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Sich satt trinken: an der Quelle göttlicher Tröstung
(Predigt zum Laetare-Sonntag, gehalten in der Jesuitenkirche am 11. März 2018 um 11 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2018-03-13

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Irgendwann hielt er es nicht mehr aus: diese Heuchelei in den höchsten Kreisen, den Abgrund zwischen den Reichen und den Armen, die Kultur der Verleumdung und des Skandals, mit einem Wort: die Tatsache, dass „die ganze Gesellschaft von oben bis unten verderbt“ war. So verzichtete Hermias auf das hohe politische Amt, das er bekleidete, und zog sich zurück. In die Wüste! Dort bestieg er eine der hohen Säulen, auf denen die bereits legendären Säulenheiligen standen, und verbrachte seine Tage mit Fasten und Gebet und den Gedanken über Gott und die böse Welt. „Wie musste sich wohl das Böse auf der Welt inzwischen vermehrt haben, nachdem ich selber, der wahrscheinlich letzte tugendhafte Mensch, dieser Welt den Rücken gekehrt habe?“, dachte er. Jeden Tag trank er sich satt an den Quellen seiner Erinnerung an die Skandale und Sittenlosigkeit der Welt außerhalb seiner Wüste. Deswegen konnte er bald beim besten Willen sich kaum vorstellen, dass es noch irgendjemanden gäbe, der dort in dieser Welt des Himmels würdig wäre. Die Verzweiflung machte sich bei dem frommen Hermias breit, weil er erkannte, dass der göttliche Plan mit den Menschen wohl scheitern wird. Plötzlich glaubte er eine Stimme zu hören: „Steig hinunter auf die Erde. Geh in die Stadt, geh nach Damaskus und suche dort Pamphalon.“ „Aha, vermutlich gibt es doch noch einen Säulensteher, außer mir“, dachte Hermias. Nachdem er immer und immer wieder die Stimme vernommen hatte, stieg er schlussendlich hinunter und machte sich auf den Weg. Mit Müh’ und Not erreichte der Greis, der er inzwischen geworden war, die Stadt. Das pulsierende Leben dort, die Freude, die auf den Straßen der Stadt herrschte, bestätigte ihm, dass die Welt in der Zeit, die er in der Wüste verbracht hatte, schlimmer geworden ist. Und es hat ihn fast wie ein Schlag getroffen, als er endlich auch den Pamphalon, den er solange gesucht hatte, auch getroffen hat. Nein! Es war kein Asket und auch kein Säulensteher. Vielmehr ein Gaukler, ein Mensch von sehr unstetem Lebenswandel, lustig und sorglos, einer, der sich keine Gedanken über Frömmigkeit machte, sondern seine Sprünge und Verrenkungen vollführte, tanzte und spielte, damit die Menschen lachen können. Der an der Welt und am göttlichen Heilswillen verzweifelte Hermias war überzeugt, dass er zum Opfer teuflischer Verführung wurde. Das Beste, was er nun angesichts dieser Sackgasse tun könnte, wäre der Versuch, den Gaukler zu bekehren. Doch die langen Bekehrungsgespräche brachten etwas Überraschendes hervor. Zuerst staunte er darüber, wie der Gaukler mit einer Selbstverständlichkeit sondergleichen immer wieder seinen Mitmenschen im Leben ein Stück vorwärtshalf. Ganz ohne das fromme Pathos streute er etwa Spuren des Guten in diese Welt, weil er etwas von seinem verdienten Geld verschenkte. Nachdem sich der weltverachtende Asket Einiges an solchen Alltagsgeschichten anhörte, hat er es begriffen: Er selber habe sich sein Leben lang bloß an Skandallust und an seinem frommen Hochmut satt getrunken. Deswegen ist er an den Rand der Verzweiflung geraten. „Du hast mich getröstet“, sagt der Asket zum Gaukler. „Du hast mir Freude geschenkt, weil ich durch dich erkannt habe, dass das Himmelreich nicht veröden wird.“ „Und warum?“, fragt verdutzt der Gaukler Pamphalon. „Weil dank der Barmherzigkeit viele ins Himmelreich gelangen werden, welche die Welt verachtet und die auch ich vergessen habe, ein stolzer Einsiedler, der nur sich selber sah.“

