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"Siehe, ich mache alles neu!" Die Pfarre (Söll) als Gemeinschaft des Glaubens und des Lebens auf dem Weg mit allen Menschen und Geschöpfen – damals, heute, morgen
(Erweiterter Festvortrag zu 800 Jahre Gemeinde und Pfarre Söll, im Juli 2017)

Autor:Siebenrock Roman
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2018-02-01

Inhalt

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800 Jahre Gemeinde Söll zu feiern, bedeutet jener Liebe, Freude und Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen die darin wurzelt, das Leben zu feiern und dafür dankbar zu sein, dass hier an diesem Ort, in Söll, Leben, ja gutes Leben möglich war, ist und sein wird. Söll ist den Söllern lieb geworden und daraus leben und feiern sie; und ein solches Fest lässt Ort und Menschen selber liebenswert(er) werden.

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Ein solches Fest wird aber nur ein Fest und keine Gaukelei und Augenauswischerei, wenn die Schatten, der Alltag, die mühselige Arbeit, die Gefährdung des Lebens und der Tod nicht verdrängt, sondern im Erinnern aufgehoben werden. Das Fest ist eine Unterbrechung und öffnet den Blick auf das Ganze der Welt und unseres Lebens. Als Sterbliche, Gefährdete und von unendlicher Sehnsucht nach gelingendem Leben bewegt feiern wir, - immer mit dem ausdrücklichen und inwendigen Wunsch nach Mehr und letzter Erfüllung. Auch im Wissen und im Angesicht des sicheren Todes feiert das christliche Fest immer das Leben. Es ist daher ein guter Brauch, wenn bei Festen der Toten gedacht wird. Denn uns gäbe es hier nicht, wenn nicht so viele unbekannte und wenige bekannte Menschen diesen Ort bewohnbar gemacht haben - durch ihre Arbeit, durch ihr Lachen und Weinen, ihr Leben, ihre Liebe und ihr Sterben. Es gehört zu den größten Selbsttäuschungen unserer Zeit, allein aus unserer eigenen Leistung leben zu können. Natürlich geht es ohne die eigene Anstrengung und Mühe nie, doch wir alle leben zuerst aus der Gabe, die uns mitgegeben worden ist: die Liebe unserer Eltern, der Schmerz der Mutter bei unserer Geburt, die durchwachten Nächte, hoffentlich auch der Väter …. Nehmen wir diese Menschen jetzt mit in diese Feierstunde hinein: Wem möchten Sie persönlich in dieser Stunde auch danken: Lebenden und Toten? Und werden wir uns dessen immer wieder bewusst: Jeden Weg den wir gehen, jeden Baum, den wir fällen, alles Wasser das wir trinken, haben wir weder gemacht oder gepflanzt. In genau diesem Sinne leben wir alle von der Hingabe und Opfer jener, die uns unser Leben ermöglichen und so vorausgegangen sind.1 Deshalb ist Dankbarkeit die Gestimmtheit des Festes und die Hoffnung, dass auch jene, denen wir unser Leben hier verdanken, auf besondere Weise an diesem Fest teilnehmen mögen. Das Fest überschreitet den Kreis der sichtbar Anwesenden und wurzelt im Ursprung allen Lebens und Seins.

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Eine christliche Gemeinde weiß dies von ihrer innersten Mitte her. Weil sie aus der Eucharistiefeier lebt, gedenkt sie täglich in Dankbarkeit des Opfers und der Hingabe Jesu, die alle und alles einschließt, erneuert und uns so eine Ahnung der kommenden, neuen Schöpfung vermittelt. Deshalb versammelt die Eucharistie, die große Danksagung der Kirche alle Generationen, die waren, die sind und die sein werden. Alle sind hineingenommen, weil sich Gottes Wort in der Menschheit Jesu mit allen Menschen, auch mit mir und Dir vereinigt hat. Immer feiern wir Eucharistie in Gemeinschaft der Lebenden und der Toten, - jener, die am Ziel der Pilgerschaft angekommen sind und jener, die noch unterwegs sind.2 Wenn wir Eucharistie feiern und so unser Leben in Einheit mit dem Tod und der Auferstehung Jesu Christi in allen Facetten anschauen können, erfahren wir sinnlich im Brot, dass wir von der Hingabe eines anderen leben. Denn die Wandlung des Brotes und des Weines in den Leib und das Blut Jesu Christi ist kein „Hokuspokus“, sondern die Mitte und der Quellgrund unseres Lebens. So wie das Brot Brot ist, weil es uns als Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit nährt und für uns sich verzehren lässt und der Wein Wein ist, weil er ebenfalls als Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit den Alltag festlich werden lässt,3 so hat sich Jesus Christus für uns dahingegeben, um Frieden unter uns zu stiften, weil er unseren Alltag in das endgültige Fest hinein geborgen und so uns und alles verwandelt hat. Durch diesen Akt wird uns die Möglichkeit geschenkt, uns mit uns selbst, mit den anderen und gerade darin und nur so auch mit Gott zu versöhnen. Denn wir sind ungefragt in die Welt gekommen und konnten uns weder Abstammung, Zeit und Ort aussuchen. Wer von euch wollte nicht in einer anderen Zeit, an einem anderen Ort oder von anderen Eltern geboren worden sein: König von England, Franz Beckenbauer oder wen auch immer wir uns immer ausdenken mögen? Deshalb ist ein Fest immer auch die Versöhnung mit der Zufälligkeit und erschreckenden Banalität unserer Geschichte, mit einer immer ins Vergessenen fallenden Vergangenheit, die gerade wegen dieser Hingabe das Versprechen enthält, gemeinsam weiterzugehen und vollendet zu werden. Immer wird das Fest durch den Glauben getragen, dass die Liebe stärker sein möge als der Tod. Und diese Hoffnung ist als Möglichkeit darin begründet, weil das einzige Maß der Liebe die Maßlosigkeit ist. Dieses Wort des heiligen Augustinus gilt gerade auch für uns hier in Söll, am Rande der Galaxie, irgendwo in der verlorenen scheinbaren Unendlichkeit eines Universums, das ohne die Gabe der Eucharistie mir wie eine unglaublich faszinierende Riesenmaschine letzter Sinnlosigkeit erscheint.

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Wenn ich mich in dieser Stunde vor allem an die Pfarre Söll wende, kann die Gesamtgemeinde nicht ausgeblendet werden. Denn Christgläubige bleiben dem Evangelium nur treu, wenn sie für alle offen sind und von allen in ihrem Lebensraum angesprochen werden können. Katholizität ist weder Entgegensetzung, noch Selbstabschließung. Katholizität besteht immer in der Zumutung, mit den anderen, prinzipiell mit allen auf dem Lebensweg zu bleiben. Katholisch bedeutet – gegen alle Verkürzungen der Habsburger Tradition – niemals ohne oder gar gegen die anderen zu glauben. Deshalb gibt die Pfarre Söll in dieser Stunde, da sie alle eingeladen hat, das Versprechen, mit allen auf dem Weg bleiben zu wollen. So werden die Türen für alle offen bleiben. Weil wir in dieser Herausforderung immer auf dem Weg bleiben werden, ist die Gemeinde Jesu Christi, die die Mitte der Pfarre darstellt, immer ein Lern- und Lebensschule im Raum des Evangeliums. Wenn aber die Gemeinde Christi aus der Eucharistie lebt, und diese Feier die große Gabe darstellt, soll eine Gemeinde Christi zu dem immer mehr werden, was sie empfängt: Gabe für die Anderen. Die Gemeinde Christi erfüllt ihre Mission, wenn die anderen sagen, es ist gut, dass es die Pfarre gibt. Ein Fest empfängt seine Freude aus der Erfahrung, dass wir füreinander zum Segen geworden sind.

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Christlich glauben, bedeutet nicht, alles zu wissen oder niemals überrascht oder enttäuscht zu werden. Ursprünglich verstanden sich die Christen als die von einem neuen Weg (Apg 19,23). Ihr Weg war die Nachfolge Christi. Deshalb nannten sie sich Jüngerinnen und Jünger. Erst in Antiochien wurden sie „nur noch“ Christen genannt (Apg 11,26). Wir sollten also immer in allen Bezeichnungen das Bild vom Weg nicht verlieren. Denn dieses Bild vom Weg erinnert uns an das wandernden Volk Gottes durch die Wüste und vermittelt uns eine Gesamtvorstellungen unseres Weges: Wir sind PilgerInnen durch die Zeit. Deshalb können wir Christgläubige als Menschen bezeichnen, die das Evangelium Jesu Christi, ja das Bild Christi selbst in ihrem Herzen tragen. Deshalb wagen sie das Abenteuer, das eigene und gemeinsame Leben im Licht des Evangeliums zu deuten, ja ihr Leben im Leben Christi wiederzuerkennen. So kann ich erfahren, dass ich mein und unser Leben in Christus selbst geborgen weiß und so jene ursprüngliche christliche Mystik in mir selbst erwacht, die Paulus in die Worte gefasst hat: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20). Deshalb, und das ist die erste und wichtigste Lernzumutung hier in Tirol, im langen Schatten Habsburgs: Christlicher Glaube ist nicht zuerst Moral und Pflicht, Gehorsam und Fleiß, sondern die Erfahrung neuer Schöpfung, die Mystik eines Lebens, die das Scheitern und den Tod nicht verdrängt, sondern aus der Zusage gelingenden Lebens inmitten und durch alle Fragmentarität hindurch auf eine geschenkte Vollendung meines und unser aller Leben hofft. Es ist letztlich sekundär, wie wir die Grundfigur des christlichen Lebens ausdrücken, immer wird seine Mitte darin liegen, was in der Taufe vollzogen wird: mit Christus zu sterben, um mit ihm aufzuerstehen; und zwar zur Neuheit seines Lebens (Röm 6,1-7). Worin liegt aber die Neuheit dieses Lebens in unserer Zeit der Pilgerschaft?

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1. Die Neuheit des Lebens in Christus: Glauben, hoffen, lieben

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Der heilige Paulus hat in diesen drei, die wir auch theologische Tugenden nennen, die Kennzeichen des christlichen Lebens, des neuen Lebens in und mit Christus gesehen.4 Diese drei Haltungen als Befähigungen zu diesem neuen Leben wechseln sich nicht nacheinander ab, sondern durchdringen sich wechselseitig. Auch wenn alle drei gleich wichtig sind, bleibt der Vorrang der Liebe. In diesem Vorrang der Liebe ist das Geheimnis des christlichen Lebens geborgen. Spüren wir der Lebenshaltung, die aus diesen drei werden, einmal nach. Glauben erwächst aus einem Hören des Wortes Gottes, das vertrauensvoll sich auf das Zeugnis der Heiligen Schrift einlässt und in allen Texten, wie Martin Luther sich ausdrückte, die darin sich ausdrückende Verheißung ergreift. Christgläubigen begegnen dabei in allen Texten, und seien sie noch so fremd und auf den ersten Blick seltsam und abstoßend, Christus selbst, der die eine und alles zusammenfassende Verheißung Gottes an uns ist. Er ist das Ja zu allen Verheißungen, wie Paulus es uns zusagt (2 Kor 1,20), in ihm sei das JA verwirklicht (2 Kor 1,19). Glauben lebt aus einer großen Bejahung. Wir sind gewollt, anerkannt, erhoben und unverlierbar eingeschrieben in das Herz Gottes. Weil eine Verheißung immer für uns etwas Gutes ist, und wir daher in allem Dunkel und aller Fraglichkeit unseres Lebens auch ein Gut und eine Bejahung entdecken können, ist Glauben der Anfang allen gelingenden Lebens. Da wir aber so oft in unserem Leben durch Dunkel, Krankheit und Tod gehen müssen, weil die Verheißungen Gottes und die Zusagen des Evangeliums noch nicht erfüllt sind, erwächst aus dem Glauben die Hoffnung. Hoffnung ist eine Haltung, die alle Menschen im Blick auf die Zukunft einnehmen, wenn sie etwas Neues beginnen. Jede Freundschaft, jede Partnerschaft und Ehe, jedes neues Kind wird von Hoffnung begleitet. Es ist dem Menschen eigentümlich nicht von der Vergangenheit und nicht von der Gegenwart, sondern immer auf Zukunft hin und von ihr her zu leben. Deshalb ist, wenn wir genau hinspüren, unser Blick in die Vergangenheit von unserer Zukunftserwartung her bestimmt. Auch an diesem Abend blicken wir nur zurück um hoffnungsfroh in die Zukunft sehen zu können. Für uns Christen ist diese Zukunft aber nicht völlig unklar oder in Nebel gehüllt. Wenn auch schattenhaft und vorläufig, schenkt uns die Botschaft von der Auferstehung Christi Licht und Orientierung. Was auch immer geschehen und kommen mag: der auferstandene Herr kommt uns entgegen. Unser Leben ist daher ein Advent, eine „Zu-Kunft“. Nicht Etwas kommt auf uns zu, sondern eine Person kommt auf uns zu, ja ist schon mitten unter uns und trägt uns in seine und unsere Vollendung.

