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„Leben Sie – wir kümmern uns…“ Vom Geheimnis der selbstwachsenden Saatkörner

Autor:Bauer Christian
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2015-07-04

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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„Leben Sie, wir kümmern uns um die Details“ – mit diesem Versprechen hat vor einiger Zeit eine Bank für sich geworben, die sich vielleicht besser auch ein wenig mehr um ihre eigenen Details gekümmert hätte. Besonders der zugehörige Werbespot hat mich sehr angesprochen – milieumäßig betrachtet: ein Zielgruppenvolltreffer. Die Tonlage des schnell geschnittenen Filmes ist die eines Gesprächs mit guten Freunden. Es geht um die großen Fragen des Lebens, um Menschen und Mächte und um das kleine Glück in dieser Zeit: „Sagt mal, geht eigentlich alles immer schneller – oder bin ich nur langsamer geworden? Jeden Tag ist es, als würde man auf einem neuen Planeten aufwachen. […] Kommt da noch jemand mit? Bitte versteht mich nicht falsch: Ich will ja nicht die Welt anhalten – aber: Kann sie sich nicht ab und zu mal um mich drehen? Nur so lange, bis ich hier in meinem Eck ein paar Sachen in den Griff gekriegt habe? […]“ Und dann folgt eine Texteinblendung mit dem Versprechen: „Leben Sie, wir kümmern uns um die Details.“

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Mich spricht das alles sehr an. Und bitte verstehen Sie mich jetzt nicht falsch – ich meine das überhaupt nicht kulturpessimistisch! Ganz im Gegenteil: Ich genieße das Spiel unseres heutigen Lebens durchaus in vollen Zügen. Nur manchmal habe ich einfach zuviel davon. Dann hätte ich gerne jemanden, der sich um die abertausend Details im Kleingedruckten meines Alltags kümmert, während ich mich dann endlich einmal nur auf das wirklich Wesentliche konzentrieren kann – auf das, wovon ich lebe und wofür. Natürlich weiß ich, dass die Bank mit ihrem Versprechen, das alles zu übernehmen, vor allem Geld verdienen möchte. Wie wäre es aber, wenn da einer wäre, der mir dasselbe Versprechen gibt – und dabei aber nicht auf den eigenen Vorteil schaut? Der es ‚einfach nur so’ tut? Gratis sozusagen? Das ist meine Sehnsucht – und vielleicht ist es ja auch die Ihre?

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Im gerade gehörten Evangelium bietet Gott sich uns Menschen als ein solcher ‚Jemand’ an. Jesus spricht darin von einem Bauern, der seine Saatkörner auf dem Feld ausbringt. Tag für Tag legt er sich am Abend schlafen und steht am nächsten Morgen wieder auf – und siehe da: „es keimt und sprosst“ (Mk 4,27). „Die Erde“, so sagt es Jesus, „bringt von selbst ihre Frucht.“ (Mk 4,28). Automatē steht hier im griechischen Originaltext: von selbst, automatisch quasi, ohne das Zutun des Sämanns. Es ist wie in der Schöpfungsgeschichte: „Es wurde Abend und es wurde Morgen“ (vgl. Mk, 4,27) – ein neuer Tag. Gott schafft, er erschafft – und alles ist gut. Der Bauer hat daher auch einen ruhigen Schlaf, denn er weiß: er hat das Seinige getan. Nun müssen andere Kräfte wirken…

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Das ist eine gute Nachricht für alle, die denken, das Heil der Welt hinge nur von ihnen ab. Wenn ich die Dinge zumindest probeweise einmal aus der Hand geben, gewinne ich ein wenig von dieser wunderbaren Leichtigkeit des Evangeliums – etwas von jener „sanften Brise, die vom Paradies her“ (John Caputo) zu uns herüberweht. Ein kleines Stück vollendete Schöpfung, manchmal nur einen Wimpernschlag groß. Für einen Moment kann ich dann das Hamsterrad verlassen und die Welt dreht sich auch einmal nur um mich. Nur so lange, bis ich in meinem kleinen Eck die eine oder andere wirklich wichtige Sache erledigt habe. Zum Beispiel mit meinen Kindern ein Eis zu essen. Beim Aufschließen meines Fahrrades den Ausblick auf die Berge zu genießen. Oder den gestressten Blick der Sekretärin wahrzunehmen. Solche Augenblicke sind ein Geschenk, sie sind gratis wie die Gnade Gottes: sie kosten nichts, außer vielleicht ein wenig Zeit.

