- Leseraum
| Selbstbewusste Bescheidenheit, oder: Die Kirche steht mitten im DorfAutor: | Guggenberger Wilhelm |
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Veröffentlichung: | |
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Kategorie | artikel |
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Abstrakt: | Soll Theologie sich weiterhin in die akademische Debatte als wissenschaftliche Disziplin einbringen, oder soll sie sich auf die Position eines esoterischen Sonderwissens für Gläubige zurückziehen? Soll sie selbstbewusst agieren, oder doch eher bescheiden? Auf diese Fragen wird eine Antwort gesucht. Vom Inhalt der Botschaft her, die christliche Theologie reflektiert, legt sich ein Weg nahe, der als selbstbewusste Bescheidenheit bezeichnet werden kann. |
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Publiziert in: | # Tage kommen. Zukunft der Theologie. Hg. von C. Mathis, P.
Oberhofer, P. Schuchter (Ulithiana 3), Studia
Universitätsverlag: Innsbruck 2000, 147-153. |
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Datum: | 2001-10-30 |
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Inhalt1
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Zu einem interdisziplinären Symposion eingeladen spricht der Theologe über seine Einschätzung dessen, was in den vergangenen Jahren zum absoluten Modebegriff geworden ist: Globalisierung. Vor einem Auditorium, das aus Ökonomen, Soziologen, Juristen, Technikern und MedizinerInnen besteht, wägt er ab, nennt Chancen und Gefahren und weist darauf hin, dass die Gefahren nur dann gebannt werden können, wenn die Haltung des Ausgrenzens und der Selbstvergewisserung durch Destruktion anderer überwunden wird. An dieser Stelle hält es der Theologe für unverzichtbar, darauf hinzuweisen, dass Veränderungen in den Grundgesinnung, die die Basis aller strukturellen Realität bildet, wesentlich vom Transzendenzbezug der Akteure abhänge. Mehr sagt er gar nicht. Der Moderator der Veranstaltung - selbst ein renommierter Vertreter seines Fachs - dankt für das schöne, sympathische und hoffnungsfrohe Referat und leitet mit den Worten „wenden wir uns nun wieder der Realität zu" zum folgenden Beitrag eines Finanzwissenschafters über. Da ärgert sich der Theologe. Er ist erschüttert über den engen Realitätsbegriff, der ihm hier entgegenschlägt, über die Verkürzung der Wirklichkeit, die darin besteht, von allem was der Fall ist, nur das als Welt zu nehmen, was gemessen, gezählt und in Form farbenfroher Statistiken und Diagramme dargestellt werden kann. Er sitzt auf seinem Stuhl und überhört vieles von den Ausführungen des Finanzwissenschafters, da er grübelnd sich ohnedies etwas fehl am Platz fühlt.
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Aber da kommen dem Theologen auch Zweifel. Sollte er etwa deshalb fehl am Platz sein, weil er selbst ein Ignorant ist, nicht die anderen? Sollte er vorbei am Tatsächlichen von einer wahrhaft ortlosen Utopie träumen? Sollte es nur die wohlige Nestwärme an seiner Fakultät, an der alle einander immer wieder ihrer Unverzichtbarkeit für Wissenschaft und Gesellschaft versichern, sein, die ihn diese Versicherungen bisher glauben ließ? Und wird diese Überzeugung nun bei der ersten rauen Brise der interdisziplinären Bewährung weggeblasen wie die zerfallenen Seiten eines alten Buches, um dessen schöne Gestalt bibliophile Geister noch ein wenig trauern mögen, dessen Inhalt aber längst niemandes Interesse mehr zu finden vermochte? Und schließlich: Er hatte ja tatsächlich keine realpolitisch umsetzbaren Konzepte präsentiert. Kurzum, der Theologe zweifelt daran, dass sein Fach, mehr noch: sein Glaube, etwas anderes für die moderne Welt sein könnten, denn ein harmloses psychologisches Valiumpräparat. Die Realität von der er sich zu sprechen bemüht, wäre dann tatsächlich keine Wirklichkeit, weil wirkungslos - zumindest was die Gestaltung des Sozialen betrifft, die Ausformung von Wirtschaft, Politik, Wissenschaft usw.