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Vielleicht haben Sie gespürt, dass das christliche Leben auf ein seltsames Fundament gebaut ist: im Glauben auf die im Wort uns zugesagte Verheißung und in der Hoffnung auf die Zukunft. Auch wenn die absolute, uns alle, die lebenden und toten Söller umfassende Zukunft noch verborgen ist, bauen wir nicht auf Sand. Dass unser christliches Leben nicht auf Nichts gebaut ist, wissen wir von all jenen, die uns den Weg des Glaubens und der Hoffnung vorausgegangen sind. Immer sind die Toten lebendig unter uns. Doch wenn wir selbst verschmecken wollen, wie sich im Weg Schritt für Schritt das Licht weitet, sind wir eingeladen, die dritte, alles durchdringende Tugend zu üben: „Lieben“. Spätestens hier schlägt unser kritisches Bewusstsein Alarm: Ist nicht dieses Wort „Liebe“ in ebenso hohem Maße missbraucht und kontaminiert wie das Wort „Gott“. Ja, gewiss. Keines unserer Worte ist unschuldig, doch wir haben keine anderen. Versuchen wir dieses Wort also durch unsere Klärung zu reinigen. Unser deutsches Wort „Liebe“ lässt sich nach der griechischen und lateinischen Tradition in drei Formen unterscheiden. Der „Eros“, lateinisch „amor“ bezeichnet die bedürftige Liebe, die uns Menschen eigen ist. Wir sagen: ich brauche Dich. Vor allem aber leben wir davon, dass wir in Beziehungen anerkannt, geachtet und respektiert werden, um so am gemeinsamen Leben teilhaben zu können.5 Ein Lächeln, ein freundlicher Gruß, ein Lob und eine kurze Plauderei über alles Mögliche, die Nachfrage nach dem Befinden oder die Aufmerksamkeit für meine Traurigkeit und Seltsamkeit sind Ausdruck dieses Grundbedürfnisses eines jeden Menschen.

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Dieses Bedürfnis ist gut und wichtig - und wir sollten uns darum nicht schämen. Deshalb ist niemand seines eigenen Glückes ganz allein Schmied; Glück ist eine soziale Erfahrung. Aus der erotischen Liebe erwächst die Faszination: Ich finde Dich toll. Ich bin gern bei Dir. Du tust mir wohl. Ich brauche Dich. In dieser Erfahrung und diesem Bedürfnis steckt nun aber leider eine Versuchung und Gefahr. Es ist jene Gefährdung des Lebens, die wir „Narzissmus“ nennen. Wir kreisen dann nur noch um uns selbst und beurteilen alles und alle nach dem Gewinn und dem Nutzen für uns. Und wenn wir dann die ganze Welt besitzen sollten, wird uns das grundlose Unglück dennoch einholen. Auf der Schiene der Endlichkeit gibt es immer ein noch mehr. Aus diesem Grunde ist das Glück keine Folge von Besitz und Vermögen. Das Geheimnis des Glücks ist die Freundschaft.6 Freundschaft erwächst aus der Faszination des Eros immer dann, wenn ich das Glück des anderen suche, wenn es letztlich nicht mehr um mich, sondern um den anderen geht. Freundschaft war in der Antike die höchste Form menschlicher Beziehung, weil sie auf wechselseitiger Anerkennung beruht und in die Dynamik eintritt, wechselseitig für einander einzutreten. Freundschaft ist nur Freien möglich. Aus der Freundschaft erwächst jene Treue, die sogar so weit gehen kann, für den anderen in den Tod zu gehen.7 Dann wandelt sich die freundschaftliche Liebe in reine Hingabe. Griechisch nennen wir diese Form „Agape“, lateinisch „caritas“. Für die jungen Christen ist diese Liebe die Höchste, weil sie gleichsam selbstvergessen, sich ganz dem Anderen schenkt. Diese Erfahrung haben die frühen Christen nicht vorgefunden, sondern am Leben Jesu abgelesen. Am Ende seines Lebens hat er sogar den Jüngern wie ein Haussklave die Füße gewaschen und noch am Kreuz für andere gebetet. Von dieser Erfahrung her konnte der Evangelist Johannes dann schreiben: Gott ist Liebe (1 Joh 4, 8-21); und folgert daraus: Wer liebt ist in Gott. Jesus selbst hat in der Einheit der Liebe zu Gott, zum Nächsten und zu sich selbst alle Gebote vereint gesehen (Mt 22,37; Mk 12,30; Lk 10,27). Deshalb ist uns letztlich nur eines aufgegeben: Liebt einander. Für mich ist das nicht zuerst ein Gebot, eine Pflicht oder ein Befehl, sondern die Weise, wie ich auf dem Weg des neuen Lebens in Christus zum vollen und wahren Leben finde. Denn allein in der Liebe berühre ich Gott, oder besser: Sind wir alle von Gott berührt. Deshalb gilt damals, heute und morgen: Was auch immer die Pfarre Söll tun sollte, ohne die Liebe ist alles nichts. Und dabei ist die Liebe nichts Seltsames oder gar Komisches und nicht zuerst ein nettes Gefühl, sondern umfasst alle Stufen, die ich genannt habe: Anerkennung und Achtung, Faszination und Freundschaft. Immer sagt die Liebe: Es ist gut, dass es Dich gibt!8 In diesem Sinne kann der heilige Augustinus uns Christen sagen: „Liebe, und dann tu, was Du willst!“9

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Dazu ist eine Pfarre berufen: in das Abenteuer einer „ausufernden Liebe“ einzutreten. Das bedeutet es, in die Lernschule des Evangeliums einzutreten. Darin aber erfahren wir, dass das Evangelium nicht eine vergangene Geschichte erzählt, sondern unsere Gegenwart erhellt. Deshalb sollte eine Pfarre immer neu die Gegenwart Christi und das Reich Gottes in den „Zeichen der Zeit“ suchen und vergegenwärtigen. Denn die Liebe ist Kompass und Schutzschild in der Suche nach dem Willen Gottes, der unser aller Leben will. Wenn wir nun wissen, dass Menschen nach Anerkennung und Freundschaft süchtig sind, dann kann uns Gott auch nie allein erlösen. Deshalb ist Kirche nicht zuerst eine Organisation, sondern die Gemeinschaft der wechselseitigen Anerkennung und Freundschaft, die immer zuerst aus großen Ja Gottes lebt und dieses Ja weitergibt. Die Kirche ist in ihrer eigentlichen Gestalt das große „anti-narzisstisches Programm Gottes“. Und ich bin der festen Überzeugung, dass es Söll und uns alle hier nur gibt, weil die Menschen damals und heute nie nur an sich gedacht haben, sondern immer für andere eingetreten sind. Das Ziel des Menschseins und die Sendung der Christgläubigen sind letztlich eins: Mitliebende sein und immer neu werden. Ein Fest ist Ausdruck jener Liebe, die sagt: Es ist gut, dass es Dich und mich, uns hier, Tirol und die Welt, ja die ganze Schöpfung gibt. Wie könnte es deshalb ein Fest geben ohne Gedicht, Gesang und Tanz!

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2. Im Abseits ist gutes Leben möglich: 800 Jahre Söll in „Sieben-Meilen-Stiefel“

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Wenn ich jetzt versuche in Hundertjahr-Schritten unsere Erinnerung an diesen Ort in der wechselvollen Geschichte Tirols und Salzburgs aufzufrischen, lade ich Sie ein, diesen Schritt mit der Frage zu begleiten: Was wäre es wert, dass es ewig währe? Wie müsste ein Leben, ein Sein sein, das es wert wäre, ewig zu erfahren? Weil wir jeden Blick in die Vergangenheit als Zukunftsorientierung konstruieren, erfahren wir, dass menschliches Leben zwar nach vorne gelebt werden muss, aber nur von hinten her verstanden werden kann. Auch das christliche Leben ist keine Rechnung, sondern eine Kunst, ein Risiko, ein Abenteuer. So möge im Blick zurück auch die Frage Platz finden, wie unser Leben morgen zu gestalten sei. Und dieses Morgen soll, so die Ankündigungen aus dem „Silicon Valley“ uns endlich von Alter und Tod befreien. Google arbeitet daran. Daher umso nachdrücklicher die Zwischenfrage: Was wäre es wert, dass es in der Zeit immer dauere? Und: Ist es eine Verheißung, wenn wir mit jenen noch an diesem Ort leben müssten, die vor mehr als 800 Jahren das Leben hier begannen?

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800 Jahre! Ist es nicht erstaunlich, dass es uns noch gibt? Dieses Fest wird von Dankbarkeit getragen und möchte die Zuversicht auf die Zukunft fördern - gerade in einer Zeit, die alles andere als rosarot ist. Unsere Vorfahren wussten noch, dass die Zuversicht ein Kind des Gottvertrauens ist. Nie wäre sie so notwendig wie heute. Dabei möchte ich auf eine wichtige Lektion der Geschichte hinweisen. Söll war immer Provinz, immer im Abseits. Es lag im Zwischenland, nie im Zentrum der Interessen und damit der Begierden und Kriege. Provinz ist nicht immer schlecht. Die Lage etwas abseits von den Hauptrouten, die Nord und Süd, Ost und West verbinden, war und ist ein Glück. Gerade heute gilt: abseits von der Autobahn gibt´s gute Luft.10 1217 wird Söll zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Doch dann muss es hier schon früher Leben gegeben haben. Das Leben ist immer reichhaltiger und vielfältiger als alle amtlichen Feststellungen in Urkunden; zumal es damals um Besitz und Dokumentation geht. Zur gleichen Zeit entsteht das Land Tirol aus Teilen der Bistümer und damit auch auf Kosten der Bistümer Trient und Brixen. Schon wird eine Grundkonstante dieser langen Zeit sichtbar: das Ringen von geistlicher und weltlicher Macht, das Zueinander von Kirche und Staat und damit die Perspektiven unseres Lebens zwischen weltlich-zeitlichem Wohlergehen und Überleben und der Hoffnung, dass unser Leben nicht im Sumpf des Vergessens verschwinden möge. Damals wurde der Tiroler Landesfürst Meinrad noch exkommuniziert, mit dem Kirchenbann belegt. Das bedeutete, dass er nicht nur von allen Sakramenten suspendiert worden ist, sondern auch, dass niemand ihm mehr gehorsam sein musste. Heute muss niemand mehr auf den Bischof hören. Die Vorschreibungen des Finanzamtes aber zu ignorieren, kann teuer werden. So ändern sich die Zeiten! In diesem Jahrhundert wird Rudolf von Habsburg (1218-1291) erster deutscher König (1273) aus dem Geschlecht der Habsburger. Der Kaisertitel und die Möglichkeit, seine Nachfolge zu klären, blieben ihm jedoch versagt. Ein politischer Rahmen, der auch nach dem Untergang dieses Reiches (1806) das Schicksal dieser Länder bis 1918 prägte. In diesem Jahrhundert beginnt sich auch jener schwere Schatten des Antisemitismus in der Form der Ritualmordlegende übers Land zu legen, den erst Bischof Reinhold Stecher in unserer Lebenszeit mutig beendet hat.11

