Kriegsheimkehrer in den Mund, der feststellen muss, dass seine Frau ihn inzwischen aufgegeben und durch einen anderen Mann ersetzt hat. Solcher Protest macht nur Sinn für Menschen, die noch an einen Gott glauben, der gut und allmächtig ist, und deshalb für das Unheil in der Welt verantwortlich gemacht werden kann. Oder präziser: für Menschen, die an einen solchen Gott geglaubt haben. Borcherts Anklage markiert die Bruchstelle eines solchen Glaubens. Angesichts der überwältigenden Faktizität von erlittenem Leid und Unrecht verblasst ihnen die Rede vom guten und allmächtigen Gott zum wirklichkeitsfernen Geschwätz von Kirchenmännern und Theologen: „Hast du zuviel Tinte im Blut, Gott, zuviel dünne Theologentinte? Geh, alter Mann, sie haben dich in den Kirchen eingemauert, wir hören einander nicht mehr.“2

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Die Frage, wie sich der Glaube an einen guten und allmächtigen Gott mit dem Faktum von Leid und Bösem verträgt, wird gemeinhin als Theodizeefrage bezeichnet. Das ist ein verhältnismäßig junger Begriff für eine Problematik, die so alt ist wie der Glaube an einen guten und allmächtigen Gott, der die Welt ursprünglich gut geschaffen hat.3 Allerdings stellt die Formulierung „Theo-dizee“ – d.h. Rechtfertigung Gottes – die Frage in einen im Altertum und Mittelalter noch ungekannten Rahmen: nämlich einer Gerichtsverhandlung, bei dem Gott auf die Anklagebank zitiert wird. „Wo warst du da, lieber Gott?“4

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1.1 Erste Umkehrung: „Adam, wo bist du?“

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Das ist die Umkehrung der traditionellen biblischen Perspektive. Nachdem durch den Sündenfall das Böse in die gut geschaffene Welt eingebrochen ist, fragt dort Gott den Adam: „Wo bist du?“ (Gen 3,9). In ähnliche Richtung geht die „traditionelle kirchliche Standardantwort“5 auf die Theodizeefrage, wie sie von Augustinus mit seiner Erbsündenlehre ausgearbeitet wurde. Demnach ist der Mensch durch seinen Sündenfall schuld an allem Übel in der Welt.6 Hier sitzt also der Mensch vor Gott auf der Anklagebank. Allerdings wirft eine solche „Moralisierung des Bösen“7 zugleich massive Rückfragen an Gottes Güte und Gerechtigkeit auf.8

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1.2 Zweite Umkehrung: Gott fragt nach dem Menschen nicht anklagend, sondern um ihn zu retten

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Beiden Perspektiven – jener von Augustinus und jener der neuzeitlichen Theodizeefrage – ist das Moment der Anklage gemeinsam. Egal, ob Gott den Menschen oder der Mensch Gott fragt: „Wo warst du?“ Leitend ist in jedem Fall eine Schuldzuschreibung, eine Klage auf Unterlassung: „Du warst nicht da, wo du hättest sein sollen. Und deshalb ist die Welt aus dem Ruder gelaufen.“

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Auf den ersten Blick scheint das auch in der biblischen Sündenfallgeschichte so zu sein: Gott fragt Adam „Wo bist du?“, und nachdem er ihn gefunden und wegen seiner Übertretung zur Rede gestellt hat, verhängt er über ihn und Eva Lebensumstände, die zum Übel der Welt zählen:

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„Zur Frau sprach er: Viel Mühsal bereite ich dir, sooft du schwanger wirst. Unter Schmerzen gebierst du Kinder. Du hast Verlangen nach deinem Mann; er aber wird über dich herrschen. Zu Adam sprach er: Weil du auf deine Frau gehört und von dem Baum gegessen hast, von dem zu essen ich dir verboten hatte: So ist verflucht der Ackerboden deinetwegen. Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. Dornen und Disteln lässt er dir wachsen, und die Pflanzen des Feldes musst du essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden; von ihm bist du ja genommen. Denn Staub bist du, zum Staub musst du zurück.“ (Gen 3,16-19)
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Liest man die Texte im größeren Zusammenhang, ergibt sich allerdings ein anderes Bild: Die Unbilden des irdischen Lebens erweisen sich als innere Folgen einer verschuldeten9 Entfremdung des Menschen von Gott, Mitmensch, Welt und sich selbst.10 Auch wenn Gott strafend spricht, so handelt er doch nicht als Strafender, sondern helfend, indem er das von Menschen verschuldete Unheil begrenzt.11 Er offenbart sich als einer, der von sich aus immer wieder neu den Kontakt mit Menschen sucht und sich für sie einsetzt:

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„Denn so spricht Gott, der Herr: Jetzt will ich meine Schafe selber suchen und mich selber um sie kümmern. Wie ein Hirt sich um die Tiere seiner Herde kümmert an dem Tag, an dem er mitten unter den Schafen ist, die sich verirrt haben, so kümmere ich mich um meine Schafe und hole sie zurück von all den Orten, wohin sie sich am dunklen, düsteren Tag zerstreut haben. [...] Ich werde meine Schafe auf die Weide führen, ich werde sie ruhen lassen – Spruch Gottes, des Herrn. Die verlorengegangenen Tiere will ich suchen, die vertriebenen zurückbringen, die verletzten verbinden, die schwachen kräftigen, die fetten und starken behüten. Ich will ihr Hirt sein und für sie sorgen, wie es recht ist.“ (Ez 34,11-16)
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Das Neue Testament greift diese Sichtweise auf und spitzt den Einsatz Gottes – repräsentiert durch Seinen Sohn – noch zu: „Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe“ (Joh 10,11.15). Hier wird Gottes Frage an den Menschen „Wo bist du?“ zum Ausdruck seiner sehnsüchtigen Liebe und seines Bemühens um rettende Solidarität.12 Diesen Tonfall müssen wir von Anfang an mithören, auch schon bei der Frage Gottes an den ersten Menschen: „Adam, wo bist du?“

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2. Die Selbstbegrenzung von Gottes Allmacht in einer Schöpfung aus Liebe und auf Liebe hin

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Bis jetzt haben wir bei der Frage „Wo bist du?“ eine doppelte Umwendung nachvollzogen. Im Hinblick auf das fragende Subjekt: vom Menschen, der Gott anklagt, zu Gott der nach dem Menschen fragt; und im Charakter des Fragens: von einer anklagenden Konfrontation zu einer Suche nach dem verloren gegangenen Anderen um seiner Rettung willen. Letzteres entspricht einem epochalen Umschlag im dominierenden Gottesbild der christlichen Verkündigung im Zwanzigsten Jahrhundert: von einem furchterregenden Weltenrichter zum „lieben Gott“, der uns unsere Verfehlungen nicht anrechnet und es überhaupt gut mit uns meint.13 Angesichts des konkret erfahrenen Leidens erscheint er als „Gott mit uns“ (Mt 1,23) durch Jesus Christus in der Gestalt des Gottesknechts und Schmerzensmannes, der seinen Kreuzweg Seite an Seite mit den Verzweifelten dieser Welt geht.

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Richtig an diesem neuen Gottesverständnis ist, dass Gott angesichts der sündigen Verweigerung von Menschen an eine Grenze stößt, die er nicht gewalttätig überschreitet, – etwa indem er in die Welt eingreift, um Gewalttäter außer Gefecht zu setzen. Richtig ist auch die Einsicht, dass der solcherart „begrenzte“ Gott sich nicht einfach resignierend aus der Not der Welt heraushält, sondern sich mit den Opfern der Geschichte solidarisiert: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder (und Schwestern) getan habt, das habt ihr mir getan.“

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Was aber hilft es den Verzweifelnden, wenn sich nun auch Gott an ihrer Seite als wehrlos gegen die Gewalt des Bösen erweist?14 Erlösung als Gottes praktische Antwort auf die Theodizeefrage wird erst möglich, wenn die wiedergewonnene Einsicht in den solidarisch barmherzigen Gott das alte Verständnis vom allmächtigen, siegreich-gerechten Weltenrichter nicht ersetzt, sondern beides miteinander verbindet. Wie also geht der anscheinende Ausfall von Gottes effektivem Widerstand gegen das Böse mit dem behaupteten Faktum seiner Güte und Allmacht zusammen? Und wie sollen wir die Metapher verstehen, dass Gott den Menschen sucht – offenbar zumindest zeitweise erfolglos – wenn er doch zugleich der allmächtige, allwissende Gott sein soll? Dazu müssen wir auf das christliche Verständnis von Schöpfung zurückgreifen um zu sehen, wie Gott sich selbst begrenzt, um eine Schöpfung aus Liebe und auf Liebe hin zu ermöglichen.

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2.1 Prinzip der Schöpfung: Liebe als Hin-, Rück- und Überfließen einer Selbstgabe zwischen Mensch und Gott

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Nach christlichem Verständnis hat Gott die Welt aus Liebe auf Liebe hin geschaffen.15 Noch vorgängig zur Schöpfung verwirklicht der dreifaltige Gott in sich das Wesen von Liebe als Hin-, Rück- und Überfließen einer Selbst-Gabe: Der Vater gibt sich selbst an den Sohn; der Sohn gibt sich selbst an den Vater zurück, und dieser sich schließende Kreislauf der Liebe fixiert die beiden Personen nicht auf einander – sozusagen in einem „Egoismus zu zweit“ – sondern transzendiert sich auf einen Dritten hin, den Heiligen Geist.16 So braucht Gott nicht eine Schöpfung, um sich als Liebe verwirklichen zu können.17 Schöpfung ist vielmehr Gottes freier Akt der Konstituierung eines Anderen aus Liebe auf Liebe hin. Sein und Liebe sind im Akt der Schöpfung untrennbar miteinander verbunden. Gott sagt seinem Geschöpf nicht nur „Ich liebe dich, weil du bist“, sondern: „Du bist, weil ich dich liebe“.18

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Der Mensch ist als Gottes Geschöpf, indem er die Selbstgabe des dreifaltigen Gottes empfängt. Dadurch wird er in Unterschiedenheit und zugleich Bezogenheit zu Gott konstituiert. Selbstgabe bedeutet, dass Gott sich selbst dem Menschen gibt – „Ich gebe mich dir“ – sodass Gott dem Menschen innerlicher ist als dieser sich selbst19 und gerade so dessen Selbstsein ermöglichend begründet. Auf diese Weise bedeutet Selbstgabe zugleich, dass Gott den Menschen sichselber gibt: „Ich gebe dich dir“. Das heißt, verursacht durch Gottes schöpferische Selbstgabe wird der Mensch sich selbst überantwortet. Er ist nicht von Gott fremdbestimmt, sondern gründet in sich selber – autonom und eigenverantwortlich – und hat auf diese Weise in echter Freiheit einen Eigenstand Gott gegenüber.

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Das beinhaltet, dass der Mensch zu dieser ihn konstituierenden göttlichen Selbstgabe nochmals Stellung nehmen kann und auch muss. Er kann sie annehmen, auf diese Weise den hin- und rückfließenden Kreis der Liebe zwischen Gott und Mensch vollenden und so Gottes überfließende Liebe in dieser Welt – zwischen den Geschöpfen – freisetzen.20 Oder er kann diese Selbstgabe zurückweisen und auf diese Weise den Kreis der liebenden Selbstgabe unterbrechen. Ob der Mensch sich für das eine oder das andere entscheidet, macht für Gott einen Unterschied. Er respektiert ein Nein als Nein und erhält den sich verweigernden Menschen dennoch am Leben, – unter Umständen mit fatalen Konsequenzen für ihn selbst sowie für dessen Mit- und Umwelt. Die Möglichkeit eines solchen Nein mit seinen Konsequenzen innerhalb der Schöpfung ist das Risiko, das Gott mit seiner Schöpfung eingeht, und zwar logisch unvermeidlich eingeht, wenn diese Schöpfung mit der Fähigkeit Liebe ausgestattet sein soll, Gottes freie Selbstgabe frei anzunehmen und ihrerseits in freier Selbstgabe zu beantworten. In diesem Sinn kann man sagen, dass Gott sich mit der Schöpfung eines frei lieben könnenden Gegenübers dazu bestimmt, sich von ihm bestimmen zu lassen. Gott stößt an echte Grenzen, wenn ein Geschöpf nein zum Angebot von Gottes Selbstgabe sagt. Diese Grenze ist Gott nicht von außerhalb auferlegt, sondern innere Konsequenz seiner freien Selbstverfügung. Das ist mit dem umständlich wirkenden „Gott bestimmt sich, sich vom Menschen bestimmen zu lassen“ gemeint.

