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"Österliche Augen"! Auch im Jahr 2016?
(Predigt zum Ostersonntag, gehalten in der Jesuitenkirche am 27. April 2016 um 11.00 und 18.00 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2016-03-29

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Evangelium: Joh 20,1-9 

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Selbst die größten Ereignisse fangen oft bei kleinen, alltäglichen Dingen an. So beginnt auch diese Osterpredigt mit einem kleinen Dialog, mit banalen Fragen. Schließlich hat auch der Auferstandene immer wieder ein Gespräch angefangen. (Der Prediger setzt sich die Sonnenbrille auf und fragt die Kinder) - „Wie sehe ich aus?” (Die Kinder schreien) „Cool”. - „Was heißt cool?” Die Antwort: „Geheimnisvoll, unzugänglich” (die Fragen werden nun an den mikonzelebrierenden „Fakultätsphilosophen” P. Bruno gestellt, der die Antworten der Kinder bestätigt; der Dialog mit Kindern wird fortgesetzt) - „Warum setzt der normale Mensch die Sonnenbrille auf?” „Um sich vor der Sonne zu schützen.” - „Wie sieht er dann die Welt?” „Dunkler”. Nun ein paar Fragen an Erwachsene: - „Warum setzen sich Menschen in amerikanischen Filmen die Sonnenbrille auf?” (Schweigen; Verunsicherung) „Denken sie an Audrey Hepburn und ‚Frühstück bei Tiffany’? Weiß man noch wer Audrey Hepburn ist? (Es kommt doch eine Antwort aus dem Kirchenraum) „Sie will nicht erkannt werden”. - „Warum tragen in den amerikanischen Filmen viele Menschen bei Beerdigungen dunkle Brillen?” „Sie wollen nicht, dass man ihre Augen sieht” (Der Prediger legt die Sonnenbrille ab)

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Eine dunkle Sonnenbrille verbirgt die Augen. Wenn man die Augen eines Menschen nicht sieht, dann weiß man oft nicht, wie man dran ist. Denken Sie, wie das mit „Lügen” ist. Wenn man das Gefühl hat, dass der andere nicht ganz die Wahrheit sagt, fordert man ihn nicht auf: „Sieh mir in die Augen!”? - „Gibt es Frischverliebte in der Kirche heute?” (Keine Reaktion). Schade. (Der Prediger fordert Christina, eine Ministrantin, auf zu ihm zu kommen, setzt ihr und sich selber dunkle Sonnenbrille auf und sagt, sie soll ihm in die Augen schauen): -„Was siehst Du jetzt” - „Nichts! Nur dunkle Sonnenbrille”. (Die Sonnenbrillen werden abgelegt) Die Frischverliebte - wenn sie da wären - könnten wir fragen, ob sie eine dunkle Sonnenbrille aufsetzen, wenn sie einander küssen. Nein! Man schaut einander in die Augen, setzt zum Kuss an - und dann, aus welchen Gründen auch immer - schließt die Augen. Weil man verliebt ist, will man die Augen des geliebten Menschen sehen. Augen, die das Vertrauen ausstrahlen, oder auch Augen, die voller Angst sind. Oft voller Scham, voll des Entsetzens, der Trauer und Ratlosigkeit. Warum dieser Einstieg?