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Im nächsten Jahrhundert beginnt die „österreichische Geschichte Tirols“, in deren Bann auch Salzburg stand. Eine außerordentliche Frau, Margareta Maultasch vermacht Tirol 1363 an Habsburg und 1364 wird die Liaison geschlossen. Wie schwer es dann Frauen im öffentlichen Leben hatten, bis vor kurzem und bis heute, mag man daran erkennen, dass dieser Frau Diffamierungen bis ins Aussehen hinein folgten. Immer wieder müssen wir unsere Geschichte gegen die Überlieferung und ihre Verzerrungen reinigen. Glauben wir deshalb nicht alles, was heute in der Zeitung steht oder von irgendjemandem in irgendwelchen glanzvollen Internetauftritten uns aufgebunden wird. Haben wir den Mut, uns unseres eigenen Verstandes und unserer eigenen Erfahrung zu bedienen, die wir mit anderen teilen und auch von ihnen prüfen lassen. Nie war das klärende und prüfende Gespräch in der Begegnung von Menschen so notwendig wie heute. In der christlichen Frömmigkeit lassen sich nun Wallfahrten verstärkt nachweisen - wie die bis heute lebendige nach St. Georgenberg im Stallental. Die Menschen wollten Wunder selber sehen und angreifen: so manchem erschien Jesus auf der geweihten Hostie und nicht nur einmal wird das Heilige Blut, das Jesus am Kreuz vergossen haben soll, in Gefäßen in dieser Kreuzfahrerzeit aus dem Heiligen Land mit nach Tirol gebracht. Wir müssen solche Erzählungen nicht wortwörtlich nehmen. Wir müssen unsere Vorfahren auch nicht verachten. Für sie war Jesus der Heiland; und welcher Fan wollte nicht irgendeine konkrete Erinnerung an ihn besitzen? Heute verkaufen wir Kleider und Briefe von Stars. In diesem Jahrhundert verdüstert sich Europa aber in einer doppelten Weise. Große Pestepidemien, die mehr als die Hälfte der Menschen töteten, wüteten in Europa und prägten sowohl ein pessimistisches Gottesbild als auch eine hohe Widerstandskraft. In der Kunst können wir noch heute sehen, woher die Menschen ihre Widerstandskraft erhielten: Sie wussten sich unter dem Schutzmantel Mariens geborgen. Der zweite Schatten, mit den Kreuzzügen angesprochen, ist jenes Feindbild „Islam“, das sich verfestigte und heute eine erschreckende Renaissance gewinnt. Nichts stabilisiert eine Gesellschaft nachhaltiger als gemeinsame Feindbilder; ob sie zutreffen oder nicht.

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Das 15. Jahrhundert endet mit dem Beginn der Globalisierung, der Entdeckung Amerikas (1492), die im Zusammenhang der großen Entdeckungsreisen der Spanier, Portugiesen und dann bald auch der Engländer beginnt. Als Handelsmacht wird sich dann noch Holland hinzugesellen. Mit den Entdeckungen ist aber auch der europäische Kolonialismus verbunden, der, nur als Beispiel, die Silberminen von Tirol immer unwichtiger werden lässt: Gold aus allen Ländern, mit viel Blut gestohlen und erschlichen, fließt nach Europa. Schon zuvor, 1450, erfindet Gutenberg den Buchdruck mit beweglichen Lettern und leitet eine Medienrevolution ein, die erst in unseren Tagen durch die digitale Revolution noch einmal neu gewendet worden ist. Vom Buch zum Bild! Mit dem Konzil von Konstanz (1414-1418) hatte der römisch-deutsche König Sigismund zwar die verheerende Kirchenverwirrung mit drei Päpsten beendet. Doch mit der Zurückweisung der Bedeutung des Konzils und der Stärkung des Papsttums durch den in Konstanz gewählten Martin V. (1368-1431), der bei persönlich bescheidenem Lebensstil seine Familie, die Colonna, auf alle wichtigen Posten brachte, ist das nächste Verhängnis schon programmiert: die westliche Kirchenspaltung, die bis heute mit den Namen Martin Luther (1483-1546), Huldrych Zwingli (1484-1531) und Johannes Calvin (1509-1564) verbunden ist. Doch zwei Persönlichkeiten in diesem Jahrhundert sollten wir in Tirol nicht vergessen. Ein weltgeschichtliches Genie, Nikolaus von Kues (1401-1464), war Bischof von Brixen.12 Gut: die Auseinandersetzung mit dem Landesfürsten, der nun nicht mehr einfacher Lehensträger des Bischofs sein wollte, sondern sich als eigenständiger Landesherr etablierte (gegen alles Recht!), verlor er. Auch hat er, wohl auch wegen seiner Ungeduld und der Resistenz der Priester und Nonnen, keinen großen Erfolg in seinen Reformbemühen. Bekannt ist sein Streit mit der Äbtissin von Sonnenburg im Pustertal, Verena von Stuben. Doch sollten wir nicht vergessen, dass er mit seiner Schrift „De pace fidei“ („Über den Frieden des Glaubens“) im Herbst nach der Eroberung Konstantinopels (1453) bis heute als Wegbereiter von Toleranz und einem Zusammenleben auf der Basis der Vernunft wirkt. Aus dem Mund des Erzengels vernehmen wir in diesem Buch zum ersten Mal ohne Einschränkung die Botschaft Gottes, dass er Krieg in seinem Namen verachte. Vielmehr sollten wir die verschiedenen Religionen als Ausdruck der einen Urbeziehung aller Menschen zum einen Gott ansehen. Wie wir mit dieser Pluralität umgehen: darin läge unser wahres Zeugnis von Gott.

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Am Ende des Jahrhunderts, auch das sollte nie vergessen werden, wehrte sich Bischof Georg Golser (1464-1488)13 gegen einen Wahnsinn, der Europa belastete und Kirche und christlichen Glauben bis heute beschädigt: der Autor des berüchtigten Hexenhammers wollte in Innsbruck Hexenprozesse durchführen. Doch der Bischof (und seine Rechtskundigen) stoppten den Wahnsinn dieses „Verrückten“; - dieses Wort ist aus dem Mund des Bischofs selbst überliefert. Gestoppt werden konnte aber die nun grassierende geistige Wahnsinnsepidemie nicht mehr. Auch die Reformation und die weltlichen Juristen werden davon ergriffen, ja verschärfen durch ihre Logik die Verblendung. Und trotz aller kircheninternen Kritik wird erst die rationale Aufklärung des 18. Jahrhunderts diesem Wahnsinn ein Ende bereiten. Nie sollten wir aufhören, ganz aufmerksam auf die Kritik der anderen hören, auch der schärfsten Kritiker. Und niemals mehr sollten wir Menschen opfern. Gewiss! Das tun wir ja nicht! Aber unsere Forschung hat aufgewiesen, dass diese Hexenprozesse immer mit üblicher Nachrede, Stigmatisierung von anderen, vor allem von Frauen begonnen hatte. Wehren wir den Anfängen! Das ist aber nur möglich, wenn Verschiedenheit und Vielfalt als Wert erfahren werden kann. Niemand soll unter uns zum Sündenbock gemacht werden!

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Mit dem 16. Jahrhundert beginnt unumkehrbar die Gestaltung unserer modernen Welt. Es mag ein Zufall sein. Aber genau 300 Jahren nach der Gründung Sölls kam es zu jenem Ereignis, das wie kaum ein anderes die Welt bis heute verändert hat: Der Protest des Augustinermönchs Martin Luther zu Wittenberg, datiert mit 31.10.1517? Zugegeben: Wittenberg war Provinz im Horizont der globalen Entdeckungen, doch die Hammerschläge, mit denen er seine Thesen gegen den Ablass an die Türe der Schlosskirche geschlagen haben soll, hallten durch die ganze Welt; ihr Echo gestaltet bis heute die geistige Atmosphäre der Menschheit, zumal Huldrych Zwingli und Johannes Calvin in den Wirbel einstimmten. Luthers Oberer in Erfurt, Johann von Staupitz (1465-1524), der nicht nur als Beichtvater den jungen Luther begleitete, wird 1522 Abt von St. Peter in Salzburg werden; und blieb katholisch aus freien Stücken - das Land Tirol aber nur wegen des großen Drucks des Landesfürsten, denn sehr bald gewann die evangelische Predigt in Hall, Schwaz und Kufstein großen Zuspruch.

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Mit der Reformation sind auch soziale Auseinandersetzungen, ja Revolutionen verbunden. Die Bauernkriege verdeutlichten das unerträgliche Maß der sozialen Ungerechtigkeit. In Tirol schrieb Michael Gaismaier (1490-1532)14 als Bauernführer die erste Verfassung. Zur gleichen Zeit breiteten sich die Wiedertäufer mit einem radikalen Evangelium der Gewaltlosigkeit und Freiheit aus. Weil sie den Eid, die Basis der gesellschaftlichen, religiösen und ökonomischen Verbindungen, ablehnten, wird der Tiroler Wiedertäufer Jakob Hutterer (1500-1532) in Innsbruck verbrannt. Die Pilgerschaft seiner Gruppe endete schließlich in den Vereinigten Staaten von Amerika. Und von hieraus wird zwei Jahrhunderte später eine andere Revolution die Welt bis heute erschüttern: Die demokratische Revolution auf der Basis der Menschenrechte, der Anerkennung der eigenständigen Suche nach Glück und einer umfassenden Religionsfreiheit in der sich bildenden amerikanischen Verfassung, bildet bis heute auch die Rahmenbedingung für Glauben in den westlich orientierten Staaten.

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Kontinentaleuropa ging einen etwas anderen Weg. Mit dem Augsburger Bekenntnis (1530), das der Freund und Mitarbeiter Luthers Philipp Melanchthon (1497-1560) schrieb, wird die Programmatik eines eigenständigen Kirchenprofils sichtbar. Nach langem hin und her bildete der Augsburger Reichstag mit seinem „Reichsabschluss“ eine Zäsur, die Kaiser Karl V. nicht mehr mittragen konnte. Er musste ja bald nach seinem Sieg im Schmalkaldischen Krieg in Tirol vor seinen Verfolgern Zuflucht suchen. 1555 trat er zurück, 1556 teilte er sein Reich in Spanien mit Übersee auf, die Liaison mit Spanien war zu Ende. Jetzt gehörte Söll nicht mehr zu jenem Reich, in dem die Sonne nicht unterging. Im Augsburger Reichsabschluss (1555), später Augsburger Religionsfrieden genannt, wurden die konfessionellen Streitereien territorial entzerrt (‚cuius regio – eius religio‘ - wem die Region gehört, bestimmt die Religion). So sollte zwischen den streitenden Religionsparteien wenigstens die christliche Friedenspflicht, wie die kaiserlichen Reichstage es seit 1530 forderten, nicht verloren gehen. Auf der Basis dieser Rechtsentscheidung wurden die Territorien konfessionalisiert: Es bildete sich das „Heilige Land Tirol“, das Erzbistum Salzburg gewann an Schwung. Europa löste die Problematik unversöhnlicher Pluralität durch territoriale Entzerrung. Wenn man schon nicht miteinander leben konnte und wollte, dann soll man wenigstens friedlich schiedlich nebeneinander her leben.15

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Zu verschiedenen Zeiten wurden auf der Grundlage von 1555 Protestanten des Landes verwiesen. Doch im Geheimen konnte sich ein „Kryptoprotestantismus“ ausbilden. Noch 1831 mussten auf kaiserliche Anordnung hin gegen das Gesetz mehr als 400 Inklinanten das Zillertal verlasen. Allein in den Habsburger Vorlanden bildeten sich gemischtkonfessionelle Gebiete; v.a. in den freien kleinen Reichstädten wie Ravensburg und Biberach. Erst die Ökumenische Bewegung des 20. Jahrhunderts wird der erste ernsthafte Versuch darstellen diese Spaltung zu überwunden. Für immer aber ist ein prinzipieller Pluralismus in Deutschland gegeben. Bedenken wir, dass erst der säkulare Staat diese Möglichkeit eröffnete.

