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Vaterlos! Das Evangelium vom reichen Mann, der sich Jesus zu Füßen warf und dann traurig davonging
(Markus 10,17–30; 28. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B)

Autor:Sandler Willibald
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:Artikel auf der Grundlage eines Lehr- und Austauschabends zum kommenden Sonntagsevangelium am 12. Oktober 2018 im Innsbrucker Gebetshaus "Die Weide"
Datum:2018-10-20

Inhalt

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Haben und Leisten – Auf der Jagd nach Ansehen und Besitz

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Die Geschichte wird dreimal erzählt: bei Matthäus, Markus und Lukas. Jeder bringt sie in einer etwas anderen Perspektive. Übereinandergelegt ergibt sich ein dreidimensionales Bild von einem außergewöhnlich begabten, reichen Mann. Bei Lukas ist er auch noch angesehen, ein Führender Israels (Lk 18,18). Bei Matthäus ist er zudem noch jung (Mt 19,22). Und bei Markus ist es einer, der in eine besonders enge Beziehung zu Jesus gelangt. Nur Markus sagt, dass der Mann zu Jesus hinlief und sich vor ihm auf die Knie warf. Und nur bei ihm heißt es, dass Jesus ihn anblickte und lieb gewann. Er lädt ihn ein, ganz bei ihm zu sein und ihm nachzufolgen.1

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Alle synoptischen Evangelisten berichten übereinstimmend von einem sehr tüchtigen, tatkräftigen und zugleich frommen Menschen. Das erste Schlüsselwort seines Lebens scheint „tun“ zu sein.

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„Guter Meister, was soll ich tun, um das ewige Leben zu erben?“ (Vers 17)2
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Erben ist zudem eine Sache von Anrecht und Besitz. Hier verbindet sich das erste Schlüsselwort „tun“ mit dem zweiten: „haben“. Später sagt der Mann zu Jesus, dass er alle Gebote von seiner Jugend an befolgt habe. Wörtlich heißt es, dass er daran festgehalten hat, – tatkräftig! Auf diese Weise hat er sich ein moralisches Guthaben angeeignet. Es geht ihm nicht nur um materiellen, sondern auch um geistigen Besitz.                                                                                                                    

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Auf der Suche nach dem Entscheidenden, das fehlt

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Doch bei all seinem Reichtum und Ansehen fehlt ihm etwas Entscheidendes. Da liegt Verzweiflung darin, wie er zu Jesus hinrennt und sich ihm vor die Knie wirft: „Guter Meister, was soll ich tun, um das ewige Leben zu erben?“

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Ewiges Leben ist ein Gut, das Bestand für die Ewigkeit hat. Es ist etwas, das zählt und bleibt, wenn alles andere verloren geht.3 Es ist zudem ein Gut, das man sich durch Leistung nicht erwerben kann – ebensowenig wie Liebe und bedingungslose Anerkennung. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein reicher und erfolgreicher Mensch so deutlich erkennt, dass ihm das Eigentliche fehlt – zumal wenn er noch jung ist, wie Matthäus betont. Wahrscheinlich hat er schon eine Erfahrung mit Jesus aus der Ferne gemacht. Was er bei ihm gesehen und gehört hat, hat ihn aus der Fassung gebracht und eine verborgene Sehnsucht in ihm geweckt. Eine solche Gnadenerfahrung ist auf der einen Seite beglückend, auf der anderen Seite aber auch schmerzhaft. Die plötzliche Erkenntnis, dass einem etwas Entscheidendes fehlt, das einem bisher nicht einmal abgegangen ist, ist auch erschütternd. So läuft der Mann zu Jesus und wirft sich vor ihm auf die Füße. Er will unbedingt wissen, was er tun soll, um das Fehlende erwerben zu können, und er nennt Jesus nicht nur Meister, sondern – in einer ungewöhnlichen Formulierung – „guter Meister“, weil er offenbar über dieses vermisste Gut verfügt und es ihm zugänglich machen kann.

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„Was nennst du mich gut?“

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Jesus aber antwortet auf irritierende Weise:

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„Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als nur einer, Gott.“ (Vers 18)4
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Ist es denn falsch, wenn man Jesus gut nennt? Ist das nicht auch angemessen, weil Jesus der Sohn Gottes ist und deshalb ganz und gar an der Gutheit Gottes teilhat? – Das wäre schon richtig, wenn der Mann Jesus tatsächlich in der Beziehung zum himmlischen Vater, der allein gut ist, wahrnehmen könnte. Aber genau hier zeigt sich der eigentliche Mangel dieses reichen, dynamischen und erfolgreichen Menschen. Ihm fehlt der himmlische, göttliche Vater. Gewiss wird er als frommer Jude täglich von diesem guten Gott gehört und zahllose Gebete zu ihm gesprochen haben. Aber er ist ihm noch nicht wirklich aufgegangen. So fehlt ihm die eigentliche Mitte, das Fundament seines ganzen Lebens. Alles andere hängt damit in der Luft: der Reichtum, die Anerkennung, die jugendliche Kraft, die Fähigkeit zu schaffen und zu erwerben. All das hat keine Mitte, weil der Blick des Vaters fehlt, der auf ihm ruht und sagt: Es ist gut, dass du da bist – ganz unabhängig davon, wie viel du in deinem Leben zuwege bringst.

