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Agite! Mortales miseri. Predigt beim Gottesdienst zu den Festwochen der Alten Musik am 19. 08. 2018 um 11 Uhr in der Jesuitenkirche

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2018-08-23

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Kann man eine solche Einladung ausschlagen? Die Einladung der Festwochen der Alten Musik, eine Einladung zum Festgottesdienst mit herrlicher Musik, die uns hier die Capella Claudiana darbietet. Als Frucht der kreativen Kooperation zwischen Tiroler Museen und der Musik an der Jesuitenkirche wurden die Kompositionen des Musikers am Haller Damenstift Vigilius Blasius Faitelli ausgegraben: seine Missa solemnis und sein Motetto de Beata Maria Vergine. Bewusst überschritten die Festwochen die Grenze zur Liturgie und dies nicht zuletzt deswegen, weil der Ursprung des Theaters, der Ursprung der Musik im religiösen Ritual liegt. Im Zeitalter einer fast grenzenlosen Kommerzialisierung tut es auch einem Festival gut “ad portum volere”, zum Hafen zurückzufahren, jenem Hafen, von wo man aufgebrochen ist. Vor allem tut es aber uns allen gut, sich immer und immer wieder unserer Hoffnungen zu vergewissern, aber auch auf unsere Gebrechlichkeiten zu achten. Im Motetto zur Gabenbereitung werden wir aufgefordert: “ Agite mortali!”, Auf, ihr Sterblichen. “Ite corde  impavido”, geht mit furchtlosen Herzen. “Ite  ad portum”, geht zum Hafen, dem Hafen der Gnade. So wollen wir aufbrechen und in diesem Gottesdienst in das Meer göttlicher Barmherzigkeit eintauchen.  (Kyrie, Gloria, Lesungen: Spr 9,1-6; Joh 6,51-58).

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Kann man eine solche Einladung ausschlagen? Ich meine jetzt nicht nur die Einladung der Festwochen der Alten Musik, sondern auch die Einladung des göttlichen Hätschelkindes, der geheimnisvollen Frau Weisheit, der wir in der Lesung begegnet sind; der Frau Weisheit, die mit ihrer Einladung das Tüpfelchen auf das “i” dieses Festgottesdienstes setzt. Der größere Zusammenhang des Textes dieser Lesung aus dem biblischen Buch der Sprichwörter bietet uns ein Szenario dar, das durchaus einer opulenten Barockoper entspringen könnte. Zwei Frauen treten dort auf. Sie treten auf und sie ringen um die Gunst des Publikums. Beide sind Wirtinnen. Sie sitzen vor der Tür ihrer Häuser, schauen auf das flanierende Publikum. Und was machen sie? Sie machen das, was unsere popular culture unaufhörlich macht. Sie machen Werbung. Sprachlich könnten sie sich durchaus der Worte des Gesangs zur Gabenbereitung bedienen ( Vigilius Blasius Faitelli:  Motette de Beata Maria Virgine): “ Agite! Mortales miseri”: Auf! Ihr bedauernswerten Sterblichen. Kommt. Kommt zu mir! Aufgeplustert wie eine barocke Heroine schreit da großmäulig und prahlerisch die Frau Torheit. “Süß ist gestohlener Wein, heimisch entwendetes Brot schmeckt lecker” (Spr 9,17). Diese Frau versteht viel von der Dynamik des menschlichen Begehrens: dieser profundior et universalior appetitio, dieses tiefen und kaum zu stillenden Appetits. Sie ist auch Weltmeisterin der Werbekunst. Unaufhörlich regt sie die Phantasie an, entfacht die Gier, indem sie sich der Logik der Seitenblicke bedient: auf das Gut des Nachbarn die Aufmerksamkeit lenkt. Der Wein, der dem Nachbarn gehört, sei halt süßer; das Brot, das man klaut, sei schmackhafter. Und all dies nur deswegen, weil die Sachen dem Anderen gehören. Die Frau Torheit ist ja die Patin der Kultur des Neides. Und sie weiß auch nur eines: der andere hat’s besser, er kann mehr, er hat mehr: mehr an Geld, mehr an Ruhm, mehr an Applaus. Mit dem Gift des Neides vergiftet die Frau Torheit den Genuss, die appetitio mündet niemals in die fruitio; man wird nie glücklich, weil der Andere glücklicher zu sein scheint. Und dann gibt es auch die andere Wirtin, jene Frau, die in der Lesung zu uns gesprochen hat. Sie schreit weniger, dafür tut sie etwas. Sie hat ihr Vieh geschlachtet und ihren Wein gemischt. Ja, sie hat schon ihren Tisch gedeckt. Ihre Einladung meint das, was sie verspricht: sie regt den Appetit an und sie beschert den Genuss.