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Für die zweite, bis heute nicht umkehrbare Entwicklung, steht symbolisch Nikolaus Kopernikus, der das Weltbild revolutionierte: Nicht mehr die Erde, sondern die Sonne stehe im Mittelpunkt unseres Planetensystems. Mit diesem Theorieentwurf wird eine Bewegung als Ursprung ausgemacht, deren Konsequenz wir in Wohl und Wehe bist heute erleben. Die wissenschaftlich-technische Erkundung und Transformation aller Lebensbereiche, die auch vor unseren eigenen biologischen und psychologischen „Natur“ nicht Halt macht, prägt die Bedingungen unseres Lebens durch und durch. Die nächsten Jahrhunderte formen und gestalten diese Anfang in tief ambivalenten Entwicklungen.

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Von 1618-1648 tobte der „Dreißigjährige Krieg“, der ganz Mitteleuropa verwüstete. Und doch konnte der Fürsterzbischof Paris von Lodron (1586/1619-1653) sein Land davor verschonen und sogar 1622 die Universität Salzburg errichten und den neuen Dom (1614-28) erbauen. Innsbruck wiederum war die einzige Stadt nördlich der Alpen, die in dieser schrecklichen Zeit eine große Barockkirche errichtete; mit Hilfe der Salzburger Baumeister. Im Jahre 1632 wird Galileo Galilei verurteilt. In England entwickelte Isaac Newton (1643-1727) seine Mechanik, die im Gesetz der Schwerkraft die Planetenbahnen und der Fall des Apfels vom Baum unter das nämliche Gesetz stellte; und so berechenbar werden ließ. Ab 1675 gab es wieder Hexenverfolgungen im Erzbistum Salzburg. Und auch weiterhin wird Salzburg eine nachhinkende Kraft bleiben. Von den Vertreibungen wurde schon erzählt.

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Doch in diesem Jahrhundert wird zum ersten Mal in der westlichen Geschichte in den USA (1640) das Experiment einer Anerkennung der allgemeinen Religionsfreiheit gewagt; in Maryland auch von einem katholischen Fürsten. In Europa konnte man sich im sogenannten „Westfälischen Frieden“ (1648) darauf einigen, dass Religion „Privatsache“ sei. Das bedeutet: Die Fürsten sollten sich mit konformen Verhalten begnügen, den Menschen aber nicht nach spionieren und ihnen die Freiheit der Religionsausübung im eigenen Haus („privat“) einräumen; denn Religion sei eine Sache des Herzens, d.h. des Gewissens.16

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Unter dieser Rücksicht werden die zwei entscheidenden Revolutionen des 18. Jahrhunderts einen unterschiedlichen Weg weisen. Die Unabhängigkeitserklärung der USA von 1776 wird aus stark religiösen und indifferenten Motiven die Trennung von Kirche und Staat als Möglichkeit entwickeln, den verschiedenen Glaubensrichtungen öffentliche und private Räume zu eröffnen, die dann auf ihre Weise Gesellschaft und Staat prägen werden, wie auf dem Dollarschein klar zu sehen ist. Die Französische Revolution (ab 1789), die in der Menschenrechtserklärung noch stark vom niederen Klerus geprägt ist, wird bald die staatliche Hoheit über alle gesellschaftlichen Gruppen beanspruchen und zunächst in den Terror zu pervertieren. Dann aber wird die Militärdiktatur Napoleon jene Ambivalenz zwischen Menschen- und Bürgerrechten und Totalitarismus einleiten, die Europa bis heute nicht zur Ruhe kommen lässt.

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Die geistige Ambivalenz des Jahrhunderts kann mit zwei Erinnerungsmomenten verdeutlicht werden. 1780 veröffentlicht der in Königsberg (Preußen) lehrende Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) seine „Kritik der reinen Vernunft“ und löste ein Erdbeben im Denken der Menschheit aus, das über den sogenannten Deutschen Idealismus (Fichte, Schelling, Hegel) auf die Religionskritiker Feuerbach und Marx wirkte. Er fragte nicht zuerst nach den Gegenständen unserer Erkenntnis, sondern nach unserer Erkenntnisweise aller möglichen Gegenstände. Eine Wende zum Subjekt, die scheinbar alle Erkenntnisse als Perspektiven des Menschen erscheinen lässt. Wenn wir heute oft unser geistiges Milieu als „Postmoderne“ beschreiben, stehen wir immer noch im Bann dieser Neuausrichtung: Der Mensch steht im Mittelpunkt aller geistigen Orientierung. Gott wird bei Kant daher zu einer Idee der menschlichen Vernunft und zu einem Postulat unserer sittlichen Praktik. Ist Gott, wie Feuerbach sagen wird, also eine Projektion des Menschen, mit der er nach Marx die Misere des Daseins zu bewältigen sucht? Oder sind wir selbst nichts anderes als Gedanken Gottes in seiner universalgeschichtlichen Selbstverwirklichung, wie Hegel meinte? Zunächst hatten auch katholische Philosophen und Theologen in dieser Debatte ihre Beiträge leisten können, kritisch, aber konstruktiv. Doch nach 1832 antwortet die katholische Kirche auf diese Herausforderungen vor allem mit Verurteilungen: der „Antimodernismus“ wurde zum Programm und zur Identitätsbestimmung. Erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) änderte sich die Grundhaltung. Und manche Unruhe in unserer Kirche heute haben mit dieser grundlegenden Änderung zu tun.

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Doch Tirol hatte andere Sorgen. Napoleon sicherte die Revolution, indem er sie abschaffte. Seine Militärdiktatur expandierte nach ganz Europa und fegte die alte Ordnung hinweg. 1796 drangen die ersten Soldaten der „Großen Armee“ von Oberitalien nach Tirol vor. Was tun? Die nüchterne militärische Bestandsaufnahme diagnostizierte eine hoffnungslose Situation. Was sollten die Landstände auf ihrer Versammlung im Mai 1796 nun tun.17 Sie griffen eine Entwicklung auf, die schon 10 Jahre zuvor einsetzte. Neben schwachen Versuchen, die Verteidigungskräfte mit Sachmitteln zu stärken, setzten sie auf innere Motivation: im Herz-Jesu-Gelöbnis der Tiroler Landstände wird das Land der höheren Macht anvertraut.18 Was heute von nicht wenigen wie eine Flucht in religiöse Projektionen angesehen wird, ist eine höchst moderne Funktionalisierung religiöser Symbole für politische Angelegenheiten. Die Predigten dieser Zeit zeigen eine „Tiroler Befreiungstheologie“ gegen die Moderne mit modernen Mitteln. Wer in der Bewaffnung schwach ist, muss durch höhere Motivation und entsprechender Taktik punkten. Die Tiroler Freiheitskämpfe sind ein frühes Beispiel für den modernen Guerillakrieg, der immer durch höhere Einsatzbereitschaft, die Einheit mit der Bevölkerung und genauere Ortskenntnis gewonnen wird. Schon zuvor betonten die Bischöfe des Landes gegen die Säkularisation von Klöstern durch Kaiser Joseph II. die unverzichtbare Bedeutung der Kirche für die Erziehung treuer und hingabevoller Untertanen. Diese Begründung wird im Einklang mit der Schulordnung von Maria Theresia, in der die Pfarrer zu Schulinspektoren wurden, den Eindruck von Katholischem Glauben und unser Kirchenempfinden bis heute prägen: Kirche als Erziehungs- und disziplinierende Moralanstalt. Wer sich emanzipieren will, muss austreten. Eine Stimmung die heute vor allem den Religionsunterricht trifft, auch wenn dieser zuerst Dienst an der weltanschaulichen Kompetenz der Schülerin ist.

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Das 19. Jahrhundert beginnt mit einem doppelten Paukenschlag und zeigt in einem Ereignis die prekäre Lage einer Kirche in staatlicher Abhängigkeit, die die Zeichen der Zeit nicht zu lesen versteht. 1805 wird eine tausendjährige Ordnungsstruktur, „Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ aufgelöst. Kaiser Franz II. (1768-1835) tritt ab (1806) - und war schon zwei Jahre zuvor als Kaiser Franz I. erster Kaiser von Österreich/Habsburg. Während in Deutschland durch den sogenannten „Reichsdeputationshauptschluss“ (1803) die politische Struktur der Kirche in kürzester Zeit aufgelöst worden war, und es danach z.B. in Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts keine Klöster mehr gibt, blieb die Österreichische Kirche vor einem solchen Kahlschlag verschont. Doch die pragmatische Kirchenreform von Joseph II. ist bis heute nicht nur für unsere Pfarrstruktur, sondern für unser Kirchenempfinden von nicht zu überschätzender Bedeutung. Seine Toleranzgesetzgebung, ein erster Schritt in die Moderne, wurde aber im Land Tirol mehr hin- als angenommen.

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Aber zunächst zur politischen Dramatik. 1805 verschwindet „Tirol“ von der politischen Landschaft; das Land heißt jetzt: „Südbayern“.19 Da sich nicht nur die ökonomischen Versprechen nicht erfüllten, sondern auch die neuen Besatzer das Land ausplündern20, erhebt sich nach der Kriegserklärung des Kaisers 1809 im Frühjahr auch das Land Tirol. Am 12. April 1809 kam es zur ersten von vier Berg-Isel-Schlachten. Martin Teimer führte die Truppen. Mythologisch überhöht ist bis heute durch das Rundgemälde die Schlacht vom 13. August, Die letzte am 1. November besiegelte das Los der Landesverteidiger. Napoleon hat am Tag des Friedensschlusses von Schönbrunn (30. Oktober) die Niederwerfung Tirols ausdrücklich angeordnet; und später die Hinrichtung von Andreas Hofer. Er duldete keinen Aufstand gegen den Kaiser; vor allem nicht von solchen hergelaufenen „katholischen Jakobinern“. Bis heute werden die Erinnerungen gepflegt und kontrovers diskutiert. Sie bestimmen aber die politische Liturgie des Landes. Vor allem die Hinrichtung von Andreas Hofers (1767-1810) am 20.2. wird zum prägenden Mythos, der bis heute Landesidentität zu stiften vermag; gerade auch in der kritischen Absetzung vom „Hofer-Theater“21.

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Doch ein Ereignis zeigt die innere Reformverweigerung gegenüber der Dynamik der Moderne in besonderer Weise. Während die bürgerlichen Schichten immer stärker vom „Code civil“ geprägt werden, den Napoleon ab 1804 entwickelt und in den eroberten Ländern einführt und der ihnen mehr Freiheiten und in der bürgerlichen Scheidung auch Emanzipation von den Kirchen ermöglicht, hält die katholische Kirche aufs Ganze gesehen bis zum Ende des Ersten Weltkrieges an den überkommenen Vorstellungen fest. Die ersten protestantischen Kirchen in Meran und Innsbruck werden von den Bischöfen als Zeichen des Glaubensabfalls und apokalyptischer Vorzeichen gedeutet. Doch ein Ereignis gilt bis heute als Menetekel der Vorzeit vor allem der Katholischen Kirche: die Vertreibung der Zillertaler Inklinanten von 1837 durch den Erzbischof von Salzburg. Dass in diesem Jahrhundert auch jene geistigen Strömungen entstanden, die das 20. Jahrhundert prägten, sei nicht vergessen. Der Nationalismus ist ein Kind der Französischen Revolution. Karl Marx (1818-1883) setzt dem Frühkapitalismus sein Kommunistisches Manifest entgegen, und Charles Darwin (1809-1882) löst mit seiner Evolutionstheorie bis heute bei nicht wenigen Glaubenden Unbehagen aus.

