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Wer ist der Größte von uns?“ Gedanken zum 25. Sonntag im Jahreskreis (LJ B), 2018

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2018-09-24

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesungen: (Weish 2,1a.12.17-20) Jak 3,16-4,3; Mk 9,30-37

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Liebe Gläubige,

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das heutige Evangelium ist eines von jenen, die uns zeigen, wie schwer es Jesus mit seinen Jüngern hatte. Er möchte sie vorbereiten auf seinen Weg durch Kreuz und Tod zur Auferstehung. Doch sie verstehen es nicht – oder wollen es nicht verstehen. Und darum fragen sie auch lieber nicht nach. Keiner will dumm dastehen. Und keiner will es genau wissen. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, sagt der Volksmund. Ganz ähnlich scheinen die Jünger reagiert zu haben: „Den Menschen ausgeliefert“? Welchen Menschen denn? „Sie werden ihn töten“? – Davon will ich lieber nichts hören. „Er wird auferstehen“? Das habe ich noch nie gehört und darum will ich es auch jetzt nicht hören.

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Und so gehen sie nach Kapharnaum und unterhalten sich über ganz andere Dinge: Wer ist der größte von uns? Es wird nicht gesagt, ob es sich dabei um ein Streitgespräch gehandelt hat, bei dem jeder sich selber als größten empfehlen wollte, oder ob es eine sachliche Diskussion war, bei der die Eigenschaften der einzelnen durchgegangen und gegeneinander abgewogen wurden. Wir wissen es nicht. Aber, egal wie es war, die Jünger haben selber gemerkt, dass es nicht zu dem passte, das Jesus gerade gesagt hatte. Dafür, dass sie es nicht verstanden haben, haben sie doch wieder recht viel verstanden: Wenn man einen Meister hat, der sich ausliefern und töten lässt, dann ist die Frage, wer von den Jüngern der größte ist, relativ daneben – egal ob als Streitgespräch oder vermeintlich objektive Abwägung. Die ganze Frage, „Wer ist eigentlich der Größte“, steht quer zur Haltung Jesu. Sie entspringt einem Denken und Fühlen, das Jesus fremd ist und aus dem er auch seine Jünger befreien will.

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Es handelt sich um ein Denken und Fühlen in Seitenblicken, im Vergleichen. Dabei bemisst sich mein Wert nicht an der Fülle dessen, das ich von Gott geschenkt bekommen habe, sondern an dem, was andere haben – ob sie es nun geschenkt bekommen haben oder meinen, es sich selbst erarbeitet oder gar erkämpft zu haben. Nur im Vergleichen mit anderen erfahre ich, was ich wert bin.

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Wenn man auf die Lesung aus dem Jakobusbrief schaut, muss man zugeben, dass Jesus in seinem Befreiungsversuch der Jünger offensichtlich nicht sehr erfolgreich war. Denn hier wird – zwischen dem Jahr 80 und 90 n. Chr. – dieselbe fatale Haltung angeprangert und noch etwas deutlicher analysiert: Wer begehrt, so zu sein wie der oder die andere neben ihm, der kann sich wohl die eine oder andere Sache erarbeiten, die der andere hat; aber er wird doch nie so werden wie der andere. D.h. er begehrt und erhält das eigenglich Begehrte doch nicht. Wer seinen Wert aus dem Vergleich mit dem anderen ziehen will, wird sich immer als minder-wert vorkommen – oder im Umkehrschluss: er muss andere als minderwertig abstempeln, damit er sich gut fühlt. Wer so empfindet, bittet nicht, denn Bitten zeigt eine Abhängigkeit, und man will ja nicht abhängig sein. Und wer sich doch dazu herablässt zu bitten, der tut es nur, um dadurch andere zu übertreffen und zu übertrumpfen, also um das Erbetene in Neid und Eifersucht zu verschwenden.

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Und Jakobus fragt provokant, woher denn die Kriege und die Streitigkeiten in der Welt kommen; er fragt aber nur rhetorisch und gibt selber gleich die Antwort: es sind die Leidenschaften Eifersucht und Ehrgeiz, die daran schuld sind. „Wer ist der Größte?“ – diese Frage wird nur allzu leicht zu der Behauptung: „Ich bin der Größte!“ und das führt allzu oft dazu, andere mit Gewalt klein zu machen, damit es auch stimmt. Der Anthropologe René Girard[1] hat festgestellt: Wenn die Menschen sich an das 9. und 10. Gebot halten würden, die man knapp zusammenfassen kann zu „Du sollst nichts begehren, was deinem Nächsten gehört“ (vgl. Ex 20,17), wenn die Menschen sich also daran halten würden, dann bräuchte es die Gebote 5-8 (vgl. Ex 20,13-16) gar nicht, denn dann würde ohnehin niemand morden, Ehe brechen, stehlen oder lügen. Es wäre ja nicht notwendig. Das Problem ist nur, dass wir oft gerade das begehren, was die anderen haben oder auch begehren.

