University Logo

Investition in Freudenmädchen. Predigt zu Lk 7,36-8,3
(Predigt am 11. Sonntag im Jahreskreis 2016 in der Jesuitenkirche Innsbruck)

Autor:Guggenberger Wilhelm
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2016-06-20

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

1
Paragraph Icon

Predigt zu Lk 7,36 – 8,3

2
Paragraph Icon

Was soll das wieder für ein Predigttitel sein? Keine Sorge, es wird in den nächsten Minuten nicht um Prostitution und Zuhälterei gehen und schon gar nicht um Menschenhandel. Obwohl es darüber auch in einer Predigt viel zu sagen gäbe. Nicht weil die Kirche ohnedies immer ein Problem mit Sex hat, sondern weil und sofern Menschen, meist Frauen dabei ihrer Freiheit und ihre Würde beraubt werden.

3
Paragraph Icon

Aber nein, darum wird es nicht gehen! Obwohl, eine Prostituierte könnte schon mit im Spiel sein. Viel Aufhebens hat man zur Zeit Jesu um dieses Gewerbe wohl nicht gemacht. Es war halt eine Realität. Wenn eine solche Dame aus der horizontalen Branche sich aber Zutritt zum gutbürgerlichen Haus eines Strenggläubigen verschafft und dort ein derart aufdringliches Verhalten an den Tag legt, und er, der Ehrengast lässt all das kommentarlos geschehen; das war dann doch ein Skandal. Damals! Und heute? Was skandalisiert uns heute schon. Wir haben so viel gesehen und gehört, wir haben Pornostars als Abgeordnete erlebt und uns an SexarbeiterInnen-Gewerkschaften gewöhnt. Da regt so etwas nicht mehr auf.

4
Paragraph Icon

Dass Jesus bei der Wahl seines Umgangs nicht wählerisch war und dabei kaum Tabus kannte; auch daran haben wir uns längst gewöhnt. Also nichts Besonderes im heutigen Evangelium. Da muss sich der Prediger dann zumindest einen reißerischen Titel aussuchen.

5
Paragraph Icon

Nein, ganz so ist es nicht. Denn eine Sache finde ich denn doch recht skandalös an dem eben gehörten Text: die eigenwillige, ökonomische Logik nämlich, die Jesus in dieser Situation an den Tag legt. In Reaktion auf die nicht offen ausgesprochene, aber eben doch spürbare Empörung seines Gastgebers greift er wieder einmal auf ein Beispiel aus der damaligen Finanzwelt zurück. Die war im Grunde nicht so arg anders als die heutige. In den technischen Details freilich schon, aber nicht in den Grundlagen. Es ging und es geht um Investitionen, um Gewinn und Verlust, um Rendite und Schulden. Jesus spricht sogar von einem Schuldenschnitt. Auch das kennen wir.

6
Paragraph Icon

Uneinbringbare Schulden werden erlassen, weil ihre Eintreibung Kosten verursachen würde, die höher wären als der ausstehende Betrag, oder weil man darauf hofft, dass doch noch ein Teil zurückkommt, wenn man den Schuldner nicht ganz ruiniert, oder weil man sich zumindest einen potentiellen Kunden erhalten will. Möglicherweise hat man über Zins und Zinseszins  auch schon ein ganz gutes Geschäft gemacht und kann nun leicht den Gönner spielen. Völlig uneigennützig ist so ein Schuldenschnitt wohl nie.

7
Paragraph Icon

Geschäft ist eben Geschäft! Doch nun steigt sogar Jesus auf diese Kosten-Nutzen-Rationalität ein. Wem viel vergeben wird, der wird auch sehr dankbar sein und daher viel Liebe zeigen.

8
Paragraph Icon

Ist das der eigentliche Grund, warum er sich so viel und so gern mit Zöllnern und Huren abgibt? Ist seine ganze Barmherzigkeit nur Berechnung? Investiert er sozusagen emotionales Risikokapital in Sünder, weil der erwartbare Gewinn an Gegenliebe bei denen sehr hoch ist? Noch dazu weiß man gar nicht so recht, ob die Schecks, die Jesus ausstellt, überhaupt gedeckt sind. Ihm haben Leute wie diese Frau schließlich gar nichts getan - außer dass sie ein bisschen lästig sind. Ob die Schuld, die sie vor Gott angehäuft hat, aber wirklich vergeben ist; wer weiß das schon? So etwas ist ja leicht gesagt. Jesus wirft hier gleichsam mit Mitteln um sich, von denen man gar nicht so sicher ist, ob sie ihm überhaupt zustehen.

9
Paragraph Icon

Jesus investiert also in Freudenmädchen, um einen satten Gewinn an Anerkennung und Zuneigung einzustreichen. Letztlich fallen dabei vielleicht ja sogar materielle Vorteile an: Unterstützung durch Gönnerinnen, wie wir am Ende des Textes gehört haben.

10
Paragraph Icon

Haben all jene also doch recht, die sagen, der Mensch ist letztlich in all seinen Beziehungen ein Homo Oeconomicus, einer, der nur auf eigenen Vorteil spekuliert; der gar nicht anders kann, einer der nur nett ist, wenn es sich auszahlt? Sie haben wohl Recht, wenn sogar Jesus von Nazaret so argumentiert. Der hat schließlich auch anderswo dazu geraten, klug zu sein wie die Schlangen, zu lernen von den Kindern dieser Welt und sich Freunde zu machen mit dem ungerechten Mammon.  