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2.2 Die zweigestaltige Annahme von Gottes Selbstgabe

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Um die Tragweite einer menschlichen Zurückweisung dieser göttlichen Selbstgabe zu ermessen, müssen wir zuvor noch schärfer in den Blick nehmen, was deren Annahme bedeutet. Der Mensch nimmt Gottes Selbstgabe an, indem er diese Gabe annimmt und indem er die Gabe als Gabe annimmt. Das erste bedeutet, dass er das ihm gewährte freie Leben in Verantwortung für sich und seine Welt übernimmt. Das zweite bedeutet, dass er Gott dafür dankt. Selbstbezogenheit und Gottbezogenheit – Autonomie und Theonomie – sind auf diese Weise untrennbar voneinander und stärken sich gegenseitig. „Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast. Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke“ (Ps 139,14).

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Durch solche zweigestaltige Annahme lässt der Mensch Gottes Selbstgabe in einem Bereich der geschöpflichen Welt – in sich und seinem Wirkungsfeld – wirklich werden. Zugleich ist damit der Grundstein gelegt für eine antwortende Selbstgabe des Menschen an Gott, – und damit für ein Rück-Fließen dieser hinfließenden Liebe: So wie Gott sich bestimmt, sich vom Menschen bestimmen zu lassen, so bestimmt sich nun der Mensch seinerseits, sich von Gott bestimmen zu lassen:

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„Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name,
dein Reich komme,
dein Wille geschehe“
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Mit diesem Ja oder „Fiat“21 erlaubt der Mensch Gott, im unmittelbaren Einflussbereich seiner von Gott freigesetzten Freiheit in einer Weise zu wirken, wie es ohne dieses Ja nicht möglich gewesen wäre. Auch das Ja des Menschen macht für Gott einen Unterschied, – in einer Welt, die Gott dem Menschen zur Herrschaft anvertraut hat (vgl. Gen 1,28).

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2.3 Innerweltliches Überfließen von Gottes Selbstgabe

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Wo der Mensch die Selbstgabe des dreifaltigen Gottes mit seiner eigenen Selbstgabe beantwortet, indem er sich selbst und seinen irdischen Einflussbereich seinerseits Gott übergibt (sie Ihm hinhält und Ihn einlädt, in ihr zu wirken), schließt sich der Kreis der Liebe im Hin- und Rückfließen von Selbstgabe, und es wird ein Über-Fließen dieser Liebe innerhalb der Schöpfung freigesetzt. Der Mensch, der Gottes Liebe annimmt und Ihn seinerseits wahrhaftig liebt, wird ermächtigt zu einer Liebe anderen Geschöpfen gegenüber, die ganz seine Liebe ist und zugleich über sein eigenes Liebenkönnen weit hinausreicht: „Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen“ (Joh 7,3).22 Oder mit den Worten Jesu an die Frau am Jakobsbrunnen:

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„Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen;
wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde,
wird niemals mehr Durst haben;
vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe,
in ihm zur sprudelnden Quelle werden,
deren Wasser ewiges Leben schenkt“ (Joh 4,13f).
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Geschöpfe – und insbesondere die Menschen – sind als Beziehungswesen geschaffen. In ihrer Gottesbeziehung gründet eine lebendige Beziehung der Liebe zu Mitmenschen und zu sich selbst, sowie des staunenden, achtsamen, auch liebenden Umgangs mit „allen Dingen“, d.h. mit allem was ist. Der Mensch ist geschaffen als Bild Gottes und Ihm ähnlich, und zwar nicht etwa isoliert für sich, sondern in seiner Mitmenschlichkeit23 und in seinem Auftrag, über die Erde zu herrschen.24 Gottebenbildlichkeit besagt also, dass der Mensch berufen ist, Gott vor seinen Mitgeschöpfen zu repräsentieren, indem er in seinem Selbstsein für Gott durchscheinend ist25 und in seinem eigenverantwortlichen Tun zugleich Gott die Ehre gibt. Umgekehrt besagt das, dass der Mensch seine Gottesbeziehung in einem hohen Maß über eine geschöpfliche Vermittlung verwirklicht: vor allem durch Menschen, die auf Gott hin durchsichtig sind.

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3. Die Tragweite der sündigen Verweigerung des Menschen

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Erst von diesen Zusammenhängen her kann die Tragweite einer sündigen Verweigerung durch den Menschen ermessen werden. Jedes geschöpfliche Nein gegenüber Gottes Selbstgabe hat unabsehbare Auswirkungen nicht nur für die sich verweigernde Person, sondern für zahllose Mitgeschöpfe, die auf die Erfahrung von Gottes Liebe vermittels des sich verweigernden Geschöpfes angewiesen wären. Erbsünde besagt nicht, dass auf unnachvollziehbare Weise sündige „Befleckungen“ weitervererbt würden, sondern dass innerweltliche Gnadenvermittlungen – „sprudelnde Quellen, deren Wasser ewiges Leben schenkt“ (Joh 4,14) – für viele ausfallen.26

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Zugleich bauen die solcherart vom Leben in der vielfältigen Beziehungswirklichkeit abgeschnittenen Menschen Ersatzbrunnen, – „Zisternen mit Rissen, die das Wasser nicht halten“ (Jer 2,13). Das passiert infolge einer „Feigenblattmentalität“27, mit der sie Gottes Herrlichkeit in sich verdecken und einen selbstherrlichen Glanz erzeugen, der andere Menschen anzieht und „exklusive“, andere ausschließende Gemeinschaften erzeugt. Oder sie lassen sich vom falschen Glanz anderer blenden, schließen sich ihnen an und unterstützen durch solche „Götzenverehrung“ die Bildung von exkludierenden Gemeinschaften..28 Auf diese Weise werden falsche Spuren gelegt, die auch eine unverstellte Erfahrung von Gottes Selbstgabe – u.a. in pervertierten Formen von Religion – blockieren.
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3.1 Erster Straßengraben: Selbstherrlichkeit, Begierde und Rivalität infolge einer Verweigerung von Gottes Selbstgabe als Gabe

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Um die Abgründigkeit dieser Dynamiken ausloten zu können, muss gesehen werden, dass die rechte Annahme von Gottes Selbstgabe einen schmalen Mittelweg darstellt, der in zwei gegenläufigen „Straßengräben“ verfehlt werden kann. Das hängt mit der oben beschriebenen Doppelgestalt der Annahme von Gottes Gabe und der Annahme dieser Gabe als Gabe zusammen. Beides kann verfehlt werden. In der christlichen Tradition, aufbauend auf biblischer Grundlage, wurde vor allem vor der zweiten Verfehlung gewarnt.

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„Seit Erschaffung der Welt wird seine [Gottes] unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit. Daher sind sie [die Menschen] unentschuldbar. Denn sie haben Gott erkannt, ihn aber nicht als Gott geehrt und ihm nicht gedankt. Sie verfielen in ihrem Denken der Nichtigkeit, und ihr unverständiges Herz wurde verfinstert“ (Röm 1,20f).
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Dieses nichtige Denken ist auch in der alttestamentlichen Erzählung vom Sündenfall ein zentrales Motiv. Dessen Wirkung bestand ja darin, dass die Menschen ihre Nacktheit erkennen und sich dafür schämen. Grund dafür ist eine Erkenntnis von Gut und Böse – im Essen vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse – vor dem Gott warnt, weil es zutiefst nichtig ist. Im Grunde besteht es in dem mit Begierde verfolgten Frageinteresse, was der Mensch ausschließlich aus sich selbst ist, ohne sich Gott zu verdanken.29 Die zwangsläufige Antwort „nichts“ stürzt den Menschen in eine abgründige Scham und nötigt ihn dazu, mit Feigenblättern seine Blöße zu bedecken. Von daher wird alles pervertiert. Die Verwurzelung des Menschen in Gott – eigentlich tiefster Grund seiner Würde, Schönheit und Gottebenbildlichkeit – erfüllt den Menschen nun mit der Scham, aus sich selbst heraus minderwertig zu sein. So deckt er seine wahre Schönheit und vermeintliche Blöße mit immer anspruchsvolleren „Feigenblättern“ zu: Häuser, Autos, Markenkleider, Titel ...; mit einem selbstherrlichen Glanz, der im Vergleich zu seinem ursprünglichen Durchscheinen auf Gottes Herrlichkeit minderwertig ist und für andere als Irrlicht wirkt: „Transzendenzverstopfung“30 durch eine ganze Welt von Feigenblättern.31

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Während die ursprüngliche Schönheit beziehungsstiftend wirkt – im Angesicht eines wahrhaft schönen Menschen erfährt man sich selbst als schön – produziert der Eigenglanz einer selbstgemachten Schönheit Neid, Rivalität und Minderwertigkeitskomplexe. Da es im Leben nicht mehr nur um die Sicherung von vitalen Bedürfnissen geht, sondern um die Ansammlung von „Positionsgütern“, durch die ich etwas im Vergleich zu anderen gelte, nimmt das Bemühen um Selbsterhaltung ungeahnte Ausmaße an. Nicht nur die Beziehung zu Mitmenschen wird durch Neid und Rivalität zerstört, sondern auch der Umgang mit den Dingen der Welt verdorben: statt staunen-dankbarer Wahrnehmung und achtsamem Umgang eine Plünderung, um die eskalierenden Positionskämpfe um immer ansehnlichere Feigenblätter bestreiten zu können. Und diese durch Positionsdenken und Seitenblickmentalität eskalierende Selbsterhaltung treibt Menschen nochmals indirekt in eine gesteigerte Vereinzelung, weil sie ganz einfach keine Mittel und keine Zeit mehr haben, sich um die Not anderer zu kümmern.

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All das ist erst die Auswirkung vom einen Straßengraben, in dem der schmale Mittelweg einer rechten Annahme von Gottes Selbstgabe verfehlt wird. Es ist der Straßengraben von Hochmut und Selbstherrlichkeit – mit der Gegenwirkung von Minderwertigkeitskomplexen –, in den die Menschen dadurch fallen, dass sie Gottes Gabe zwar annehmen, aber nicht als Gabe annehmen. „Denn sie haben Gott erkannt, ihn aber nicht als Gott geehrt und ihm nicht gedankt“ (Röm 1,21). So „verfielen sie in ihrem Denken der Nichtigkeit, und ihr unverständiges Herz wurde verfinstert“ (ebd.).

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3.2 Zweiter Straßengraben: Minderwertigkeitsgefühl, Angst und Resignation infolge einer Nichtannahme der göttlichen Gabe des Lebens

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Der andere Straßengraben besteht in einer Zurückweisung des in der Gabe Gegebenen. Der Mensch ist nicht bereit, Gottes Selbstgabe – in dem doppelten Sinn, dass der Mensch sich selbst durch die Selbstgabe Gottes gegeben ist – anzunehmen und auf diese Weise eigenverantwortlich er selbst zu sein. Er weist das Leben zurück. Häufig geschieht dies in einer frommen Version: Man will den Geber würdigen, aber weist seine Gabe zurück. Man meint, Gott dadurch groß sein zu lassen, dass man alles, was nicht Gott ist, abwertet. In einer vermeintlichen Selbsthingabe an Gott wird der Kreis der Liebe – im Hin-, Rück- und Überfließen der Selbstgabe – dabei nicht geschlossen, sondern kommt erst gar nicht zustande. Weil Gottes Selbstgabe nicht wirklich angenommen wird, kann sie nicht mit einer eigenen Selbstgabe beantwortet, sondern nur zurückgewiesen werden. Es ist, wie wenn man die freie Gegen-Gabe dermaßen „abkürzt“, dass man ein Geschenk sofort dem Geber zurückgibt, – und noch meint, dass der Geber genau das erwartet.

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Ein Bild dieser – in einem tragischen Verkennen gründenden – Lebensverweigerung gibt das Gleichnis von den Talenten: „Der aber, der das eine Talent erhalten hatte, ging und grub ein Loch in die Erde und versteckte das Geld seines Herrn“ (Mt 25,18) und er begründet sein Verhalten: „weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt. Hier hast du es wieder“ (Mt 25,25). Im Gegensatz zu seinen Gefährten, die das ihnen Gegebene angenommen, eigenverantwortlich eingesetzt und so ihrerseits Eigenes geben konnten, handelt es sich hier um eine Rückgabe, die einer verweigerten Annahme gleichkommt. Dass dieser Knecht in die äußerste Finsternis geworfen wird, ist kein eigener Strafvollzug, sondern nur die Bestätigung davon, dass eine Begegnung mit dem Herrn des Lebens nicht zustande gekommen ist.
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Beide Straßengräben – Lebensgier und Lebensangst, gewaltsames Ansichreißen und Verweigerung des Lebens, auch Hochmut und Minderwertigkeitsgefühl – bedingen und verstärken sich gegenseitig. Die Erzählung vom Sündenfall beschreibt nicht ein direktes Abgleiten in ein aufbegehrendes Ansichreißen, sondern das Hin und Her einer Debalancierung. Am Anfang steht der – durch die Schlange repräsentierte – Gedanke von einem Gott, der Lebensfülle untersagt: „Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?“ (Gen 3,1) Eva vermag diese kühne Entstellung von Gottes umfassender Freigabe nur teilweise zurückzuweisen,32 und so erliegt sie schließlich dem Verdacht, dass Gott den Menschen das wirklich Gute vorenthält. Sie pendelt von einem übertriebenen Gehorsam in die Haltung eines aufbegehrenden Ansichreißens. Dessen Folge ist – wie oben beschrieben – die peinliche Erkenntnis einer eigenen Nichtigkeit, die in ein ängstlich-resignatives Sichverstecken oder in einen gierig-aggressiven Konkurrenzkampf um die besseren Feigenblätter führt, – wobei eines das andere verstärkt.