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Liebe Schwestern und Brüder, die biblische Kultur sieht in dieser Frau Weisheit das Hätschelkind Gottes. Das Christentum identifizierte sie mit dem göttlichen Logos, dem Sohn,  der selber Fleisch geworden ist. Er stieg herunter, um uns einen anderen Weg zum Glück zu zeigen, als den Weg des Seitenblicks, den die Frau Torheit anpreist. “Et incarnatus est!” Unzählige Male haben die Komponisten diesen Bekenntnissatz des Credo kunstvoll vertont, sich damit zu Mägden und Dienern der göttlichen Weisheit gemacht, damit wir alle, die wir ja bloß mortales miseri sunt, bedauernswerte sterbliche Kreaturen, damit wir durch Musik so etwas wie vestigia  aeternae  fruitionis erleben: die Spuren der ewigen Glückseligkeit. Vielleicht ist auch deswegen der Genuss der Musik ein Antibiotikum gegen das Gift des Neides.

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Liebe Schwestern und Brüder, wir feiern Eucharistie. An der zentralen Stelle dieser Feier heißt es: “Nehmet und esset! Das ist mein Leib. Trinkt! Das ist mein Blut.” Im heutigen Evangelium heißt es: “Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist” (Joh 6,51). Gott selber wurde Mensch, hat sich also mit den Menschen auf eine nicht zu lösende Art verbunden, um uns so den Tisch der Frau Weisheit in einen Stammtisch zu verwandeln, einen Stammtisch, an dem Qualitätsprodukte serviert werden: für Leib und Seele. Er schenkte sich uns voll und ganz. Ohne Vorbehalt lässt er sich verzehren. Ein wunderschönes Symbol: um Gottes teilhaftig zu werden, brauchen wir uns nicht zusätzlich anzustrengen. Vor allem brauchen wir nicht den Seitenblick der Frau Torheit, die uns ständig verführt, weil sie uns einredet:  dass andere mehr haben, mehr sind, mehr gelten und auch frömmer und deswegen auch glücklicher sind. Der zentrale Gehalt des christlichen Glaubens sagt: wir brauchen diesen Seitenblick nicht, weil uns der Seitenblick auf den Menschgewordenen geschenkt wurde: Et incarnatus est!

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So einfach ist die Geschichte allerdings nicht. Unser aller Weg, auch zu diesem Festspielgottesdienst, führt an den Häusern beider Frauen vorbei. Kaum einer von uns kann sich der Faszination der Frau Torheit ganz entziehen. Sowohl die Torheit des Seitenblicks als auch die Wahrheit der appetitio der Frau Weisheit, die uns Gott selber schenkt, prägen unseren Alltag. Deswegen sind wir zerrissen. Deswegen ist auch unsere Welt eine “bewegte Welt” (Motto der Festwochen 2018). Deswegen gilt es umso mehr: “Nehmt und esst. Nehmt und trinkt!” Empfangen wir den menschgewordenen Sohn Gottes und lassen wir uns von ihm verwandeln. Damit wir die Kraft haben, den Vergiftungen der Frau Torheit zu widerstehen: zumindest stückweise zu widerstehen.

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“Danke, danke, dass ihr gekommen seid!”, ruft uns noch einmal die göttliche Weisheit zu. Gekommen, um von meinem Mahl zu essen und zu trinken vom Wein, den ich gemischt habe, dem Sakrament der Eucharistie und dem Sakrament der Sakralmusik. Ihr seid Gottes teilhaftig. Deswegen brecht auf und geht in die Welt hinaus, ihr gesegneten und glücklichen sterblichen Kreaturen: Agite, mortales beati!

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