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Wenn dieser ruhende, bejahende Blick fehlt, wird das Leben zur Hetzjagd: immer mehr und immer besser, bis man endlich das erlösende väterliche Ja hört! Allein, so kann es nicht erreicht werden. Ja es wird sogar blockiert auf diesem Weg. Denn der Zauber dieses Ja besteht darin, dass es bedingungslos ist. Deshalb wird es durch Leistung nicht nur nicht erreicht, sondern sogar verstellt. Die bange Frage bleibt und wird sogar immer drängender: „Liebst du mich nur deshalb, weil ich diese Leistungen erbracht habe? Wirst du dein Ja zu mir aufkündigen, wenn ich einmal versagen werde?“

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Wer keinen Vater hat – das heißt: keinen wirklichen Vater, der einen bedingungslos annimmt – wird sich einen suchen. Aber ein selbst erkorener Vater ist kein Vater. Wie er erhoben wird, so kann er abgesetzt werden. Zudem kann ein Mensch nur dann wirklich Vater sein, wenn er selber einen Vater hat und anerkennt. Und man kann nur dann in einem Menschen wirklich einen Vater finden, wenn man erkennen kann, wie dieser selber einen Vater hat und anerkennt. Deshalb steht die Anrede „guter Meister“ auf wackeligen Füßen. Jesus weist den Titel zurück, denn er sieht, dass der Mann keinen Zugang hat zu dem einen Gott, der allein gut ist und von dem allein her alles gut ist. Ohne die Wahrnehmung dieser Rückbindung zum göttlichen Vater würde Jesus für ihn zum Götzen.

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Die fehlende erste Tafel der Zehn Gebote

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Der fundamentale Mangel dieses Mannes, seine Vaterlosigkeit, wird im Folgenden noch deutlicher. Jesus antwortet auf die Frage des Mannes so, wie dieser es verstehen kann. Er sagt ihm, was er tun muss, um ewiges Leben zu erben und zu erwerben. Aus dem Dekalog, den Zehn Geboten, nennt ihm Jesus eine ganze Liste von Geboten, die dieser halten muss:

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Du sollst nicht töten – fünftes Gebot. Du sollst nicht ehebrechen – sechstes Gebot. Du sollst nicht stehlen – siebtes Gebot. Du sollst nicht falsches Zeugnis reden – achtes Gebot. Du sollst nichts vorenthalten – neuntes und zehntes Gebot. Ehre deinen Vater und deine Mutter – viertes Gebot. (Vers 19)
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Das sind viele Gebote aus dem Dekalog aber nicht alle. So liegt die Frage nahe, welche Jesus ausgelassen hat. Es sind dies das erste, zweite und dritte Gebot. Das ist genau die erste der beiden Tafeln des Gesetzes. Die zweite Tafel, die Jesus vollständig zitiert, beschreibt Gebote des menschlichen Zusammenlebens; sie sollen die Nächstenliebe sichern. Die erste Tafel gilt der Gottesliebe und der Verehrung Gottes:

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„Du sollst neben mir keine anderen Götter haben – erstes Gebot. Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen – zweites Gebot. Achte auf den Sabbat: Halte ihn heilig, wie es dir der Herr, dein Gott, zur Pflicht gemacht hat – drittes Gebot. (vgl. Dtn 5,9–15; Ex 20,3–11)
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Diese drei Grundgebote der ersten Gesetzestafel sind das Fundament von allem anderen. Deshalb werden sie in dem Schema Jisrael, dem jüdischen Glaubensbekenntnis, das fromme Juden zweimal täglich rezitieren, mit allem Nachdruck eingeschärft:

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„Höre, Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. Diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen. Du sollst sie deinen Söhnen wiederholen. Du sollst von ihnen reden, wenn du zu Hause sitzt und wenn du auf der Straße gehst, wenn du dich schlafen legst und wenn du aufstehst. Du sollst sie als Zeichen um das Handgelenk binden. Sie sollen zum Schmuck auf deiner Stirn werden. Du sollst sie auf die Türpfosten deines Hauses und in deine Stadttore schreiben.“ (Dtn 6,4-9)
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Warum lässt Jesus in seiner Aufzählung der Gebote, die der Mann halten soll, ausgerechnet diese Grundgebote aus? Und warum fällt das dem Mann, der doch ein frommer Jude ist und das Schema Jisrael täglich spricht, nicht auf? Alles, was er antwortet, ist, dass er diese Gebote von Jugend an gehalten hat. Matthäus, der speziell für Judenchristen schreibt, treibt die Absurdität auf die Spitze, wenn er den jungen Mann fragen lässt:

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„Alles dies habe ich befolgt. Was fehlt mir noch?“ (Mt 19,20)
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Man könnte daran erinnern, dass Jesus den Mann auf diese Grundgebote bereits mahnend hingewiesen hat: „Niemand ist gut als nur einer, Gott“ – Das gleicht dem Anfang des Schema Jisrael: „Höre, Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig.“ Hier hat Jesus bereits auf das entscheidende Defizit hingewiesen, das er an dem Mann gleich erkannt hat: seine himmlische Vaterlosigkeit. Jesu unvollständige Aufzählung der Gebote ist dazu geeignet, die Diagnose zu bestätigen. Der Mann merkt nicht, dass das Entscheidende an dieser Richtschnur des gläubigen Lebens fehlt. Vor lauter Bäumen – die vielen Einzelgebote, um deren Festhalten er sich von Jugend an mühte – sieht er den Wald nicht: die tragende Mitte der vielen Gesetze und Gebote.

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„Höre, Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig.“ –
„Niemand ist gut als nur einer, Gott“ –
„Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. Du sollst dir kein Gottesbildnis machen, das irgend etwas darstellt am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde. Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen.“ (Dtn 5,8–9)
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„Alles weggeben“: Kein elftes Gebot, sondern ein außerordentlicher Ruf

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Angesichts des kapitalen Missverhältnisses im Leben und Verstehen dieses Mannes würde man erwarten, dass Jesus ihn zurechtweist. Aber es kommt ganz anders:

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„Jesus aber blickte ihn an und gewann ihn lieb ...“ (Vers 21)
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Jesus wird von einem liebenden Erbarmen mit dem Mann erfasst.5 Er sieht dessen verzweifeltes Bemühen, und weiß, dass er auf diesem Weg niemals finden kann, was ihm fehlt und was er als ihm fehlend erahnt.

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„... und sprach zu ihm: Eins fehlt dir.“
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Was das eine ist, das da fehlt, ist klar. Eigentlich ist es nicht das eine, sondern der eine: der himmlische Vater. Nun nennt Jesus die nötige Therapie, die der Diagnose entspricht:

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„Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib den Erlös den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben, und komm, folge mir nach!“
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Alles weggeben: Das ist kein Elftes Gebot, das Jesus den Zehn Geboten hinzufügt.6. Derart missverstanden könnte der Verzicht auf alles zu einem weiteren Meisterstück einer Leistungsethik werden, das solcherart das erste Gebot genauso verstellen würde wie die anderen Gebote, die der Mann seit Jugend befolgt hat. Der Zugang zum Vater wäre dann nicht freigeräumt, sondern noch mehr verbarrikadiert. Ein anderer religiöser Leistungsmensch – Paulus – hat das schmerzlich erfahren: „Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte, und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts“ (1 Kor 13,1).

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Der Ruf, den ganzen Besitz wegzugeben um dann Jesus nachzufolgen, ist nicht für alle gedacht und schon gar nicht für alle durchführbar. „Alles weggeben“ ist eine maßgeschneiderte Therapie, die für ganz bestimmte Menschen unter ganz besonderen Bedingungen von Gott verordnet wird. Nur unter diesen Bedingungen müssen sie es (um dem Ruf Jesu in die Nachfolge folgen zu können) und können es auch. Es ist ein moralisierender geistlicher Missbrauch, dieses radikale Armutsgebot allen Christen – oder auch nur allen Christen eines bestimmten Standes – aufzuladen. Nicht alle können das und nicht alle brauchen das. Die, die es – von Gott her verordnet! – brauchen, denen wird von Gott her gegeben, dass sie es auch können. In diesem Sinn handelt es sich um eine strikt übernatürliche Therapie, die deshalb auch nicht eigenmächtig von Menschen verordnet werden kann: nicht anderen und nicht sich selber!

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Wer diesen Ruf von Gott erfahren hat und ihm folgt, der wird nach Jesu Worten einen Schatz im Himmel haben. Und damit ist auch nicht gesagt, dass dieser Schatz nur für jene bereitliegt, die zuvor alles weggegeben haben. Vielmehr: Manche können diesen Schatz nur so gewinnen, dass sie zuvor alles weggeben, – vielleicht, weil sie durch den Reichtum so gebunden und blockiert waren.7

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Nicht der Reichtum ist das Problem, sondern die Weise, wie man ihn hat

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Aber weist Jesus in seiner anschließenden Lehre den Reichtum nicht viel radikaler zurück?