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Der Theologe beschließt aus Gründen der Selbsterhaltung diese Zweifel nicht gar zu ernst zu nehmen und sich statt dessen dem Ärger hinzugeben. Die Ignoranz wird also doch auf Seiten der anderen verbucht. Aber der Wurm, der freilich nicht erst durch diesen Anlass ins Dasein gerufen wurde, bohrt dennoch weiter.
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Da sinnt der Theologe nach Möglichkeiten, die ihn vor solchen Zweifeln bewahren könnten und stößt auf zwei. Da wäre einmal die Möglichkeit, der Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten und denen, die sich ihrer Erforschung widmen, aus dem Weg zu gehen, weil man in ihrem Feld die Sprache der Theologie ja doch nicht versteht. Oder aber man könnte sich den Gegebenheiten angleichen, ihre Sprache und Logik zur eigenen machen. Da beginnt der Theologe seinem Geschäft nachzugehen und zu erwägen welche Konsequenzen diese beiden - wie er meint nicht selten beschrittenen - Wege mit sich bringen und ob sie etwas zur Überwindung des Zweifels an der Wirklichkeitsrelevanz seiner Disziplin beitragen können. Da er davon überzeugt ist, dass Theologie eine Lebensäußerung der Kirche ist, hat seine Frage auch sehr viel mit der Stellung dieser Kirche in der Modernen Gesellschaft zu tun, ja sie muss im Grunde als Aspekt der Frage nach dem Verhältnis Kirche-Welt behandelt werden.
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Bleiben wir also ein wenig und sehen dem Theologen dabei zu, wie sein Ärger langsam verfliegt, und er zu denken beginnt.
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Die Konzentration auf den kirchlichen Binnenbereich und hier nochmals auf den Geborgenheitsraum jener Gruppen, die in fragloser Frömmigkeit ihren Glauben leben und bereit sind, die ererbte Sprache der Tradition einfach dadurch weiterzutragen, dass sie diese formelhaft (magisch) repetieren, mag auf den ersten Blick als selbstbewusster Akt erscheinen. Die Resistenz gegenüber den Sachgesetzlichkeiten und Systemzwängen der modernen Welt hat in der Tat etwas Heroisches an sich, das durchaus auch von Standhaftigkeit und nicht nur von Borniertheit zu zeugen vermag. Letztlich müssen wir aber wohl doch von Rückzug sprechen, von einer Flucht aus der Welt, die Glaube und Glaubensreflexion entwertet. Was so - meist wohl ungewollt - bekräftigt wird, ist eine Vorstellung von Glaube/Theologie als Zweitcodierung der Wirklichkeit wie die moderne Soziologie es bezeichnet. (1) Die Welt wird dadurch auf die Folie Transzendenz dupliziert, Religion neuerlich zum Opium des Volkes, zum Systemstabilisator. Die kleine Herde vermöchte sich dann möglicherweise sogar wieder problemlos im gesellschaftlichen Ganzen zu integrieren, gerade weil sie klein ist und dem Prinzip einer radikalen gesellschaftlichen Arbeitsteilung folgend, die Funktion einer religiösen Restproblembewältigung erfüllen könnte. (2) Rückzug und Flucht können aber nicht der Weg der Theologie sein, sie würde sich damit erstens das Wasser der Existenz (Ressourcen und Strukturen) im öffentlichen, wissenschaftlichen Diskurs abgraben und zweitens - was schwerer wiegt - ihre Aufgabe verfehlen, Rechenschaft über den Glauben abzulegen. Rückzug und Flucht zeugen auch von wenig Selbstsicherheit und Vertrauen in das, was von dieser Disziplin zur Erkenntnis der Dingebeigetragen werden kann. Die Welt hinter sich zu lassen, ist nicht immer der Weg der Stärke, im Gegenteil. In den Apophtegmata der ägyptischen Wüstenväter findet sich folgende Stelle: „Und der Abbas bekannte von sich:'Es ist nicht die Tugend, derentwegen ich in der Einsamkeit sitze, sondern die Schwäche. Die Starken sind es, die unter die Menschen gehen." (3) Was für die frühchristlichen Asketen galt, kann wohl auch für die Kirche in ihrer Gesamtheit gelten und somit für ihre Theologie. Der Rückzug in den Binnenbereich einer Sondersprache und Sonderlogik ist damit bestenfalls Selbstbetrug, nicht Selbstvergewisserung. Er kapituliert vor der Eigengesetzlichkeit der Welt, um diese dann zu ignorieren. Dieser Weg, endet er nicht tödlich, kann nur in die Sackgasse weitgehender Irrelevanz führen.