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Liebe Schwestern und Brüder, Nikolai Leskov, ein Zeitgenosse Dostojewskis schrieb diese wunderschöne Geschichte vom Gaukler Pamphalon in seiner Novelle auf. Er schrieb sie als Lobeshymne auf die Kraft göttlicher Gnade, die es vermag, auch den stolzesten Frommen zu bekehren, der nur sich selbst in seiner Tugend sieht und deswegen an der Welt, so wie sie halt ist, verzweifelt. Die Frage, die mich immer und immer wieder stutzig macht, lautet: Wie oft hüpfen wir, wie oft hüpfte und hüpft die Kirche in die Rolle eines solchen frommen Säulenstehers? Sich von der Welt abwendend, von einer Welt, in der sie nur den Verfall der Sitten und Verderbtheit sieht, sich von dieser Welt abwendend, glaubt die Kirche – glauben also auch wir –. dieser Welt bloß den erhobenen Zeigefinger zeigen zu müssen, bloß ihre Laster zu geißeln, bloß den Menschen die ganze Fülle an Geboten und Pflichten in Erinnerung zu rufen. „Trinkt euch satt an eurem schlechten Gewissen!“, so und nicht anders kommt die Botschaft der Säulensteherin Kirche bei den Durchschnittsmenschen an. Ihrerseits präsentieren sie dieser Kirche – im Grunde also uns allen – ständig die Rechnung und rufen deswegen uns auch zu: „Trinkt ihr euch satt an eurer Selbstgerechtigkeit und eurem frommen Hochmut! Die Quellen, aus denen sich die Menschen einst satt tranken, diese Quellen sind eh schon versiegt.“

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In diese Pattsituation hinein ruft die heutige Liturgie: Laetare ecclesia! Freue dich du Kirche, du, die du immer und immer wieder in die Rolle einer Säulensteherin hüpfst, an dieser Welt dich ärgerst und zu verzagen neigst: weil auch du dich an der Quelle der scheinbar alles im Lot haltenden Skandale satt trinkst, vor allem aber an der Quelle deiner Selbstgerechtigkeit. Laetare ecclesia, freue dich du Kirche und trinke dich satt an der Quelle göttlicher Tröstung. Vergiss nicht! Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, nicht damit er den Menschen den erhobenen Zeigefinger zeigt und die Welt geißelt, wie dies die Gazetten tun. Gott selbst und seine Quellen sind ja nicht dort zu finden, wo Aufpasser und Richter zu finden sind. Nein! Gott hat seinen Sohn gesandt, damit er die Menschen rettet. Selbst wenn du also schuldig geworden bist und du dich mit deinem schlechten Gewissen um dich selber drehst oder aber Steine auf andere wirfst, selbst dann, oder gerade dann führt Christus dich zur Quelle der Tröstung: einer Quelle, die dich heilt, weil sie dich reinigt. Laetare ecclesia, freue dich du Kirche, freuen wir uns also alle, die wir hier als diese ecclesia versammelt sind, weil wir alle aus Gnade, nicht aus eigener Kraft gerettet werden, ganz gleich, welchen Grad an Tugend wir an den Tag legen.

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Übrigens: als der alte Hermias zum Sterben kommt, verzagt er wieder. Er sieht am Himmelsgewölbe in ganz großen Buchstaben das Wort „Eigendünkel“ geschrieben und denkt sich: „Hier ist meine Grenze!“ Und so quält er sich im Sterben. Doch dann? Dann sieht er den Pamphalon, wie er mit seinem Gauklermantel das Wort wegwischt und ihn, den verzagten Greis, mithinaufnimmt in den Himmel. „Wie konntest du die Sünde meines Lebens auslöschen?“, fragt der Asket den Gaukler während ihrer Reise in den Himmel. „Ich weiß nicht, wie ich es getan habe. Ich sah nur: du warst ratlos und ich wollte dir helfen, wie ich es verstand. So habe ich immer gehandelt, während ich auf Erden weilte, ebenso halte ich es jetzt, da ich einziehe in eine andere Wohnstatt.“

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Liebe Schwestern und Brüder, die theologische Sinnspitze dieser liebenswürdigen Geschichte liegt darin, dass am Schluss derjenige, der ja meinte, er müsse den Gaukler bekehren, selber von diesem Gaukler gerettet wird. Das ist eine Verdichtung von Hoffnung für all jene, die ständig an sich selber zu scheitern drohen.  Also noch einmal:  Laetare Ecclesia, freue dich du Kirche Christi. Du darfst dich satt trinken an der Quelle göttlicher Tröstung!

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