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Auch von Straßengraben der Lebensverweigerung in Angst und Resignation geht unzähliges Leid, Übel und Böses aus: Menschen, die sich den Herausforderungen des Lebens für sich und für andere nicht stellen, sondern resignieren und sich treiben lassen. Und allzuviele pendeln zwischen den Extremen einer eingebildetem Grandiosität und einer eingebildeten Minderwertigkeit, – zwischen Angst und maßloser Begierde, die nur zwei Seiten einer einzigen Medaille darstellen.

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3.3 Not und Leid der Welt

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Solcherart ist nach biblisch-christlichem Verständnis diese Welt, in der wir die Frage nach den Leid, Übel und Bösen in der Welt stellen: von einem guten Gott gut geschaffen, aber vielfältig blockiert in den Kreisen überfließender Liebe, auf die hin die Welt geschaffen ist. Vieles von diesem Leid – auch jenes des eingangs erwähnten Kriegsheimkehrers – ist auf diese innerweltliche Entfremdung, Isolation und Verfeindung zurückzuführen. Allerdings gibt es über dieses moralische Böse hinaus auch das mit unserer faktischen Natur verbundene Übel, das nicht oder nicht direkt auf Menschen zurückgeführt werden kann. Zwar sind Naturkatastrophen und Krankheitsepidemien, Unglücks- und Krankheitsfälle zunehmend auch menschlichen Fehlern und der Maßlosigkeit der menschlichen Zivilisation zuzuschreiben, aber gewiss nicht ausschließlich. Christen sind gerufen zu vertrauen, dass solche zerstörerischen „Zu-Fälle“ niemals von Gott direkt geschickt werden, sondern mit der Einrichtung einer Welt zu tun haben, die sich von ihren Anfängen an aus sich selbst – evolutiv – auf Freiheit hin entwickelt hat. Die Frage, ob eine mit solch zerstörerischen Umwegen – man denke nur an das Leid der Tierwelt bereits vor Entstehung des Menschen – behaftete Werdewelt tatsächlich, wie Leibniz noch meinte, die beste aller möglichen Welten ist, wird man mangels Überblick über alternative Welten wohl auf sich beruhen lassen. Allerdings haben Christen allen Grund für die Zuversicht, dass Gott die Welt trotz aller Irritationen bestmöglich eingerichtet hat, aber eben als eine Werdewelt, für die die Möglichkeiten eines göttlichen Eingreifens strikt begrenzt sind.

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Dabei teile ich nicht die heute verbreitete theologische Auffassung, dass Gott überhaupt nicht in diese Welt handelnd eingreifen kann, sondern ausschließlich als Erstursache innerweltliche Ursachzusammenhänge mitträgt.33 Letzteres ist allerdings als der Regelfall göttlichen Wirkens zu verstehen, der in jeder Situation von Welt und menschlichem Leben immer gegeben ist. Das kann man anerkennen, ohne dass man ein außerordentliches göttliches Eingreifen – also Wunder – definitiv ausschließt. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass jedes göttliche Eingreifen sich in innerweltliche Kausalzusammenhänge sowie menschliche Verstehens- und Interpretationszusammenhänge integriert, sodass immer auch innerweltliche Kausalität mitspielt. Für die christliche Praxis – insbesondere des Bittgebetes – erscheint es mir wichtig, dass
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(a) ein solches Einladen Gottes durch menschliche Freiheit konkrete Wirkmöglichkeiten für Gott eröffnet, die Er sonst – entsprechend seiner Selbstbegrenzung auf menschliche Freiheit hin – nicht hätte;34
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(b) diese Spielräume immer noch begrenzt sind durch Zusammenhänge35, die uns verborgen sind.
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Für die Frage der Wirksamkeit von Bittgebeten ergibt sich aus (a), dass Gebet erhört werden kann, in dem Sinn, dass es für konkrete Abläufe in der Welt möglicherweise „einen Unterschied macht“. Aus (b) folgt hingegen die Möglichkeit, dass auch ein aufrichtiges Beten in einer gerechten Sache nicht mit einer sicheren Erfüllung des Erbetenen rechnen kann,36 – ohne dass auf Gottes Unfähigkeit, Unwillen oder direkt auf menschliche Unzulänglichkeit zurückgeführt werden müsste.
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So können Christen das faktische Leid und Übel mit einer von einem guten Gott gut geschaffenen Welt in Einklang bringen. Vieles ist dabei auf tief verwurzelte Unheils- und Entfremdungszusammenhänge zurückzuführen, auch im Bereich von Naturübeln. Denn zu erwarten bleibt, dass eine Menschheit, die in jeder Situation das menschenmögliche Gute tut und zugleich Gott in diese Situation einlädt, von vielem Unheil gewarnt geworden und so verschont geblieben wäre.37 Vor allem aber wird der Umgang von liebenden Menschen mit Mitmenschen in Notsituationen ein anderer. Ein Tsunami kann eine Welle grenzüberschreitender Hilfsbereitschaft auslösen, oder umgekehrt kann eine Aidsepidemie aufgrund von menschlicher Schuld zur Marginalisierung und Stigmatisierung von erkrankten Menschen führen. Diese Erfahrung der Isolation und Ausgrenzung ist dann für Betroffene unter Umständen schlimmer als die Krankheit selbst. Keine menschliche Situation ist nur Schicksal, jede ist immer auch eine Herausforderung, an der mitmenschliche Liebe sich bewähren oder versagen kann.

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4. Ohnmacht und Heilsmacht Gottes – und was es bedeutet, dass Gott den Menschen sucht

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Wir haben bereits festgestellt: Wenn der Mensch zu Gott nein sagt, dann wird das von Gott respektiert. So wie die Gottesbeziehung ist auch ein Nein zu Gott vielfach innerweltlich vermittelt: durch Verweigerung und Missbrauch von Beziehungen zu Mitmenschen, Dingen der Welt und auch von sich selber. Und jedes Nein wirkt sich verdunkelnd auf die Beziehungen Anderer zu Gott und Geschöpfen aus. Daraus resultiert eine Grundsituation relativer Entfremdung, bei der ein echtes Nein zu Gott kaum zustande kommt, weil Gott gar nicht wie er ist erkannt und zum Gegenstand freier Entscheidung wird. Ähnliches gilt im Verhältnis zu Mitmenschen, zu den Dingen der Welt und auch im Umgang mit sich selber. Wegen dieser entfremdeten Grundsituation ist eine moralisierende Verurteilung von Gottlosigkeit und Unmenschlichkeit zumeist nicht angebracht. Meist wissen die Menschen nicht, was sie tun (vgl. Lk 23,34), oder erahnen nicht die Tragweite von dem was sie tun.

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4.1 Der Kairos einer vertieften Selbstoffenbarung Gottes als Zeitpunkt für ein Ja oder Nein zu Gott

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Was bedeutet das für die Möglichkeiten und Grenzen von Gottes Wirken, wenn Gott ein direktes oder geschöpflich vermitteltes Nein respektiert? Ein solches Nein kann nur so weit gehen, als Menschen Gott erkannt haben. Deshalb kann Gott selbst dort, wo bereits ein explizites Nein ergangen ist, durch eine vertiefte Selbstoffenbarung – mittelbar oder geschöpflich vermittelt – eine neue Situation bewirken, die eine neue Entscheidung von Menschen für oder gegen Gott erfordert. Das ist durch Heilsmittler (Patriarchen, Richter, Könige und Propheten), Heilserfahrungen (vor allen den Exodus), Gebote und Heilsinstitutionen im Alten Testament geschehen, „in dieser Endzeit aber ... durch den Sohn, den er [Gott] zum Erben des Alls eingesetzt und durch den er auch die Welt erschaffen hat“ (Hebr 1,1). Was eine vertiefte Selbstoffenbarung Gottes bedeutet und wie sie sich auf die Menschen auswirkt, lässt sich am deutlichsten an der Gottesreichbotschaft Jesu Christi zeigen. Am Anfang steht eine freie Heilsinitiative Gottes, die zu einer von Gott frei gesetzten Heilszeit – die Bibel spricht hier von einem „Kairos“ – von Gott angeboten wird, ohne dass das durch menschliche Vorleistungen „verdient“ worden wäre. Es handelt sich hier um eine „Ankunft“ Gottes in der Welt, die durch ein freies Ja von Menschen ermöglicht wird: im Falle Jesu durch das vorausgehende „Fiat“ Marias und durch die vollkommene Annahme des göttlichen Heilsangebots durch Jesus Christus selbst, der ja ganz Mensch war. In ihm ist Gott auf unüberbietbare Weise in der Welt angekommen und von der Welt angenommen.38 Durch die Begegnung mit ihm wurden Zeitgenossen Jesu in eine Situation vertiefter Selbstoffenbarung Gottes versetzt. So war für sie „die Zeit (Kairos) erfüllt“ und „das Reich Gottes (also Gott selbst als heilschaffende Beziehungswirklichkeit) nahe gekommen“ (Mk 1,15). Dadurch wurden sie befähigt und zugleich aufgerufen, „umzukehren und an das Evangelium zu glauben“ (nochmals Mk 1,15). Durch diese Erfahrung einer vertieften Selbstoffenbarung Gottes wurden sie nicht automatisch ins Heil versetzt, sondern in eine Situation der Entscheidung: Sie konnten Gott so, wie er ihnen nun tiefer aufleuchtete, annehmen oder auch zurückweisen. Für beides gibt es zahlreiche Zeugnisse in den Evangelien.39

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Erfahrungen einer vertieften Selbstoffenbarung Gottes gibt es immer wieder auch für uns heutige Menschen. Oft sind sie vermittelt durch innerweltliche Begegnungserfahrungen, ohne dass dabei Gottes Gegenwart ausdrücklich bewusst würde.40 Solche Gnadenerfahrungen haben ihre bestimmten unverfügbaren Orte und Zeiten („Kairoi“), und in ihnen verwirklicht sich das, was wir als „Ja oder Nein zu Gott“ beschrieben haben.41

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4.2 Gottes Ohnmacht und Heilsmacht angesichts einer sich verweigernden menschlicher Freiheit

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Von diesen Zusammenhängen her können wir nun Gottes Ohnmacht und Heilsmacht besser verstehen. Gottes Ohnmacht besteht darin, dass er ein in Wort und Tat vollzogenes, meist gegen bestimmte Geschöpfe gerichtetes Nein zu Gott respektiert und auch seine Folgen nicht einfach eingreifend aufhebt. Dennoch zerbricht Sein Heilswille nicht an solchem Widerstand. Wo Menschen durch ein Nein Gott Wege versperrt haben oder sich durch die Auswirkungen eines Neins Anderer in einer Situation von Gottesfinsternis und beeinträchtigten innerweltlichen Beziehungen befinden, kann Gott durch Kairoi vertiefter Selbstoffenbarung neue Wege für eine – geschöpflich vermittelte – Begegnung mit Ihm eröffnen. Durch solche Gnadenerfahrungen – für die wir im kommenden Kapitel ein Beispiel anschauen werden – wird die Freiheit von Menschen Gott und Seinem Heil (in einem sich vollendenden Kreis liebender-Selbstgabe) gegenüber wiederhergestellt und dennoch nicht überwältigt: Auch eine noch so starke Gnadenerfahrung hält die Möglichkeit offen, dass der Mensch sie zurückweist.

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Durch diese Möglichkeit, über vertiefte Selbstoffenbarung neue Heilssituationen zu erschließen, erhält Gott seine Heilsmacht auch angesichts Seiner Selbstfestlegung, ein von Menschen vollzogenes Nein zu respektieren. Auf diese Weise lassen sich göttlicher Heilswille und menschliche Freiheit, Gottes Ohnmacht angesichts menschlicher Verweigerung und die Macht Seines Willens, „dass alle Menschen gerettet werden“ (1 Tim 2,4), miteinander vermitteln.