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„Und Jesus blickte umher und spricht zu seinen Jüngern:
Wie schwer werden die, welche Güter haben, in das Reich Gottes hineinkommen!
24 Die Jünger aber erschraken über seine Worte. Jesus aber antwortete wieder und spricht zu ihnen:
Kinder, wie schwer ist es, in das Reich Gottes hineinzukommen!
25    Es ist leichter, daß ein Kamel durch das Öhr der Nadel geht, als daß ein Reicher in das Reich Gottes hineinkommt.“ (Vers 23–25)
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Allerdings ist es nicht der Besitz als solcher, das Jesus als Hindernis zum Eintritt in das Gottesreich benennt, sondern das Festhalten daran, so dass man nicht fähig ist, ihn dann loszulassen, wenn sich das als notwendig erweist, um zum Ergreifen des „himmlischen Schatzes“ freie Hände zu haben.

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Dass es sich so verhält, wird an dem Schlüsselwort „haben“ (griechisch: échein) deutlich, welches die problematische Haben-Haltung des reichen Mannes aufgreift, um sie aufzubrechen:8

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„Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib den Erlös den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben, und komm, folge mir nach!“ (Vers 21)
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Das zweite Haben ist nicht nur anders in Bezug auf den Gegenstand – den Schatz im Himmel, den himmlischen Vater kann man ja nicht „haben“ –, sondern setzt eine radikale Transformation der Haben-Haltung voraus. Wenn jemand in der Welt so „hat“, wie er/sie den himmlischen Vater „haben“ kann, dann ist seine/ihre Haben-Haltung erlöst. So kann man dann auch Menschen und Besitz in dieser Welt „haben“, ohne dass einem das für das ewige Leben schaden würde. Man hat ihn, ohne dass er einen „hat“, so dass man sich seiner entledigen kann, wann immer er sich für das „Haben“ des Vaters als hinderlich erweisen würde. Zu dieser lassend-gelassenen Haltung ist der Mann aber nicht fähig:

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„Der Mann aber war betrübt, als er das hörte, und ging traurig weg; denn er hatte ein großes Vermögen.“ (Vers 22)
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– oder das Vermögen hatte ihn. Er kann es nicht loslassen, auch wenn er dadurch das fahren lassen muss, wonach er doch so sehnsüchtig gefragt hat: das ewige Leben – den Schatz im Himmel. Er ist nicht Besitzer, sondern Gefangener seines Besitzes.9 Darauf folgt der Kommentar Jesu:

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„Wie schwer werden die, welche Güter haben, in das Reich Gottes hineinkommen!“ (Vers 23)
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Verderblich ist also nicht der Besitz als solcher, sondern eine fixierte und fixierende Weise, ihn zu haben. Selbst von den Aposteln hatte Jesus nicht verlangt, sie sollten ihren ganzen Besitz verkaufen und den Erlös den Armen gelassen. Vielmehr hatten sie alles zurückgelassen, um Jesus nachfolgen zu können. Gelegentlich konnten sie zurückkehren und ihren Besitz nutzen, ohne allerdings daran festzukleben.10

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Der „Schatz im Himmel“ ist der himmlische Vater

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Mit dem „Schatz im Himmel“ spricht Jesus das an, was dem Mann fehlt, oder genauer: Er spricht den an, der dem Mann fehlt. Es ist nicht unangemessen, den Schatz im Himmel so zu verstehen wie eine geliebte Person, die man als „Schatz“ anspricht. Der Schatz im Himmel ist der himmlische Vater.

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Das wird im zweiten Teil unseres Evangeliums noch deutlicher. Als Petrus zu Jesus sagt: „Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt“, antwortet Jesus mit einer zweiten Aufzählung: nun sind es nicht mehr die Gebote, die zu halten sind, sondern die Menschen und Dinge, die loszulassen sind, um dem Ruf in die Nachfolge folgen zu können:

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„Da ist niemand, der Haus oder Brüder oder Schwestern oder Mutter oder Vater oder Kinder oder Äcker verlassen hat um meinetwillen und um des Evangeliums willen, ...“ (Vers 29)
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Und nun wiederholt Jesus nochmals dieselbe Aufzählung – oder genau genommen: fast dieselbe:

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„... der nicht hundertfach empfängt, jetzt in dieser Zeit Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Äcker unter Verfolgungen und in dem kommenden Zeitalter ewiges Leben.“ (Vers 30)
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Nur eines fehlt in der zweiten Aufzählung: der Vater! Er fehlt deshalb, weil jeder, der um des Evangeliums willen alles weggegeben hat, vor allem eines erhält, oder – genau genommen – einen: den Schatz im Himmel – den himmlischen Vater. Einen Schatz im Himmel haben (Vers 21), gerettet werden (Vers 26), in das Reich Gottes kommen (Vers 23, 24, 25) und das ewige Leben erben (Vers 17): All das ist jeweils gleichbedeutend mit der personalen Gemeinschaft mit dem himmlischen Vater. Mit Ihm gewinnt man das ewige Leben, um das der reiche Mann Jesus ja so flehentlich gebeten hat. Im kommenden himmlischen Zeitalter erhält man es als bleibendes Gut, im gegenwärtigen Zeitalter als alles tragende Verheißung, deren Erfahrung sich aber immer wieder verflüchtigen kann.