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Soll daraus nun geschlossen werden, dass Angleichung der einzuschlagende Weg wäre? Das achtenswerte kerygmatische Bemühen, gesprächsfähig zu bleiben, gerät nicht selten zu einem Aufgehen in der Welt. Theologie in ihren einzelnen Disziplinen wird dann zur Doppelgängerexistenz, die mit wenig inhaltlich bestimmten Adjektiven versehen, das besser zu machen versucht, was Philosophie, Literaturwissenschaft, Sozialwissenschaft etc. ohnehin treiben. Die Zusatzqualifikationen der TheologInnen, die zu erwerben grundsätzlich nützlich ist, drängen in das Zentrum und stellen die eigentliche Kompetenz dar, die erwartet wird, insbesondere gilt das für alle Bereiche der Moraltheologie. Das biblische Weltbild schwingt vage undeklariert mit. Es wird aber im Hintergrund gehalten und wie das schäbige Aschenputtel vor dem fragenden Prinzen verborgen. Eine Haltung, die selbst darin noch zum Ausdruck kommt, dass es mir leichter fällt (auch hier lässt sich das Argument der Allgemeinverständlichkeit spielen) das Bild von Aschenputtel und Prinz zu verwenden als etwa jenes von David und Samuel. Es liegt auf der Hand, dass dergestaltige Angleichung wohl das Selbstbewusstsein einzelner TheologInnen stützen mag, aber von geringem Selbstbewusstsein der Theologie als solcher zeugt. Darüber hinaus stellt sie allerdings auch eine wenig erfolgversprechende Strategie dar. Denn möglicherweise ergeht es einem dabei wie den assimilationswilligen deutschen Juden um die letzte Jahrhundertwende, von denen Zygmunt Bauman schreibt: „Im Gegensatz zu dem populären Sprichwort ‚Sei ein Jude zu Hause, ein Mensch auf der Straße', fühlten die Juden, die doch so gerne Deutsche sein wollten, sich wahrhaft deutsch nur zu hause, wo sie ungestört ihre Illusionsspiele spielen konnten, geschützt vor dem mitleidlos prüfenden Blick der deutschen Straße." (4) Was letztlich blieb war eine Assimilation in der eigenen Entwurzelung zwischen verlassenen Ursprüngen und einer nicht gefundenen neuen Heimat.
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Wenn aber sowohl Rückzug in die kleine Herde, als auch das Mitlaufen bei der Großen Horde Ausdruck des Selbstzweifels, damit Ausdruck des Zweifels an der Wirkmächtigkeit der von uns reflektierten Botschaft sind, was bleibt dann noch als dritter Weg? Kann das Weder-Noch der oben skizzierten Positionen in etwas anderem bestehen, als in vollmundiger Besserwisserei? Kann es das stolz auftretende lehrmeisterlich-missionarische Gehabe sein, wonach wir suchen? Nicht nur, dass dieses von der Gesellschaft und von den Gesprächspartnern aus anderen Wissenschaften kaum akzeptiert werden würde, sie wäre auch dem Inhalt der Botschaft, um die es geht, nicht adäquat. Es ist nicht nur eine pragmatische Lehre aus der Geschichte, dass es gerade die Arm in Arm mit dem weltlichen Schwert verkündende Kirche war, die der Glaubwürdigkeit des Evangeliums einen Bärendienst leistete, sondern viel mehr eine weit über strategische Anliegen hinausgehende Erkenntnis, dass die Botschaft Jesu sich eben nicht mit einem lärmenden und auf den Straßen brüllenden Botschafter (Vgl. Jes 42,2) verträgt.
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Was soll nun daraus für eine Theologie folgen, der es doch gerade an Selbstbewusstsein mangelt, wie ich behauptet habe. Öffentlich geohrfeigt - auch mit ihrer eigenen Vergangenheit - ist sie ja bereits zur Genüge.