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4.3 Was es bedeutet, dass Gott den Menschen sucht

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Und es wird deutlich, was die Metapher besagt, dass Gott den Menschen sucht, oder dass Er fragt: „Adam, wo bist du“, ohne dass man sich dabei Gott in menschenähnlicher Weise als begrenzt vorstellen müsste. Gemeint ist, dass Gott Situationen schafft, die für Menschen, die die Begegnung mit Ihm bereits zurückgewiesen haben, eine neue Chance zur Begegnung mit Ihm ermöglicht.42 Weil der Mensch ein solches erneutes, vertieftes Heilsangebot stets auch ablehnen kann, kommt die Begegnung nicht zwangsläufig zustande. Aber selbst wenn sie scheitert, kann Gott immer noch neue Initiativen setzen. Dieses erneute Bemühen lässt sich mit der Metapher ausdrücken, dass Gott den Menschen sucht. Dass Er in diesem Suchen zeitweilig erfolglos ist, hängt nicht an einem Unwissen oder einer Ungeschicklichkeit Gottes, sondern an der Freiheit des Menschen, die zu respektieren sich Gott festgelegt hat.

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5. Der Preis der Erlösung

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Versuchen wir ein Zwischenresümee. Leid, Übel und Böses ist in einem hohen Maß dadurch bedingt, dass Menschen den Kreis einer liebenden Selbstgabe, auf den hin die Schöpfung angelegt ist, unterbrochen und damit auch Gott aus dieser Welt ausgeschlossen haben. Der Mensch will ohne Gott wie Gott sein und schämt sich seiner Verwiesenheit auf Gott. Weil Gott das Nein eines Menschen respektiert, werden dadurch Seine Möglichkeiten, in der Welt zu wirken eingegrenzt.43 Gott hat aber die Möglichkeit, durch Ereignisse seiner vertieften Selbstoffenbarung neue Begegnungen mit Ihm zu ermöglichen. Solche Gnaden-Karoi können von Menschen angenommen oder abgelehnt werden. Beides wirkt sich auf die Situation von Leid, Übel und Bösem in der Welt auf unterschiedliche Weise aus.

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5.1 Annahme von Gottes vertieftem Heilsangebot

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Wo Menschen Gott in ihr Leben und in ihr Wirkungsfeld in der Welt eingeladen wird, macht das für Gott einen Unterschied. Wir haben bereits oben beschrieben, wie eine Person, die Gottes Selbstgabe ganz annimmt und mit ihrer eigenen Selbstgabe an Gott beantwortet, von einer überströmenden Liebe zu ihren Mitgeschöpfen erfüllt wird, die ihre eigene und zugleich mehr als ihre eigene ist. Sie wird zum Sakrament von Gottes Liebe in dieser Welt, zum leibhaften Angebot von Gottes Selbstgabe. In einem eingeschränkten Bereich vergegenwärtigt sie die Ankunft Gottes in dieser Welt, so wie sie Jesus durch seine Gottesreichbotschaft umfassend vollzogen hat.44 Eine solcherart mit Gott sich verbindende Person wird zum Kairos von Gottes Heilsangebot für andere Menschen45. Sie kann das übergroße Glück erfahren, dass andere Menschen durch ihre Vermittlung Gottes Heilsangebot annehmen und sich dadurch selber in überströmend Liebende verwandeln.46 Aber sie wird auch mit den Folgen eines verschärften Nein konfrontiert und auf diese Weise – in einer Kreuzesnachfolge – Ablehnung und Verfolgung erleiden.

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5.2 Ablehnung von Gottes vertieftem Heilsangebot

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Aber gerade durch diese tiefere Selbstoffenbarung Gottes eröffnet sich auch die Möglichkeit zu einem verschärften Nein, welches Menschen mehr als bisher für eine geschöpflich vermittelte Gotteserfahrungen blind macht und einer gesteigerten Destruktivität längs all ihrer Grundbeziehungen (zu Gott, Mitmenschen, Welt und sich selbst) ausliefert. Dies ist die von Jesus gebrandmarkte Gefahr einer Sünde gegen den Heiligen Geist,47 für die es in Ewigkeit kein Entkommen geben würde (vgl. Mk 3,29), würde Gott nicht nochmals neue Auswege durch eine nochmals vertiefte Selbstoffenbarung eröffnen.48

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Auch das, was wir hier schematisch als verschärftes Nein gegenüber einer vertieften Selbstoffenbarung Gottes beschrieben haben, verwirklicht sich „inkognito“ tagtäglich millionenfach. Zur Verdeutlichung des Gemeinten sei ein Einzelbeispiel skizziert, wobei ich von der Selbstaussage eines skrupellosen „Herzensbrechers“ ausgehe:

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„Man kann den meisten Frauen so gut was vormachen. Du musst nur die typischen Geschichten erzählen — so was wie: ‚Eigentlich will ich Familie ... oder: Ich suche eine Frau, mit der ich mein Geld genießen kann und mit der ich die Welt anschauen will. (Noch ein Kompliment: ›Du hast so schöne Blablabla ...‹ – und schon hast du sie im Bett. Und dann erzählen sie meiner Mailbox: ›Du hast aber doch gesagt ...‹ Ein bisschen Selbstkritik an der richtigen Stelle wäre mal angebracht: ›Warum sollte der Typ gerade mit mir eine Familie gründen wollen? Er kennt mich doch gar nicht.‹ Glauben die, dass ein tiefer Ausschnitt und der Sex mich dann überzeugen? Das ist so schwach, warum soll ich da Rücksicht drauf nehmen, wenn die will, dass ich ihr ihr Leben toll mache. Hallo Mädel, es gibt Hunderte wie dich, such dir einen netten Typ, der zu dir passt, Mittelmäßigkeit ist kein Grund zum Schämen. Und damit meine ich gar nicht das Aussehen. Es ist dieses ›Kleinmädchenhafte‹, was sie so unattraktiv für mich macht. Ich frage mich immer, warum die das eigentlich nicht lernen oder immer noch hoffen, gerade ihnen würde ein Wunder passieren und der tolle Supertyp liebt dann nur sie.“49
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Wie kann jemand zu einer solch skrupellosen Haltung kommen? Wir können uns einen Mann vorstellen, der nach einigen ‚leichten Abenteuern‘ eine Frau kennen lernt, die ihn aufrichtig liebt und dadurch sein Herz auch tiefer erreicht, und er erahnt etwas von der Schönheit und Verantwortung echter Liebe. Das wäre eine mögliche Konkretisierung einer vermittelten vertieften Selbstoffenbarung Gottes. Auf einmal ertappt der junge Mann sich dabei, dass er ernsthafter, rücksichtsvoller mit diesem Mädchen umgeht, – oder seine Kumpanen entdecken das an ihm. Nun steht er vor einem Scheideweg. Er weiß, was es ihn kosten würde, wenn er den Weg einer ernsthaften, verantwortlichen Liebe beschreiten würde: In der einen Waagschale liegt der Schatz oder die Perle (vgl. Mt 13,44-46) einer echten, kostbaren Liebe, aber um den Preis des Verzichts auf die vordergründige Willkürfreiheit eines billigen Genusses, auch eigene Verletzlichkeit. In der anderen Waagschale liegt hingegen die Möglichkeit einer noch größeren Ungebundenheit. Wenn er Letzteres leben will, dann muss er die aufkeimende echte Liebe zerstören, und das heißt auch: Er muss einen Menschen, für den er wenigstens in gewissem Maß echte Liebe und Verantwortung fühlt, verletzen, wenn nicht gar zerstören. Näherungsweise wäre dies eine „Sünde gegen den Heiligen Geist“, – denn er würde wissen, was er tut.

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Eine solche Situation mit einer negativen Entscheidung könnte der zitierten zynischen Einstellung vorausgegangen sein. Eine ähnliche Situation könnte aber auch einem Menschen mit einer solchen menschenverachtenden Haltung passieren. Das wäre eine echte Möglichkeit zur Umkehr eines moralisch tief gefallenen Menschen. Es wäre eine Umkehr, ermöglicht durch vertiefte Selbstoffenbarung Gottes, vermittelt durch einen liebenden Menschen. Es wäre ein Weg der Erlösung um den Preis der möglichen Zerstörung eines rein liebenden, verletztlichen Menschen, – eines Schatzes oder einer Perle (vgl. Mt 13,44-46).

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Wenn wir berücksichtigen, dass Erlösung nicht an Freiheit vorbei, sondern nur durch Freiheit hindurch möglich ist; wenn wir weiters das Gewicht der Sünde (nicht nur moralischer Sünde, sondern als Sünde der Welt, die oft nicht abschätzen kann, was sie da anrichtet) berücksichtigen, nämlich als Freiheit zur Unfreiheit, zu der weder der Mensch sich selber noch Gott ihn (gegen seine Freiheit) befreien kann, dann können wir erahnen, dass solche vertiefte Selbstoffenbarung Gottes in all ihren geschöpflichen Vermittlungsformen der einzige Weg zur Erlösung ist. Und zugleich können wir den Preis eines solchen Erlösungsweges erahnen.

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Dass es sich bei Gottes Heilswirken durch Jesus Christus so verhält, zeigt uns das Gleichnis von den bösen Winzern:

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„Jesus begann zu ihnen (wieder) in Form von Gleichnissen zu reden. (Er sagte:) Ein Mann legte einen Weinberg an, zog ringsherum einen Zaun, hob eine Kelter aus und baute einen Turm. Dann verpachtete er den Weinberg an Winzer und reiste in ein anderes Land. 2 Als nun die Zeit dafür gekommen war, schickte er einen Knecht zu den Winzern, um bei ihnen seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs holen zu lassen. 3 Sie aber packten und prügelten ihn und jagten ihn mit leeren Händen fort. 4 Darauf schickte er einen anderen Knecht zu ihnen; auch ihn misshandelten und beschimpften sie. 5 Als er einen dritten schickte, brachten sie ihn um. Ähnlich ging es vielen anderen; die einen wurden geprügelt, die andern umgebracht. 6 Schließlich blieb ihm nur noch einer: sein geliebter Sohn. Ihn sandte er als letzten zu ihnen, denn er dachte: Vor meinem Sohn werden sie Achtung haben.7 Die Winzer aber sagten zueinander: Das ist der Erbe. Auf, wir wollen ihn töten, dann gehört sein Erbgut uns. 8 Und sie packten ihn und brachten ihn um und warfen ihn aus dem Weinberg hinaus. 9 Was wird nun der Besitzer des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Winzer töten und den Weinberg anderen geben.“ (Mk 12,1-9)
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Löst man das Gleichnis aus dem gewohnten Kontext eines frommen Denkens, dann muss man vor der Logik des Weinbergbesitzers erschrecken. „Schließlich blieb ihm nur noch einer: sein geliebter Sohn. Ihn sandte er als letzten zu ihnen, denn er dachte: Vor meinem Sohn werden sie Achtung haben“ – Nach dem Schicksal, welches die Pächter den Dienern des Weinbergbesitzers antaten, muss uns diese Überlegung des Vaters nicht nur als unrealistisch, sondern zugleich als gänzlich unverantwortlich gegenüber seinem Sohn erscheinen.50 Was aber, wenn dieser Einsatz die einzige Möglichkeit ist, die Weinbergpächter von ihrer Verstrickung in Neid und Gewalttätigkeit zu „erlösen“?

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Ich kehre zu der Geschichte von dem gewissenlosen Frauenheld zurück. Ich stelle mir vor, meine zwanzigjährige Tochter würde in die Hände eines solchen Kerls geraten sein, und er hätte sie zynisch fallen gelassen. Das wäre Theodizee konkret für mich: „Gott, wo warst du? Warum hast du das zugelassen? Warum hast du nicht zuvor deinen Blitz gegen diesen Unmenschen geschleudert?“

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Eine Antwort auf diese Frage hätte ich mit den vorausgehenden Überlegungen bereits gegeben. Aber es ist etwas anderes, wenn man direkt mit der Zerstörungskraft einer negativ wählenden freigesetzten Freiheit konfrontiert ist, und wenn man sich auf das konkrete Leid eines Mitmenschen wirklich einlässt. Dann kann sich die Frage nicht in einer theoretischen Antwort beruhigen, sondern wird zur Klage, – aus Solidarisierung bis zur Identifizierung mit dem konkret Leidenden. Im Gleichklang mit Jesus, der am Kreuz gerufen hat „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – eine Warumfrage, die nicht eine theoretische Antwort sucht, sondern sich erst an einer praktische Antwort beruhigen will. Und diese Antwort heißt Erlösung.

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6. Verwandlung von Bösem in Gutes

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Wenn Gott Menschen nur erlösen kann durch das Risiko einer ungeheuren Zunahme von Bösem, das Menschen wirken können: Wie viel von dem Leid in der Welt hängt dann damit zusammen und ist auf die eine oder andere Weise „Preis der Erlösung“51?

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Aber hat Erlösung dann nicht genau den entgegengesetzten Effekt: beinah grenzenlose Vermehrung von Leid, Übel, Böse, Verschulden? Selbst wenn dadurch immer wieder auch böse Menschen gut geworden sind?