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Stellen Sie sich vor die Augen von Maria von Magdala, als sie das leere Grab erblickte. Stellen Sie sich vor die Augen von Petrus und Johannes, als sie zum Grab kamen. Augen weit aufgerissen, Augen voll von Angst und Schrecken. Immer und immer wieder heißt es in den Evangelien, die Frauen, die Jünger standen ratlos da, oder sie gerieten in Furcht und Schrecken. Eben: ihre Augen weit aufgerissen, verrotzt, oder erstarrt, wie die Augen der sprichwörtlichen Kaninchen vor der Schlange. -„Wie soll ich IHM in die Augen schauen?” - dachte sich Petrus, der ihn dreimal verleugnet hat. -„Wie sollen wir IHM in die Augen blicken?” - dachten sich auch andere Jünger, die weggelaufen sind. „Am liebsten würde ich mir die Sonnenbrille aufsetzen, weil ich mich so schäme. Weil ich durchschaut wurde!” Und was macht Jesus? -„Maria! Maria!”. Er nennt die Frau, deren Augen von Tränen überfließen, jene Augen, die schon so viel Not gesehen haben, deswegen mit allen möglichen Brillen verdeckt wurden: mit den dunklen Brillen der Verstellung und Verbitterung und den rosaroten Brillen einer oberflächlichen Heiserkeit eine Dame aus dem sog. leichten Geschäft, er nennt diese Frau, deren Augen verweint sind, er nennt sie beim Namen: Maria. Er nennt sie so, wie er sie damals - beim ersten Mal - genannt hat: sie die stadtbekannte Hure, die von ihren Mitmenschen erniedrigt, ausgelacht, an den Rand gedrängt wurde; sie, die sie sich in der Gemeinschaft zum Tragen der Dunklen Brille der Anonymität gezwungen sah, er nennt sie beim Namen, macht sie zur Person. Er tut dies ohne jeden Beigeschmack von Erniedrigung und von Moralisieren (Kurzerklärung am Rande - nur für die schriftliche Fassung: ich halte die historisch-kritische Dekonstruierung der Person Maria Magdalena theologisch nicht für besonders hilfreich: gerade die Verbindung der Züge der Sünderin und der Zeugin der Auferstehung lenkt den Fokus auf die durch Christus Wirklichkeit gewordene Sprengung von Grenzen, die Dekonstruktion entspringt mehr dem kleinbürgerlichen Anstandsgeist, als der kritischen Rationalität). Er nennt sie beim Namen. So baut er die Brücken. Nun am Ostersonntag auch die Brücke durch die Grenze des Todes. Sie erkennt ihn wieder: als Denselben, der schon vor seinem Tod eine Beziehung zu ihr aufgebaut hat.

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- „Friede sei mit euch!”, sagt er immer und immer wieder zu den entsetzten Jüngern. Als erster reicht er die Hand, baut die Brücke, versöhnt nicht mit ihnen: versöhnt sich mit den Verrätern, mit den Versagern. Er macht es möglich, dass sie ihm in die Augen schauen können. Und ihn auch Auferstandenen erkennen. Wiedererkennen. Er nimmt ihnen die dunkle Brille ab, jene Brille, mit der sie Schutz gefunden haben: die Brille der Anonymität, die Brille der Täuschung, die Brille der Scham, die Brille der tragischen Weltsicht, die ja alles dunkler, alles schwärzer sieht. Die Brille, die sich auf das Vergangene fixiert. Er nimmt ihnen diese Brille ab und schenkt ihnen die „Österlichen Augen”. Jene Augen, die nicht fixiert bleiben auf die Grenze des eigenen Versagens. Jene Augen, die nicht fixiert sind auf die Sackgassen des Alltags. Jene Augen, die nicht fixiert bleiben auf die Grenze des Todes.

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Diese „österlichen Augen” erblicken nämlich das Jenseits: das Jenseits des Versagens, das Jenseits der Angst, das Jenseits des Todes, das Jenseits der vielen kleinen Tode im Alltag und das Jenseits des großen Todes am Ende des Lebens. Maria von Magdala, die anderen Frauen, die Jünger bekommen am Ostermorgen einen neuen Blick auf sich selber, auf ihre Mitmenschen. Sie bekommen einen neuen Blick auf die Welt. Deswegen werden sie von diesem Tag an die Abgründe überschreiten. Deswegen werden sie die „österlichen Augen” und den Glauben an Christus als ihren größten Schatz pflegen.