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Die Nichterwähnung eines irdischen Vaters markiert eine symbolische Leerstelle, die auf den transzendenten, göttlichen Vater verweist – als Mitte und Fundament von allem. Natürlich sagt Jesus damit nichts gegen irdische Väter. In einer guten Beziehung zum leiblichen Vater zu leben, gehört ja auch zum vierten Gebot, auf das Jesus den reichen Mann hingewiesen hat. Aber der irdische Vater kann keine absolute Position mehr beanspruchen. Wie bei allen Familienbeziehungen so muss der oder die Christus Nachfolgende auch vom leiblichen Vater jeden Anspruch zurückweisen und so die Beziehung zu ihm riskieren, wo er mit der absoluten Vorrangstellung Gottes und seines Rufes unvereinbar ist. Allerdings wird man auch die leibliche Vaterbeziehung um die Mitte des himmlischen Vaters neu aufbauen können, aufgewertet und zudem verhundertfacht, weil man viele Menschen kennen und lieben lernen wird, die einem wie ein Vater sein werden.

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„Unter Verfolgungen“

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Jesus verheißt also jenen, die Haus oder Brüdern oder Schwestern oder Mutter oder Vater oder Kinder oder Äcker um seinetwillen und um des Evangeliums willen verlassen, bereits für diese Zeit das Hundertfache, allerdings unter Verfolgungen (Mk 10,30). Mit dieser Klausel ist gemeint, dass der verheißene Besitz nicht unbedroht ist. Keine dieser Beziehungen kann dem Anspruch einer absoluten Verbindlichkeit gerecht werden. Auf jeden Fall stehen sie unter dem Vorbehalt des Rufes Gottes in der Nachfolge Christi. So müssen sie immer wieder riskiert werden, was zu Enttäuschungen, Konflikten, Brüchen und eben auch zu Verfolgungen führen kann. Für jede in Treue zu Gott und zum Evangelium verlorene Beziehung wird es viele neue geben, und das Gleiche gilt für im Namen Gottes verlorenen Besitz, so lautet Jesu Verheißung. So werden wir letztlich keinen Mangel haben. Aber Christen können sich nicht aussuchen, wen oder was sie mit Sicherheit behalten.

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„Er aber ging, entsetzt über das Wort, traurig weg ...“ – Die Tragik eines versäumten Gnaden-Kairos

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Die Geschichte geht für den reichen Mann nicht gut aus. Jesu Aufforderung, dass er erst alles weggeben solle um ihm dann nachzufolgen, ist für ihn unerträglich:

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„Er aber ging, entsetzt über das Wort, traurig weg, denn er hatte viele Güter.“ (Vers 22)
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Trauer und Entsetzen kommen nicht allein daher, dass der Mann so sehr an seinem Besitz hängt. Wäre das das ganze Problem gewesen, dann wäre er kopfschüttelnd und selbstgewiss davongezogen. Aber die harte Schale seines Herzens und das Brett vor seinem Kopf haben durch die Begegnung mit Jesus Risse bekommen. Und dahinter hat er etwas von dem wahren Gott, dem himmlischen Vater aufleuchten gesehen. In der Begegnung mit Jesus – durch dessen Worte und unter seinem liebenden Blick – hat er etwas vom Wasser des Lebens zu trinken bekommen. Wer davon getrunken hat, dem werden die trügerischen Wasser, die den Durst nur steigert, nicht mehr schmecken.11 Dennoch fehlt es ihm an Mut und Entschiedenheit, alles loszulassen und dem Ruf Jesu zu folgen. Aber die irdischen Wasser des Reichtums, Erfolgs und des selbstgerechten Gefühls, ein guter Mensch zu sein, werden ihn nicht mehr zufriedenstellen. So bleibt er zwischen Himmel und Erde hängen. Vielleicht wird er seinen Besitz in verzweifelter Wut verschleudern. Denn was ihm vorher als Segen schien, wird ihm nun zum Fluch. Seine Ruhe wird er nicht mehr finden. Der Mann ist von einer Trauer infiziert, die ihn nicht mehr loslässt. Es ist ein tragischer Abgang.

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Entsetzt sind in der Folge auch die Jünger. Und auch wir haben Grund, zu erschrecken. Wer von uns ist denn in der Lage, alles wegzugeben?12 Und um wie viel schwerer muss der Verzicht einem Menschen fallen, dem der Besitz und verbunden damit das Ansehen so wichtig sind wie diesem Mann? Fordert Jesus von ihm nicht das absolut Unmögliche? Und ist das nicht überaus unbarmherzig? So teilen wir das Erschrecken der Jünger:

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„Wer kann dann noch gerettet werden?“ (Vers 26).
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Dennoch: „Bei Gott sind alle Dinge möglich“

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Jesu Antwort auf diese verstörte Frage ist genau zu bedenken:

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„Bei Menschen ist es unmöglich, aber nicht bei Gott; denn bei Gott sind alle Dinge möglich.“ (Vers 27)
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Was bedeutet hier „bei Gott“? Gemeint ist der Moment der Gnade der Gottesbegegnung, des Kairos13, in dem dich die Begegnung mit Gott erhebt, beflügelt. Eine solche Situation ist diesem Menschen gegeben. Sie wird markiert durch die Aussage:

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„Jesus aber blickte ihn an. Und er gewann ihn lieb.“ (Vers 21)
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Aus diesem liebenden Blick spricht nicht Unbarmherzigkeit, wie man angesichts von Jesu radikaler Forderung unterstellen könnte, sondern Barmherzigkeit. Zugleich aber ist dieser Blick wie Feuer. Seine Liebe ist „wie das Feuer im Schmelzofen und wie die Lauge im Waschtrog“ (Mal 3,2). Sie kann Blockaden niederbrennen und Fesseln wegzuätzen, die den Weg zum himmlischen Vater verstellen. Ein modernes geistliches Lied bringt diesen Zusammenhang ohne falsche Romantik auf den Punkt:

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„Jesus, mit deinen Augen schauen mich an.
Ob ich´s ertragen kann weiß ich nicht.
Aber wenn ich in deine Augen schau,
will ich nur dich.“14
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Alles beginnt damit, dass Er dich mit Seinen liebenden Augen anschaut – wie den Mann in dem Evangelium. Das ist auch in einer indirekten und religiös unauffälligen Weise möglich, etwa durch eine Gnadenerfahrung in der Natur oder mit einem Kunstwerk, das einen anblickt und – in einer expressiven Urgestalt von Sprache – anspricht. Rainer Maria Rilke hat das an der Skulptur eines archaischen Torso dichterisch verdeutlicht:

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„Da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du musst dein Leben ändern.“15
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In diesem Blick liegen Gabe und Aufgabe zugleich: die Verheißung – und die Kraft, die Verheißung zu verwirklichen, indem man das Nötige dafür tut und alles Hinderliche loslässt.

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„Und in seiner Freude verkaufte er alles“ – Die Positiv-Variante der Geschichte vom reichen Jüngling

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Wie das geht, beschreibt die Positiv-Variante der Geschichte vom reichen Jüngling. Wir finden sie in Form eines Gleichnisses im Matthäusevangelium:

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„Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Ein Mann entdeckte ihn, grub ihn aber wieder ein. Und in seiner Freude verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte den Acker.“ (Mt 13,44)
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Das ist genau die Geschichte des reichen Mannes – als Gleichnis verschlüsselt. Der Schatz steht für das Himmelreich oder für das ewige Leben, nach dem der reiche Mann Jesus so dringlich gefragt hat. Der Schatz im Acker entspricht dem Schatz im Himmel, den Jesus dem reichen Mann in Aussicht stellt (Vers 21). Und Jesus leitet ihn an, genau das zu tun, was der Mensch im Gleichnis tut: dass er alles, was er besitzt, ‚verkauft‘, um den sehnsüchtig begehrten Schatz erwerben zu können.

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Entscheidend ist, dass der Mensch aus dem Gleichnis in seiner Freude hingeht, um alles zu verkaufen. Das ist deshalb möglich, weil er unbeirrt seinen Blick auf den zu erwartenden Schatz gerichtet hält. Hätte er statt dessen auf das gestarrt, was er im Begriff war wegzugeben, dann hätte er das nicht mehr in Freude tun können. Er hätte es vermutlich überhaupt nicht fertiggebracht. So wäre er genauso erschüttert und traurig weggegangen wie der reiche Mann aus unserer Geschichte.

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Alles hängt also davon ab, in Seine liebenden Augen zu schauen, wenn der Gnaden-Kairos gegeben ist, so dass Sein Blick dich trifft. Wer diesen Blick aushält, der will nur noch ihn und kann deshalb alles Entgegenstehende loslassen. „Mit meinem Gott überspringe ich Mauern“ (Ps 18,30). Das ist der Weg, wie man einen Kairos nutzen kann. So wird eine übernatürliche Kraft frei, das loszulassen, an das man ein Leben lang gebunden war.

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Der Grund für eine neue Chance

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Wehe aber, wenn man den Blick abschweifen lässt. So wie Petrus, der seinem Herrn auf dem Wasser entgegenging und der das konnte, weil er seinen Blick auf Ihn gerichtet hielt (Mt 14,29). Als er wegschaute und sich von Wind und Wellen ablenken ließ, war es um ihn geschehen. Ebenso bestand der Fehler des reichen Mannes darin, dass er seinen Blick von Jesus abwendete auf das hin, was ihm schwer fiel loszulassen. So gewann der Mammon seine Macht über ihn zurück.