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Diese Frage stellt sich zuerst in Bezug auf die Opfer der Geschichte. Aber sie stellt sich auch in Bezug auf die bekehrten Täter. Stellen wir uns vor, der gewissenlose Frauenheld wäre durch die vertiefte Selbstoffenbarung Gottes in der für ihn gänzlich unverdienten Begegnung mit einem reinen, schönen, liebenden Menschen tatsächlich ein anderer geworden. Damit wäre er ja nicht schon erlöst, sondern – gerade durch die (geschöpflich vermittelte) Erfahrung einer gesteigerten Liebe – einem peinigenden Gericht ausgesetzt. Denn in der Beziehung mit dem liebenden Menschen beginnt sein „Herz aus Eis“ zu schmelzen. Und sein nunmehr verfeinertes Gewissen konfrontiert ihn in voller Härte mit dem, was er in seinem Vorleben anderen Frauen angetan hat. Dabei weiß er, dass er das meiste davon nicht mehr gut und schon gar nicht rückgängig machen kann.

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Christlicher Glaube hält hier eine Vergebung der Sünden für möglich. Und er kann sich dabei auf die biblische Erlösungslehre berufen, die in „Transportmetaphern“ von einem Hinwegnehmen von Sünde spricht, zum Beispiel im Wort des Täufers über Jesus: „Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“ (Joh 1,29). In starker Spannung zu dieser Zusage steht unser Wissen um eine Unübertragbarkeit personaler Verantwortung.52 Nach einer verbreiteten Kritik kann niemand, nicht einmal Gott, das Böse vergeben, das einem Anderen angetan wurde.53

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Auch Jesus war Opfer von Bösem, das ihm angetan wurde. Wie ging er damit um?

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6.1 Wie Jesus das ihm angetane Böse transformierte

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Jesus war der Mittler einer vertieften Selbstoffenbarung Gottes und wurde als solcher auch von den Auswirkungen eines verschärften Nein getroffen. Wer die Botschaft Gottes in Liebe und Wahrheit nicht annehmen wollte, weil er die Konsequenzen einer dafür nötigen Umkehr scheute, musste den Mittler dieser Botschaft aus dem Weg räumen, um wie zuvor weiterleben zu können, – zumal, da Jesus den Kontakt mit seinen Gegnern in der Weise einer kritischen Solidarität aufrecht erhielt und sie so maximal provozierte.54

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Jesus ging mit der über ihn hereinbrechenden Gewalt so um, wie er mit allem in seinem Leben umging. Er integrierte sie in die Selbstgabe von seinem himmlischen Vater – das heißt, er nahm sie vom Vater an – und beantwortete sie mit einer liebenden Selbstgabe an ihn. Und durch dieses Hin- und Rückfließen von Selbstgabe wurde in ihm (der Mensch wie wir geworden war) eine überfließende Liebe für die Geschöpfe freigesetzt, auch für die, die ihn verfolgten.

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Wie konnte Jesus die ihm durch seine Gegner angetane Gewalt mit der Selbstgabe seines Vaters in Verbindung bringen? Keinesfalls so, dass er seinen Vater als eigentlichen Verursacher dieser Gewalt sah.55 Wohl aber, indem er sich von seinem Vater in die Verfolgungssituation – konkret: nach Jerusalem – gesandt erfuhr; und zwar nicht mit dem Ziel seines Martertodes, sondern um dort, wo die Wurzel menschlicher Gottentfremdung destruktiv zutage trat, den unterbrochenen Kreis der liebenden Selbst-Gabe zu vollenden. Er nahm die gottentfremdeten Menschen mit dem, was sie noch zu geben hatten – die nackte Gewalt – an, und so hielt er sich mit ihnen – an ihrer Stelle – seinem himmlischen Vater hin: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“ (Lk 22,19). So transformierte er die über ihn hereinbrechende Gewalt – und damit seinen passiven Opferstatus – in die gesteigerte Aktivität einer stellvertretend liebenden Selbst-Gabe „für die Vielen“ (Mt 26,28): „Niemand entreißt es [mein Leben] mir, sondern ich gebe es aus freiem Willen hin“ (Joh 10,18).

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Diese Verwandlung von erfahrener Gewalt in Liebe hat eine Bedeutung für die Übeltäter, die sich allerdings erst dann auf sie verwandelnd auswirkt, wenn sie mit der Wahrheit des Geschehens konfrontiert werden.56 Das geschieht durch den Heiligen Geist, der vom Auferstandenen über die ersten Christen ausgegossen wurde, und in dessen Vollmacht diese die Verfolger Jesu mit der Wahrheit dieses Geschehens wirksam57 konfrontieren konnten: (1) dass sie nicht einen Gotteslästerer, sondern den von Gott Gesandten gekreuzigt hatten, (2) wie Jesus diese ihm angetane Gewalt in Liebe transformiert hat, und dass ihnen von daher (3) die Möglichkeit eröffnet wurde, durch Taufe und Umkehr an dieser heilvollen Transformation für ihr Leben Anteil zu erhalten.58

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6.2 Jesus Christus als Mittler aller Schöpfung und Träger der Sünde der Welt

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Dass Jesu Zeitgenossen auf diesem Weg von Bösem, das sie direkt Jesus angetan hatten, befreit werden konnten, dürfte so nachvollziehbar sein. Wie aber soll durch dieses Erlösungswirken Jesu „die Sünde der Welt hinweggenommen“ (vgl. Joh 1,29) werden? Wie soll dadurch alles Böse, das irgendwann irgendein Geschöpf einem anderen angetan hat, aufgefangen werden, und wie sollen solcherart wirklich Sünden vergeben werden können? Eine erste Antwort: Das ist nur möglich, weil Jesus sich mit allen Opfern der Geschichte – und das heißt: mit allen Menschen, insofern sie Opfer anderer sind – identifiziert hat: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder (und Schwestern) getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). Aber wie soll eine solche Selbstidentifizierung möglich sein? Hier ist nur eine Antwort möglich: weil das von Anbeginn im Plan der Schöpfung vorgesehen war, und zwar dadurch, dass die zweite göttliche Person, der Sohn, in dem die Welt geschaffen ist (Kol 1,16), selbst Mensch wurde, – in diesem Jesus von Nazaret:

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„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. 2 Im Anfang war es bei Gott. 3 Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. 4 In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. [...] 14 Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.“ (Joh 1,1-2.14)
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So ist der tiefste Seinsgrund dieses Menschen die zweite göttliche Person, und zwar nicht nur so, wie jeder Mensch in seinem tiefsten Seinsgrund in Gott wurzelt,59 sondern so, dass Jesus sagen kann: „Ich bin der ewige Sohn des Vaters“.60 Im seinem tiefsten Seinsgrund ist Jesus von Nazaret also jener Mittler aller Schöpfung, „durch den alles ist, auf den hin alles geschaffen und in dem alles Bestand hat“ (vgl. Kol 1,16f).

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Was Jesus damit während seines Lebens erfährt, ist wie die Spitze eines Eisbergs. In der Bedürftigkeit der konkreten Person, die ihm begegnet, erahnt er die Bedürftigkeit eines jedes Geschöpfes: eine Bedürftigkeit, die ihn selbst – in dem auch dieses Geschöpf ist und Bestand hat – nicht nur im Gegenüber, sondern zugleich zutiefst zuinnerst trifft. Jeder Schlag, der ihn trifft, weckt aus der Tiefe seines göttlichen, schöpfungsmittlerischen Seinsgrundes eine unvordenkliche Ahnung von unzähligen Schlägen, die Geschöpfe einander angetan und voneinander erlitten haben,61 wobei jeweils er selbst als Mittler aller Schöpfung getroffen wurde. Und seine liebende Annahme der konkret erfahrenen Gewalt und deren Transformation in eine liebende Selbst-Hingabe an den himmlischen Vater umfasst alles das, was er darin miterfährt: „Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt“.

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7. Der Mensch – berufen zum Mitwirken an Christi Erlösungswerk

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Berufung und Sinn des menschlichen Lebens sind in zwei zusammenhängenden Perspektiven zu sehen: Innerweltlich bestehen sie darin, sich in liebendem Engagement für andere selbst zu verwirklichen. Betrachtet man diese Ebene isoliert, so stößt man auf zahllose Bedingungen, die eine solche Aufgabe zum aussichtslosen Kampf werden lassen. Menschen versuchen, einander zu helfen angesichts einer Übermacht von Missständen, Krankheiten und Katastrophen, – von Menschen selbst und einer offenbar erbarmungslosen Natur verursacht –; was daran glückt, sind meist nur vorübergehende Besserungen für wenige, und auch das oft erkauft mit negativen Nebenwirkungen für ungesehene Andere, – und am Ende eines lebenslangen Einsatzes steht auf jeden Fall der Tod.62

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In einer zweiten, in diesem Aufsatz skizzierten Perspektive ist der Mensch darauf hin geschaffen,63 (1) Gottes Selbstgabe – und das heißt auch sich selbst und die Umstände seines Lebens – dankbar anzunehmen, (2) sich selbst und die Umstände seines Lebens in antwortender Selbstgabe Gott zu überantworten und auf diese Weise (3) sich in innerweltlich überfließender Liebe zu verströmen. Das ist der eine Grundvollzug, der für alle Umstände des Lebens – ob glücklich oder unglücklich – grundsätzlich der gleiche ist. Das bedeutet, alles Positive in jedem Atemzug zu genießen und sich an glückender Beziehung und Weltgestaltung zu freuen. Und es bedeutet, jede negative Situation – Hindernisse, die ich auf meinem Lebensweg erfahre, Widerstand der mir von anderen entgegengebracht wird, und Negatives, das aus mir selber hervorbricht – im Zusammenhang mit Gottes Selbstgabe anzunehmen, wie Jesus Christus die ihm aufgezwungenen Lebenssituationen angenommen hat. Wie schon oben im Zusammenhang von Jesu Verfolgung verdeutlicht,64 heißt das gerade nicht, dass ich das erfahrene Negative als von Gott geschickt verstehe, sondern dass ich die Situation als eine annehme, in die ich von Gott geschickt bin, um zu ihrer erlösenden Wandlung beizutragen. Das bedeutet ein Annehmen von Leid, Übel, Bösem, das dessen Veränderung ermöglicht, – wobei diese Veränderung nicht in jedem Fall besagt, dass ich mich dieser Situation aussetze und mich zu ihrer Überwindung verausgabe. Es kann auch bedeuten, dass ich mich schütze, abgrenze und zurückziehe, denn meine Sendung ist im Unterschied zu jener des eigentlichen Erlösers Jesus Christus nur eine begrenzte.

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Indem ich bereit bin, die jeweilige Situation von Gott zu empfangen, gewinne ich eine Distanz zu den Anforderungen, die mir z.B. von bestimmten Menschen zugemutet werden, und das eröffnet mir die Möglichkeit, mich abzugrenzen. Wenn jemand etwas von mir fordert, frage ich Gott, was Er in dieser Situation von mir erwartet. Dabei kann sich durchaus ergeben, dass das hier nicht meine Aufgabe ist. Durch eine restlose Selbstüberantwortung an Gottes Willen werde ich also nicht nur mit Notsituationen konfrontiert, ich werde zugleich vor Überforderungen geschützt. Denn es ist nicht meine primäre Aufgabe, Menschen zufriedenzustellen.65
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Wo ich etwa mit der Verzweiflung eines leidenden Mitmenschen konfrontiert bin, bin ich dazu berufen, mich mit dieser Situation und mit diesem Menschen (wie beschrieben) von Gott zu empfangen und diesen Menschen zusammen mit seiner Notsituation, die nun auch zu meiner geworden ist, gemeinsam mit mir selbst Gott hinzugeben. Damit bringe ich stellvertretend für den Anderen, der in seiner Verzweiflung vielleicht dazu nicht fähig ist, den unterbrochenen Kreislauf der liebenden Selbstgabe in Gang. Dieser sozusagen mystische Austausch zwischen mir und Gott hat durchaus konkrete Auswirkungen für den Anderen, indem er mich in eine rechte Balance im Umgang mit ihm und seiner Not führt: Dass ich seine Situation als Gabe von Gott annehme, heißt, dass ich mich tief darauf einlassen kann. Ich trage sie mit in Empathie, Liebe und der Bereitschaft zu helfen. Und dass ich den Anderen mit seiner Notsituation, die nun auch zu meiner wurde, in einer Selbsthingabe Gott überantworte, bewahrt mich davor, durch diese Not erdrückt zu werden. Durch den solcherart sich ergebenden „goldenen Mittelweg“ werde ich optimal freigesetzt, meine Selbsthingabe in der Weise eines konkreten Einsatzes für den Anderen zu verwirklichen, – nach dem Maß meiner Sendung, die ich in meinem Gehorsam Gott gegenüber erfahre. Von zwei Straßengräben bleibe ich auf diese Weise bewahrt: einerseits, dass ich die Gabe nicht annehme und mich deshalb nicht wirklich auf die Situation des Anderen einlasse;66 andererseits, dass ich diese Gabe – den bitteren Kelch67 – nicht als Gabe annehme, in einem Prozess des liebenden Austausches mit dem dreifaltigen Gott, in dem die Last von mir genommen wird. Wenn ich das verfehle, dann lasse ich mich auf die Not des Anderen in einer Weise ein, dass ich auch von seiner Verzweiflung erdrückt werde.