11
Paragraph Icon

Nur, sollte das sein ganzes Programm gewesen sein, wirklich der Plan seines Lebens, so hat die Freudenmädchenkalkulation sich letztlich als Milchmädchenrechnung erwiesen. Denn am Ende wird er all sein Kapital verspielt haben. Alle Investitionen in Sünder und Versager werden sich als Flop erwiesen haben, denn am Karfreitag wird keiner von ihnen da sein, um etwas zurück zu zahlen von dem, was in ihn oder sie gesetzt wurde. Da ist jeglicher Kredit aufgebraucht.

12
Paragraph Icon

Haben wir also doch keine Investitionsstory gehört? Zumindest ist, hört man genau hin, gar nicht so klar, wer hier eigentlich in was investiert. Investiert die Sünderin in die Chance der Vergebung oder Jesus in ein erwartbares Geliebtwerden?

13
Paragraph Icon

Von wem geht denn in dieser Begegnung die Initiative aus? Von der Frau, die Jesus mit Zärtlichkeiten überschüttet, oder von Jesus der vergibt? Von seiner Barmherzigkeit oder von ihrem Glauben? Was ist Ursache, was Wirkung: ihre Liebe, sein Entgegenkommen?  Wie in einem Vexierbild springen Aktion und Reaktion hin und her. Weiß der Evangelist Lukas nicht so recht, was er uns eigentlich sagen will, oder ist die Geschichte einfach schlecht erzählt?

14
Paragraph Icon

Nun, ich vermute, da steckt doch mehr dahinter. Was, wenn die Unschärfe des Bildes die ökonomische Logik ganz bewusst unterläuft und sprengt? Ist es so, dann geht es hier eben nicht um ein Geschäft, nicht um ein ökonomisch kalkuliertes Um-Zu.  Dann wurden wir eben Zeugen einer wirklichen, personalen Begegnung. Auch darin gibt es freilich ein Geben und ein Nehmen. Ohne das entsteht keine Beziehung. Doch gegeben wird dabei nicht, um etwas zu bekommen. Es wird gegeben, weil schon empfangen wurde. Nicht um-zu also, sondern deswegen-weil. Macht das einen großen Unterschied? Allerdings! Es macht DEN Unterschied. Es macht den Unterschied zwischen Geschäft und Gemeinschaft, zwischen Investition und Hingabe.

15
Paragraph Icon

Eine Garantie dafür, dass dieses Wechselspiel von Geben und Nehmen bruchlos weiterläuft, dass nicht plötzlich einer die Gemeinschaft doch wieder zum Geschäft degradiert, die gibt es nicht. Doch wenn wir das Risiko von Geschäften zu tragen bereit sind, warum dann nicht auch das von Beziehungen? Ohne diese Bereitschaft würde unser Leben wohl ziemlich armselig ausfallen.

16
Paragraph Icon

Der Pharisäer Simon hatte nicht das Gefühl, auf irgendein Geschenk angewiesen zu sein. Seine Brust war breit vom Stolz der selbstbewussten Rechtschaffenheit, in seinen Augen waren keine Tränen. Er lebt ganz im Bewusstsein der Selbstzufriedenheit. Daher hatte er auch nichts gegeben. Mag sein, für ihn geht diese Rechnung auf. Wirklich in Tuchfühlung mit seinem Gast kommt er so freilich nicht. Zwischen Jesus und der Frau hingegen findet Berührung statt - nicht nur physisch. Da entsteht ein Austausch, der kein Tauschgeschäft ist, gerade weil ins Unscharfe verschwimmt, wer begonnen hat, wer eine Vorgabe machte, von wem die Initiative ausgeht. Schenken und Empfangen gehen unmerklich ineinander über. Wer zunächst bedürftig erscheint, kann plötzlich Bedürfnisse stillen und derjenige, der zunächst nur zu geben scheint, ist letztlich reich beschenkt. Das gilt in dieser Begegnung auch für Jesus selbst.

17
Paragraph Icon

Deswegen-weil: daraus lebt lebendige Gemeinschaft: Ich liebe dich, weil du es wert bist! Und ich bin nur wertvoll, weil du mich liebst! Ich kann geben, weil ich schon empfangen habe. Aber was habe ich dir schon gegeben? Du bist es doch, der mich beschenkt!  Ich stehe zu dir, weil du mir entgegengekommen bist. Und ich bin zu dir gekommen, weil ich spüre, dass du zu mir stehst.

18
Paragraph Icon

Ein Vexierbild ist das, bei dem die Initiative immer zum dem springt, dessen Perspektive man gerade nicht einnimmt: immer vom Ich zum Du. Immer der andere ist es, der den ersten positiven Schritt schon gesetzt hat, und so habe ich immer einen guten Grund zu antworten. Nein! Hier tätigt keiner eine Investition, doch am Ende werden alle gewinnen.

© Universität Innsbruck - Alle Rechte vorbehalten
Webredaktion | Impressum

Powered by XIMS