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Vom 20. Jahrhundert muss ich Ihnen nichts erzählen; viele hier haben mehr erlebt als ich: die Weltkriege, an die Denkmäler erinnern, die Abdankung des Kaisers und die Demokratisierung mit Unterbrechung, die Totalitarismen, bei uns der Nationalsozialismus, der zunächst euphorisch begrüßte Fortschritt, den wir immer mehr in seiner Ambivalenz erleben. Eine Wissenschaft, die uns ungeheure Macht in die Hand gibt, aber in ihren Theoriebildungen Wirklichkeiten erschließen, die, wie in der Quantentheorie, alle unsere Alltagsvorstellungen außer Kraft setzen, die Entschlüsselung des Lebenscodes in der DNA, die Kartographie des Gehirns und die sich immer rascher entwickelnden Biotechnologien. Die Digitalisierungen unsere Alltagswelten und die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz, die uns, weil sie selber lernen, bald lehren und – so die Utopien – uns zu beherrschen beginnen. Wir könnten hier noch lange weitermachen; und würden immer nur stärker empfinden, wie sehr und wie schnell sich die Welt in unserer Lebensphase verändert hat. Schon wird von einer sich selbst entwickelnden neurobiologischen neuen Spezies gesprochen, einer Art Gott-Menschen, der den „Homo sapiens“ verdrängen wird.22 In den letzten 100 Jahren hat sich Söll mehr verändert als 700 Jahre zuvor; und ob es in 800 Jahren noch Menschen geben wird, lässt sich heute mit Sicherheit nicht behaupten.

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Und genau in diese Welt, in keine andere, ist die Pfarre von Söll als Hüterin des Evangeliums gestellt. Wird sie eine Zukunft haben? Ich weiß nicht, welche Zukunft der christliche Glaube in diesem Land haben wird. Ich weiß nur, dass er nur dann eine Zukunft haben wird, wenn wir mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil bewusst oder unbewusst die Aufgabe annehmen, die Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums zu deuten und aus eigener Verantwortung und Überzeugung frei und fröhlich in die Nachfolge Christi eintreten.

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3. Das neue Pfingsten der Kirche: Das Zweite Vatikanische Konzil

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Das Zweite Vatikanisches Konzil, das von 1962 bis 1965 in vier Tagungsblöcken jeweils im Herbst in Rom tagte, hat sich nicht nur der eigenen Vergangenheit gestellt, sondern auch Wege in die Zukunft eröffnet. Weil ich überzeugt davon bin, dass dieses Konzil ein Geschenk des Heiligen Geistes ist, tun auch wir in Tirol gut daran, seine Orientierungen und Grundlagen immer wieder neu einzuholen. Ich möchte seine Orientierungen in zwei Schritten vorstellen. Im ersten Schritt wird daran zu erinnern sein, was nach diesem Konzil zu Ende gegangen ist. Das dürfen wir ruhig auch bedauern, aber wieder beleben werden wir es nicht können. Lassen wir es Geschichte werden. Uns erwartet die Zukunft! Auf der anderen Seite hat unsere Kirche klare Entscheidungen getroffen, die sie deshalb nicht mehr zurücknehmen wird, weil sie das darin liegende Versprechen mit dem Evangelium und ihrer eigenen Identität verbindet. Immer aber gilt die alte immer gültige Wahrheit: Das Gestern kann niemand zurückholen.

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Im Bekenntnis zur Freiheit des Glaubens, die schon immer die theoretische Überzeugung der Kirche war, aber nicht in der Praxis von Politik und Gesellschaft umgesetzt worden ist, zieht die Kirche nun die Konsequenz, im Bekenntnis zur Religionsfreiheit ohne Einschränkung die Freiheit der Menschen anzuerkennen; und zwar nicht nur passiv und daher widerwillig, sondern konstruktiv und engagiert, weil diese Religionsfreiheit in der Würde des Menschen begründet ist und dem Evangelium entspricht. Was zunächst im Toleranzpatent widerwillig zumeist hingenommen worden ist, wird jetzt nicht nur angenommen, sondern aktiv in die eigene Sendung und Aufgabe integriert.23 Zu Ende geht damit „Konstantinische Epoche der Christenheit“, d.h. jene Epoche, in der die Kirche eine mehr oder weniger enge Kooperation mit der weltlichen Herrschaft eingegangen ist. Auch wenn wir bis heute im langen Schatten Habsburgs leben, ist dieser Schritt unwiderruflich. Damit ist der Glaube kein Karrieremittel mehr, aber er kann auch nicht mehr als Disziplinierungs- und Machtmittel missbraucht werden. Ist das nicht ein Gewinn an möglicher Glaubwürdigkeit und Freiheit? Wir werden wahrscheinlich noch eine Generation mit den Folgen der Herrschaftskirche leben, der Austritt aus dem Religionsunterricht ist nur ein Indiz dafür, doch ist mir um die Zukunft des christlichen Glaubens deshalb nicht bange, weil dieses Phänomen ein typisch europäisches ist. Zwei Konsequenzen aber seien ausdrücklich angesprochen.

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Wenn der Glauben nicht mehr Gehorsam gegenüber der Obrigkeit ist, und sich in der Religions- und Gewissensfreiheit ausdrückt, dann kann der Gehorsam auch nicht einfach mehr als kirchlich-militärischer Gehorsam gegenüber Pfarrer und Bischof verstanden werden. Das Amt in der Kirche wird, wie es im Konzil durchgehend heißt, Dienst sein, reiner Dienst am Leben und Glauben der Menschen. Wenn christlicher Glaube in der Religions- und Gewissensfreiheit wurzelt, dann ist eine unausweichliche Konsequenz die Pluralität der Überzeugungen, sowohl innerhalb der Kirche als auch in der Gesellschaft. Die katholische Kirche in diesem Land wird von ihrer Monopolstellung befreit. Damit aber muss sie missionarischer werden, einladender, aufmerksamer für die Entwicklungen der Menschen in ihrem Lebensraum, gastfreundschaftlicher und offener. Der Gehorsam wird sich daher wandeln in ein freies „Fühlen mit der Kirche und den Nöten der Gesellschaft“. Dass eine solche tiefgreifende Neubestimmung von Glaube und kirchlichem Handeln Veränderungen und damit auch Störungen mit sich bringt, ist selbstverständlich. Das Konzil aber hat dieses Neuwerden auf ein neues Fundament gestellt: die Gnade und Liebe Gottes zu allen Menschen.

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4. Gott will das Heil aller Menschen: Eine kurzgefasste Theologie des Konzils

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Das Zweite Vatikanische Konzil ist nicht nur in seinen Aussagen von großer Bedeutung für die Zukunft, sondern auch in seiner geschichtlichen Gestalt, d.h. in seiner Weise, wie es gearbeitet, Konflikte gelöst und die verschiedensten Fragen aufgegriffen - und sich ihnen vor allem nicht entzogen hat.

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Dieses Konzil ist aber nicht die erste solcher Versammlungen. Konzilien sind grundsätzlich die bedeutendsten Entscheidungsinstanzen der Kirche. Sie sind seit dem Altertum Versammlungen von Bischöfen und anderen hohen Entscheidungsträgern der Kirche, die an einem Ort mit und unter dem Papst bzw. früher dem Kaiser sich versammeln und beraten, um im Blick auf Glauben, Einheit und Disziplin der Kirche verbindliche Beschlüsse für die Gesamtkirche zu treffen.24 Die katholische Kirche zählt 21 Konzilien. Sieben der acht Konzilien in der Zeit der Alten Kirche gehören zum gemeinsamen Fundament der Christenheit. Damals war kein Papst anwesend, nur dessen Vertreter. Die Kaiser, ja auch eine Kaiserin, hatten sie einberufen und per Gesetz verbindlich gesetzt. Kein Kaiser sorgt heute noch für die Kirche. Gott sei Dank! Das Zweite Vatikanische Konzil war das erste Konzil ohne Kaiser. Es ist, wie man sagt, das erste Konzil nach der konstantinischen Epoche.25 Erst hier hat sich erfüllt, was die Österreichischen Katholiken im Mariazeller Mainfest 1952 in den Slogan fassten: „Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft“.

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4.1 Geschichte und Intention des Zweiten Vatikanischen Konzils

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Zwei Päpste ermöglichten das Konzil. Johannes XXIII (1881-1963) berief es ein. Paul VI. (1897-1978) vollendete es. 16 Texte wurden verabschiedet (4 Konstitutionen – 9 Dekrete – 3 Erklärungen). 67 vorbereitende Schemata wurden geprüft, verworfen oder umgearbeitet. 178 Generalkongregationen, Vollversammlungen in St. Peter, fanden statt mit zahllosen Debattenbeiträgen und Abstimmungen. Mehr als 3000 Konzilsväter waren stimmberechtigt, stets über 2000 anwesend. Sie wurden von mehr als 600 Periti (Konzilstheologen) und noch mehr BeraterInnen und BeobachterInnen unterstützt. Journalisten und Interessierte begleiteten es überall auf der Welt. Das Konzil war ein Weltereignis.26

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Dieses Konzil verdankt sich der Eingebung von Johannes XXIII. Er spürte, bei aller oberflächlichen Ruhe, dass die Kirche für die kommenden Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft kaum vorbereitet war. Die katholische Kirche war viel zu stark nach rückwärts gerichtet und in bloßer Abwehr zur Gegenwart verschanzt. So aber wäre sie unfähig, das Evangelium einer Menschheit zu verkünden, die sich in einem radikalen und tiefgreifenden Prozess und Wandel befindet. In diesem Wandel aber sah dieser Papst eine Botschaft Gottes an seine Kirche. Deshalb sprach Papst Johannes von „aggiornamento“ und „pastoral“. Damit verweist er die Kirche auf die Gegenwart und Zukunft, sowie auf ihren Dienst an allen Menschen in einer Zeit, die von großen Hoffnungen und apokalyptischen Ängsten gezeichnet war. Ihm lag eine arme Kirche am Herz. Er begann den Dialog mit den anderen Getauften und mit dem Judentum. Paul VI. konzentrierte das Konzil auf eine doppelte Thematik: Sie müsse der Welt Rechenschaft über sich selbst geben und das im Blick auf Jesus Christus. Das wird nur möglich sein, wenn die Kirche das Wagnis einer umfassenden Liebe eingeht. Beide Päpste wollten ein Konzil der Bischöfe, die sich ihrer unersetzbaren Verantwortung für das Evangelium und die ganze Kirche bewusst werden; und er wollte ein Konzil, durch das sich alle Getauften Ihrer Würde und Verantwortung für das Evangelium bewusst werden. Alle sind Kirche! Das Konzil war deshalb nach Karl Rahner das erste Ereignis der werdenden Weltkirche. Es war aber auch das erste Konzil der Zeit nach Konstantin und damit stand es vor der Aufgabe, die Zeit nach der staatskirchlichen Epoche einzuleiten. Es war das erste Konzil, das sich in politischer und gesellschaftlicher Freiheit sich entwickeln konnte. Worauf aber wäre dann zu bauen?

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4.2 Das Glaubensherz des Zweiten Vatikanischen Konzils

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Das Konzil wird von einer atemberaubenden Entdeckung heimgesucht: Gott will das Heil aller Menschen. Deshalb führt seine Liebe einen Dialog des Heils mit jeder einzelnen Person. Gottes Offenbarung, seine liebende Selbstmitteilung, anerkennt die unbedingten Würde seines Geschöpfs und möchte daher einen Glauben von freien Mitliebenden anstoßen, die sich von dieser Liebe ganz ergreifen lassen und so zum Segen werden. „Katholizität“ bedarf daher keiner Entgegensetzung, keiner Identität durch Feindschaft oder Negation, weil „Gottes ursprüngliche Katholizität“ liebend alle Geschöpfe umfasst und trägt - selbst noch im Widerspruch zu ihm.27 Deshalb verzichtet die Kirche im Konzil auf alle Zwangsmittel und setzt auf den Dialog nach innen und außen, weil nur so die Liebe nicht verraten wird.