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Dieses solidarische, stellvertretende Mittragen der Last des Anderen, zielt darauf, dass die Erlösung, die von Christus, dem Schöpfungsmittler, der sich am Kreuz hingegeben hat, im Grunde bereits geschehen ist, beim den Menschen ankommt und die unterbrochenen Kreisläufe der liebenden Selbstgabe wieder in Gang kommen. Dadurch, dass wir die unerlösten Situationen mit den darin involvierten unerlösten Menschen – uns selbst inbegriffen – von Gott empfangen und Gott hinhalten, vollziehen wir „in Christus“ das nach, was Christus schon vor uns vollzogen hat, – und zwar als Schöpfungsmittler in der ganz konkreten Situation, in der wir uns befinden. Wenn ich zum Beispiel einem Menschen, der mich ungerecht attackiert vergebe, vollziehe ich eine Vergebung nach, die Christus schon vorweg an meiner Stelle – als von dieser Attacke ebenso getroffen – bereits vollzogen hat. Trotzdem bedarf es dieses personalen Aktes der Annahme, dass das Erlösungswerk Jesu Christi mich erreicht. Wo ich das, was Christus vorweg für mich bereits getan hat, im konkreten Konflikt annehme, lege ich für den feindlichen Anderen eine Spur, die es ihm erleichtert, seinerseits anzunehmen, was Christus für ihn bereits erlösend gewirkt hat. So gehen Exklusivität und Inklusivität des Erlösungsgeschehens miteinander zusammen: Alles hat Jesus Christus schon getan, aber da Erlösung nie an Freiheit vorbei erfolgt, bedarf es noch des konkreten Aktes ihrer Annahme. Ohne diese Annahme kann Erlösung nicht ankommen. Die altkirchliche Formel „Was nicht angenommen ist, ist nicht erlöst“, gilt also auch für unseren Akt der Annahme, zu dem wir allerdings erst durch das Wirken des Heiligen Geistes freigesetzt werden.68 In der Erlösung hängt somit alles von Jesus Christus ab, und es hängt alles von den Menschen ab. In diesem Sinn kann man auf eine tief berechtigte Weise sagen: „Christus hat keine anderen Hände als unsere.“ Nicht, dass wir angesichts der Not der Welt alles selber machen müssten, weil es sonst keiner – auch kein Gott – tut; sondern weil es gilt, das was Christus bereits für uns gewirkt hat, den Menschen zuzuwenden, sodass es von ihnen personal angenommen wird. In diesem Sinn gilt das Worten des Apostels Paulus: „Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt“ (Kol 1,24). Damit wird dem „solus Christus“, dass „uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ (Apg 4,12) nichts weggenommen, denn wir hätten einander nichts zu geben – zumindest nichts, das wirklich befreit, rettet, erlöst –, wenn nicht Christus alles für uns gegeben hätte, sodass wir mit dem, was wir den Menschen konkret geben, zugleich Jesus Christus – seine Sündenvergebung, seine Gabe des Heiligen Geistes – „geben“ können.69

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8. Fazit zur Theodizee-Frage: Erlösung durch Leid hindurch

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„Wir haben dich gerufen, Gott! Wir haben nach dir gebrüllt, geweint, geflucht! Wo warst du da, lieber Gott? – Wo bist du?“
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Gibt es eine christliche Antwort auf die Theodizee-Frage? Ja es gibt eine, aber keine kurze. Die Faktizität von Leid, Übel und Böses ist nach christlichem Verständnis eingewoben in eine Heilsgeschichte, die in der gottgewirkten Schöpfung – aus Liebe und auf Liebe hin – ihren bleibenden Grund, in den zahllosen Verstrickungen einer sündigen Entfremdung ihre Abgründe und in den erlösenden Initiativen des den Menschen suchenden Gottes ihre zum Ziel vorantreibende Kraft findet, – auf einem dramatischen Weg, der die menschliche Freiheit (auch zum Bösen) niemals überrundet, sondern – im Gegenteil – freisetzt, und so das Aufreißen immer tieferer Abgründe riskiert. Durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes und durch das Tragen der Weltschuld durch den menschgewordenen Sohn (in seiner Selbsthingabe am Kreuz, zum Ziel gebracht in Auferstehung und Geistausgießung) wird die Möglichkeit von Umkehr, Versöhnung und echter Vergebung der Sünde für jeden Menschen bis ins jüngste Gericht immer neu eröffnet. „Gott will, dass alle Menschen gerettet werden“ (1 Tim 2,4). Diese Erlösung ist das zentrale Anliegen Gottes. Um sie zu verwirklichen, nimmt er auch die Freisetzung von Leid, Übel und Bösem in Kauf. So kann man sagen, dass Gottes primäres Ziel die Erlösung und nicht die Vermeidung von Leid ist, – obwohl Gott nicht das Leiden, sondern die Freude, das Genießen, die Fülle will, wie wir es auch an der Lebensfreude Jesu Christi widergespiegelt finden. Für eine Schöpfung, die aus Liebe auf Liebe hin geschaffen wurde, ist Leid nicht vermeidbar, aber erlösbar.

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Aber darf man die Erlösung so dem Leiden gegenüberstellen und solcherart – für dieses Leben – auch ein Stück weit abkoppeln? Ist nicht das der Grundfehler einer Soteriologie, die die von der Frage des Leidens auf die Frage von Sünde und Schuld ablenkt und Erlösung auf die Überwindung von Letzterem fixiert? Wird damit nicht die gebotene solidarische Wahrnehmung und der gebotene christliche Widerstand des Leids der Welt ruhiggestellt?70

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An der zuletzt genannten praktischen Folge ist die naheliegende Kritik am vorgestellten Ansatz zu überprüfen. Ich glaube gezeigt zu haben, dass hier der Widerstand gegen das Leid der Welt nicht ruhiggestellt, sondern freigesetzt wird. Als Christen und Kirche, in der Nachfolge Christi und geleitet vom Heiligen Geist, sind wir berufen, das bereits geschehene Erlösungswerk Christi in kritischer Solidarität zu bezeugen, damit es – in dem oben genannten dreifachen Erlösungswirken des Heiligen Geistes – von allen Menschen angenommen werden kann. Und Bezeugen bedeutet hier, dass das Gesagte zugleich kompromisslos zu leben ist. Erlösung ist wie Liebe selbst gerade kein abstraktes Konzept, sondern sie hat ein Gesicht, und das bestimmt sich an der ganz konkreten Bedürftigkeit des ganz konkreten Menschen mir gegenüber. Wir sind also zu den Menschen gesandt – in einer Solidarität, in der wir uns bis zur Identifizierung mit ihnen einlassen, wie Christus es getan hat –, um (wie beschrieben), sie und ihre Situation von Gott ganz zu empfangen und – erst dann! – sie ihm ganz anzuvertrauen, in einem sich schließenden Kreis von hin- und rückfließender Liebe zwischen Gott und Mensch, der die Wirkung eines Überfließens über die ganze Schöpfung hat. Allein daraus kann die Geduld und die Kraft erwachsen, dem Bösen in einer kritischen Solidarität zu den Opfern und auch zu den Tätern maximalen Widerstand zu leisten. Dramatische Theologie, zu der der vorliegende Aufsatz zu zählen ist, macht allerdings deutlich, dass diese gesteigerte Liebe mit einem gesteigerten Widerstand – und das heißt: mit gesteigertem Leid – zu rechnen hat. Wenn es sich so verhält, dann ist es unverantwortlich es nicht zu sagen. Im Blick auf den Gekreuzigten kann diese Dramatik wahrgenommen werden. Zugleich findet in diesem Blick die Hoffnung einen Grund, dass Liebe und Gerechtigkeit durch alle Abgründe hindurch Gottes letztes, siegreiches Wort sein werden.

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Eine Erlösung, die die Freiheit aller Beteiligten wahrt und dazu Leid nicht vermeidet, sondern sogar ein Mehr von Leid riskiert, gewinnt eine konkrete Gestalt, wo Menschen in gewaltlosem Widerstand gegen Leid aufstehen. Mahatma Gandhi hat betont, dass sein geistlicher Weg des Satyagraha nur durch die Bereitschaft, Leid zu ertragen verwirklicht werden kann.71 Ebenso vermittelten Jean Goss und Hildegard Goss-Mayr72 Tausenden Menschen in praktischen Kursen zur Gewaltfreiheit, dass sie riskieren mussten, äußerste Gewalt – bis hin zu einem Überrolltwerden durch Panzer – zu erleiden, ohne selbst Gewalt anzuwenden, – und zwar nicht einfach passiv, sondern in einer aktiven Liebe, die alle sich bietenden Möglichen nutzt, den Gegner – nicht zu vernichten, sondern auf den Weg der Liebe und Wahrheit zurückzugewinnen. Tausende Menschen haben diesen Einsatz gewagt – viele als Akteure von gewaltlosen Revolutionen, die ohne Blutvergießen abgingen; andere haben den Preis, den sie riskierten bezahlt. Immer wieder sind aber gewaltlose Bewegungen auch in Gewalt abgerutscht, zum Teil mit unabsehbaren Eskalationen, wie – mit gegenwärtig offenem Ausgang – in der Ukraine.
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Das letzte Beispiel sollte zeigen, dass eine Erlösung durch das Risiko eines gesteigerten Leids hindurch nicht einfach nur ein theoretisches theologisches Konzept ist, sondern in zahllosen, nicht nur individuellen, sondern auch gesellschaftlichen und politischen Kontexten, eine konkrete Gestalt gewinnet und somit die Welt nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu verändern vermag.

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Gottes Antwort auf das Leid in der Welt ist Erlösung, und Erlösung, wie sie der Gott der Liebe meint, ist nur gewaltfrei und unter unbedingter Respektierung von Freiheit möglich, gleich wie diese sich entscheidet. Christliche Theodizee vollzieht sich somit innerhalb eines weiten Bogens von Schöpfung, sündiger Entfremdung und Erlösung. Konkret wird sie in einem engagierten kritisch-solidarischen Mittun, welches seine Kraft und sein Vertrauen aus immer wieder aufbrechenden Erfahrungen von Gottes Liebe gewinnen. Auf diese Weise ist auch die Antwort der Christen auf das Leid in der Welt eine praktische: Mitwirken an Erlösung.

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So darf – nach allen Umwendungen und Umwegen, die dieser Aufsatz skizzierte – auf unsere Ausgangsfrage „Wo bist du, Gott?“ geantwortet werden: „Gott ist da, aber wo bist du?“73 Wie deutlich gemacht wurde, ist eine solche Antwort weder Anklage noch Schuldabschiebung, sondern Ausdruck eines suchenden Gottes, der alles gibt, damit die erlösende Begegnung mit dem Menschen doch noch zustande kommt. Und Christen dürfen diese Antwort geben, soweit sie selber an dieser Suche Gottes teilnehmen: „Ich bin (für dich) da – wo bist du?“

109
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Literatur

110
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Arnold, Martin, Gütekraft. Ein Grundmodell der Wirkungsweise erfolgreicher gewaltfreier Konfliktaustragung nach Hildegard Goss-Mayr, Mohandas K. Gandhi und Bart de Lig. Im Internet: http://wp.martin-arnold.eu/wp-content/uploads/2012/02/2011-1030.-G%C3%BCtekraft-Gesamtstudie_002.pdf

111
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Baker, Heidi (2012): Primacy of Love. In: Clark, Randy (Hg.), Supernatural Missions. Mechanicsburg: Apostolic Network of Global Awakening, 249-262; im Internet: http://renewaljournal.wordpress.com/2012/07/19/primacy-of-love-in-missions-with-power-byheidi-baker (letzter Zugriff: 18. 4. 2014).

112
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Borchert, Wolfgang, Draußen vor der Tür. Reinbek 1956.

113
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Camus, Albert, Die Pest. Reinbek 1998.

114
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Dostojewski, Fjodor M., Die Brüder Karamasow. In der Neuübersetzung von Swetlana Geier. Frankfurt a. M. 32008.

115
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Ebertz, Michael, Die Zivilisierung Gottes. Der Wandel von Jenseitsvorstellungen in Theologie und Verkündigung Ostfildern 2004.