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Der Mann aus dem Evangelium hatte eine echte Chance, einen Kairos. Und er hat diese Gnadenchance verpasst. Das ist eine harte Aussage, die wir im konkreten Leben nicht ohne Weiteres treffen können. Wenn wir einen Menschen sehen, der sich ähnlich verhält wie der Reiche aus dem Evangelium, dann können wir dennoch nicht beurteilen, ob dieser wirklich einen Kairos versäumt hat. Vielleicht hatte er keine echte Chance, das zu ergreifen, von dem wir den Eindruck hatten, dass es für ihn zum Greifen nah war. Vielleicht hatte Gott sein Herz in diesem Moment noch nicht genügend geöffnet. Aber in dieser Geschichte setzt Jesus voraus, dass der Mann seine Chance hatte. Deshalb spricht er die harten Worte zu seinen Jüngern:

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„Wie schwer werden die, welche Güter haben, in das Reich Gottes hineinkommen!“ (Vers 23)
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Und anschließend gleich nochmals:

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„Kinder, wie schwer ist es, ins Reich Gottes hineinzukommen! Es ist leichter, dass ein Kamel durch das Öhr der Nadel geht, als dass ein Reicher in das Reich Gottes hinein kommt.“ (Vers 24f)
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Jesu harte Worte setzen voraus: Der Mann hatte eine Chance. Wie der Mann im Gleichnis hätte er in seiner Freude alles verkaufen und den Schatz mit dem Acker erwerben können. Aber obwohl er das so sehr wollte, konnte er den Preis dafür nicht zahlen, weil er seine Augen und sein Herz nicht konsequent genug auf den ihm begegnenden Jesus gerichtet hielt. Was kann Jesus da noch machen? Was kann Gott da noch machen? Alles was Gott kann, ist dem Menschen Chancen zu geben, die die Freiheit zum Guten freisetzen, sie aber nicht aushebeln. Erlösung geht nicht an Freiheit vorbei! Was kann selbst Gott da noch machen, wenn die Menschen die realen Chancen, die Er ihnen schenkt, verstreichen lassen?

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Und dennoch kann Jesus sagen:

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„Bei Menschen ist es unmöglich, aber nicht bei Gott; denn bei Gott sind alle Dinge möglich.“ (Vers 27)
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Was ist Gott da noch möglich? Was kann Jesus da noch tun? – Gott kann einen neuen Kairos setzen. Und er kann Bedingungen schaffen, dass selbst in den dunkelsten Abgründen der Gottferne sich noch ein neuer Gnadenkairos zeigen kann. Das geschieht auf dem Weg des Kreuzes – von Karfreitag und Karsamstag.16

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Der reiche Mann hat also seine Heils-Chance nicht unrettbar verloren. Gott kann ihm noch weitere Begegnungen schenken. Er lässt niemanden fallen. Er „will, dass alle Menschen gerettet werden“ (1 Tim 2,4) und tut alles, was dafür notwendig ist. Das Kreuz zeigt uns nicht nur, wie weit Gott den Menschen nachgeht. Es öffnet einen neuen Weg, so dass Er uns bis in die tiefsten Abgründe nachgehen kann, um uns auch dort noch einen neuen Kairos zu eröffnen.17 So ist die Hoffnung nicht verloren – auch wenn eine Rettung ohne menschliche Zustimmung nicht möglich ist. Das ist das Evangelium, die frohe Botschaft, die Jesus uns auch noch angesichts eines Menschen vermittelt, der sich vor ihm niederwarf und dann traurig davonging.

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Anmerkungen

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1 Anderen hat er solches abgeschlagen. Vgl. Mk 5,18.

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2 Übersetzung nach der Neuen Einheitsübersetzung (NEÜ). Bibelstellen ohne nähere Quellenangaben wird im Folgenden nach der Übersetzung aus der Revidierten Elberfelder Bibel von 1993 zitiert.

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3 Vgl. dazu die Bergpredigt in Mt 6,19–20 NEÜ: „Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motte und Wurm sie zerstören und wo Diebe einbrechen und sie stehlen, sondern sammelt euch Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Wurm sie zerstören und keine Diebe einbrechen und sie stehlen.“

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4 Übersetzung: Revidierte Elberfelder Bibel (1993).

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5 Das erinnert an jene ausgewählten zwölf Bibelstellen, an denen von einem tiefgreifenden Erbarmen die Rede ist (mit dem ungewöhnlichen griechischen Wort splangchnizesthai, das eine innere Erschütterung bezeichnet, die einem durch die Eingeweide geht). Dieses übernatürliche Erbarmen – eine geradezu körperliche Bewegung des Heiligen Geistes – wird nur Jesus zugesprochen oder einigen Gleichnisfiguren, die nicht zuletzt für Jesus stehen: der barmherzige Vater und der barmherzige Samariter.

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6 Darauf weist Hans Bayer in seinem Markuskommentar hin. Vgl. ders., Das Evangelium des Markus (Historisch-Theologische Auslegung: Neues Testament). Witten 2008, 365.