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Liebe Schwestern und Brüder, es lässt sich gut über „österliche Augen” predigen, predigen an einem Ostersonntag wie heute. Dem Bilderbuchostersonntag! Doch würde diese Predigt über „Österliche Augen” zur Meditation über die rosaroten Brille verkommen, wenn wir die Passion 2016 verdrängen würden: die vielfältigen Kreuzwege auf die unsere Welt umdirigiert, auf die auch wir selber gedrängt werden. Es sind dies nicht nur die traditionellen Kreuzwege der Krankheit und der Endlichkeit. Auch die Kreuzwege, die mit Flucht und Migration verbunden sind und dem Terror gehören dazu! Können wir auch diese Kreuzwege mit „österlichen Augen” betrachten? Oder erstarren wir vor der oft ausweglosen Situation, helfen uns aus der Patsche durch Anklagelitaneien gegen Politiker und durch mantraähnliche Anschuldigungen des Islam? „Es fehlt uns an österlichen Augen” - übertitelte eine Tageszeitung von heute das Osterinterview. Wir Christen wären demnach besonders herausgefordert in der Welt von heute, in der die Passion allgegenwärtig ist, wir wären herausgefordert das Jenseits der Passion zu bezeugen. Doch wie soll man die „österlichen Augen” pflegen in einer Zeit, in der es nicht nur so viele Kreuzwege gibt, sondern in der die Christen selber an vielen Orten auf die Kreuzwege gezwungen werden und dies gerade, weil sie Christen sind. In einer Zeit in der Christen verstärkt dem Martyrium ausgesetzt werden. Unsere mitteleuropäische Welt verdrängt diese Tatsache, weil sie nicht in die Schemata der political correctness passt. Das Martyrium der Christen potenziert sich aber in der heutigen Welt. Auch dieser Ostersonntag ist für die Christen zu einem blutigen Ostersonntag geworden.

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Einen traurigen Höhepunkt der Fastenzeit 2016 stellte die Ermordung der Nonnen aus dem Orden von Mutter Theresa in Jemen, Ermordung von Frauen, die sich der Altenpflege widmeten. Die Islamisten, die dies getan haben, entführten auch den Priester, den Salesianerpater Thomas und drohten, ihn ausgerechnet am Karfreitag zu kreuzigen. In der Osternachtpredigt berichtete Kardinal Schönborn, dass sie dies getan haben. Die Agenturmeldungen zu dieser Sache liegen noch nicht vor (Zum Zeitpunkt der Verschriftlichung der Predigt am Dienstag der Osterwoche bleibt das Schicksal vom entführten Pater weiterhin unklar; an der Spitze der zahlreichen Meldungen über die Gewalttaten am Ostersonntag steht wohl der Bericht über den Selbstmordattentat eines talibanischen islamistischen Religionslehrers in Pakistan, der seine Tat ausdrücklich als einen Anschlag auf Christen geplant und in einem Park in dem christliche Familien Ostern gefeiert haben auch durchführte). Wie sollen wir von den „österlichen Augen” reden, ohne dass unsere Predigt banal wird: im Jahre 2016? Es gibt nur eine einzige Möglichkeit dies zu tun, indem man auf Zeugnisse hinweist. Auf Menschen, die in genau dieser Welt, mitten im Inferno der Gewalt und des Hasses die Gnade der „Österlichen Augen” mit ihrer Lebenshaltung bezeugen.