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Jakobus hat seinen Brief an keine bestimmte Gemeinde geschrieben, sondern letztlich an alle gläubigen Christinnen und Christen. Ich vermute, wir müssen nicht lange nachdenken, um zu sehen, dass seine Warnung auch im Jahr 2018 noch zutrifft. Wir sehen um uns herum in der Welt, wie sehr es zutrifft; wir sehen es in unserer Kirche, in der es immer wieder Machtkämpfe und Machtmissbrauch gibt, der dann oft auch zu noch schlimmerem Missbrauch führt; und wir sehen es in unserem täglichen Leben: unseren Familien, an Arbeitsplätzen, im Straßenverkehr, im Freundeskreis. Die Haltung Jesu hat sich kaum auf Menschen übertragen, auch nicht auf uns Gläubige.

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Wie aber ließe sich diese Haltung nun positiv umschreiben? Jesus hilft uns im Evangelium, sie besser zu verstehen. Er stellt ein Kind in ihre Mitte. Jetzt könnte man sagen: Kinder sind doch genauso; sie streiten dauernd darüber, wer der größte, stärkste, klügste, schnellste, in irgendwas der oder die beste ist. Das stimmt aber nicht ganz: Gegenüber Erwachsenen verhalten sie sich anders, jedenfalls solange es noch wirklich Kinder sind. Von Erwachsenen wissen sie, dass diese mehr können als sie selber. Es stört sie aber nicht, sondern sie erwarten und erbitten ganz selbstverständlich Hilfe und Unterstützung, Nahrung, Wärme, Rat. Sie vertrauen instinktiv. Daher ist es umso schrecklicher, wenn dieses Vertrauen missbraucht wird. Jesus aber sagt nun: Wer ein solches Kind um seinetwillen aufnimmt, nimmt ihn auf und nimmt damit auch den auf, der ihn gesandt hat: den Vater im Himmel.

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Jesus selbst vergleicht sich also mit dem Kind. Und dieses Kind hat auf niemanden den vergleichenden Blick, wer denn größer sei, sondern weiß, dass der himmlische Vater der größte ist und dass er es auf eine Weise ist, die jedes Vergleichen und Kräftemessen mit ihm sinnlos macht – und zwar nicht, weil es aussichtslos ist sich mit ihm anzulegen, sondern weil ihm ein Herablassen und Herabschauen, Konkurrenz und Neid mit den Menschen völlig fremd sind – anders als wir Menschen immer wieder denken. In der Erzählung von der ersten Versuchung (vgl. Gen 3,1-7) gelingt es der Schlange, der Frau einzureden, Gott würde ihr die Früchte vom Baum der Erkenntnis neiden. Seither bemühen sich die Propheten und Jesus, diese Täuschung wieder zu korrigieren und der Menschheit klar zu machen, dass Gott niemandem etwas neidet, sondern bereit ist, alles zu schenken und alles zu vergeben. Er ist sogar bereit, sich in Jesus wie ein Kind anderen Menschen anzuvertrauen, um ganz deutlich zu machen, dass er sich nicht mit ihnen im Wettkampf befindet.

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Wenn wir fähig werden, dieses Kind aufzunehmen – ein Kind, das so klein und machtlos ist, dass wir von ihm keine Konkurrenz, aber auch keine Rückerstattung irgendeiner Art erwarten können –, dann nehmen wir mit diesem Kind auch den himmlischen Vater auf; d.h. wir entdecken Gott auf eine neue Weise, die ihn nicht mehr als Gegner und drohenden Übervater sieht, sondern so, wie Jesus ihn sah: als reichlich schenkenden, liebenden, vergebenden Vater und ebensolche Mutter. Die Bedrohung geht nämlich nie von Gott aus, sondern von Menschen, wie Jesus sehr genau wusste, als er sagte, er werde ihnen ausgeliefert.

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Und mit dieser Neuentdeckung Gottes kommt die Weisheit von oben, von der Jakobus sagt, sie sei „heilig, […] freundlich, gehorsam, voll Erbarmen und reich an guten Früchten, […] unparteiisch, sie heuchelt nicht“ (Jak 3,17). Mit anderen Worten: Sie ist die Weisheit, die alles von der Kraft Gottes erwartet und nichts davon, dass wir uns gegenseitig übertreffen.

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Liebe Gläubige,

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wir wissen, wie schwach diese Weisheit oft noch ist in uns – auch 2000 Jahre nach Jesus. Doch allein, dass wir das erkennen, ist ein Fortschritt. Gehen wir zu ihm und bitten wir ihn in guter Absicht um eine Stärkung dieser Weisheit in uns.

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[1] Vgl. Girard, René: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz. Eine kritische Apologie des Christentums. (Frz.: Je vois Satan tomber comme l’éclair). Übers.: Mainberger-Ruh, Elisabeth. München 2002, 21-24.

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