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Gott ruft alle Geschöpfe in sein Leben, in seine Gemeinschaft. Alle Menschen sind zum neuen Volk Gottes gerufen und Gott schenkt durch seinen Geist allen Menschen die Möglichkeit einer Beziehung zum Tod und der Auferstehung Christi (Gaudium et Spes 22). Die katholische Kirche, die mit allen Getauften verbunden ist, verbleibt dadurch die Kirche Jesu Christi, dass sie Elemente des Katholischen außerhalb ihrer selbst anerkannt und sich selbst immer im Blick auf den armen Christus erneuert und reformiert. Alle Katholikinnen tragen die Sendung der Kirche ganz mit. Katholizität nach innen bedeutet die gleiche Würde aller Getauften und die gleiche Berufung zum Dienst und zur Heiligkeit. Die hierarchische Ordnung dient dieser Berufung und Sendung aller. So wird die Kirche zum universalen Sakrament des Heils (Lumen gentium 48), d.h. sie ist Mittel und Werkzeug der innigsten Vereinigung mit Gott und der Menschen untereinander (LG 1). Weil alles Tun der Kirche seinen Höhepunkt und seine Wurzel in der Liturgie (Sacrosanctum concilium 10), insbesondere der Eucharistie (LG 26) hat, ist ihr letzter Maßstab die Liebe Christi.

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Der Dialog dient innerchristlich der künftigen Einheit der Kirche: Ökumene. Nach außen dient der Dialog mit den Religionen und mit allen Menschen guten Willens dem Frieden, der Gerechtigkeit, der Würde und der Freiheit aller Menschen.

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Ist dieses seltene Wagnis der Liebe schief gelaufen? Brauchen wir wieder unsere geliebten Feinde. Halten wir einen Gott aus, der am Heil aller arbeitet wie einer, der schwere Arbeit auf sich nimmt (Ignatius von Loyola)28? Katholizität bedeutet nicht: Nur ich, sondern: die anderen auch. Wir werden nie mehr glauben können - ohne die anderen. Die Diözese Innsbruck hat anlässlich Ihres Jubiläums ein Versprechen gegeben: „Aufbrechen“! Bischof Hermann hat dieses aufgenommen. Dieser Ruf darf das ganze Land Tirol ergreifen - auch den Salzburger Teil. Fangen wir an das Abenteuer wahrer Katholizität zu wagen. Wir werden dann alle jene Erfahrung machen, die Johannes Paul II. in die Worte gefasst hat: Das Konzil war ein Seminar des Heiligen Geistes. Und dieses Seminar zielte, wie könnte es auch anders sein, auf die Mitte des Evangeliums Jesu Christi: auf die Erfahrung der Gegenwart des Reiches Gottes. Und nach dem Versprechen Jesu, der bei uns sein wird bis zum Ende der Zeit (Mt 28,20), öffnet sich die Gegenwart Gottes, wenn wir es wagen, das eine und einzige Gebot Jesu zu leben: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten“ (Mt 22,37-40; auch: Mk 12,29-31). Dieses Liebesgebot impliziert nach der Bergpredigt auch die Liebe zum Feind (Mt 5,43-48).29 Der erste Petrusbrief hat durch das darin liegende Abenteuer, die Liebe zu leben, das Leben der Glaubenden in dieser Welt beschrieben. Das in Christus neu gewordene Leben erweist sich zuerst als Zeugnis des Lebens selbst, erst dann in Lehren und Riten.

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5. Glaube als Option

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Wenn der Glaube ein Kind der Freiheit ist und nur so Gnade im Pilgerstand zu sein vermag, dann ist es keine Selbstverständlichkeit und noch weniger eine natürliche Anlage, zu glauben. Ist aber der Glaube dann nicht doch heute bereits von der Wissenschaft und deren Weltauslegung überholt? Von dieser Überzeugung gingen die großen Ideologien des 20. Jahrhunderts aus - mit verheerenden Folgen, die bis heute nicht wirklich in unseren Breiten wahrgenommen werden. Nach diesem Desaster stellt sich auf andere Weise immer wieder die Frage, ob es überhaupt möglich sei, ein Christ und ein moderner Mensch zu sein. Die Antwort kann heute nur lauten: Ja, aber nur als Option.30 Und das aus für mich zwei entscheidenden Gründen.

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Zum einen ist es die bleibende Attraktivität des Evangeliums. Jesus, seine Gestalt, Botschaft und seine Weise diesen schrecklichen Tod am Kreuz anzunehmen, in dem er noch für seine Henker betet, berührt immer wieder Menschen aus allen Kulturen und Altersstufen. Solange das apostolische Zeugnis von Jesus Christus durch sich selbst anziehend bleibt, ist mir um den christlichen Glauben nicht bange. Weil das religiöse Verhältnis wesentlich auf zwei elementaren Einsichten beruht, ist es weder heute noch morgen auszumerzen. Auf der einen Seite beruht jede religiöse Weltanschauung auf der Offenheit des Menschen und seiner geistigen Dynamik, die stets über alle erschlossene und mögliche Wirklichkeit hinausschreitet und so auf eine mögliche Begegnung mit einer je größeren Wirklichkeit aus ist. Auf der anderen Seite werden die Menschen, solange sie die Erinnerung an die Opfer und Toten nicht wegnarkotisieren immer nach dem Schicksal und der Zukunft der Getöteten oder Verstorbenen Fragen. Der Mensch ist und bleibt ein Wesen der Erinnerung. Wenn der Glauben frei sein sollte, dann wird er immer als Anerkennung der Freiheit der Anderen eine Pluralität fördern und nur mit den anderen glauben; nie mehr gegen sie oder gar ohne sie. Auf der anderen Seite aber sollen die Christgläubigen Mut zur Differenz und zu prophetischem Widerspruch zeigen. Grundsätzlich kann ein Christ nie alles anerkennen und absegnen, was einfach so läuft. Wir sollen nicht einfach wie alle anderen sein - und nur von solchen grundlegenden Differenzen kann eine pluralistische Gesellschaft leben, wenn diese bleibenden Unterschiede im Liebesgebot auf eine von uns nicht machbare, aber uns eröffnete und geschenkte Tiefendimension hin erspürt und in wechselseitiger Anerkennung gelebt wird.

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6. Siehe, ich mache alles neu: Der Glaube der Zukunft

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 Ich bin kein Hellseher, habe keine prognostischen Fähigkeiten und kann daher nur in aller Kürze zusammenfassen, was mir an den verschiedenen Prognosen im Blick auf die Zukunft des Glaubens in unserem Land plausibel erscheint.

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6.1 Die Christgläubigen der Zukunft werden Minderheit sein - und sich gerade deshalb in guter Weise sich zu unterscheiden lernen

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Alles deutet darauf hin, dass sich unsere Gesellschaft weiterhin pluralisiert. Das bedeutet, dass eine einzelne Überzeugungsgemeinschaft nicht mehr eine ganze Gesellschaft prägen oder bestimmen wird. Deshalb werden die Christgläubigen eher weniger werden, auch wenn sich gerade in Tirol die christliche Kultur noch lange halten wird und daher manche Gottesdienste an bestimmten „Event-Tagen“ übervoll sein werden. Ich halte nichts davon, über die Menschen, die nur an Weihnachten kommen, zu klagen. Auch das ist eine Option. Ob wir Diaspora im strengen Sinne werden, ist offen. In einer solchen Situation werden wir aber mit einer ganz anderen, tieferen Herausforderung antworten müssen, die ich schon angedeutet habe. Ich bin der Meinung, dass unsere Gesellschaft noch lange nicht wirklich plural ist. Was wir heute als Pluralismus erleben, ist nur die Variation des im Prinzip gleichen. Nur wenn Gruppen, warum nicht auch die Christgläubigen, unterscheidbar leben, kann es eine offene und wirklich plurale Gesellschaft geben. Deshalb sind religiöse Symbole nicht aus der Öffentlichkeit zu verbannen, sondern in den öffentlich sichtbaren Symbolen soll und darf die Pluralität unserer Gesellschaft zum Ausdruck kommen. Wir werden bald gefragt werden, ob wir z.B. für Feiertage anderer Religionen bereit wären, einen eigenen Feiertag hinzugeben.

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6.2 Die Christgläubigen der Zukunft werden MystikerInnen sein, und gerade deshalb offen zu ihrem Bekenntnis stehen, das sie immer in die Diakonie ruft

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Der Glaube der Zukunft kann nicht mehr auf äußerer Autorität der Kirche oder der Gesellschaft beruhen, weil es diese so wie in der Vergangenheit einfach nicht mehr geben wird. Und das ist gut so! Wenn der Glaube frei ist, dann wird er durch die innere Erfahrung gebunden sein. Wenn die Glaubende der Zukunft MystikerInnen sein werden, wie es Karl Rahner (1904-1984) ausdrückte31, und dieser Glaube noch christlich sein sollte, dann werden sie Jesus Christus als Heiland und Seligmacher (IHS) in ihrem Leben erfahren und bewahren. Eine solche Mystik der Zukunft wird das Evangelium als eine Gabe erfahren, die unser Leben trägt, herausfordert und alle unsere Hoffnungen und Vorstellungen überbieten wird. Alle christliche Mystik, ja das Christentum von seinen Ursprüngen her, lebt von der Erfahrung, die uns in der Taufe zugesichert wird. Nicht mehr ich lebe für mich und allein, sondern Christus lebt in mir (Gal 2,20) - und so bin ich gerufen diese Liebe mit allen zu teilen. Diese Christusgegenwart wird mich dazu befähigen, seine Gegenwart nicht nur in und mit der Kirche, in der Liturgie und Diakonie, sondern auch an ungewohnten Orten zu entdecken. Der Heilige Ignatius von Loyola hat in seinem grandiosen Schlussgebet der Exerzitien, diese mystische Grundhaltung in eine Übung gefasst.32 Zunächst sollen wir uns stets daran erinnern, was Gott für uns getan hat, in der Geschichte und ganz persönlich in meinem Leben. Ich darf mich jeden Tag mit Dankbarkeit daran erinnern, was Gott für mich getan hat. Und dann soll ich auf dem ganzen Erdenrund erkunden, wie Gott selbst schwere Arbeit auf sich nimmt für mich. Dann aber beginne ich Gott in allen Dingen zu finden und werde von einer Gegenwart zur anderen so geführt, dass ich mein ganzes Leben als Leben in der Gegenwart Gottes zu gestalten beginne. Nicht als Stress unter ständiger Beobachtung, sondern als Freundschaft, die sich bis zur Frauenmystik des Mittelalters entwickeln kann. In dieser Tradition tauschen Bräutigam und Braut ihr Herz; und in solchem Herzenstausch wird unvergängliches Leben. So wird die Mystik der Zukunft in gleichem Maße personal und innerlich und sozial und diakonisch sein.

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6.3 Der künftige Christ erfährt sich als Mitliebender in und mit allen Geschöpfen, und wird deshalb nur mit, nie mehr ohne oder gar gegen die anderen glauben

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Weil der kommende Glaube in einer Weltgeschichte vollzogen wird, die sich immer stärker verflechten und miteinander verbunden sein wird, wird diese Glaube sowohl kirchlich als auch solidarisch mit allen Geschöpfen sein. Kirchlich wird er aber erst werden können, wenn alle Schatten Habsburgs vergangen sein werden und Kirche nicht mehr als Obrigkeit und Disziplinanstalt, sondern als Netzwerk befreiten Lebens erfahren wird. Wir trauern immer noch den alten Zeiten nach und tauchen unsere Entwicklung in den Pessimismus des Weniger und des Untergangs. Ich lade dazu ein, unsere Zeiten als Zeiten einer epochalen Wandlung zu verstehen. Denn Gott hält Gericht über seine Kirche. Er will, dass wir, seine Kirche, immer mehr und ausschließlich dem Evangelium des barmherzigen Vaters und Samariters zu entsprechen vermag. Papst Franziskus ist uns geschenkt und wir können eine erste Ahnung davon entwickeln, die Kirche als Ort unverdienter Barmherzigkeit zu erfahren; nicht als Ort moralischer Zensur und taxierender Prüfung.