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Die Theologie - und das ist gut so - ist nicht mehr die Herrin der Wissenschaften. Ihre Mutter mag sie einst gewesen sein, über lange Zeit auch in die verschämte Rolle der Amme gekleidet, mit der Absicht, ihren Kindern mehr Überlebenschancen und Weltläufigkeit zu ermöglichen, wie wir es aus der Kindheitsgeschichte des Mose kennen. Letztlich wird, was sie nicht nur geboren, sondern auch genährt hat, an den Königshöfen der Welt aber in Schwierigkeiten geraten, weil es sich durch Sensibilität für das Geknechtete auszeichnet. Dadurch offenbart sich dann auch wieder die wahre Herkunft. Wie dem auch sei, die Theologie wird jedenfalls gut daran tun, andere nicht gemäß der Art der ‚ancillae' zu behandeln, weil ihr selbst die Knechtsgestalt angemessen ist. Eben darin aber liegt der wahre Grund für ihr Selbstbewusstsein. Das ist die möglicherweise überraschende These, um die es mir in diesen kurzen Betrachtungen geht.
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Dazu einige begründende Gedanken: Der italienische Philosoph Gianni Vattimo reflektiert in seinem 1996 geschriebenen schmalen Büchlein mit dem Titel „Glauben - Philosophieren" (im italienischen Original treffender „Credere die credere") das Verhältnis zwischen Theologie und modernem, besser noch postmodernem Denken. (5) Er geht davon aus, dass die Gegenwartsphilosophie zutiefst durch das biblisch-christliche Erbe geprägt ist. Wenn er von Gegenwartsphilosophie spricht, so meint er damit auch alles, was an Metaphysikkritik nach und im Gefolge von Heidegger und Nietzsche erfolgt ist. Gerade in der daraus entstehenden „schwachen Ontologie", in der Einsicht des Denkens in seine eigene Schwäche liegt für Vattimo ein Stück Offenbarung. Er bekennt „..., dass die ganze Rede von der Überwindung der Metaphysik [es ist], die mich dazu führt, nicht mehr vom Sein als von einer ewigen Struktur sprechen zu können, mich dazu anleitet, das Sein als ein Ereignis zu denken, mithin als etwas, das ‚initiiert' wird, und zwar durch eine Initiative, die nicht die meine ist" (6). Was sich in der modernen Geistesgeschichte ereignet ist nach diesem Konzept nichts anderes, als eine Widerspiegelung dessen, was in der Menschwerdung Gottes mit all ihren Konsequenzen gipfelt und was die Sprache der Theologie als Kenosis bezeichnet. Eine „schwache Ontologie" zieht die angemaßte Letztgültigkeit der realen Gegebenheiten in Zweifel, so der Philosoph, und sie beziehe sich auch auf die Transzendenz Gottes. (7) Und eben diese ist es, die durch das Geschehen der Menschwerdung unterlaufen wird (Gott beharrt nicht auf seiner Welttranszendenz, sondern wird immanent). Postmodernes, metaphysikkritisches Denken erscheint in dieser Perspektive nicht als Feind des Glaubens und der Offenbarung, sondern geradezu als deren Verbündeter. Mag sein, Vattimos Haltung ist etwas zu überschwänglich und optimistisch. Wie auch immer, es ist zumindest zuzugeben, dass sich die Möglichkeit eines neuen Weges ergibt; eines Weges, auf dem nicht versucht wird mit den starken Mitteln der Natur- oder sonstigen Wissenschaften die Gehalte der Offenbarung zu beweisen, auf dem viel mehr in der nach und nach enthüllten Schwäche aller menschlichen Bemühungen eine positive Chance für Mensch und Gesellschaft erkannt wird. Um diese Chance geht es prominenten Proponenten der Postmoderne wohl auch, wenn sie mit sittlichem Impetus fordern, jeglichen Absolutheitsanspruch zu verwerfen, weil damit tendenziell stets Tyrannei verbunden sei. (8) Vattimo folgert daraus: „Das christliche Erbe, das im schwachen Denken wiederkehrt, ist auch und vor allem Erbe des christlichen Liebesgebots und der Ablehnung der Gewalt." (9) Abgelehnt wird damit letztlich ein Gott der Philosophen, wenn man diese mit Robert Musil (dessen Perspektive zweifellos eine verengte ist) als Gewalttäter bezeichnet, „... die keine Armee zur Verfügung haben und sich deshalb die Welt in der Weise unterwerfen, dass sie sie in ein System sperren" (10). Die Behauptung, dass in jeder Letztheit und in jedem ersten Prinzip, das dazu dient alle Fragen zum Schweigen zu bringen, ein Keim der Gewalt liegt, hat jedenfalls einiges für sich, sofern unter Letztheit und