116
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Flasch, Kurt, Logik des Schreckens. Augustinus, Hg. u. erklärt von Kurt Flasch (Excerpta classica 8). Mainz 1990.

117
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Goss-Mayr, Hildegard, Jean Goss. Mystiker und Zeuge der Gewaltfreiheit. Ostfildern 2012.

118
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Greshake, Gisbert, Der dreieine Gott. Eine trinitarische Theologie. Freiburg i.Br.-Basel-Wien 1997.

119
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Kehl, Medard, Und Gott sah, dass es gut war. Eine Theologie der Schöpfung. Freiburg – Basel – Wien 2006.

120
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Kreiner, Armin, Kein theologischer Luxus. Was steht beim Theodizee-Problem auf dem Spiel. In: Herder Korrespondenz Spezial 2 (2011), 19-22.

121
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Lewis, Clives Staples, Der innere Ring und andere Essays. Basel-Gießen 1991.

122
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Ohana, Katharina, Mr. Right. Von der Kunst, den Richtigen zu finden. Und zu behalten. Gütersloh 2013.

123
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Pechtl, Josef, Kraft und Güte. Albert Camus´ Spannungsdenken als seine Antwort auf die Herausforderungen des Nihilismus, Münster 1998.

124
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Sandler, Willibald,

125
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—   Augustinus – Lehrer der Gnade und Logiker des Schreckens? Ein nötiger Schnitt in der Rezeption von „An Simplician“ aus der Perspektive der dramatischen Theologie. In: Ders., Skizzen zur dramatischen Theologie, 335-378.

126
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—   Der Preis der Erlösung. Skizze einer dramatischen Soteriologie. In: Ders., Skizzen zur dramatischen Theologie, 217-252.

127
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—   Dramatische Theodizee. Wahrnehmung und Überwindung des Bösen aus der Perspektive einer dramatischen Theologie. In: Ders., Skizzen zur dramatischen Theologie, 293-334.

128
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—   Der verbotene Baum im Paradies. Was es mit dem Sündenfall auf sich hat. Kevelaer 2009.

129
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—   Die gesprengten Fesseln des Todes. Wie wir durch das Kreuz erlöst sind. Kevelaer 2011.

130
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—   Gottes Handeln unterscheiden in Theologie und Erfahrung. Auf dem Weg zu einer theologischen Kriteriologie für unterscheidbare Zuordnungen von Gottes Handeln. In: Ders., Skizzen zur dramatischen Theologie, 91-130.

131
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—   Kairos und Parusie. Kairos als Ereignis des in Christus angekommenen und angenommenen Gottes. In: ZkTh 136 (2014), 10-31. Ausführlichere Fassung im Internet: http://theol.uibk.ac.at/itl/1018.html

132
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—   Kreuz-Weg zwischen Aggression und Resignation. Jesu Tod als Paradigma für ein christliches Martyriumsverständnis. In: J. Niewiadomski / R. Siebenrock (Hg.), Opfer - Helden - Märtyrer: Das Martyrium als religionspolitologische Herausforderung (ITS 83). Innsbruck 2010, 311-319. Ausführlichere Fassung im Internet: http://theol.uibk.ac.at/itl/830.html

133
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—   „Nutzt den Kairos!“ Biblische Grundlagen für ein christliches Leben aus der Kraft und Führung Gottes. In: J. Panhofer / N. Wandinger (Hg.), Kirche zwischen Reformstau und Revolution. Vorträge der 13. Innsbrucker Theologischen Sommertage 2012 (theologische trends 22). Innsbruck 2013, 53-87. Ausführlichere Fassung im Internet: http://theol.uibk.ac.at/itl/1006.html

134
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—   Skizzen zur dramatischen Theologie. Erkundungen und Bewährungsproben. Freiburg i. Br. 2012.

135
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—   Wozu ist Jesus gestorben? Versuch einer vernünftigen, bibelgemäßen und eingängigen Antwort aus der Perspektive der dramatischen Theologie. In: Ders., Skizzen zur dramatischen Theologie, 253-292.

136
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Rahner, Karl, Probleme der Christologie von heute, in: Schriften zur Theologie, Band 1, 1959.

137
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Schwager, Raymund, Jesus im Heilsdrama. Entwurf einer biblischen Erlösungslehre (IThS 29). Innsbruck, Wien 21996.

138
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Tück, Jan Heiner, Christologie und Theodizee bei Johann Baptist Metz. Ambivalenz der Neuzeit im Licht der Gottesfrage. Paderborn, Wien u.a. 22001.

139
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Weaver, John D., The nonviolent atonement. Grand Rapids, Michi u.a. 2007.

140
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141
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Anmerkungen

142
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1Borchert, Draußen vor der Tür, 41f.

143
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2 Ebd.

144
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3 Der Begriff wurde 1710 von Gottfried Wilhelm Leibniz geprägt. Zum Zusammenhang mit dem Glauben an einen universalen Schöpfergott, vgl. Sandler, Dramatische Theodizee, 293-300.

145
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4 Und wie in Dostojewskijs „Großinquisitor“ schweigt Gott. Wer redet, sind die beamteten Verteidiger Gottes, die Theologen. Ihre Antworten werden von den Religionskritikern gewogen und zu leicht befunden, sodass zuletzt das von Nietzsche und Camus übernommene Urteil Stendhals ergeht: „Die einzige Entschuldigung für Gott ist, dass es ihn nicht gibt“ (Vgl. dazu: Pechtl, Kraft und Güte, 33).

146
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5 Vgl. Kreiner, Kein theologischer Luxus, 20.

147
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6 Hier stellt sich natürlich sofort die Frage nach dem Naturübel („malum naturale“) – z.B. Krankheiten und Naturkatastrophen.

148
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7 Vgl. Kreiner, Kein theologischer Luxus, 20.

149
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8 Ist es nicht Gott, der die Sünde Adams allen Menschen zurechnet und sie infolgedessen mit einer Heillosigkeit straft – nicht nur irdisch, sondern einer ewigen Hölle, aus der er nur willkürlich Auserwählte durch sein souveränes Gnadenwirken herausreißt? Kurt Flasch spricht hier von einer „Logik des Schreckens“ (Vgl. Flasch, Logik des Schreckens.) Zur Auseinandersetzung mit diesen Vorwürfen und einer differenzierten Rezeption der Augustinischen Position, vgl. Sandler, Augustinus – Lehrer der Gnade und Logiker des Schreckens?

150
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9 Wobei noch offen bleibt, ob die Entfremdung vom Entfremdeten selbst oder durch andere verschuldet wird. Die biblische Erzählung vom Sündenfall thematisiert in der Weise einer an den Anfang projizierten Grenzüberlegung eine Selbstverschuldung.

151
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10 Zum Zusammenhang dieser vier Grundbezüge, vgl. Sandler, Der Preis der Erlösung, 220-221.

152
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11 Den Menschen, die ihre Blöße mit Feigenblättern nur dürftig bedecken konnten, macht Gott Röcke aus Fellen (Gen 3,21), und er schützt Kain durch ein „Kainsmal“ (Gen 4,15). Die Erzählung von der Sintflut scheint dieser schützenden Grundhaltung Gottes zu widersprechen, aber sie ist eine aus Umweltreligionen rezipierte Geschichte, die auf die Pointe hin geändert wurde, dass Gott am Ende beschließt, die Welt nicht mehr vernichten zu wollen, auch wenn „das Trachten des Menschen ... böse von Jugend an“ ist (Gen 8,21).

153
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12 Vgl. Lk 19,9: „Der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.“

154
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13 Vgl. Ebertz, Die Zivilisierung Gottes.

155
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14 Auch dies ist eine zentrale Frage, die Borchert in „Draußen vor der Tür“ aufwirft.

156
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15 Vgl. Greshake, Der dreieine Gott, 225-237; Kehl, Und Gott sah, dass es gut war, 241-245.

157
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16 Liebe transzendiert sich auch über Dreiheit hinaus auf Vierte und auf viele andere, aber dieses Transzendieren ist bereits in der liebenden Transzendenz von Zweien auf einen Dritten hin angelegt.

158
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17 Vgl. Greshake, Der dreieine Gott, 225-226.

159
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18 Ich verdanke diesen Gedanken dem baptistischen Pastor und Lebensberater Gerhard Ivanovits. Er bezeugte, diese Zusage als lebensverändernde Gotteserfahrung gemacht zu haben, als er ein junger Mann war: „Ich liebe dich nicht, weil du bist, sondern du bist, weil ich dich liebe.“

160
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19 Nach der berühmten Aussage aus den Konfessionen des heiligen Augustinus.

161
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20 Das Subjekt dieses Vollendens und Freisetzens ist in bestimmter Hinsicht der Mensch, in anderer Hinsicht Gott, und zwar beides untrennbar voneinander: Der Mensch ist Subjekt dieses Freisetzens und Vollendens, indem er Gott einlädt, dass Gott in ihm und durch ihn hindurch das Heil verwirklichen kann.

162
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21 Vgl. Marias Antwort an den Verkündigungsengel: „Ecce ancilla Domini fiat mihi secundum verbum tuum“ – „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie due es gesagt hast“ (Lk 1,38).

163
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22 Diese Aussage passt hier in beiden möglichen Deutungen: aus dem Inneren Jesu, wie auch aus dem Inneren der an ihn Glaubenden, – durch ihn.

164
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23 Vgl. Gen 1,27: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.

165
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24 Beachte auch hier den Kontext: „Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land." (Gen 1,28)

166
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25 Zu dieser Transparenz des Menschen und ihrer Beeinträchtigung vgl. Sandler, Der verbotene Baum im Paradies, 71-72.

167
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26 Vgl. im Katechismus der Katholischen Kirche die Nr. 417: „Adam und Eva haben ihren Nachkommen die durch ihre erste Sünde verwundete, also der ursprünglichen Heiligkeit und Gerechtigkeit ermangelnde menschliche Natur weitergegeben. Dieser Mangel wird ‚Erbsünde‘ genannt.“

168
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27 Vgl. dazu das folgende Unterkapitel 3.1.

169
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28 Vgl. Lewis, Der innere Ring.

170
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29 Vgl. dazu Sandler, Der verbotene Baum im Paradies, v.a. 78-81. Die Versuchung, wie Gott zu sein, hängt damit innerlich zusammen. Denn Gott wird in diesem „Denken der Nichtigkeit“ (Röm 1,21) – der Klugheit der Schlange (vgl. Gen 3,1) – als der aufgefasst, der alles ausschließlich aus sich selbst hat und sich niemandem verdankt. In peinlichem Gegensatz dazu nimmt man die eigene Situation wahr, in der man sich in allem Gott verdanken müsse und nichts hat, was man – unverdankt – ausschließlich aus sich selbst hat.

171
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30 Vgl. Sandler, Der verbotene Baum im Paradies, 130.

172
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31 Vgl. Sandler, ebd. 125-130.

173
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32 Etwas von der Übertreibung der Schlange bleibt hängen: „Die Frau entgegnete der Schlange: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen; nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen, und daran dürft ihr nicht rühren, sonst werdet ihr sterben“ (Gen 3,3). Vgl. Sandler, Der verbotene Baum im Paradies, 113.

174
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33 Damit teile ich die Position von Thomas von Aquin, der die Möglichkeit eines wunderbaren Eingreifens Gottes in die Welt offenhält, auch wenn er ein überall gegebenes Wirken Gottes in der Weise einer Erstursache (im Unterschied zu innerweltlichen Zweitursachen) annimmt. Einige jüngere philosophische und theologische Ansätze neigen dazu, ausschließlich ein göttliches Wirken in der Weise einer Erstursache zuzulassen. Vgl. zu dieser Diskussion: Sandler, Dramatische Theodizee, 316-325, sowie zur Möglichkeit, Erkennbarkeit und Kriteriologie eines unterscheidbaren Handelns Gottes in der Welt: Sandler, Gottes Handeln unterscheiden in Theologie und Erfahrung.

175
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34 Vgl. dazu oben, Kapitel 2.1.

176
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35 Gottes Möglichkeiten eines außerordentlichen Einwirkens in dieser Welt sind begrenzt durch sein vorrangiges Interesse, Menschen zu erlösen, selbst wenn dadurch Leid in Kauf genommen wird. Vgl. dazu unten, Kapitel 8. Eine grundsätzliche Begrenzung besteht weiters darin, dass Gott die Autonomie der irdischen Wirklichkeit und eine damit verbundene von Gott eingerichtete Naturgesetzlichkeit nicht außer Kraft setzt. Dabei kann Gottes Handlungsspielraum aber weiter sein, als naturwissenschaftlich für möglich gehalten werden kann, da die von Menschen erkannten und formulierten Naturgesetzen veränderbare Annäherungen an eine von Gott eingerichtete Naturgesetzlichkeit darstellen. Was gegenwärtig wie eine Durchbrechung von Naturgesetzen erscheint, kann sich später als konform mit einem vertieften, differenzierteren Naturverständnis erweisen. Vgl. dazu Sandler, Dramatische Theodizee, 319-320.