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6.4 Die Christgläubigen der Zukunft werden Suchende sein, die aus der Freude leben, bereits gefunden worden zu sein

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Die Gläubigen der Zukunft werden nicht aus dem Bewusstsein des eigenen Habens und Wissens des Glaubens und der Gewissheit, sondern als Suchende durch die Zeiten pilgern. Auf diesem Weg aber werden sie erfahren, dass sie immer schon gefunden worden sind: „Wir suchen als bereits gefundene“.33 Und diese Gnadenerfahrung wird ihnen vermittelt in jeder Begegnung, insbesondere in der Feier der Liturgie und in der Einkehr der Heiligen Schrift. So ist und bleibt die kommende Kirche eine Lern- und Glaubensschule des Evangeliums, das immer neu und immer wieder überraschend sein wird. Denn Jesus Christus ist nicht nur der, der er war, sondern vor allem derjenige, der auf uns zukommt, und der heute neu entdeckt werden möchte. Die Kirche ist nur jung und lebt, wenn sie neue Erfahrungen zu machen bereit ist. Wenn sie lernt und von der Überzeugung lebt: Das Beste kommt noch!

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6.5 Die Christgläubigen der Zukunft werden „jüdischer“ werden, weil sie (nicht nur) aus dem bleibenden „Exodus – Aufbruch“ leben werden

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Wir stehen nach meiner Meinung nicht am Ende, sondern am Anfang einer neuen Epoche des Glaubens und der Kirche. Einer Kirche, die allmählich lernen wird, aus den Kindergärten der Obrigkeit zu entlaufen und daher auch beginnt, alle Menschen als verantwortlich und frei, als erwachsen zu schätzen. Sie wird weder obrigkeitlich noch dienstleitungsorientiert die Menschen besorgen und unterhalten, sondern beteiligen. Sie wird als „Pilgerin der Wahrheit und Pilgerin des Friedens“34 mit allen Menschen guten Willens unterwegs sein - und sich nie mehr gegen ihre eigene Wurzel den guten Ölbaum Israels stellen. Nein, vielmehr werden wir aus der Glaubenstradition drei maßgebliche Lernerfahrungen einholen: die Eigenverantwortlichkeit für das Evangelium im Kreise der Familie, die Freude an der Vielfalt der evangeliumsgemäßen Lebens- und Glaubensstile, auch wenn sie immer auch Last und Herausforderung bedeuten - und in allem die Erfahrung des „Exodus“, des Auszugs aus Gewohnheiten und Vorstellungen. Jüdischer aber werden wir auch werden, weil in der Erwählung Israels nicht Erwartungen, Ansprüche und Recht stehen, sondern Aufgaben und Pflichten stehen; also das konkrete Tun. Deshalb werden sie mit allen Menschen, vor allem mit allen Kindern Abrahams, Juden und Muslimen, das eine Wagnis der Liebe eingehen, das allein das Himmelreich öffnet: Gott und Deinen Nächsten wie Dich selbst!

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6.6 So wird die Kirche der Zukunft tun, was sie immer war und wozu sie immer berufen ist: schattenhaft aber getreu vom Evangelium Jesu Christi Zeugnis geben

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So wird unsere Kirche, aber auch die Pfarrgemeinde in Söll zu verwirklichen beginnen, was das Konzil über sie bekannt hat. Sie ist ein Zeichen unter den Völkern (Jes 11,10) und wird deshalb ein Segen sein für alle Völker (Gen 12,3), weil sie der innigsten Einigung mit Gott und der Einheit aller Menschen zu dienen wagt (LG 1). Eine solche Kirche weiß sehr wohl, dass sie nur schattenhaft aber getreu (LG 8) ihrem Auftrag zu entsprechen vermag, und dass alle ihre Einrichtungen und Sakramente zu dem Äon gehören, der vergeht (LG 48). Auf diesem Weg durch die Geschichte ist ihr als Zeichen der Hoffnung eine Person geschenkt: jene Frau, die über den Wolken geht und die alle Freuden und Schmerzen eines menschlichen Lebens durchlebt hat. Maria und Kirche werden sich wechselseitig spiegeln und ermutigen.

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Siehe ich mache alles neu. Mit diesem Satz endet die Bibel und eröffnet uns einen Blick in die bleibende Zukunft. Die Zukunft ist nie weit entfernt von uns, denn sie ist immer der einzige mögliche Raum unseres Lebens. Diese Zukunft aber, von der die Schrift spricht, ist Gott selbst. Auch diese ist nicht weit von unserem Herzen (Dtn 30.11-14; Jer 31,33). Sie will heute beginnen, will heute einbrechen. Dafür hat uns Jesus eine Orientierung dadurch gegeben, dass er Gesetz und Propheten in der Einheit von Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe zusammenfasst hat. Wenn wir diese Regel zuerst als Entdeckung des Reiches Gottes in einem Tun der Liebe auffassen, dann können wir erfahren, dass das Wort aus dem ersten Brief des Johannes auch heute erfahrbar ist: „Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“ (1 Joh 4,16). Dann geschieht Heil auch mitten unter uns; und wir benötigen keine Spektakel oder Sensationen. Mitten unter und in uns bricht dann das Reich Gottes an. In einer solchen Erfahrung überlassen wir uns ganz der Zukunft Gottes und vertrauen ihm das letzte Wort über uns selbst, unseren Ort, ja über die ganze Menschheitsgeschichte an. In dieser Liebe bin ich von jeglichem Narzissmus befreit, auch vom sublimsten; jenem frommen Narzissmus, der meint, Gottes Gericht schon hier und heute im Urteil über die so gottlose Zeit und den Unglauben der Gegenwart vorwegnehmen zu wollen. Überlassen wir das letzte Wort seiner Barmherzigkeit, wirklich und ohne Vorbehalt, dann kehrt Friede in unser Herz ein und in dieser Krippe wird das Wort Gottes mitten unter uns in unserem Leben immer neu geboren werden. Siehe ich mache alles neu! Und fang bei mir an!

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Anmerkungen

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    1 Heute wird viel über die „Gabe“ als Grundbedingung unseres Lebens nachgedacht; siehe z.B.: Wolf, Kurt, Philosophie der Gabe. Meditationen über die Liebe in der französischen Gegenwartsphilosophie, Stuttgart 2006. Der Ursprung dieser Sicht hat ein französischer Soziologe entwickelt, in dem er danach gefragt hat, was eine Gesellschaft wirklich verbindet: Marcel Mauss (1872-1950).

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     2 Die traditionelle Ausdrucksweise sagte: jede Eucharistie der pilgernden und kämpfenden Kirche hier in der Geschichte wird gefeiter mit der himmlischen, vollendeten Kirchen und der büßenden (im Reinigungsort).

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    3 Wir nennen in einer alten und uns kaum noch verständlichen Sprache diesen Prozess des Hingebens und Verzehrens die „Substanz“ des Brotes, sein „wofür“. Die hier dargestellt Interpretation des Wandlungsgeschehens in der Eucharistiefeier geht zurück auf: Spaemann, Robert, Substantiation. Zur Ontologie der eucharistischen Wandlung, in: Internationale katholische Zeitschrift Communio 43 (2014) 199–202.

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    4 In vielen Kirchen sind diese „Tugenden“ durch Personen symbolisiert, die ein bestimmtes Attribut, eine Beigabe tragen. Der Glaube wird oft mit Kreuz und Kelch dargestellt, die Hoffnung mit Anker und die Liebe mit einem Herzen, aus dem oftmals Flammen schlagen. Die Liebe kann aber auch als Mutter dargestellt werden, die ihre Kinder schützt oder an der Brust nährt. Papst Franziskus hat eine wunderbare Meditation zum Höhepunkt des Nachdenkens über diese drei Tugenden bei Paulus im Hohen Lied der Liebe (1 Kor 13) in seiner höchst empfehlenswerten Zusammenfassung über die Bischofssynoden 2013 und 2014 zu Ehe und Familie, „Amoris Laetitia“, geschrieben (Amoris Laetitia, Nr. 90-119).

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    5 Der Freiburger Gehirnforscher Joachim Bauer hat diese mit anderen in der Aussage zusammengefasst: Wir sind süchtig nach Anerkennung und Beziehung. Insofern wird soziales Verhalten durch unsere Motivationssysteme hormonell belohnt. Es tut gut, anderen Gutes zu tun. Lächeln steckt an (Bauer, Joachim, Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren, 6. Aufl., München 2013.). Gewalt hingegen entsteht durch Ausgrenzung, Missachtung und Traumata, die alles Selbstwertgefühl zerstört. Diese Menschen stehen entweder vor dem Selbstmord oder vor der Gefahr dieses Defizit mit allen möglichen Ideologien zu füllen (ders., Schmerzgrenze. Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt, 3. Aufl., München 2011.). Viele Forschungen zu Selbstmordattentätern und Terroristen können diese Grundstruktur aufdecken. Deshalb ist nicht die Gewalttat das Ziel, sondern die Anerkennung durch jene Gruppe, in der ich durch diese Taten nun jemand geworden bin. Und deshalb bin ich auch bereit dafür mein Leben zu opfern, weil ich die Anerkennung auch noch im künftigen Gedächtnis dieser Gruppe erhalten werde. Ich werde so „ewig“.

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    6 Lateinisch: „amicitia“. Das griechische Wort „philia“ ist in unsere Wissenschaftssprache eingetreten. Das Denken als „Philosophie“ ist die Liebe zur Weisheit. Philanthropie drückt die Liebe zum Menschen aus.

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    7 In Schillers Gedicht „Freundschaft“ kommt das zum Ausdruck, was das Johannesevangelium in den wunderschönen Satz fasst: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15, 13).

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    8 Siehe: Piper, Josef, Über die Liebe, München 1972.

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    9 „Dilige, et quod vis fac“, in: Augustinus, Aurelius, Tractatus in epistolam Ioannis ad Parthos. PL 35, Sp. 2033.

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    10 Als Orientierung dienten: Gelmi, Josef, Geschichte der Kirche in Tirol. Nord-, Ost- und Südtirol., Innsbruck - Wien/Bozen 2001; Forcher, Michael, Kleine Geschichte Tirols, Überarbeitete und aktualisierte Taschenbuchausgabe, Innsbruck/Wien 2012.

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    11 Kunzenmann, Werner (Hg.), Judenstein. Das Ende einer Legende. Dokumentation, Innsbruck 1995.

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    12 Eine erste Hinführung: Gelmi, Josef, Nikolaus von Kues (1401 – 1464). Leben und Wirken eines Universalgenies auf dem Brixner Bischofsstuhl zum 550 Todestag, Brixen 2013.

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    13 Eine aktuelle Darstellung dieser Vorgänge und seiner Person: Exenberger, Andreas (Hg.), Ein Fels in der Brandung? Bischof Golser und der Innsbrucker Hexenprozess von 1485. Kufstein 2015.

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    14 Siehe: http://www.gaismair-gesellschaft.at/

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    15 Nur in wenige Territorien, vor allem in kleineren Reichsstädten des „Heiligen Römischen Reiches [Deutscher Nation]“, kam es zu einer pluralen Nachbarschaft. Als Beispiel darf ich auf Biberach in Oberschwaben verweisen, dessen Status dann im Frieden von Münster und Osnabrück (1648) ausdrücklich gesichert worden ist. Die Pfarrkirche St. Martin von Biberach ist als Stiftung schon im Mittelalter gegründet worden. Und die BürgerInnen haben diese Kirche als echte Simultankirche bis heute bewahrt und alle Angebote zum Bau einer zusätzlichen Kirche abgelehnt. Das bildete ein einzigartiges Bewusstsein aus. Das bedeutet: die evangelische und die katholische Gemeinde feiert Gottesdienst in dieser Kirche in die gleiche Richtung. Sie haben gemeinsam die Kirche barockisiert und tragen auch seitdem die anstehenden Renovierungsaufgaben gemeinsam (siehe: http://www.simultaneum.de/). Simultankirchen mit unterschiedlichen Gebetsrichtungen hat es öfters gegeben. Die erste dürfte St. Petri in Bautzen gewesen sein (1524). Es werden 64 Simultankirchen für Deutschlang gezählt (siehe Eintrag in Wikipedia).