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7 Es wäre nicht einmal richtig zu sagen, dass dies der einzige Weg zu einem himmlischen Vater für diesen Mann im Evangelium wäre. Es gibt noch andere, die aber für ihn vermutlich härter sind als der von Jesus vorgeschlagene. Sie dürften Umwege einer langdauernden Verzweiflung beinhalten, bis der traurig davongegangene Mann zuletzt doch noch in die Nachfolge Jesu gelangt.

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8 Vgl. oben.

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9 Die Fixierung und Gier des Reichen erinnert an die Legende (oder „urban legend“) von der sogenannten südindischen Affenfalle. Sie besteht aus zwei angehängten, ausgehöhlten Kokosnüsse mit kleinen Löchern und jeweils einer Köstlichkeit drinnen. Die scharf geschnittenen Löcher sind groß genug, dass ein Affe seine Hände hineinbekommt, aber mit den Köstlichkeiten zur Faust geballt bekommt er sie nicht wieder raus. Die Legende besagt, dass der Affe es nicht fertigbringt, die Objekte der Begierde loszulassen und dadurch Freiheit und Leben riskiert. Ob Affen sich wirklich so dumm-gierig verhalten, sei dahingestellt. Jedenfalls machte die Geschichte Karriere zur gleichnishaften Beschreibung der menschlichen Gier. Vgl. dazu: Robert M. Pirsig, Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten, Frankfurt 1995, 330f. Die Geschichte von der südindischen Affenfalle findet sich auch zitiert auf http://www.ralfklonowski.de/01_macbumm/03_me/08_texte/werte/falle.htm

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10 So heißt es in Mk 9,33, dass sie nach Kafarnaum kamen und Jesus dort „im Haus war“. „Bei dem Haus, in das sie eintreten, ist vielleicht an dessen Haus gedacht.“ (J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus [Mk 8,27-16,20] [EKK II/2]. Neukirchen-Vluyn/Düsseldorf 62008, 56). Vgl. auch Bayer, a.a.O. 368f.

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11 Vgl. Joh 4,13f: „Jeden, der von diesem Wasser trinkt, wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm geben werde, den wird nicht dürsten in Ewigkeit; sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm eine Quelle Wassers werden, das ins ewige Leben quillt.

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12 Selbst die Apostel gaben nicht alles weg. Wenn Petrus später zu Jesus sagt: „Wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt“ (Vers 28), dann meint er verlassen und nicht weggeben. Er hat sein Haus noch. Vergleiche dazu Bayer, ebd. 366.

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13 Kairos ist das biblische Wort für eine Zeit und ein Ereignis der Gnade. Es ist eine Gnaden-Chance, die genutzt oder auch verpasst werden kann. Vgl. dazu Willibald Sandler, „Nutzt den Kairos!“. Biblische Grundlagen für ein christliches Leben aus der Kraft und Führung Gottes. In: Johannes Panhofer und Nikolaus Wandinger (Hg.): Kirche zwischen Reformstau und Revolution (theologische trends 22), Innsbruck 2013, 53–87; Langfassung online: http://theol.uibk.ac.at/itl/1006.html

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14 Song und Liedtext von Kristian Reschke. Vgl. https://jesusfreaks.de/wp-content/uploads/2016/04/Schau-mich-an-Jesusburger-Kristian-Reschke.pdf ; Video-Performance, allerdings in schlechter Qualität: https://www.youtube.com/watch?v=sCCu64_M6aY

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15 Rainer Maria Rilke, Archaischer Torso. Hans Urs von Balthasar hat den Ausdruck und die Ursprache, die im Erscheinen eines transzendental Schönen liegt, eindrucksvoll entfaltet. Vgl. ders., Theodramatik. Band II: Die Personen des Spiels. Teil 1: Der Mensch in Gott. Einsiedeln 1976, 20–31.

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16 Hans Urs von Balthasar hat dies unter dem Einfluss der Mystikerin Adrienne von Speyer so formuliert: „wer die vollkommene Verlassenheit für sich wählen und damit seine Absolutheit Gott gegenüber beweisen wollte, träfe vor sich auf die Gestalt eines, der absoluter verlassen ist als er selbst. Man kann sich deshalb ‚überlegen, ob es Gott nicht freisteht, dem von ihm abgewendeten Sünder in der Ohnmachtsgestalt des gekreuzigten, von Gott verlassenen Bruders zu begegnen, und zwar so, daß es dem Abgewendeten klar wird: dieser (wie ich) von Gott Verlassene ist es um meinetwillen. Man wird hier von keiner Vergewaltigung mehr sprechen können, wenn Gott demjenigen, der die vollkommene Einsamkeit des Nur-für-sich-Seins (vielleicht muß man sagen:) gewählt zu haben meint, in seine Einsamkeit hinein als der noch Einsamere erscheint‘.“ (Balthasar, Theodramatik IV, 284.

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17 Vergleiche die vorige Anmerkung.

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