Prinzip Konstrukte der Deutung verstanden werden. Es geht Vattimo, das muss betont werden, um die Dekonstruktion gewalttätiger Gottesbilder, nicht um die Auflösung Gottes selbst. Das wird deutlich, wenn er schreibt: „Die kenosis kann in der Tat nicht als indefinite Negation Gottes gedacht werden, noch kann sie jede beliebige Interpretation der Heiligen Schrift rechtfertigen." (11) Das Denken und die Verkündigung Gottes müssen vielmehr dem entsprechen, was er von sich selbst geoffenbart hat, und was uns in den Zeugnissen der Schrift überliefert ist. Die Ausführungen Vattimos lassen sich in dem etwas überspitzt formulierten Satz bündeln: Die Denkungsart hat dem Gedachten zu entsprechen, soll sie es nicht permanent durch sich selbst widerlegen. Das aber kann unter dem Stichwort der Kenosis wiederum nur bedeuten, dass Theologie sich jeglicher Form des Herrschaftswissens zu enthalten hat - was auch die (vorgebliche) Kenntnis des Konstruktionsplans für die beste aller möglichen Welten einschließt (12) - und sich in den Dienst des Denkens der Welt stellen muss.
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Dass eine solche Positionierung nicht gleichbedeutend mit der Preisgabe eigener Identität und dem oben verworfenen Mitläufertum ist, sei anhand eines Gedankens Dietrich Bonhoeffers gezeigt. Auch für ihn ist Kirche wesentlich durch ihren Dienstcharakter gekennzeichnet. So wirft er der reformierten deutschen Kirche seiner Zeit (bekanntermassen die Zeit des aufkeimenden und schließlich herrschenden Dritten Reichs) vor, zu sehr in der Selbstverteidigung zu verharren und kein Wagnis für andere einzugehen. (13) Das sei unverzeihlich, da christliche Existenz wesenhaft darin bestehe, für andere da zu sein. (14) Um diesen Gedanken in seiner vollen Tiefe zu begreifen, muss man sich stets bewusst sein, dass für Bonhoeffer (und nicht nur für ihn) Kirche die bleibende Anwesenheitsweise des Auferstandenen in der Welt ist. Kirche bedeutet Christusgegenwart und hat damit auch der Selbsterniedrigung des Gottmenschen zu entsprechen, der gekommen ist, nicht sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen (Mk 10,45).
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Einen Dienst kann Kirche aber nur dann leisten, wenn sie erkennbarer Kontrast bleibt. Darin liegt ihre „... Verantwortung, die der Liebe Gottes zur Welt entspricht" (15) Der evangelische Theologe macht deutlich, dass es nicht um Überwindung oder Vernichtung der Welt geht, sondern um deren Vollendung. Diese Vollendungsgestalt aber ist in Jesus Christus gegeben, (16) der Weltversöhner, nicht Weltzerstörer ist (vgl. Joh 3,17). Wer von ihm her denkt, hat die Wirklichkeit der Welt liebevoll in den Blick zu nehmen, sich aber auch stets bewusst zu bleiben, dass sie so wie sie ist nicht die volle Wirklichkeit ist. In dieser quasi quantitativen Differenz liegt die Notwendigkeit christlichen Zeugnisses begründet, in ihr hat auch die Aufgabe der Theologie ihre Wurzel. Diese Differenz gilt es offensiv anzusprechen. Nur so können wir als gläubige Menschen und redlich argumentierende TheologInnen unserer Verantwortung gerecht werden, in allem, was wir zu den Ordnungen der Welt sagen, wegbereitend für das kommen Jesu zu wirken. (17) Denn: „Der Wille Gottes ist ... nicht einfach identisch mit dem Seienden, sodass Unterwerfung unter das Seiende seine Erfüllung wäre, er ist vielmehr eine Wirklichkeit, die im Seienden und gegen das Seiende immer neu wirklich werden will." (18)
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So gesehen kann Bonhoeffer betonen, dass die Kirche mitten im Dorf steht, mitten in der Welt ganz ihr zugehörig ist, was demütige Solidarität erfordert, zugleich aber die Mitte der Welt ist, weil in ihr „... die Wirklichkeit der Welt in das hellste Licht gerät" (19). Für die Frage nach der Verortung von Theologie in der Gesellschaft heißt das: Offensive Theologie ist Dienst an der Gesellschaft, und sie ist solcher Dienst nur, sofern sie offensiv ist. Denn um wirklich dienlich sein zu können, muss sie sich ihre kritische Distanz zur Gesellschaft, die sie aus der Offenbarung gewinnt, wahren, wenngleich sie freilich auch immer Teil der Gesellschaft bleibt, der sie kritisch dienen will.