177
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36 Die biblischen Zusagen einer sicheren Erfüllung von allem, worum wir bitten (allein zwischen Joh 14 und Joh 16 sechsmal!) stehen unter der Einschränkung eines Betens in Seinem Namen. „Alles, um was ihr in meinem Namen bittet, werde ich tun, damit der Vater im Sohn verherrlicht wird“ (Joh 14,13). Zu einem solchen Beten in Seinem Namen gehört ein immer neues Sich-Einschwingen in den Willen Gottes, der damit auch die Richtung des Gebets leiten kann. So kann es sein, dass ich für die Heilung eines sterbenden Menschen bete und – wenn ich mich dabei ganz Gottes Willen überlasse („Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe“ Mt 26,42) – dahin geleitet werde, für dessen friedlichen, versöhnten Tod zu beten.

178
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37 Vgl. Sandler, Dramatische Theodizee, 327-329.

179
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38 Vgl. Sandler, Kairos und Parusie.

180
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39 Exemplarisch für einen angenommenen Kairos ist der Zöllner Zachäus (Lk 19,2-9); für einen versäumten Kairos die Gemeinde von Nazaret (Lk 4,16-30), oder auch die Erzählung vom reichen Jüngling (Mk 10,17-27). Vgl. dazu Sandler, Nutzt den Kairos, 59-63.

181
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40 Vgl. Mt 25,40: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“

182
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41 Die Berücksichtigung des „Kairos“ bewahrt vor einem Moralismus, der einer Mehrzahl von Menschen jederzeit ein explizites oder implizites „Nein zu Gott“ vorwirft, ohne zu berücksichtigen, dass dazu eine – unter Umständen auch implizite – Gotteserkenntnis freigesetzt sein muss, die alltäglich nicht ohne Weiteres gegeben ist.

183
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42 Dieses fortgesetzte Engagement Gottes gegenüber Menschen, die ihn zurückweisen, erfolgt, ohne dass Gott dem Menschen in der Weise eines „Stalkers“ nachsetzen würde, der ein Nein nicht gelten lässt. Dass dies nicht der Fall ist, liegt daran, dass Gott durch eine vertiefte Selbstoffenbarung eine neue Situation schafft.

184
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43 Das heißt allerdings nicht, dass Gott nicht mehr in dieser Welt vorkommen würde. Gemäß der weitgehend rezipierten Theorie Thomas von Aquins werden alle innerweltlichen Wirkzusammenhänge („Zweitursachen“) von Gott – als der Erstursache – ermöglichend getragen, – in einem fortgesetzten Schöpfungswirken („creatio continua“), durch den die Schöpfung im Sein erhalten wird.

185
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44 Vgl. oben, Kapitel 4.1. Paulus spricht hier immer wieder (ca. 50 mal) von einer Existenz des Christen „in Christus“. Dies ist die Existenzform von Kirche.

186
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45 Dadurch, dass Menschen ein göttliches Gnadenangebot annehmen, können sie „in Christus“ zum Ereignis des angekommenen und angenommenen Gottes und in diesem Sinn zu einem Kairos werden. Vgl. dazu: Sandler, Kairos und Parusie, 28-29.

187
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46 Ein starkes Beispiel dafür gibt ein autobiographischer Text der freikirchlichen Missionarin Heidi Baker in Mosambik: Dies., Primacy of Love.

188
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47 Vgl. dazu Sandler, Die gesprengten Fesseln des Todes, 96-100.

189
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48 Das Kreuz kann dabei als Realymbol dafür verstanden werden, wie weit Gott bereit ist, dem sich in ein Nein fixierenden Sünder je neu vertieft zu offenbaren, – in einer dramatischen Folge von Ereignissen, die erst über den Tod hinaus mit dem Jüngsten Gericht zu einem Abschluss kommt. Vgl. dazu Sandler, Wozu ist Jesus gestorben, 280-283.

190
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49Ohana, Von der Kunst, den richtigen zu finden, 105-106.

191
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50 Einige vor allem US-amerikanische feministische Theologinnen werfen der biblischen Rede vom himmlischen Vater, der Seinen Sohn hingibt, vor, dass solche Vorstellungen auf einen Kindesmissbrauch des Sohnes durch den Vater hinauslaufe. Vgl. dazu Weaver, The nonviolent atonement, 123-156.

192
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51 Vgl. Sandler, Der Preis der Erlösung.

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52 Immanuel Kant spricht hier von einer „nicht transmissiblen Verbindlichkeit“. Ders., Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, B 95.

194
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53 Berühmt hierfür ist die – als Revolte bezeichnete – Kritik von Iwan in Dostojewskijs „Die Brüder Karamasow“. Er will es nicht akzeptieren, dass Gott nachträglich geschehenes Leid harmonisiert. „Ich will nicht, daß die Mutter den Peiniger umarmt, dessen Hunde ihren Sohn zerfleischt haben! Sie soll ihm nicht vergeben! Wenn sie will, mag sie ihm ihr Leid vergeben, mag sie doch dem Peiniger das eigene unermeßliche Leid einer Mutter vergeben; aber sie hat nicht das Recht, das Leid ihres zerfleischten Knaben zu vergeben ...“. Und weil ihm diese nachträgliche Harmonie zu teuer ist, beeilt er sich, Gott im Voraus seine Eintrittskarte in den Himmel „zu retournieren“ (Dostojewskij, Die Brüder Karamasow, 395).

195
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54 Vgl. dazu Sandler, Kreuz-Weg zwischen Aggression und Resignation.

196
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55 vgl. Raymund Schwagers Kritik an Luther, Barth und Balthasar in: ders., Jesus im Heilsdrama, 206-209.

197
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56 Das ist deshalb so, weil Erlösung niemals an menschlicher Freiheit vorbei erfolgen kann. Zu den hier nur kurz skizzierten Überlegungen vgl. Sandler, Die gesprengten Fesseln des Todes, 111-113.

198
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57 Wirksam ist diese Konfrontation, weil sie zugleich in Kritik und Solidarität erfolgt. Paradigmatisch dafür steht die vom Heiligen Geist inspirierte Rede von Petrus beim urkirchlichen Pfingstfest in Jerusalem: Diese Rede wirkt zugleich aufrüttelnd konfrontativ und solidarisch, wie die Reaktion der Angesprochenen bezeugt: „Als sie das hörten, traf es sie mitten ins Herz, und sie sagten zu Petrus und den übrigen Aposteln: Was sollen wir tun, Brüder?“ (Apg 2,37).

199
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58 Zu diesem dreifachen erlösungsbezogenen Werk des Heiligen Geistes vgl. Sandler, Die gesprengten Fesseln des Todes, 111-113.

200
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59 Vgl. dazu Sandler, Der verbotene Baum, 40-68.

201
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60 Vgl. Joh 8,58: „Amen, amen, ich sage euch: Noch ehe Abraham wurde, bin ich.“ – Wie kann ein Mensch das sein? Theologische Anthropologie ist hier von der Christologie her zu entwickeln. Das heißt, vom Christusereignis her müssen wir den Menschen als eine Wirklichkeit so denken, dass Gott Mensch werden und dass es eine hypostatische Union geben kann. In diesem Sinn kann für Karl Rahner „Christologie als sich selbst transzendierende Anthropologie und diese als defiziente Christologie betrieben werden“ (ders., Probleme der Christologie heute, 184, Anm. 1).

202
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61 Dabei legt die hypostatische Union, verbunden mit dem Gedanken einer universalen Schöpfungsmittlerschaft des Logos, für eine Bewusstseinschristologie den Gedanken nahe, dass solches Erahnen der Tragweite des Leids der Welt nicht nur in die Vergangenheit zurück, sondern zugleich visionär in die Zukunft nach vorne reicht (wobei das reale Ausmaß einer bewussten Wahrnehmung, gemäß eines überzeugenden Ansatzes Hans Urs von Balthasars, sich für den jeweiligen Augenblick für Jesus nach dem Maßstab seiner – durch den Heiligen Geist vermittelten – Sendung bestimmte). Der heilsrelevante Bezug, der allein solche bewusstseinschristologische Spekulationen rechtfertigt, besteht darin, dass wir jedes aktuell erlittene Leid als eines begreifen können, das von Jesus bereits ans Kreuz getragen wurde. Es geht also um den – vor allem bei Balthasar ausgearbeiteten – Gedanken des Tragens des Weltleides durch den Gekreuzigten, ein Gedanke, der auch tief in der Volksfrömmigkeit verankert ist. Etwa im Lied „O Haupt voll Blut und Wunden“: „Was du, Herr, hast erduldet, ist alles meine Last; ich hab es verschuldet, was du getragen hast.“ Vgl. dazu Sandler, Die gesprengten Fesseln des Todes, 117.

203
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62 Albert Camus bezog die Würde des Menschen daraus, gegen diese aussichtslose Übermacht dennoch den Widerstand aufrecht zu erhalten. Vgl. seinen Roman: Die Pest.

204
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63 Dass der Mensch “daraufhin geschaffen ...“ ist, besagt hier zweierlei: dass er es soll und dass er es auch grundsätzlich kann.

205
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64 Vgl. oben, Kapitel 6.1.

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65 Eine solche Vorordnung des Willens Gottes gegenüber Ansprüchen von Menschen finden wir mehrfach im Verhalten Jesu. Am schärftsten in der Zurückweisung eines Mannes, der von Jesu verlangte, er solle seinem Bruder sagen, dieser solle das Erbe mit ihm teilen: „Er erwiderte ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Schlichter bei euch gemacht?“ (Lk 12,14). Weitere Beispiele wären Jesu abweisendes Verhalten gegenüber der heidnischen Frau, die ihn um die Heilung ihrer Tochter bat (Mt 15,23.26) und auch die anfängliche Zurückweisung von Marias Bitte um Hilfe bei der Hochzeit zu Kana. Obwohl Jesu Sendung unbegrenzt ist, versucht er nicht, es allen recht zu machen. Vielmehr zeigt sich hier: Je weitreichender eine Sendung ist, desto eher kann sie nur verwirklicht werden, indem deren Ausführung in jedem Schritt der göttlichen Führung überlassen wird.

207
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66 Das ist auch in einer frommen Version möglich: Indem ich die Situation des anderen vorschnell im Gebet „abgebe“, noch ohne dass ich sie von Gott angenommen und mich so vorbehaltlos auf sie eingelassen habe.

208
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67 Vgl. die dritte Strophe des Liedes „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, das Dietrich Bonhoeffer aus dem Konzentrationslager an seine Familie geschickt hat:

„Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern,

des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,

so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern

aus Deiner guten und geliebten Hand.“

 

209
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68 Zu diesem dreifachen Wirken des Heiligen Geistes vgl. oben, Kapitel 6.1.

210
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69 Dies eben in dem dreifachen Wirken des Heiligen Geistes, wie es paradigmatisch beim urkirchlichen Pfingstfest erfolgte: „Als sie das hörten, traf es sie mitten ins Herz, und sie sagten zu Petrus und den übrigen Aposteln: Was sollen wir tun, Brüder? Petrus antwortete ihnen: Kehrt um, und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung seiner Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen“ (Apg 2,37-38).

211
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70 Vgl. die Kritik von Johann Baptist Metz und dazu die Darstellung und Auseinandersetzung bei Tück, Christologie und Theodizee bei Johann Baptist Metz.

212
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71 „Die damit beschriebene Aktionsform gehört deshalb zu Satyagraha, weil solches Handeln um der Wahrheit (in Gandhis Sinne), nämlich um der menschlichen Behandlung von Menschen, willen Leiden mit sich bringt und mit der selbstlosen Bereitschaft, diese auf sich zu nehmen, verbunden sein muss: Härten, Unhöflichkeiten und Ungerechtigkeiten. Da die ‚normalen Wege‘ über die staatliche Hierarchie für M. K. Gandhi in dieser Situation offen stehen, ist weitergehendes Organisieren von Aktionen nicht erforderlich. D. h. der Satyagraha-Anteil des Ereignisses war sein persönliches Reisen in der dritten Klasse und die Erwähnung des Wortes bei einer Rede. Die Aktionsform mag ‚Solidarisches Mit-Leiden‘ genannt werden“ (Arnold, Gütekraft, 312-313.

213
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72 Vgl. Goss-Mayr, Jean Goss – Mystiker und Zeuge der Gewaltfreiheit.

214
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73 Vgl. dazu die Deutung des Gottesname „Jahwe“ in Ex 3,14 als „Ich bin der Ich-bin-da“ bzw. in heilsgeschichtlicher Ausrichtung: „Ich bin der, als der ich mich erweisen werde“.

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