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Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat ist aber auch eine gute Nachricht für alle Sämänner und Säfrauen des Evangeliums. Denn wie oft erscheint ihr Tun wie vergebliche Liebesmüh’? Heute Morgen wurden in unserer Kirche dreiunddreißig junge Menschen gefirmt. Wie viele von ihnen sind auch am nächsten Sonntag noch hier? Auch hier gilt das Versprechen des heutigen Evangeliums. Wenn wir denn nur beim Wesentlichen bleiben, dann dürfen wir uns auch hier darauf verlassen, dass Gott sich um die Details kümmert: darum zum Beispiel, dass auch nach der Firmung noch genügend junge Menschen in die Kirche gehen und sie nicht zum feierlichen Kirchenaustritt wird. Und auch darum, dass sie dann als kirchlich verheiratete Brautleute ihre Kinder christlich erziehen und unsere Kirchen nicht noch leerer werden… Um all das kümmert sich Gott – nur tut er es vielleicht ein bisschen anders, als wir uns das normalerweise vorstellen.

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An einer anderen Stelle sagt Jesus: „Um all das geht es den Heiden. Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht. Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben.“ (Mt 6,25; 32f). Das von selbst wachsende Reich Gottes an die erste Stelle zu setzen bedeutet, dass es uns vor allem anderen um ein gutes und erfülltes Leben all unserer Täuflinge, Erstkommunionkinder, Firmlinge und Brautleute gehen darf. Und nicht darum, nur unsere kirchliche Statistik aufzubessern. Auch wenn uns das eigene Tun dann manchmal umsonst vorkommt, als vergebliche Liebesmüh’ – aus der Perspektive Gottes darf es ruhig ‚gratis’ bleiben: ein Geschenk des Himmels ohne Hintergedanken und Gegenleistung. Umsonst, auch wenn es bisweilen vergeblich ist. Denn sonst geht uns etwas Wesentliches verloren.

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Mit Blick auf diese ‚heilige’ Sorglosigkeit des Evangeliums war es für mich eine tröstliche Einsicht, als mir vor einigen Monaten, ein paar schon recht abgebrannte Kerzen auf dem Altar aufgefallen sind. Es waren selbstgestaltete Kerzen aus der Erstkommunionvorbereitung. Die Kerze unserer Bubengruppe habe ich gleich erkannt: zwar nicht die allerschönste, dafür aber sehr individuell. In diesem Moment ist mir ein sehr tröstlicher, entlastender Gedanke gekommen: Vielleicht sind diese Kerzen ja so etwas wie ‚Stellvertreterkerzen’: Kerzen, die hier stellvertretend für all die Kinder brennen, die nun nicht mehr da sind – und deren Geschichte mit Gott deswegen aber noch lange nicht zuende ist. Vielleicht führt ihr Weg zum Glück einfach nur haarscharf an den kirchlichen Pfaden vorbei? Für Gott jedenfalls reicht es völlig, wenn sie vielleicht später einmal als Firmlinge, Brautleute oder Taufeltern das Gefühl mitnehmen: Hier im Saggen sind entspannte Christinnen und Christen, die mich in meiner Freiheit respektieren. Die wollen mich nicht einfach nur ‚eingemeinden’, sondern sind an dem interessiert, was mir selbst im Leben wichtig ist.

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Wir dürfen uns also locker machen. Wie der Sämann im Gleichnis müssen wir nur das Unsrige tun, mehr nicht. Gott allein lässt wachsen. Und manchmal ist es schon viel, wenn wir ihm dabei keine Steine in den Weg legen. Wachstum des Glaubens – das ist Gottes Werk und unser Beitrag. Stimmen diese Prioritäten, dann können entsprechende pastorale Lockerungsübungen so manche kirchliche Verkrampfung lösen. Eine solche reichgottesfrohe, unverzagte Gelassenheit wünsche ich mir für mich – und auch für Sie. Und wer weiß, vielleicht werden wir dann ja auch wieder für andere attraktiv? Auch hier gilt jedenfalls, wie überall im Leben, eine alte Maxime der Jesuiten: „Handle so, als ob alles von dir abhinge. Und vertraue so auf Gott, als ob alles von ihm abhängt.“ Im ersten sind wir schon recht gut, im zweiten können wir durchaus noch ein wenig wachsen.

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Amen. 

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