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     16 Die schwedische Königin Christina (1626-1689), Tochter von Gustav Adolf, war die treibende Kraft hinter diesem Friedensschluss. Bald danach (1654) trat sie als Königin zurück, konvertierte in der Hofkirche zu Innsbruck offiziell zur Katholischen Kirche (3.11.1655) und verbrachte dann ihr Leben in Rom. Nach anfänglichen Eskapaden wurde sie zur großen Mäzenin von Kunst und Wissenschaft, und zu einer Säule der Armenunterstützung in der Stadt des Papstes. Ihr Grab findet sich heute im Petersdom (siehe den historischen Roman: Kaiser, Gloria, Die Amazone von Rom. Gloria Kaiser: Die Amazone von Rom. Das abenteuerliche Leben der Christina von Schweden. Verlag Seifert, Wien 2005, Wien 2005).

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    17 Diese Sitzung ist gut dokumentiert: Marzari, Walter (Hg.), Dokumentation zum Gelöbnis 1796, Bozen (Südtiroler Schützenbund) 1995.

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    18 Zu diesen Entwicklungen siehe: Siebenrock, Roman A., Das „uneingelöste“ Gelöbnis. Zur Theologie ausgewählter Herz-Jesu-Predigten nach dem Tiroler Landesgelöbnis von 1. Juni 1796, in: Zeitschrift für Katholische Theologie 131 (2009) 107–133. Zur Gesamtübersicht dieser Entwicklung siehe: Mazohl, Brigitte/Bernhard Mertelseder (Hg.), Abschied vom Freiheitskampf? Tirol und '1809' - zwischen politischer Realität und Verklärung. Innsbruck 2009.

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    19 Heydenreuter, Reinhard, Tirol unter dem bayerischen Löwen. Geschichte einer wechselhaften Beziehung. Regensburg - Innsbruck 2008.

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    20 Bis heute befinden sich Kunstschätze aus Tirol, die in dieser Zeit geraubt wurden, in Bayern. Die bayerische Herrschaft setzt in Tirol einfach fort, was sie im eigenen Land mit Erfolg und wenig Widerstand schon durchführte. Auf den Seiten des Bayerischen Nationalmuseums wird dazu geschrieben: „Zwischen 1806 und 1814 stand Tirol unter bayerischer Herrschaft. Aus den dort wie auch andernorts säkularisierten Klöstern wurden im Auftrag des bayerischen Königs viele Kunstwerke nach München gebracht“ (siehe: http://www.bayerisches-nationalmuseum.de/index.php? id=863).

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    21 Schönwiese, Ekkehard, Schluss mit dem Hofertheater! Ein Streifzug durch 200 Jahre Tiroler Heldenmythos. Innsbruck: Haymon 2009, Innsbruck 2009. Zur Geschichte um 1809: Mazohl, Brigitte/Bernhard Mertelseder (Hg.), Abschied vom Freiheitskampf? Tirol und '1809' - zwischen politischer Realität und Verklärung., Innsbruck 2009; und mit einer aktuellen Fragestellung betrachtet: Niewiadomski, Józef/Roman A. Siebenrock (Hg.), Opfer - Helden - Märtyrer. Das Martyrium als religionspolitologische Herausforderung., 2. Aufl., Innsbruck-Wien 2011.

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    22 Harari, Yuval N., Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen, 5. Aufl., München 2017.

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    23 Siebenrock, Roman A., »Mehr als ein Dekret. Zur Bedeutung der Erklärung über die Religionsfreiheit«, in: Mariano Delgado/Michael Sievernich (Hg.), Die großen Metaphern des Zweiten Vatikanischen Konzils. Ihre Bedeutung für heute, Freiburg - Basel - Wien 2013, 389–404.

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    24 Siehe zur Übersicht: Schatz, Klaus, Allgemeine Konzilien - Brennpunkte der Kirchengeschichte., 2. Aufl., Paderborn u.a. 2008.

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    25 Die orthodoxe Tradition hat im Jahre 2016 ein allgemeines Konzil abgehalten. Da aber wichtige Teilkirchen, vor allem die russische, kurz davor nicht erschienen sind, kann heute noch nicht abgeschätzt werden, ob und wie diese Bischofsversammlung im Laufe der Zeit angenommen wird (dazu siehe: »Heiliges und Großes Konzil Kreta 2016«, in: Ökumenische Rundschau, 66 (2017), Heft 1, 1-136. Die verabschiedeten Texte in: Hallensleben, Barbara (Hg.), Einheit in Synodalität. Die offiziellen Dokumente der Orthodoxen Synode auf Kreta 19. bis 26. Juni 2016, Münster 2016.

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    26 Bildreich vergegenwärtigt den Konzilsprozess der Band: Ruozzi, Federico/Enrico Galavotti, Das II. Vatikanische Konzil. Geschichte - Bedeutung - Wirkung: ein historischer Atlas, Stuttgart 2015. Zur Einführung in die Theologie des Konzils zwei „Klassiker“: Pesch, Otto H., Das Zweite Vatikanische Konzil. Vorgeschichte, Verlauf, Ergebnisse, Nachgeschichte, 3. Aufl., Würzburg 2011; Wiltgen, Ralph M., Der Rhein fließt in den Tiber. Eine Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils. Feldkirch 21988. Sowie: Wenzel, Knut, Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine Einführung, Freiburg im Breisgau/Basel/Wien 2014; Siebenrock, Roman A., Ein neues Pfingsten der Kirche.Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965)., Innsbruck: Seelsorgeamt 2012.

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    27 Schon in den 30er Jahren hat Henry de Lubac SJ, den später Johannes Paul II. zum Kardinal kreierte, folgende Bestimmung der Katholizität festgehalten: „Der Katholizismus ist die Religion. Er ist die Form, die die Menschheit annehmen soll, um endlich sie selbst zu werden. Er ist die einzige Wirklichkeit, die, um zu sein, es nicht nötig hat, sich entgegenzusetzen, also alles andere als eine ‚geschlossene Gesellschaft‘. Ewig und seiner selbst sicher wie sein Gründer, hindert ihn gerade die Unduldsamkeit seiner Grundsätze nicht bloß, sich in vergängliche Werte zu verlieren, sie sichert ihm zugleich eine unendlich umfassende Geschmeidigkeit, ganz im Gegensatz zu der Ausschließlichkeit und Steifheit, die den Sektengeist kennzeichnet. Omnis gens secundam suam patriam in Ecclesia psallit Auctori (Hrabanus Maurus, De Universo, lib. 22, c. 3 [PL 111, 598]). Die Kirche ist überall zu Hause und jeder soll sich in der Kirche zu Hause fühlen können. So trägt der auferstandene Herr, wenn er sich seinen Freunden kundtut, das Gesicht aller Rassen, und jeder hört ihn in seiner eigenen Sprache ... Das ist die Kirche in ihrer echten Haltung. Dies zu verkünden und darzulegen, ist heute umso wichtiger, da die gegenteilige Versuchung überhandzunehmen droht, und bei manchem Zuschauer von draußen eine ganz andere Vorstellung sich vordrängt“ (Lubac, Henri de, Glauben aus der Liebe. Catholicisme., 3. Aufl., Einsiedeln 1992, 263).

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     28 In der schon genannten „Betrachtung zur Erlangung der Liebe“ heißt es: „Der dritte: Erwägen, wie Gott sich in allen geschaffenen Dingen auf dem Angesicht der Erde für mich müht und arbeitet, das heißt, sich in der Weise eines Arbeitenden verhält. So etwa in den Himmeln, Elementen, Pflanzen, Früchten, Herden, usw., indem er Sein gibt, erhält, belebt und wahrnehmen macht usw. Danach mich auf mich selbst zurückbesinnen“ (EB 236).

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    29 Wie sehr diese Verpflichtung im Glauben Israels und seiner Tora wurzelt, ist in jüngster Zeit wieder deutlich geworden (siehe: https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/ liebe-liebesgebot-at/ch/32a9fabd6d354707513f9b5f51bd7724/). Der jüdische Philosoph und Talmudlehrer Emmanuel Levinas sah in einem solchen Leben der Liebe die Religion für Erwachsene (siehe: Lévinas, Emmanuel, Schwierige Freiheit. Versuch über das Judentum. Frankfurt a.M 21996).

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    30 Diese Überzeugung basiert auf den Analysen von zwei Denkern der Gegenwart: Charles Taylor (Ein säkulares Zeitalter, Berlin 2012.) und Hans Joas (Joas, Hans, Glaube als Option. Zukunftsmöglichkeiten des Christentums, 2. Aufl., Freiburg im Breisgau 2013).

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    31 „Nur um deutlich zu machen, was gemeint ist, und im Wissen um die Belastung des Begriffes ‚Mystik‘ (der recht verstanden, kein Gegensatz zu einem Glauben im Heiligen Pneuma ist, sondern dasselbe) könnte man sagen: der Fromme von morgen wird ein ‚Mystiker‘ sein, einer, der etwas ‚erfahren‘ hat, oder er wird nicht mehr sein, weil die Frömmigkeit von morgen nicht mehr durch die im Voraus zu einer personalen Erfahrung und Entscheidung einstimmige, selbstverständliche öffentliche Überzeugung und religiöse Sitte aller mitgetragen wird, //die bisher übliche religiöse Erziehung also nur noch eine sehr sekundäre Dressur für das religiös Institutionelle sein kann“ (Rahner, Karl, »Frömmigkeit früher und heute«, in: Sämtliche Werke, 23 (2006), 31–46, hier 39-40).

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    32 Dieser Abschnitt der Exerzitien wird „Betrachtung zur Erlangung der Liebe genannt“ (Exerzitien 230-237). Die Mitte dieser Betrachtung erwächst aus der Erfahrung, dass Gott sich mir geschenkt hat, dass ich also von einer hingebenden Liebe immer umfangen bin. Aus dieser Erfahrung erwächst der Wunsch, diese Liebe in großzügiger Hingabe weiter zu schenken, weil die Liebe und die Freude an ihr wächst, wenn ich sie teile: „Nehmt, Herr, und empfängt meine ganze Freiheit, mein Gedächtnis, meinen Verstand und meinen ganzen Willen, all mein Haben und mein Besitzen. Ihr habt es mir gegeben; euch, Herr, gebe ich es zurück. Alles ist euer, verfügt nach eurem ganzen Willen. Gebt eure Liebe und Gnade, denn diese genügt mir“ (EB 234).

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    33 In ihrem letzten Vortrag formuliert die evangelische Theologin Dorothee Sölle diese Erfahrung wunderbar: „‚Wir beginnen den Weg zum Glück // nicht als Suchende, sondern als schon Gefundene.‘ [und ihr Ehemann ergänzt dies:] Das ist die köstliche Formulierung dessen, was wir Gnade nennen“ (Steffensky, Fulbert, Nachwort zu einem Leben, in: Wolfgang Grünberg/Weiße Wolfram (Hg.), Zum Gedenken an Dorothee Sölle, Hamburg 2008, S. 101–108, hier 107–108).

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    34 Unter dieses Motto stellte Papst Benedikt XVI. seine Assisi-Wallfahrt 2011; siehe: Siebenrock, Roman A./Jan-Heiner Tück (Hg.), Selig, die Frieden stiften. Assisi - Zeichen gegen Gewalt., Freiburg - Basel - Wien 2012.

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