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Im Mai 2015 wurde Pater Jacques Mourad aus dem syrischen Kloster Mar Elian und in Raqqa der islamistischen Hochburg 84 Tage gefangen gehalten. Der katholische Priester erwartete jeden Tag, dass sie ihn köpfen werden. Sie wollten, dass er zum Islam konvertiert - zum Vorzeigekonvertiten wird - einem Konvertiten zum „wahren Glauben der Islamisten”. Denn der katholische Geistliche war ihnen ein Dorn im Auge, setzte er sich seit Jahren in dem Kloster, dem er zuletzt vorstand, für christliche muslimischen Dialog ein. Nach dem Beginn des Irrsinns des sogenannten Islamischen Staates beherbergte er im Kloster Flüchtlinge. Er war halt ein Priester, der tagtäglich seine von Gewalt gezeichnete Welt durch seine „österlichen Augen” wahrnahm, deswegen auch Zeugnis von „Jenseits” ablegte: vom Jenseits des Elends, vom Jenseits der Gewalt, vom Jenseits des Hasses, ja gar vom Jenseits des Todes. Nun wurde er entführt, mehrmals einer Scheinexekution unterzogen. Das Messer am Hals angesetzt zählten die Schergen bis zehn: Konvertiere, oder wir stechen zu! „O Gott, sei mir gnädig!”, betete der Priester und sah vor seinem geistigen Auge Jesus am Kreuz in solchen Situationen. Gefesselt im winzigen Versteckt in Raqqa liegend betete er unaufhörlich das Gebet von Charles de Foucauld: „Mein Vater, ich überlasse mich dir, mache mit mir was dir gefällt.” Das Gebet half ihm, seine Situation realistisch zu sehen: er war „nur einer” unter vielen anderen Opfern. Deren Leid zu sehen, halft ihm von der Fixierung auf sich selber. Nach 84 Tagen wurde er mit anderen Gefangenen „entlassen”, faktisch in „Scheinfreiheit” eines Kellers verlegt. Von dort wurde er dann durch einen muslimischen Freund und einen orthodoxen Priester befreit. Heute lebt er - aufs Schwerste verletzt - an einem geheimen Ort, wo seine Wunden medizinisch versorgt werden.

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Warum diese Geschichte am Ostersonntag? Weil der katholische Priester ein glaubwürdiger Zeuge der Auferstehung gerade im Jahr 2016 ist: ein Mann, der durch die Gnade der „österlichen Augen” auf unsere Passion 2016 beschenkt wurde. Klar bezeugt er: mein größter Schatz ist mein Glaube - ich übersetze: meine „österlichen Augen”. Den Schergen ist es nicht gelungen, diesen Glauben zu zerstören. Er empfindet weder Hass noch Wut auf seine Peiniger. Und versichert: er habe ihnen verziehen. Anstatt sich im Hass auf den Tod, auf das Vergangene zu fixieren, blickte er und blickt weiterhin in das „Jenseits”: Jenseits des Todes. Jenseits der Gewalt. Jenseits des Hasses. Und will, sobald er gesund wird, zurückgehen. Zurückgehen auf den Kreuzweg, den seine Gläubigen immer noch tagtäglich gehen. Er hat die Angst vor dem Tod verloren.

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Liebe Schwestern und Brüder, mit „Österlichen Augen” waren nicht nur die Apostel gesegnet, und in der neueren Zeit nicht nur die vielen Märtyrer der Nazizeit. Mit „österlichen Augen” sind Tausende und Abertausende - wenn nicht gar Millionen - von Zeitgenossen gesegnet. Es sind dies Menschen, die in ihrer Welt, im Kontext ihrer eigenen Passion - so brutal diese auch sein mag - das „Jenseits der Passion” erblicken. Weil ihnen der Auferstandene die dunklen Brillen der Verstellung abgenommen hat, ihnen in die Augen schaute und einen neuen Blick auf sich selber, auf die Mitmenschen, auf die Welt, gerade auf die Welt 2016 schenkte. Bitten wir um die Gnade der „österlichen Augen”: für uns selber und für die Unsrigen. Vor allem aber für jene Menschen, die vom Hass derart erfüllt sind, dass sie der Faszination des Todes erliegen. Möge der Auferstandene sie beim Namen ansprechen, ihnen die dunklen Brille abnehmen, sie zu einer Person machen, ihnen eben die „österlichen Augen” schenken.

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