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Bescheidenheit und Selbstbewusstsein sind für theologisches Selbstverständnis somit nicht kontradiktorische Gegensätze, vielmehr ergibt sich beides gleichermassen aus ihrem Christusbezug. Nicht aus sich selbst leben zu können, erfordert Bescheidenheit, nicht aus sich selbst leben zu müssen, ermöglicht Selbstbewusstsein. Die Ausrichtung an Weg und Geschick Jesu nötigt uns weiter zu einer erkennbaren aber nicht aufdringlichen Präsenz in der Gesellschaft, in der wir uns verständlich zu Wort melden, ohne nur das Selbstverständliche zu sagen.
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Da hat der Theologe nun reichlich zu tun. Es wird wohl das beste sein, er macht sich gleich an die Arbeit.
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Anmerkungen:
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1. Vgl. N. Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik 3. Frankfurt a.M. 1993, 313f.
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2. Zur Kritik dieser Vorstellung vgl. W. Guggenberger, Niklas Luhmanns Systemtheorie. Eine Herausforderung der christlichen Gesellschaftslehre (IST 51) Innsbruck 1998, 213-223.
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3. Weisung der Väter. Übersetzt von Bonifaz Miller. Trier 1965, Spruch 525.
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4. Z. Bauman, Moderne und Ambivalenz. Das ende der Eindeutigkeit. Frankfurt a.M. 1995, 156.
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5. G. Vattimo, Glauben - Philosophieren. Stuttgart 1997.
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6. Ebd.87.
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7. Vgl. ebd.29.
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8. Z.B. J.-F. Lyotard in seiner programmatischen Textsammlung Postmoderne für Kinder. Briefe aus den Jahren 1982-85. Wien 1987, 30. „Wir haben die Sehnsucht nach dem Ganzen und einen ... teuer bezahlt." Weshalb erd die Forderung nach einer Kriegserklärung an das Ganze und Umfassende stellt.
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9. Vattimo, Glauben 40.
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10. R. Musil, Der Mann ohne Eigenschaften 1. Reinbek bei Hamburg 1978, 253.
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11. Vattimo, Glauben 67.
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12. Das schwingt wohl auch mit, wenn Johannes Paul II. auch die soziale Verkündigung der Kirche als Theologie verstanden wissen will, nicht als Ideologie oder irgendeine Alternative zu kapitalistischen oder kommunistisch-kollektivistischen Gesellschaftsentwürfen. Vgl. SRS 41.
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13. Vgl. D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung. München 31985, 414.
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14. Vgl. ebd. 416.
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15. D. Bonhoeffer, Ethik (Werke 6). Gütersloh 1998, 359.
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16. Dieser Gedanke gleicht dem Argument von Gaudium et spes 22, dass sich „im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft aufklärt".
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17. Vgl. ebd. 362.
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18. Ebd. 61.
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19. Ch. Hennecke, Die Wirklichkeit der Welt erhellen. Ein ökumenisches Gespräch mit D. Bonhoeffer über die ekklesiologischen Perspektiven der Moralverkündigung. Paderborn 1997.
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